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Heilung erfordert, tief in die Urgründe einzutauchen

»Und es ist notwendig, dass wir es trotzdem versuchen,

das Unsagbare zu sagen.

Und mein Hoffen dabei ist,

dass jeder Satz aus mehr besteht

als nur aus den Worten, die ihn bilden.«

Werner Sprenger, Das Höhlenbuch

Im Sommer veranstalte ich gelegentlich Heilkräuterkurse, Kräuterwanderungen oder Seminare. Dabei spaziere ich mit den Teilnehmern über die Wiesen und durch den Wald, lasse sie barfuß laufen, damit sie den lebendigen Erdboden, den frischen Tau unter ihren Füßen spüren, ermutige sie, an den Kräutern und Beeren zu riechen, sie zu betasten oder zu kosten, und erzähle die dazugehörigen Geschichten und Sagen. Meistens, wenn es passt und stimmig ist, feiern wir dazu ein einfaches Naturritual, eine so genannte Puja (»Pūdscha« mit langem u ausgesprochen). Man spürt sofort, dass es sich um ein uraltes Ritual handelt. Es verbindet mit der Landschaft, mit den Kräutern, Bäumen und Tieren. Das Ritual wirkt wie ein Schluck Wasser auf die dürstende Seele. Es hebt die Teilnehmer aus der Hast und den Spannungen des Alltags heraus und hilft ihnen, in das Wunder der Schöpfung einzutauchen.

Da ich immer wieder nach Sinn und Bedeutung des Puja-Rituals und nach der Art und Weise seiner Durchführung gefragt werde, habe ich mich entschlossen, dieses Buch zu schreiben. In den ersten Kapiteln geht es darum, den Ablauf des Rituals zu schildern und die Ritualgegenstände – Wasser, Feuer, Hirschgeweihe, Muschelhorn, Rötel usw. – im kulturanthropologischen Zusammenhang zu erläutern.

Eine Puja ist eine archaische, schamanische »Technik«, die einen sakralen Raum schafft, in dem sich die Seele der Natur manifestieren kann. Es ist eine feierliche Handlung, die es den Menschen ermöglicht, sich den tieferen Dimensionen des Seins zu öffnen, nämlich den Wesen, welche die »nicht alltägliche Wirklichkeit« bevölkern: den Naturgeistern, den Devas der Pflanzen und Tiere, den Ahnengeistern und Gottheiten. Diese Wesen reden ständig mit uns, wir haben nur verlernt oder vergessen zuzuhören: Puja hilft uns, besser zuzuhören. Puja hilft den Menschen, diese Wesenheiten zu spüren, sie zu erleben und vielleicht sogar zu »sehen«. Puja tut nicht nur dem Menschen gut; das Ritual ist auch »Nahrung« und Stärkung für die Natur und ein Segen für das Land. Es ist ein heilmachendes Ritual, ein Heilritual, oder wie die nordamerikanischen Indianer sagen würden: Es ist eine machtvolle »Medizin«. Es ist echte Magie.

Das Wort »Puja« ist indisch. Es entstammt einer obskuren dravidischen Sprache, die auf dem Subkontinent von den vorarischen, nichtvedischen Völkern gesprochen wurde. Der Begriff wurde aber bald ins Sanskrit entlehnt, die Sprache der Indogermanisch sprechenden arischen Einwanderer. Und obwohl ich den heute üblichen hemmungslosen Gebrauch von Fremdwörtern erschreckend finde, da es den inneren Zusammenhang einer Sprache zerreißt, habe ich mich in diesem Fall dennoch entschieden, diesen fremden Begriff zu übernehmen. Denn Worte wie Andacht, Gottesdienst, schamanisches Ritual, Zeremonie, Kulthandlung und dergleichen sind entweder nicht ganz zutreffend oder mit anderen Assoziationen belastet.

Germanische Wurzeln

Puja-ähnliche, schamanische Rituale gehören nicht nur den Hindus oder außereuropäischen Naturvölkern. Einst gehörten sie auch zu unserer eigenen indigenen Kultur, zur Kultur der Kelten, Germanen, Slawen und anderen früheuropäischen Völkern. Auch wir kannten ein auf eigenem Boden gewachsenes Schamanentum. Da es nicht mein Anliegen ist, weitere schwer verständliche Kulte aus fernen Ländern einzuführen, sondern die eigenen nährenden Wurzeln zu finden, versuche ich in diesem Buch einige der verschütteten Quellen unserer Kultur freizulegen. In einem anderen Werk, Die Pflanzen der Kelten (AT Verlag 2003), habe ich mich mit den vorchristlichen keltischen Wurzeln auseinander gesetzt. In diesem Fall wird der Schwerpunkt mehr bei den Germanen liegen. Denn bei diesen nordeuropäischen Völkern ist der schamanische Hintergrund besonders offenkundig. Die Hauptgottheit, Wotan (nordisch Odin, angelsächsisch Woden, wandalisch Guodan, alemannisch Woutan, Woutis) ist vor allem eine Schamanengottheit.

Der Lachsner oder die Lachsnerin, die traditionellen Heiler der germanischen Völker, heilten und zauberten insbesondere mit schamanischen Methoden. Mit diesen Heilmethoden und dem dazugehörigen Weltbild werden wir uns eindringlich befassen.

Die Germanen gehen uns ebenso an wie die Kelten oder die Römer, da ein Großteil des indigenen Volksbrauchtums – die Volksmedizin, die Sprachen, Märchen und Sagen, Jahresfeste, Aberglauben – in weiten Teilen Europas von ihnen geprägt wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Beschäftigung mit der germanischen Kultur im deutschen Sprachraum leider zum Erliegen gekommen und ist, abgesehen von verunglimpfenden Schriften, praktisch tabu. Dafür sind nationalsozialistische Ideologen verantwortlich, die die »Germanen« zu »arischen Übermenschen« hochjubelten. Glücklicherweise sind die Gelehrten in anderen, vorwiegend germanischen Ländern nicht an dieses Tabu gebunden. Meine Quellen sind vor allem englische, amerikanische, belgische und skandinavische.1


Odin (Skizze von Lorenz Fröhlich, 1845).

Wer sind nun die Germanen? Es handelt sich um die Nachkommen der nordeuropäischen Megalithkultur (Trichterbecherkultur), jenes jungsteinzeitliche Bauernvolk, das vor fast 6000 Jahren die Hünengräber und Steinkreise aufstellte. Es sind die wahren nordeuropäischen Ureinwohner, die hiesigen Aborigines (Storl 2003: 56). Sie gehörten ursprünglich nicht zu den »arischen Völkerschaften« – den Proto-Kelten, Slawen, Balten, Illyrern, Latinern und Hellenen –, jenen ehemaligen Hirtennomaden, die zwischen dem 1. und dem 2. Jahrtausend in mehreren Wellen aus den westasiatischen Steppen einwanderten und sich in Europa niederließen. Zu den germanischen Stämmen, deren Urheimat sich von der Nordsee zur Ostsee und nach Südskandinavien erstreckte, gehören die späteren Dänen, Norweger und Schweden, die Angelsachsen, die die britischen Inseln besiedelten, die Friesen, Flamen und andere niederländische Ethnien, die Franken, die Frankreich seinen Namen gaben, die Alemannen, die heute in der Schweiz, im Elsass und im Bodenseeraum zu Hause sind, die Schwaben in Südwestdeutschland, die Bajuwaren, die den bayrisch-österreichischen Raum besiedelten, die Langobarden in Norditalien, die Burgunder, die zwischen Lyon und Genf ihr Königreich hatten, die Westgoten und Wandalen, die bis Südspanien zogen und dort den Adel stellten, die Ostgoten, die auf der Krim siedelten, und die Wikinger, deren Siedlungen sich von Island, Irland, Schottland, Grönland, Russland und vorübergehend bis Vinland (Nordamerika) erstreckten. In anderen Worten, sie sind ein wesentlicher Bestandteil der europäischen Völkerschaften. Und wenn wir unsere eigenen lebendigen Wurzeln finden wollen, dann sollten wir uns mit ihnen befassen.

Eine neue Romantik

Schamanentum ist uralt. Es hat seine Wurzeln in der alten Steinzeit und ist noch immer Teil der Lebensweise der naturnahen Völker. Schamanentum fasziniert uns, denn auch in unserer schrillen, schnell lebenden, globalen Gesellschaft ist nicht alles Gold, was glänzt. Wie Vampire saugen wir das schwarze Blut der Erde aus, um die summenden, knatternden, rauschenden Maschinenroboter zu füttern, die unsere Wälder und Wildnisse schwinden lassen und Luft und Wasser verschmutzen. Und das Bewusstsein der Menschen, die wie Stallkaninchen in ihren Lebensumständen eingeengt sind, wird entsprechend bizarrer. Bewusstsein und Sein hängen zusammen. Terrorismus, Drogenabhängigkeiten, sexuelle Ausbeutung und Abartigkeit, das Ertrinken der Jugend in den virtuellen Realitäten einer elektronischen Unterhaltungs- und Ablenkungsindustrie sind die soziale Seite desselben Prozesses. Kein Wunder, dass im allgemeinen Bewusstsein, wie auch in der ethnologischen Wissenschaft, das Bild des Schamanen, des berufenen und befähigten Urheilers, immer stärker in den Vordergrund rückt. Das zunehmende Interesse am Schamanentum stellt so etwas wie eine Rückbesinnung dar, ein Anfragen bei denen, die (vermutlich) noch wissen, wie man im Einklang mit sich selbst und mit der Natur lebt. Es geht darum, sich befruchten zu lassen von den Ursprüngen, so dass man neu geboren werden kann.

Zugegeben, es ist ein romantisches Bild, das in diesen Gedankengängen beschworen wird. Zugegeben, in mir - wie auch in der Seele vieler Ethnologen, die andere, einfühlsamere, einfachere Lebensweisen kennen gelernt haben - schlummert ein Romantiker. Novalis, Hölderlin, Wordsworth, Coleridge, Emerson, Thoreau sind mir nicht fremd, und die Gebrüder Grimm verehre ich geradezu.

Aber ist der romantische Idealismus nicht längst überholt? Haben uns nicht Kolonialismus und die Härte der industriellen Revolution, linker und rechter Totalitarismus, die Weltkriege mit ihrem Terror, Wirtschaftsnot, globale Marktzwänge und dergleichen unsanft aus dem romantischen Traum geweckt? Was ist aus dem sauvage noble, dem »edlen Wilden« des Jean-Jacques Rousseau, aus dem »wilden Naturkind« des Südseeforschers Louis Antoine de Bougainville geworden? Die hungernden, bettelnden, in Lumpen gehüllten, im Plastikmüll erstickenden, Drittwelt-Slumbewohner haben seinen Platz eingenommen. Für den modernen Intellektuellen ist die Romantik, auch in ihrer seichten Neuauflage als »New Age« und Esoterik, wirklichkeitsfremde Schwärmerei.

Realisten warnen uns: Schauen wir den Tatsachen, den wissenschaftlich bewiesenen, konkreten Fakten ins Gesicht. Welchen Sinn haben steinzeitliche, archaische Ideen und Techniken in einer überbevölkerten, naturdegradierten Welt? Die Bedingungen sind heutzutage gänzlich andere. Ob wir es wollen oder nicht, wir sind auf dem Weg in eine brave new world.

Aber ganz so ist es auch nun wieder nicht. Das Wissen der Naturvölker und der Steinzeitmenschen geht uns mehr an, als wir denken. Unsere Urgeschichte und das Leben in den Wäldern und Tundren haben uns grundsätzlich geprägt. Wir müssen das verstehen, um uns selbst zu verstehen. Die so genannte Steinzeit kündigte sich vor ungefähr 3 Millionen Jahren mit behauenen Steinwerkzeugen an; vor 1 Million Jahren brannten die ersten Lagerfeuer; vor rund 300000 Jahren trugen die Neandertaler schon genähte Lederkleidung und bestatteten ihre Toten mit Blumen, rotem Ocker und Grabbeigaben. Ja, unsere kulturellen Wurzeln gehen tief, tiefer als die vor erst knapp 10000 Jahren gegründeten ersten sesshaften Siedlungen, tiefer als die vor 2500 Jahren gegründete »ewige Stadt« Rom. In der alten Steinzeit wurzeln unsere Sprachen und die Symbole, mit denen wir das Wunder unseres Daseins zu umschreiben und zu begreifen versuchen. Grundtechniken des Wohnens und Jagens, Märchenmotive, Kinderspiele und viele Elemente unserer Heilkunde, vom Kräuterwissen bis zur Schwitzhütte, gehen auf die paläolithische Urzeit zurück. Ebenso das Schamanentum, das Wissen um den Umgang mit den Geistwesen, die in der Natur, hinter der Oberfläche wirksam sind. Der Mensch kann es sich nicht leisten, diese, sein Wesen bestimmende Prägung zu ignorieren. Er kann es sich nicht leisten, sich von dem spirituellen Hintergrund, von der Erde und der Natur abzusondern, ohne dem Wahn und der Zerstörung zu verfallen.

Facetten der Wirklichkeit

Schamanentum ist keine Religion im Sinne der großen Glaubenssysteme. Diese sind erst spät entstanden und beruhen auf charismatischen Stifterpersönlichkeiten, deren Lehren es zu glauben gilt. Schamanentum hat aber nichts mit Glauben zu tun, sondern mit Erfahrung. Ein Schamane ist jemand, der die Begabung hat und die Techniken beherrscht, um mit den Geistwesen, den Gottheiten und Dämonen umgehen zu können. Dazu gehören Methoden – Trommeln, Tanzen, Trance induzierende Entheogene2, Fasten, Enthaltsamkeit, Askese usw. –, die den Zugang zu diesen Dimensionen öffnen. Der Schamane, der in diese Dimension hineinschlüpft, hat auch gelernt, wie man mit den Geistwesen umgeht, wie man mit ihnen verkehrt, wie man sie dazu bewegt, sich den Menschen gegenüber freundlich und wohlwollend zu verhalten. Berufene Schamanen arbeiten in der »Traumzeit«, in der nichtstofflichen »Anderswelt«, im Bereich des Werdenden und nicht - wie unsere Wissenschaftler es tun - im Bereich des Gewordenen. Sie wirken, wie es in dem sehr alten, schamanisch geprägten Text des Tao-Te-King heißt, in der »Leere«, nach dem Prinzip:

»Handle, ehe es da ist,

Lenk es, ehe es wirr wird …

Der Weise (der Schamane)

geht zurück den Weg, den die Menschen gingen

um den Dingen zurückzuhelfen zu ihrer Natur

und wagt nur eines nicht: wider die Natur zu handeln.«

Lao-tse, Tao-Te-King, 64; Übersetzung Ernst Schwarz

Einer der Grundsätze der Kulturanthropologie ist es, dass jede Gesellschaft ihre eigene Wirklichkeit konstruiert. Auch die facts, die vermeintlich bewiesenen Tatsachen, an die wir uns festklammern, erweisen sich als eine »kulturelle Konstruktion der Wirklichkeit«, als Vorstellungen (Schopenhauer), als Maya oder Illusion, wie die Inder sagen. Ein Blick in die Wissenschaftsgeschichte macht das deutlich: Die Feststellungen von heute sind die Irrtümer von morgen. Das Gebäude unserer Realität ist, wie die australischen Eingeborenen sagen würden, ein »Traum«, der sich vermaterialisiert hat; es ist der verdinglichte, verdichtete, dingfest gemachte Gedanke, wie einst die Germanen glaubten. In unseren Träumen, durch unsere Wünsche, Gedanken, Entscheidungen, durch unsere Opfer und Anstrengungen schaffen wir die Wirklichkeiten, in denen wir leben. Die mentale oder körperliche Handlung (Sanskrit Karma, »Tat«) wird zur Ursache unseres Schicksals. Das materialistische, experimentalwissenschaftliche Weltbild, welches die absolute Wirklichkeit des modernen Bürgers ausmacht, ist letztlich auch eine Traumwirklichkeit. Es ist der kollektive Traum, der Spell3, die Verzauberung dieser heutigen Zivilisation. Es ist ein unduldsamer Traum, der für sich den Alleingültigkeitsanspruch erhebt.

Der Traum ist vorerst etwas Geistiges. Erst wenn sich die Gesellschaft diesem Traum hingibt, ihn lebt und verwirklicht, dann nimmt er Fleisch und Blut an, dann wird er materiell konkret. Es gibt Träume, die – wenn verwirklicht – das Leben schöner, angenehmer, glücklicher machen. Es gibt auch Träume, die, wenn sie ausgelebt werden, leidvoll und destruktiv wirken. Es scheint, als ob der Traum der modernen materialistisch geprägten, technokratischen Welt kein guter Spell ist, denn er hinterlässt viel Leid und Zerstörung: Pflanzen und Tiere sterben aus und verlassen die Erde für immer; die Kulturen der kleinen traditionellen Stämme und Völker werden zerstört; Sprachen, von denen jede eine einmalige kostbare Sicht der Welt beinhaltet, verschwinden.

Schamanische Rituale, wie auch die Puja, können dazu dienen, aus einem Alptraum aufzuwachen. Es ist möglich, weil das Ritual das Bewusstsein in die geistige Dimension hineinträgt, festgeronnene Konturen auflöst und erstarrte Seelen für neue Inspirationen öffnet. Woher kommen die Inspirationen? Sie kommen aus den geistigen Dimensionen, aus der »Leere«, aus dem Bereich des Potenziellen, des Möglichen, aber noch nicht materiell Kondensierten. Sie kommen von den Göttern, Engeln, von den Elfen, Zwergen und anderen Geistwesen der Natur, die uns umgibt; sie werden uns von den Urahnen zugeraunt, von jenen Vorfahren, die Sorge um jene trugen, die nach ihnen kommen und in denen ihr Lebensblut weiterfließt. Diesen gilt es sich zu öffnen. Diese gilt es um Rat zu bitten. Den Indianern, Tibetern, australischen Aborigines, all diesen Völkern, die treu an altbewährten geistigen Wahrheiten und heiligen Ritualen festhielten, gilt unser Respekt und auch unser Dank, denn sie erinnern uns an vieles, was wir vergessen haben. Sie können uns Anregungen geben. Aber ihre Brauchtümer, Lebensweise und ihre Rituale gehören ihnen und sind, wie sie, eingebettet in der sie umgebenden Natur. Viele indianische Medizinmänner, die ich kenne, sind entsetzt, wenn man ihre Rituale nachmacht: »Findet eure eigenen Wurzeln«, mahnen sie, »verbindet euch mit der Spiritualität, die in eurem Land in der freien Natur vor euren Augen ausgebreitet ist.«

In diesem Buch nehmen wir den gut gemeinten Rat an. Wir gehen in den Wald, wir suchen das Wissen der einheimischen Völker, der Kelten, der Slawen, der Romanen und vor allem der Germanen. Wir versuchen, uns mit ihren Götterimaginationen, ihren hellsichtigen Visionen zu verbinden. Wir nehmen Kontakt mit den Naturgeistern, Zwergen und Elfen auf, die in den hiesigen Wäldern, Wiesen und Matten, den Bergen, Tälern und Flüssen zu Hause sind. Voller Ehrfurcht wenden wir uns der Erde zu, jener Erde, in der die Knochen der Verstorbenen - unsere eigenen Vorfahren - ruhen. Spiritualität, die nicht mit der umgebenden Natur und mit den eigenen Ahnen verbunden ist, bleibt blutleer und abstrakt; sie ist etwas für das Hirn, aber nicht für den Bauch, die Leber, die Füße.

Verschwinden und Wiederkehr der Geister

Aufgabe der Wissenden und Weisen der alteuropäischen Völker, der keltischen Druiden oder der hellsichtigen Schamaninnen der Germanen war es, die Beziehung zu der Welt der Geistwesen auf gute Weise zu regulieren. Es war ihre Angelegenheit, dass der »Traum«, der Spell, der die Gesellschaft in seinem Bann hielt, ein guter blieb. Die christlichen Missionare, die die nordeuropäischen Waldlandvölker bekehrten – bei ihnen handelte es sich oft um zum Christentum bekehrte ehemalige keltische Druiden –, kannten diese Wesen sehr gut und zweifelten nicht an ihrer Existenz. Die christlichen Glaubensverkünder brachten, davon waren sie überzeugt, einen neuen guten Zauber, einen »guten Spell« – so nannten sie das Evangelium einen good Spell oder, im modernen Englisch, Gospel. Um die Einmaligkeit des Christus hervorleuchten zu lassen, erklärten sie viele alte Götter zu Dämonen und Teufeln; aus Freya wurde Maria, und altes Brauchtum, wie die Kräuterweihe, das Lichtmessfest und Wochenbettbräuche, wie das »Frauenstroh«4, wurden auf sie übertragen; an Donar/Thors Stelle trat der Petrus oder der Streiter wider den Drachen, Michael; andere alte Gottheiten wandelten sich zu christlichen Heiligen und Märtyrern, oder nahmen wenigstens deren Stelle ein; die Wichtel, Feen, Elfen und anderen Wesen der niederen Mythologie blieben im Volkschristentum ungeschoren.

Erst im späten Mittelalter, nachdem die fanatischen Katharer (griechisch katharoi, »die Reinen«) die im Volkschristentum übrig gebliebenen Reste des Heidentums anprangerten, Ehe, Eid, Bilder und Reliquienverehrung ablehnten und den absoluten Gegensatz zwischen Gott und Satan formulierten, änderte sich das. Die verunsicherte römische Kirche reagierte mit der Einführung der Inquisition, um diese Ketzer zu bekämpfen, übernahm aber zugleich auch deren dualistisches Weltbild. Schließlich wollte man nicht die Anschuldigung auf sich ruhen lassen, man sei zu lax mit dem Teufelstreiben. Nach der Unterdrückung des Ketzertums ging man vehementer gegen »Aberglauben« und Hexerei vor, bei der es sich lediglich um Reste eines indigenen keltischen oder germanischen Schamanentums handelte.

Der pferdefüßige »Teufel«, der dem Bauern gelegentlich über den Weg lief, der so genannte Klaubauf, der Hans-spring-ins-Feld, der grüne Junker, der Hinkefuß, der Heinrich, der schillernde Kavalier, der wilde Jäger, war wohl eher einer der vielen rauen, neckischen Naturgeister5, die seit heidnischen Zeiten bekannt waren. Diese armen Teufel trieben Schabernack und konnten die Menschen plagen, zugleich aber hatten sie Angst vor Johanniskraut, Quendel und Dill, vor Weihwasser und Lauch. Dem klugen Bauer gelang es fast immer, sie zu überlisten; und gelegentlich verschenkte ein solcher Waldteufel dem Wanderer Rossäpfel, die sich in Gold verwandelten. Aus listigen Waldschratten wie diesen wurde – in der Zeit der Inquisition und Hexenverfolgung – der mächtige »Fürst dieser Welt«, der Gegengott, Satan, gegen den einzig und allein die Kirche Schutz bieten konnte. Ein für die Kirche profitables Monopol! Mit den Menschen, die in alter Manier mit den Naturgeistern Umgang zu pflegen wussten, räumte die Inquisition auf. Sie wurden als Hexen verfolgt; viele wurden verbrannt.


Mittelalterliche Vorstellung von Teufeln (aus Jacobus de Teramo, Das Buch Belial).

Ebenso radikal verfuhr die darauf folgende Aufklärung. Sie machte tabula rasa, reinen Tisch, indem sie die Geistwesen vollkommen leugnete. Die rationale Aufklärung war der neue spell der westlichen Welt. Der Hohepriester und Visionär der neuen experimentellen Wissenschaft war Frances Bacon, ein ehemaliger Staatsanwalt bei Hexenprozessen. Er und seine Genossen, wie Descartes oder Newton, leiteten die Entmythologisierung der Welt ein. Für sie war die Welt eine Maschine, die nach materiellen, mechanisch-mathematischen Prinzipien funktioniert. Nachdem Gott, der kosmische Uhrmacher, die Weltenmaschine konstruiert hatte, zog sich dieser ins Nebulöse zurück. Erkenntnis hieß nun, die Logik der Konstruktion dieser Weltenmaschine zu verstehen. Keine Götter hielten mehr die Planeten in ihrer Bahn, sondern mechanische Gesetze; keine Wichteln oder Elfen treiben das Pflanzenwachstum voran, sondern chemische Reaktionen. Geister und Götter hatten ausgedient, es gab sie nur noch im Aberglauben alter Weiber, als Zeichen mentaler Verwirrung, bedingt durch Fehlfunktionen im Stoffwechsel des Hirns, oder als die irreale subjektive Fantasie der Künstler und Poeten. Es war der Traum einer leblosen, stofflichen Welt, geboren in toten Labors – ein tödlicher Traum für die Seele und für die lebendige Natur.

Die Romantiker lehnten sich auf. Sie wussten besser. In der »Walpurgisnachtszene« seines Faust lässt Goethe den empörten Rationalist, den Proktophantasmist (»Mastdarmgeisterseher«)6 über das Geistertreiben schimpfen:

»Seid ihr immer noch da! Nein, das ist unerhört.

Verschwindet doch! Wir haben ja aufgeklärt!

Das Teufelspack, es fragt nach keiner Regel.

Wir sind so klug, und dennoch spukt’s im Tegel.

Wie lange hab’ ich nicht am Wahn hinausgekehrt,

Und nie wird’s rein; das ist doch unerhört!«

Inzwischen hat sich wenig geändert. Noch immer tut sich die offizielle, materialistisch-positivistische Wissenschaftsideologie mit der Existenz der Geistwesen schwer, versucht sie zu psychologisieren, etwa als Projektionen verdrängter oder unbewusster psychischer Inhalte, oder auf biochemische Prozesse im Hirn selbst zu reduzieren, oder als Energiefelder zu definieren. Und dennoch kommen sie wieder – heimlich, unerkannt, und da niemand da ist, der mit ihnen richtig umgehen kann, zunehmend destruktiv. Sie haben Schlupflöcher, Ritzen gefunden in der Mauer, die uns schützen soll. Sie fluten in Gestalt von Orcs, ETs und Monstern aus dem All, als Gremlins, Killerbienen, als Goofys und Mickey Mäuse, als destruktive Enten, als Woody Woodpecker oder als Horrorfiguren durch die Kanäle der Medien, der Videospiele, Fernsehsendungen, Computerspiele, Gameboys, Werbespots. Hemmungslos schleichen sie sich in die Seelen der Kinder und bevölkern diese. Sie suchen sie heim in Fantasien, und vor allem nachts in den Träumen. Unruhig schlafen die Kleinen dann, sie schrecken oft auf.7 Kinder kennen keine objektive Distanzierung: Für die Seele sind die Bilder real, sie leben weiter in der inneren Seelenlandschaft; wie unsichtbare Würmer kriechen sie durch die Psyche; ohne dass der Betroffene es merkt, beeinflussen sie das Verhalten, die Stimmung, das Denken und das Entscheiden. Besonders verheerend wirken die von Produzentenehrgeiz und Profitgier motivierten Hollywood-Streifen. Um die Faszination8 auf das Publikum zu stärken, werden alle Register gezogen, was Brutalität und Perversionen betrifft. Wie viele Menschen können sich noch dem fröhlichen Planschen im Meer hingeben, nachdem sie Spielbergs Horrorfilm über den Weißen Hai gesehen haben? Wer wagt es noch heutzutage, nachts in den Wald zu gehen, wie einst Schiller oder Goethe, um im fahlen Mondlicht zu lustwandeln? Unsere Zeitgenossen könnten es nicht einmal, wenn sie wollten, denn unbewusst und heimtückisch schwimmt der Killerhai unter der Oberfläche, und im dunklen Gebüsch lauert möglicherweise die Blair Witch, der Psycho-Killer oder ein sonstiges unsichtbares Unheil. Ja, in dieser Gestalt erscheinen sie, die verdrängten, verleugneten Andersweltlichen, und rauben den Menschenkindern ihren inneren Frieden.

Die Zelluloidzauberer arbeiten zudem gerne mit unterschwelligen sexuellen Reizen. Der Geschlechtstrieb, dieser Wonnequell und Tor der Verkörperung für die nächste Generation, ist etwas dermaßen starkes, dass er die Aufmerksamkeit fesseln und die Psyche verzaubern kann. Wenn Sexualszenen besonders grausam und widernatürlich sind, dann lassen sie die Seele nicht mehr los. Sie besiedeln dann die Vorstellungen. Arthur Hermes drückte es so aus: »Das Pathologische fasziniert.«

Rudolf Steiner hat es für diese Jahrtausendwende vorausgesagt: Die andersweltlichen Wesen kommen wieder; eine Generation wird aufwachsen, die sie wieder wahrnimmt, aber nicht weiß, wie damit umzugehen ist. Auch andere Türen und Tore haben diese Wesen gefunden: Psychedelische Drogen – zuerst in der Künstler- und Hippieszene verwendet, später als Bestandteil der Jugendkultur – lockern die Seele aus ihrer körperlich-physischen Verankerung, so dass man, ähnlich wie im luziden Träumen, im künstlerischen Schaffensrausch oder bei Nahtoderfahrungen, die Wesen der astralen und ätherischen Dimension wahrnehmen kann. Das ist besonders bei den Substanzen der Fall, die bei den Raves, in Diskos und bei Jugendparties generell erhältlich sind – etwa »Adam« oder »Xstasy«, Acid, THC oder synthetische Nachbildungen der mittelamerikanischen Schamanendroge Meskalin (Peyote). Psychoaktive Pflanzensubstanzen, wie Ayahuasca (Banisteriopsis caapi; Yahe), San-Pedro-Kaktus (Trichocereus pachanoi; Aguacolla), »Psillos« (Psilocybin) und andere »Zauberpilze«, die einst eine Rolle in schamanischen und sakralen Traditionen spielten, bringen verborgene Welten zum Vorschein. Dem Zeitgeist gemäß kommen die Andersweltlichen heutzutage oft aufgemacht als Außerirdische daher, und mancher wird von diesen UFO-Reisenden mitgenommen, untersucht, sexuell belästigt oder in kosmische Geheimnisse eingeweiht. Die Erlebnisse sind oft so stark, dass die Alltagswirklichkeit dagegen verblasst. Für einige wenige ist die Berührung mit diesen Dimensionen wegweisend und sinnstiftend, ähnlich den Initiationen und Visionssuchen der Naturvölker; für andere aber ist sie erschreckend, beängstigend, bedrückend; sie kann in den Wahnsinn oder den Tod führen.

Zeitenwende

Nach der radikalen Aufklärung, dem wissenschaftlichen Positivismus und dem atheistischen dialektischen Materialismus der Marxisten9 schwingt nun das Pendel in die entgegengesetzte Richtung. Es ist das Gesetz von Yin und Yang:

»Die Klinge immerfort geschärft,

bleibt nicht lange Klinge;

der Saal mit Gold und Jade vollgestopft

ist nicht vor Räubern zu bewahren;

Glanz und Ehren mit Hochmut gepaart

ziehn sich selbst ins Verderben.«

Lao-Tse, Tao-Te-King, 9

Die Drogenexperimente der künstlerischen Bohème im 19. Jahrhundert und die Psychoanalyse kündigten schon einen Umschwung an. Der eigentliche Durchbruch der anderen Dimension, die Wiederkehr der verpönten und lange ignorierten Götter und Dämonen ins menschliche Bewusstsein, gelang jedoch in der chaotischen Zeit mitten im Zweiten Weltkrieg, und zwar am 19. April 1943, im Forschungslabor des Chemiekonzerns Sandoz in Basel. An dem Tag veränderte sich die Welt. An dem Tag trank der Biochemiker Albert Hoffmann im Labor eine wässrige Lösung mit einer vermeintlich niedrig gewählten Dosierung von 0,25 Milligramm d-Lysergsäure-Diethylamid. Als er dann mit dem Fahrrad nach Hause fuhr, wusste er nicht, ob er verrückt werde. Er schreibt: »Die psychische Wirkung war überwältigend … Furchterregende Visionen traten auf; auch die Erfahrung, den eigenen Körper schon verlassen zu haben, wie auch das Gefühl der Zeitlosigkeit. Als diese fremdartigen Wirkungen langsam nachließen, wandelte sich die Erfahrung in ein unbeschreibliches Glücksgefühl und zu dem Gefühl in ein neues Leben hineingeboren zu werden« (Hoffmann 1998: 91).

Es muss hervorgehoben werden, dass Albert Hoffmann vorher ein ganz sachlicher und nüchterner Chemiker war, kein Mystiker, sondern eher ein genialer Materialist, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die molekulare Struktur des Mutterkorns, eines alten Hebammenmittels zur Weheneinleitung, zu analysieren. Eines der Produkte der Aufschlüsselung dieses Schmarotzerpilzes war eben die Lysergsäure, kurz LSD genannt. Durch dieses Erlebnis offenbarte sich ihm auf einmal die tief liegende Spiritualität, die in oder hinter der empirischen Oberfläche west. Es öffnete, so scheint es, sein »drittes Auge«. Seither sieht der Chemiker in die beseelte Tiefe der Natur. Die Wiesen und Hecken rund um sein Haus sind belebt und beseelt, sie sind von Elementarwesen und Elfen bevölkert. Da er sie mit liebenden und bewundernden Augen bei seinen Spaziergängen immer wieder wahrnimmt, treten sie so stark in Erscheinung, dass auch der normale Sonntagsspaziergänger plötzlich von dem unerklärlichen Zauber und der Schönheit berührt ist.

Interessant ist, dass Basel, die alte Alchemistenstadt, wo schon der große Paracelsus gewirkt hat, einst eines der Hauptkultorte der alten Kelten war. Es ist ein magischer Ort, wo der Rhein einen Knick macht und auf die Burgundische Pforte trifft; ein Ort innerhalb eines Dreiecks, das durch die drei Belchen – die drei heiligen, dem Sonnengott Belenos (Bel) geweihten Berge im Elsass, im Schwarzwald und im Baselbiet – geformt wird. LSD wurde im Forschungslabor zuerst im November1938 synthetisch hergestellt; 1943 wurde sein seelenbewegendes Potenzial entdeckt. Fast zeitgleich entdeckte Ende 1938 Otto Hahn und F. Strassmann die Kernspaltung; 1943 wurde unter Leitung des Atomphysikers Oppenheimer in Los Alamos (New Mexico) das Labor gebaut, in dem im Rahmen des »Manhattan Projects« die erste Atombombe gebaut wurde.

Spiegelbilder; »Wie unten, so oben«, verkündete einst der Meister der Alchemisten Hermes Trimegistos: Hier, ein Flash, der verborgene innere Archetypen sichtbar macht – da, die durch Menschenangst und Hass erzeugte Entladung geballter zerstörerischer Energie. Hier der archaische Sonnengott Belenos, der Lichthafte, dort der schwarze Unterweltgott Pluto10. Die Grenzen Midgards11, die Grenzen zur inneren und äußeren Anderswelt sind gesprengt!

Ja, der Wendepunkt ist überschritten, das Pendel schwingt schon in die andere Richtung. Vorbei ist es mit krudem Materialismus und simplem Rationalismus. Es kommt die von den Traumtänzern des New Age als »Wassermannzeitalter« bejubelte Zeit der mystischen Schau, der Götternähe; zugleich aber nimmt auch die Zauberei, die magische Manipulierung durch heimliche, verschworene Mächte zu. Fernab vom Auge der Öffentlichkeit bemächtigt sich ein zunehmender Okkultismus der Politik und der Wirtschaft. Filme wie Harry Potter, Matrix oder Herr der Ringe deuten vage an, was sich im Hintergrund bewegt. »Spiritualität« kann nämlich durchaus auch finstere Züge annehmen, wenn sie egoistisch motiviert ist, wenn sich Machtgelüste, Habgier, Hass oder Neid mit ihr verbünden. Wahre Spiritualität verlangt Liebe, Demut und geläuterte Herzen. Die andersweltlichen Wesen sind nicht automatisch gut und lichthaft – das wussten die Germanen, die Kelten, die Schamanen der Naturvölker –, sondern können auch durchaus zwiespältig, ungut oder gar lebensfeindlich sein. Die Schamanen wussten zu unterscheiden.

In den traditionellen Kulturen wurden die Übertritte in diese Bereiche geregelt. Sie fanden im Rahmen großer gemeinschaftlicher Feste und Rituale statt. Erfahrene Schamanen und andere weise, außergewöhnliche Persönlichkeiten trugen Verantwortung und wussten, welche Gottheit, welcher Riese, welcher Zwerg, welches Feenwesen ihnen gegenüberstand. Heute stolpert die Menschheit in diese Bereiche, unwissend, unerfahren, chaotisch ohne Führung. Und manche tappen dabei ins Verhängnis.

Aus diesem Grund beschäftigen wir uns hier mit heilsamen Ritualen, die mit dem rechten Umgang mit den Geistwesen zu tun haben. – Das soll der Sinn dieses Buches sein. Wir versuchen die schamanischen Wurzeln unserer Kultur wiederzuentdecken, damit uns unsere Ahnen helfen können. Wir holen Rat bei den Hütern alter Traditionen, bei den Indianern und vor allem bei den Indern, die auf sorgfältigste Weise altes Wissen erhalten haben. Dabei stellen wir uns nicht gegen die schöne Tradition des einfachen, frommen Volkschristentums, denn auch hier sind heilsame Elemente enthalten.

Schamanensprache

Jeder »besondere« Blickwinkel auf das Dasein hat seine besondere Sprache, Worte, die Dinge aufzeigen, die sonst unerkannt im Hintergrund verschwinden würden, und eine Grammatik, die Beziehungen und Zusammenhänge nachzeichnet. Die Sprache der Eingeborenenvölker spiegelt ihr Eingewobensein in den Klängen, Düften und dem Leben ihrer unmittelbaren Umwelt wider. Bekanntlich haben die Inuit (Eskimo) unzählige Wörter für Wetter, Schnee und Eis, die ein genaues Wissen über das lokale Ökosystem andeuten. Es stellt sich heraus, dass Eskimos, die ihrer Sprache beraubt und nunmehr nur englisch sprechen, nicht mehr wissen, wie man in der Eiswildnis überlebt. Sie haben die sprachlichen Werkzeuge nicht mehr, die ihnen sagen, ob das Eis hält, ob der Wind einen Wettersturz ankündigt oder die Seehunde in ihrem Verhalten beeinflusst. Jede lokale Sprache ist ein einmaliges Fenster ins Dasein. Echte Sprache ist Religion, im Sinne des lateinischen religere (»sorgsam beobachten«, »pflegen«), im Gegensatz zu negligere (»vernachlässigen«). Mit jeder Sprache, die ausstirbt, wird ein Fenster zur Wirklichkeit geschlossen. Der Tod einer Eingeborenensprache ist der Tod einer Sichtweise, ist ein Taubwerden.

Es gibt viele Sprachen, auch innerhalb offizieller Sprachen. Die Kräuterkundigen haben zum Beispiel ihre Sprache. Wenn ich mit normalen Stadtbewohnern durch Wald und Wiesen streife, dann zeige ich auf diese oder jene Pflanze, benenne sie, lass daran riechen, sie kosten, erzähle Geschichten dazu. Für meine Begleiter lösen sich dadurch – aus dem Wirrwarr des unbestimmten Grünzeugs – individuelle Pflanzenpersönlichkeiten heraus: Wie aus dem Nichts werden sie, mitsamt ihrer Schönheit, Heilkraft und ihren anderen Eigenschaften, ins Bewusstsein, und so ins Dasein gezaubert. Dabei wird die erlebte Welt reicher und voller für die Zuhörer. Um das zu erreichen, sind treffende, stimmige Wörter der Schlüssel.

Jede Sprache vermittelt also einen Blickwinkel. Beispielsweise ist die Sprache der Mathematiker für das Objektivieren logischer Zusammenhänge, für das Zählen, Rechnen und Messen bestens geeignet. Die Sprache der Mechaniker ist wieder eine andere. Und die Sprache der Schamanen ist eine mythologische; sie kennt den Logos des Mythos. Altüberlieferte Märchen, Sagen, Legenden und Rituale liefern für den »Wanderer zwischen den Welten« die geeigneten Werkzeuge, die es ihm erlauben, die Begegnungen und Erlebnisse in anderen Dimensionen zu verstehen, in Griff zu bekommen oder den richtigen Umgang zu finden. Überlieferte Märchen, nicht aber bodenlose, skurrile Fantasien, sind wie Landkarten der seelischen Dimension zu verstehen. Schamanen sind immer Märchenerzähler. Es sind aber seelisch-geistige Wahrheiten, die sie damit ausdrücken. Und sie können nur auf diese Art und Weise ins Bewusstsein gebracht werden. Trotz ihres Alleingültigkeitsanspruchs ist die naturwissenschaftlich positivistische Sprache nicht geeignet, dem schamanischen Erleben Ausdruck zu verleihen, denn sie schließt ganze mythologische Bereiche aus. Es liegt in ihrer Natur, geistig-seelische Dimensionen auszuklammern, als irrelevant zu erklären. Da wir es in diesem Buch mit Ritualen und Schamanentum zu tun haben, werden wir uns häufig der Sprache der Märchen und des Mythos bedienen.

Der Mensch als Tor ins Dasein

Wir sind keinesfalls nur passive Zuschauer des großen Weltgeschehens, sondern es liegt an uns, welchen Geistwesen wir den Eintritt ins Dasein gewähren, welche wir – wie die australischen Ureinwohner sagen – ins Dasein hineinträumen, oder – wie es bei den Germanen hieß – welche wir thingen oder dingen, das heißt, hereindenken, zum Ding machen. Die Geistwesen, die Unverkörperten, streben mit aller Macht danach, sich auf dieser Seite des Seins zu verkörpern und zu verwirklichen. Die menschliche Seele ist das Tor, durch das alle Jenseitigen passieren müssen, um hier in Midgard anzukommen. Geister, Dämonen, auch die Götter kämpfen um den Zugang, den die Menschen ihnen gewähren können. Dieser Kampf findet auf dem Feld der Seele statt, in »Kurukshetra«, wie es in der Bhagavad Gita heißt. Der Held Arjuna, stellvertretend für jeden Mensch, ist Bogenschütze. Seine Pfeile sind seine Entscheidungen: »Dies« und »dies nicht«! Seine Sinne werden durch die Pferde dargestellt, die seinen Kampfwagen ziehen. Als Wagenlenker hat er sich Krishna, sein höheres göttliches Selbst, gewählt; dieser weiß die Pferde zu zügeln, dieser weiß, wohin der Wagen zu lenken ist.

Ohne die täglichen Rituale und Opferungen der Brahmanen – so lehren die Veden – würden die Götter verblassen, würden sich zurückziehen. In der Seele der Brahmanen werden die Götter geboren. Auch unsere Mystiker kennen das hohe Geheimnis: Sogar der allmächtige Gott klopft an die Tür unseres Herzens und bittet um Einlass, will in uns und durch uns geboren werden:

»Ich muss Maria sein und Gott aus mir gebären,

Soll mich ewiglich der Seligkeit gewähren.«

Angelus Silesius, Der cherubinische Wandersmann, 23

»Ich weiß, dass ohne mich Gott nicht ein Nu kann leben,

Werd’ ich zunicht, er muss vor Not den Geist aufgeben.«

Angelus Silesius, Der cherubinische Wandersmann, 8


Arjuna im Wagen mit Gott als Wagenlenker.

Dieser Überzeugung waren die Naturvölker: Wenn die Menschen die Wesen – Sonne, Mond, Sterne, Meer, Berge, Tiere, Erdboden, Flüsse – nicht im Bewusstsein halten, nicht lieben, nicht bewundern, nicht mit heiligen, andächtigen Ritualen herbeirufen und unterstützen, dann verblassen sie, dann vergehen sie, dann schwinden sie.

Die Kogi-Indianer in der hohen Sierra Nevada in Kolumbien nehmen wahr, wie der Schnee auf den Gipfeln von Jahr zu Jahr weniger wird, wie die Wälder schrumpfen, wie an der Küste die Industrie die einst blühende Natur verwüstet. Auch sehen sie, wie blind der »jüngere Bruder« (die Weißen, die Spanier) sind, wie närrisch, wie gierig. Nach langer Beratung sandten sie Boten zu den Weißen mit der Botschaft:

»Wir sind die älteren Geschwister.

Wir haben die alten Wege nicht vergessen …

Wir wissen noch, wie man die heiligen Tänze tanzt.

Wir haben nichts vergessen.

Wir wissen, wie man den Regen ruft

Und wenn es zu stark regnet, wissen wir, wie man ihn anhält.

Wir rufen den Sommer.

Wir wissen, wie man die Erde segnet und erblühen lässt.

Aber jetzt töten sie unsere Mutter [Erde].

Der junge Bruder denkt nur an das Ausplündern.

Die Mutter versorgt auch ihn, aber er denkt nicht daran.

Er schneidet ihr ins Fleisch,

Er schneidet ihre Arme,

Er schneidet ihre Brüste ab,

Er nimmt ihr Herz heraus.

Er tötet das Herz der Erde …

Wenn er den älteren Bruder [die Indianer] tötet,

dann ist es auch mit ihm aus.

Dann ist es mit uns allen aus.

Aber was würden sie [die Weißen, der jüngere Bruder] denken,

wenn alle Mamas [Priester der Kogi-Indianer] sterben?

Würden sie denken, na, und? Gut so? Was würden sie denken?

Wenn das passieren würde, wenn alle Mamas sterben, und niemand

unsere Arbeit [unsere Rituale] ausführen würde,

dann würde kein Regen mehr vom Himmel fallen,

dann würde es heißer und heißer vom Himmel herabkommen,

dann würden keine Bäume mehr wachsen

und keine Feldfrüchte.

Oder irre ich mich, würden sie dennoch wachsen?

Die Sonne würde ausgehen,

die Welt würde enden.

Aber wenn wir uns richtig verhalten und Gutes denken, dann wird sie nicht enden.

Deswegen sorgen wir für die Sonne und den Mond und das Land.

Wir opfern immer der Sonne

Und den Bergen

Und auch den Sternen.

Deswegen leben wir hier.

Und solange wir das tun, wird uns nichts geschehen,

auch dem jüngeren Bruder nicht.«

(Ereira 1992: 167 und 1993: 113)

Für den gebildeten Bürger der modernen Welt sind solche Gedankengänge schwer nachzuvollziehen. Es ist »primitives« Denken, längst überwundener Animismus12. Oder wer will noch glauben, dass der 149 600 000 Kilometer von der Erde entfernte, erdnächste Stern, dieses thermonukleare Fusionskraftwerk, welches wir Sonne nennen, von unseren Opfergaben abhängig ist? Und wer, außer ein Schizophrener, würde noch glauben, dass Pflanzen reden können, sie haben ja nicht einmal Nervenzellen, geschweige denn ein Hirn? Als ob die Natur, das Universum, von uns abhinge! Das ist menschliche Hybris, Selbstüberschätzung, wie mir ein Psychologe entgegenhielt, als ich mit ihm darüber sprach. »Wir sind keine wundergläubigen Kinder mehr. Dank Kopernikus haben wir erkannt, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums ist; dank Darwin wissen wir, dass wir nur Tiere sind, und dank des Fortschritts in der Astrophysik wissen wir, dass wir praktisch nichts sind, Staub in einem unendlichen Universum. Diese Einsicht fordert die Menschheit zur Demut auf«, sagte er, sichtlich stolz auf die Erkenntnisleistung seiner Wissenschaftlerzunft. Auch das smarte, von Medien und Ökoaktivisten immer wieder vorgebrachte Mantra: »Die Natur braucht den Menschen nicht; der Mensch aber braucht die Natur!« negiert die Urerfahrung der Naturvölker.

Von der Ebene des im Hirn verankerten Denkens mag das alles richtig sein. Aber Hirn und rationales Denken sind nur eine ganz kleine beschränkte Ebene unseres Seins. Mit den Augen der Seele, mit dem »Denken« des Herzens, sieht es anders aus. Es ist die Seele, wenn sie gesund ist, die die Beseeltheit des Universums sieht und die Verbundenheit mit allen Wesen erkennt. Diese seelische Ebene ist tiefer und wesentlicher als das abstrakte, tote analytische (auflösende) Denken. Der Intellekt erfasst nur das schon Gewordene. Und das, was geworden ist, zerfällt, vergeht, wird Staub. Die Seele aber kann in das Ätherische hinein »sehen«, in das noch nicht manifestierte Werdende, in die Traumgebilde, die sich potenziell zur Wirklichkeit verdichten. Der »Primitive«, der noch lebende Seelenaugen hat, opfert für das Werdende, das Schöne, Gute, Freundliche, Wonnevolle, das seine Ahnen schon immer kannten, damit es sich weiterhin manifestiere. So erhält er die Sonne und die Geschöpfe der Natur in ihrem Dasein. Diese Erkenntnis ist keine Hybris. Ein naturnaher Mensch ist umsichtig im Umgang mit seinen Mitgeschöpfen: Er rodet nicht ganze Kontinente, er vergiftet nicht die Meere und die Luft.

Anthropologen versuchen, den Menschen als hochentwickeltes Produkt der Evolution, als vernunftbegabtes Wesen, als »Krone der Schöpfung« zu definieren, als kulturbedingtes Wesen, als Sozialwesen, als Verbraucher und so weiter. Das mag größtenteils stimmen, für mich aber liegt das Wesentliche des Menschen woanders. Der Körper des Menschen ist gebrechlich, und seine Intelligenz ist limitiert. Der Einzelne unter Unzähligen ist zwar einmalig, so wie jede Schneeflocke einmalig ist – und ebenso kurzlebig. Er ist nur ein winziges Glied in der unendlichen Kette des Seins. Aber als dieses Glied hat er eine Aufgabe, die ihn in seinem Wesen ausmacht: Er ist das Tor für die Geistwesen, die ins Dasein drängen. Wenn er einmal etwas hineingelassen hat, dann ist es da. Dann nimmt es seinen Lauf, sein eigenes Leben an. Der Mensch mag versuchen, das, was er in die Welt gesetzt hat, zu beherrschen, zu führen, zu kontrollieren, aber meistens reicht seine Kraft dazu nicht aus. Das Hereingelassene wächst ihm oft über den Kopf, wird zu seinem eigenen und zum kollektiven Schicksal. Wenn niedere Beweggründe hinter seinen Erfindungen, Worten und Taten stehen, dann lässt er Dämonen herein. Diese danken es ihm möglicherweise, indem sie ihren »Schöpfer« hüten, so wie man eine Milchkuh hütet (Tyrannen haben oft solche dämonischen Hüter.) Meistens aber knechten und quälen sie ihn. Der schwarze Titan, der die Macht hat Atome zu spalten, gaukelte seinen »Erfindern« Vergeltungsmacht, Dominanz und unbegrenzte Energie vor. Man ließ ihn hinein. Und nun geht er nicht wieder, und niemand weiß, wie man die lebensfeindlichen strahlenden Abfälle entsorgen soll. Und einem weiteren Riesen aus Utgard, aus dem finsteren Chaos, hat man Einlass gewährt. Schlaue, aber unweise Magier, die die Lebenskeime mit plumpen Fingern probten, öffneten ihm das Tor in den Garten des Lebens, in Midgard: Er würde weltweiten Hunger stillen und unheilbare Krankheiten heilen können, dabei wühlt und wütet er in den Millionen Jahre alten Bauplänen der Lebewesen und chaotisiert diese. Man achte also darauf, welche Geister man ruft. Man wird sie nicht so leicht wieder los.

Auch das Puja-Ritual ist ein Hereinrufen, ein Hereinträumen. Aber keine Dämonen werden gerufen, sondern die Freunde, die uns schon lange trugen, nährten und froh machten. Wie alle naturverbundenen Menschen rufen wir Sonne, Mond, Sterne, Berge, Fluss, Tiere, Wolken, Meere, Pflanzen und Mutter Erde ins Bewusstsein, in unser Dasein. Wir füttern sie mit Dank und mit Liebe. In ihnen leuchtet uns der göttliche Urgrund entgegen. Mögen sie uns erhalten bleiben.

Puja soll kein Kult sein, keine weitere Verzauberung, sondern eher eine Entzauberung, ein Heilmittel, das unsere seelischen Augen wieder öffnet zur Schönheit und Heiligkeit der Schöpfung, ein befreiendes, nicht ein beengendes Ritual. Puja ist ein guter Spell.

Werner Sprenger, Autor mystischer Texte, schrieb einmal: »Die Grunderfahrung meines Lebens ist, dass sich meine Arbeit als Schriftsteller nicht trennen lässt von meinem täglichen Leben, ohne dass beide zerstört werden« (Sprenger 1988: 9). Das ist auch bei mir der Fall, deswegen scheue ich mich nicht, viel persönlich Erlebtes in dieses Buch einfließen zu lassen.

1 Um einem populären Missverständnis entgegenzuwirken: Germanen sind nicht identisch mit den so genannten Deutschen. Diese Mitteleuropäer haben zwar germanische Wurzeln, aber ebenso keltische, baltische und slawische. Auch waren die Germanen kein, wie so oft dargestellt, blutrünstiges, kriegerisches Volk. So wurden sie lediglich aus taktischen Gründen von Julius Cäsar dargestellt, damit der römische Senat bereit war, den imperialistischen Feldzug des Feldherren zu finanzieren. Es ist genau diese propagandistische Darstellung, die von den Nationalsozialisten wieder aufgewärmt wurde. Die späten schriftlichen Zeugnisse aus christlicher Hand über die germanischen Stämme, wie etwa die Nibelungensage, entstammen der Zeit der Völkerwanderung, einer von Kriegswirren gezeichneten Epoche, als sich diese Völker im Spannungsfeld der von Osten hereindrückenden Hunnen und der Römer im Süden und Westen befanden. Auch Odin/Wotan, der Schamanengott, wurde erst spät in der Geschichte vom Kriegeradel zum Kriegsgott stilisiert. Die meist höfischen Heldensagen entsprechen nicht dem Geist dieser Bauernvölker, denen Friede und Wohlstand näher am Herzen lagen.

2 Entheogen (griechisch en + theos, »Gott darin«; gen, »werden«) wurde von C. A. P. Ruck, Jonathan Ott und anderen Forschern im Bereich der psychoaktiven Substanzen als treffende Bezeichnung für Pflanzendrogen vorgeschlagen, die zu mystischen, prophetischen Zuständen oder zu Besessenheit führen, oder nachweislich im Rahmen schamanischer und religiöser Riten eine Rolle spielten (Rudgley 1999: 116).

3 Das englische Wort Spell ist verwandt mit dem deutschen »Spiel, spielen«, im Sinne von vorgaukeln oder verzaubern, so wie der Barde, der Sänger, der Schamane mit seinen Worten und seiner Musik Gefühle und Stimmungen erzeugt, die Menschen zum Lachen und zum Weinen bringen kann, sie krank machen oder gesunden lassen kann (Storl 2003: 98).

4 Frauenbettstroh oder Liebfrauenbettstroh, einst Freyabettstroh genannt, waren heilsame aromatische Kräuter, auf denen die Wöchnerin mit ihrem Kind gebettet wurde.

5 Radulf Glaber, ein Mönch aus dem 11. Jahrhundert, beschreibt den Teufel, dem er höchstpersönlich begegnete: »Er war von mittlerem Wuchs, hatte einen langen dürren Hals, ein abgezehrtes Gesicht, pechschwarze Augen, geblähte Nüstern, vorstehende Wulstlippen, ein fliehendes Kinn, einen Bocksbart, behaarte spitze Ohren, Hundszähne, einen spitz zulaufenden Schädel und einen bebenden Hintern« (Gerlach 2000: 229).

6 Es handelt sich um eine Satire Goethes gegen den Berliner Aufklärer und Rationalist Nicolai, der vor der Berliner Akademie der Wissenschaften erklärte, er habe selbst eine Geisterscheinung wahrgenommen, doch nachdem ein Arzt ihm Blutegel an den After gesetzt hatte, sei er davon befreit gewesen (Trunz 1999: 572).

7 Untersuchungen der Psychologen zeigen Folgendes: Je mehr Zeit Kinder vor dem Fernseher verbringen, desto unsicherer und unglücklicher werden sie. Sie lernen eine Welt kennen, die voller Gewalt, Tücke und Boshaftigkeit ist. Das beunruhigt sie und raubt ihnen das unbekümmerte Kindsein.

8 Faszinieren, vom lateinischen fascinatio, »Behexung«. Fascinus war eine römische Gottheit, mit einem dermaßen grotesken und großen Penis, dass niemand den Blick abwenden konnte. Ein Amulett in der Form dieses Teufelsgliedes diente der Abwehr des »bösen Blicks«.

9 In der Sowjetunion und anderen kommunistischen Ländern wurden Schamanen hingerichtet oder in die Gulags gesperrt, wo sie Zwangsarbeit leisten mussten. In den westlichen Ländern endeten schamanisch Begabte oft in der Psychiatrie.

10 Nach Pluto, dem schwarzen Unterweltgott, ist Plutonium benannt. Tschernobyl (Ort der Atomkatastrophe, 1986) bedeutet »schwarze oder finstere (tschórny) Begebenheit (byl)«.

11 Nach der germanischen Mythologie ist Midgard die mittlere Welt, die befriedete, von Donar geschützte Stätte, wo die Menschen wohnen; im Gegensatz zu Utgard, dem Ort jenseits des Weltenmeers, jenseits der Weltenschlange, wo Unholde, Riesen und andere Wesen hausen.

12 Mit Animismus bezeichnet man den Glauben der Naturvölker, dass die Natur, sogar Steine, Pflanzen, Berge beseelt sind.

Naturrituale

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