Читать книгу In der Hitze Havannas - Nick Hermanns - Страница 2

Kapitel 2

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Um drei Uhr morgens schreckte ich aus einem traumlosen Schlaf hoch. Klar – ich war um ungefähr sieben Uhr abends eingeschlafen. Ich konnte mich nicht erinnern, in den letzten Jahren jemals länger als fünf, sechs Stunden geschlafen zu haben. Acht war geradezu rekordverdächtig.

George hatte sich zu mir aufs Sofa geschummelt, ich gab ihm einen Klaps und scheuchte ihn runter. Er trollte sich auf seine Decke, wobei er einen extrem leidenden Gesichtsausdruck zeigte. Schauspieler!

Ich bewegte vorsichtig jene Körperteile, die ich in den nächsten Minuten zum Aufstehen einzusetzen gedachte. Es ging so. Der Kopf war dumpf, aber benutzbar, also stemmte ich mich leise stöhnend hoch und wanderte ans westliche Fenster, wo ich dem Himmel dabei zusah, wie seine Farbe ganz langsam von einem tiefen Dunkelgraublau zu einem helleren, am unteren Rand sanft orange leuchtenden Blassblau wurde.

Dieser Anblick und die Abende, an denen die Sonne in kitschig-dramatischen Farben im Meer versank, genügten mir, um meine Zweifel an der Richtigkeit meiner Entscheidung zu zerstreuen. So sehr ich mein Leben als Robert Decker in München geliebt hatte, so sehr mir Hannah fehlte und so merkwürdig mir Kalifornien manchmal erschien – ich fühlte mich hier in Venice endgültig angekommen.

Seit knapp zwei Jahren lebte ich nun in diesem kleinen hölzernen Haus, das unweit von Venice Beach in vorderster Reihe am Meer stand, nur durch eine schmale Promenade vom Strand getrennt. Kaum zweihundertfünfzig Quadratmeter hatte das Grundstück, auf dem mein Häuschen mit seinen zwei Stockwerken von jeweils knapp fünfzig Quadratmetern stand. Östlich vom Haus, zur Straße, fand sich ein hölzerner Unterstand, der meinen alten Buick Kombi beherbergte. An der Westseite des Hauses, zum Meer hin gelegen, gab es ein Holzdeck, von dem aus ein paar Stufen in den kleinen Garten führten.

Dieses Haus in dieser Lage zu bekommen, war ein unglaubliches Glück gewesen. Niemals hätte ich es bezahlen können. Ich hatte es vor drei Jahren von einem Onkel mütterlicherseits mit einem Defizit an anderen Verwandten geerbt, samt einem durchaus nennenswerten Geldbetrag. Solange ich keinen allzu großen Unsinn anstellte, würde der wohl bis zu meinem neunzigsten Geburtstag reichen. Da ich jeden Tag einige dicke Zigarren rauchte und auch gerne mal mit zwei, drei (und in Ausnahmefällen auch mehr) Single Malts den Feierabend einläutete, standen meine Chancen, das Geld komplett zu verbrauchen eher schlecht.

Es wurde langsam hell, ich saß auf der Terrasse in meinem alten Adirondack-Chair, dessen ehemals kräftiges Blau über die Jahrzehnte zu einem silbrigen Grau mit einigen blassblauen Einsprengseln verblichen war. Den Sessel hatte ich aus München, aus meinem alten Leben mitgebracht. Als ich seinerzeit von der Erbschaft erfahren hatte, hatte ich das als ein Zeichen gesehen, meinen Traum zu verwirklichen und von München nach Los Angeles zu ziehen. Der Sessel kam mit, einige andere persönliche Dinge ebenfalls. Meine Frau Hannah kam nicht mit.

Ich hatte mir ungewohnt zeitig eine erste Zigarre angezündet, einen Kaffee mit ins Freie genommen und dachte an den vergangenen Tag. Es war immer noch viel zu früh, um irgend etwas zu unternehmen, auch Tim und Tyler wollte ich noch nicht stören, obwohl ich verdammt gerne gewusst hätte, ob sie von den beiden Schlägern noch etwas erfahren – und mehr noch – was sie dann mit ihnen gemacht hatten. Wobei ich andererseits auch nicht wirklich sicher war, ob ich das so genau wissen wollte.

***

Es war mittlerweile halbsechs. Immer noch keine vernünftige Zeit für irgendwelche Aktivitäten, soweit sie einen zweiten Teilnehmer erforderten. Also schnappte ich mir den Negativordner des laufenden Jahres und verzog mich damit an den Küchentisch. Zwei Stunden lang saß ich mit der Lupe über den 35mm-Kontaktabzügen, die ich immer hinter meine Negative klammere, und versuchte verbissen, irgendein Bild zu entdecken, das den Einsatz zweier Schläger rechtfertigen würde – nicht zu reden davon, dass die beiden ihren Auftritt mit der Tatsache bezahlen mussten, den Rest ihres Lebens keinen Marathon mehr laufen zu können.

Aber wie zu erwarten zeigten die Kontaktbögen genau das, was ich in der Regel zu fotografieren pflege: Menschen in den Straßen von LA, manche hübsch, manche langweilig, manche hässlich. Manche eilig, manche langsam schlendernd. Aber weder konnte ich Spuren eines geglückten Bankraubs noch Hinweise auf einen frisch verübten Meuchelmord entdecken. Es war einfach alles erschreckend normal.

Ich war mehr und mehr geneigt, das Ganze für eine blöde Verwechslung zu halten.

Um acht Uhr klingelte meine Handy.

„Guten Morgen alter Mann. Schon wach?“

Tyler.

„Den alten Mann lasse ich mal so stehen, ich fühle mich heute nämlich wirklich alt. Und ja, ich bin wach. Und wäre es jetzt in jedem Fall, weil das Telefon geklingelt hat.“

„Deine gestrigen Besucher haben wir laufen lassen. Tim hat versucht, noch mal mit ihnen zu reden, aber die haben vor ihrem Auftraggeber offenbar noch mehr Angst als vor Tim. Oder mir. Oder Dir... naja, das verwundert mich jetzt nicht so.“

„Danke, Tyler. Das baut auf. Und heute Nachmittag stehen die Clowns dann wieder in meinem Wohnzimmer?“

„Kaum. Erstens können sie die nächsten Wochen nicht wirklich beschwerdefrei laufen und zweitens haben wir Ihnen eindringlich klar gemacht, dass ein weiteres Zusammentreffen zwischen ihnen und uns den finalen Verlust der Gehfähigkeit bedeuten würde. Mindestens.“

„Aber da, wo die herkamen, gibt es sicher noch andere von der gleichen Sorte.“

„Vermutlich. Deswegen werden wir vorläufig dafür sorgen, dass entweder Tim oder ich bei Dir sind. Oder Du bei uns. Wir haben ein reizendes Gästezimmer. Mit eigenem Bad.“

„Vergiss es. Ich habe einen Hund. Und eine Waffe.“

„Hat ja beides unglaublich geholfen gestern.“

„Der Hund schon. Immerhin hat er Euch angerufen. Und anders als gestern bin ich jetzt gewarnt. Ich habe übrigens den frühen Morgen damit verbracht, über meinen Fotos zu grübeln. Nichts. Ich weiß nicht mal im Ansatz, worum es hier geht.“

„Tim und ich kommen heute am frühen Abend zu Dir, dann schauen wir auch mal über die Bilder. Vielleicht fällt uns jemand auf. Und jetzt fahre ich ins Büro.“

„Bis später, Tyler. Und Danke! Wenn Ihr mich heute im Büro braucht, sagt Bescheid. Wenn nicht, bleibe ich hier und pflege meinen geschundenen Körper.“

„Tu das.“

***

Während ich mir einen frischen Kaffee machte, dachte ich an Tim und Tyler. Die beiden kannte ich jetzt seit gut einem Jahr. Und zählte sie schon zu meinen besten Freunden. Tyler, der mit seinen muskulösen 190 Zentimetern, seinem energischen Kinn, den dunklen Augen, der hochglanzpolierten Glatze und den blitzenden weißen Zähnen in seinem Gesicht aussah wie ein eleganter schwarzer Box-Champion mit einem deutlichen Schuss englischer Gentleman. Und Tim, der braungebrannte Surfer, mit ungekämmten halblangen blonden Haaren, Hawaiihemden und Chinos, der so nett und harmlos wirkte. Und dabei auf seine Art mindestens so gefährlich war wie Tyler. Die beiden waren nicht nur beruflich sondern auch privat ein Paar.

Vor rund einem Jahr hatten sie für eine Beschattung einen erfahrenen Fotografen gesucht und waren von einem gemeinsamen Bekannten an mich verwiesen worden. Seitdem hatte ich immer wieder mal für die beiden gearbeitet, mich im Laufe der Zeit mit ihnen angefreundet und war schließlich vor drei Monaten als Partner bei ihnen eingestiegen. Dass wir ohnehin schon zusammen arbeiteten und die Tatsache, dass dem Büro die Summe, mit der ich mich einkaufte, ganz gelegen kam, hatte unser aller Entscheidung einfach gemacht.

Ich liebte die Jungs.

George stupste mich an.

„OK, Strandspaziergang, mein Alter.“

George lächelte vorne und wedelte hinten.

Ich griff mir eins seiner Kacktütchen, während George bereits die Treppe zum Garten hinunter stürmte und aufgeregt am Tor wartete. Ich schob die Terrassentür zu und folgte ihm. Allerdings stopfte ich mir vorher meinen stupsnasigen .38er Colt in den Bund meiner Jeans und ließ das Hemd locker darüber hängen. Bob, der coole Revolverheld. Toll. Ich wusste ja gerade mal ungefähr, wie das Ding funktionierte.

***

Um genau neun Uhr klingelte bei T&T Investigations das Telefon. Eigentlich hatte Tyler gemeint, dass die Detektei mit meinem Eintritt in die Firma nun TT&B heißen müsse, aber ich hatte ihn davon überzeugt, das T&T erstens besser klang, zweitens schon in der Branche bekannt war und es drittens keine so geniale Idee wäre, schon im Firmennamen auf einen illegal in den USA lebenden Ausländer hinzuweisen. Musste ja nun nicht wirklich sein.

Betsy, unsere treue Seele meldete sich mit „T&T Investigations, guten Morgen. Wie können wir Ihnen helfen?“

„Catherine Remington. Ich möchte so bald als möglich einen Termin bei Ihrem besten Ermittler. Am besten noch heute.“

Betsy studierte sorgfältig den für diesen Tag komplett leeren Terminkalender. „Einen kleinen Moment bitte, ich werde sehen, ob Mr. Franklin Sie heute noch einschieben kann. Warten Sie, er kommt gerade ins Büro.“

Sie deckte die Sprechmuschel mit der Hand ab und wandte sich zu Tyler, der gerade seine Jacke an die Garderobe gehängt hatte und sich nun einen Kaffee eingoss. „Eine Catherine Remington. Klingt reich, weiß und schnöselig.“

Tyler machte Betsy ein Zeichen, den Hörer weiter zu reichen und meldete sich. „Tyler Franklin von T&T Investigations. Was kann ich für Sie tun, Misses Remington?“

„Sie müssen meinen Mann finden, Oliver Remington, er ist seit drei Tagen verschwunden. Und: ja ich habe schon alle Bekannten und Freunde angerufen, niemand weiß etwas. Und nein: ich habe die Polizei nicht verständigt. Ich würde das Ganze aus verschiedenen Gründen gerne diskret behandelt wissen.“

„Ich könnte ihnen einen Termin heute gegen elf Uhr anbieten, Misses Remington. Wäre das für Sie Ordnung? Und könnten Sie bitte alle relevanten Unterlagen, vor allem ein paar aktuelle Bilder, mitbringen?“

„Gut. Ich werde pünktlich bei Ihnen sein. Danke, Mister Franklin.“

„Sehr gerne. Wir werden tun, was immer wir können.“

Tyler legte auf.

„Du kannst ja richtig seriös und gebildet klingen”, sagte Betsy.

„Ich bin richtig seriös und gebildet, meine Gute”, näselte Tyler.

„Hmmmm”, murmelte Betsy.

***

Gegen zehn Uhr traf auch Tim in der Firma ein. Wie nicht anders zu erwarten, trug er ausgefranste, verblichene und etwas zu weit geratene Chinos, ein Feinripp-Unterhemd und ein verschwenderisch mit Orchideen bedrucktes Hawaiihemd in Gelb-, Orange- und Rottönen. Dazu ziemlich strapazierte navyblaue Chucks und einen leichten Sonnenbrand auf der Nase. Betsy schaute über ihre Lesebrille und schüttelte leise den Kopf.

„Du fährst heute in Urlaub, nehme ich an?“

Tim grinste.

„Heute war ich ganz früh wach und die Wellen waren so toll, und da wir heute ohnehin nix zu tun haben...“

„Falsch, mein Lieber. In einer Stunde kriegen wir hochherrschaftlichen Besuch von einer reichen Lady. Du ziehst Dich also besser gleich um. Oder gehst wieder surfen.“

Tyler steckte den Kopf aus seiner Bürotür, und hielt sich abwehrend die Hände vor die Augen, als er Tim sah.

„Das geht gar nicht, Partner! Zum einen sowieso nicht. Und heute erst recht nicht. Du hast Glück, dass du mir heute früh entwischt bist, als ich noch zu müde war, um deinen Aufzug zu kontrollieren. Oder fährst Du heute in Urlaub?“

Tim verdrehte die Augen.

„Das war Betsys Text. Die Wellen heute morgen... Ach egal. Geh ich halt wieder. Ich wusste ja nicht, dass wir heute ernstlich was zu tun haben würden.“

„Mit so etwas zu rechnen, wäre vielleicht im Geschäftsleben nicht ganz verkehrt. Und jetzt raus hier. Ich habe um elf einen Termin, danach treffen wir uns bei Humberto’s zum Essen.“

Tyler warf ihm Kusshand zu und schloss seine Tür.

„Was hat er denn?“, fragte Tim.

„Recht”, sagte Betsy.

***

Misses Remington war exakt um drei Minuten nach Elf da. Betsy begrüßte sie, bot ihr einen Kaffee an („Danke, aber ein stilles Mineralwasser wäre wunderbar“) und bat sie, Platz zu nehmen und einen Moment zu warten. Sie setzte sich auf den Rand eines unserer todschicken Bauhausstühle, auf deren Anschaffung Tyler kürzlich bestanden hatte – er hatte einen ausgeprägten Hang zu europäischem Design –, und stellte ihr Chanel-Täschchen auf ihre Knie.

Klienten ein Weilchen warten zu lassen, gehörte zur Firmenphilosophie. Wir versuchten strikt, den manchmal nicht ganz verkehrten Eindruck zu vermeiden, wir hätten zu viel Zeit.

Nach fünf Minuten führte Betsy sie schließlich in Tylers Büro, wo es Caroline Remington nur unvollkommen gelang, ihre Irritation zu verbergen, als sie Tyler sah, groß und vor allem schwarz, der um seinen Schreibtisch herum kam und ihr seine Hand darbot.

Sie ergriff sie zögernd und setzte, als Tyler sie amüsiert ansah, zu einer Erklärung an. „Ich dachte nicht, dass Sie... ähhh.... so groß sind und...“

„Bitte nehmen Sie Platz, Misses Remington“, erwiderte Tyler, ohne auf ihren Fauxpas einzugehen. „Hat Ihnen meine Mitarbeiterin schon etwas zu trinken angeboten?“

„Danke, ich hatte ein Glas Wasser. Darf ich mir eine Zigarette anzünden?“

Tyler nickte und holte einen schweren, dunkelblauen Ascher aus Murano-Glas aus dem Regal neben seinem Schreibtisch, während sie sich eine lange, schlanke Zigarette entzündete. Tyler registrierte, dass das Feuerzeug ein massiv goldenes Dupont war. Sie inhalierte tief und blies den Rauch zur Seite. Es klang wie ein Seufzer.

Tylers Augen wanderten über die elegante Erscheinung von Catherine Remington. Es war nicht nur das Dupont – alles an ihr sagte: ich habe Geld und Stil. Sie war recht groß, sehr schlank mit blonden Haaren. Typ Grace Kelly. Tyler schätzte sie auf Mitte dreißig.

„Erzählen Sie, Misses Remington. Was ist geschehen?“

Sie atmete hörbar ein und aus und begann zu erzählen.

***

Gegen Mittag setzte ich mich in meinen 86er Buick Century Station, ein nahezu sechs Meter langes Monster von einem Kombi, das ich gleich nach meiner Ankunft in den USA für einen Spottpreis von einem alten Herren gekauft hatte. Der Wagen war zu schwer, soff zu viel und passte nicht mehr so richtig in die Zeit – ach Gott... wir hatten so viel gemeinsam. Anders als ich war er aber in einem makellosen Zustand mit seinem glänzenden weißen Lack und den Seitenverkleidungen aus Holzimitat.

George legte sich seufzend in den Fußraum auf der Beifahrerseite und begann nahezu umgehend zu schnarchen, während ich den großen Wagen rückwärts durch das hintere Gartentor auf die schmale Straße bugsierte, die ins Zentrum von Venice Beach führte. Falls irgendwelche schurkischen Kerle den Plan gehabt haben sollten, mich zu beschatten, so hatten sie mit dieser Straße ernstlich Pech. Links wie rechts galt ein striktes Halteverbot, und darüberhinaus war sie so schmal, dass sich regelmäßig Autos stauten, wenn die Post oder die Müllabfuhr an den Straßenrand gequetscht hielten. Dann passte allenfalls noch ein Smart vorbei, aber kein ernst zu nehmendes Auto. Von meinem Buick ganz zu schweigen.

Insofern machte ich mir um Beschatter momentan noch keine Sorgen, aber natürlich konnten sie genau so gut an anderer Stelle auf mich warten. Ich schüttelte den Kopf, schalt mich paranoid und glitt mit herunter gelassenen Fenstern und knappen 25 Meilen pro Stunde in Richtung Venice Beach. Ich hatte das dringende Bedürfnis, mir ein paar scharfe Shrimps bei Mao’s Kitchen zum Lunch zu spendieren, und anschließend standen ein paar Einkäufe an. Wenn meine Partner heute Abend zum Essen kämen, sollte ich auch irgendwas im Kühlschrank haben.

Ich parkte mein Schiff gleich gegenüber von Mao’s, ließ George im Auto und schlenderte über die Straße, wobei ich mich unglaublich unauffällig nach finsteren, vielleicht gar humpelnden Gestalten umsah, die mir Böses wollten. Finstere Gestalten gab es reichlich, einige davon humpelten auch – aber: hey das war Venice Beach. Nach Mafia sah aber niemand aus.

***

So ziemlich zur gleichen Zeit saß Tyler bei Humberto’s, nippte an einem eiskalten Dos Equis und trommelte genervt mit den Fingern auf der Tischplatte. Tim kam – Überraschung! – wieder mal zu spät. Tyler liebte ihn, aber er verfluchte ihn auch oft und inbrünstig. Im Ernstfall konnte er immer auf ihn zählen, aber in jedem nicht ganz so ernsten Fall war Tim weit davon entfernt, durch Zuverlässigkeit oder Pünktlichkeit zu glänzen. Da die beiden in Santa Monica lebten, sich ihr Büro aber in Hollywood, in der La Brea nahe der Melrose Avenue befand, war nicht anzunehmen, dass Tyler wieder nach Hause gefahren war, um sich umzuziehen. So sehr dürfte ihn Tylers Anschiss nicht beeindruckt haben, dass er diese Strecke auf sich genommen hätte.

Mit zwanzig Minuten Verspätung kam ein strahlender Tim ins Lokal geschlendert, winkte dem Wirt fröhlich zu, begrüßte dessen Frau Rosalia mit einer herzlichen Umarmung und einem Kuss auf die Wange und kam an Tylers Tisch. Der sah ihn stumm an und hatte trotz seiner Verärgerung echte Mühe sich das Grinsen zu verkneifen. Tim im Anzug. Nicht irgendeinem Anzug. Einem strahlend, leuchtend, knallig, oh Gott: unfassbar blauen Anzug, darunter ein dünnes gestreiftes T-Shirt und an den Füßen weiche braune Lederslipper.

„Wette verloren?“

Tyler grinste bei der Frage.

„Ich hab mir einen Vorschuss auf den neuen Job genommen und einen kleinen Einkaufsbummel gemacht“, antwortete Tim. „Ich muss ja jetzt wohl auch so geschniegelt im Büro auftauchen wie Du.“

„Wie viel?“

„Wie viel was?“

„Wie viel hat dieser Anzug gekostet? Oder hat ihn Dir Don Johnson geschenkt?“

„Gefällt er Dir nicht? Ich finde, ich sehe ganz OK damit aus.“

„Setz Dich her, Timmy. Wir müssen mal über Stil und Geschmack reden.“

„Er gefällt Dir nicht.“

Tim guckte gekränkt.

„An dem Anzug ist nichts verkehrt, was sich nicht durch eine gute Textilfärberei beheben ließe. Das T-Shirt ist super, solange Du es nicht zum Anzug trägst. Und die braunen Slipper sind wirklich chic. Zu einem anderen Anzug. Zu einem, der nicht blau ist. Jetzt trink ein Bier mit mir, und dann essen wir was. Ich habe mittlerweile Hunger.“ Tyler tippte auf seine flache weißgoldene Uhr.

„Bin ich zu spät?“ Tim schaute auf seine Taucheruhr. „Oupps... sorry!“

„Bist Du. Trotz Deiner viel zu großen Armbanduhr. Für Dich auch das Carne Asada und ein Dos Equis?“

Tim nickte stumm.

Tyler winkte Rosalia herbei und tätschelte dabei Tims Handrücken.

„Nach dem Essen gehen wir zu meinem Schneider im Fashion District und machen Dich landfein, OK?“

***

Satt und zufrieden kehrte ich zu meinem Wagen zurück. George wedelte geistesabwesend mit dem Schwanz, pennte aber weiter, als ich die Fahrertür aufschloss. Ich stieg ein, wobei mir fast mein Colt in die Hose gerutscht wäre, ließ den Motor an und fuhr Richtung Einkaufszentrum. Ich kam mir ein bisschen übervorsichtig vor – und ein bisschen paranoid – als ich zwei Mal unmotiviert abbog und Haken schlug, um zu sehen, ob irgendwer diese Manöver mitmachte. Tat keiner. Was ja auch logisch war, die Kerle wussten ohnehin, wo sie mich finden konnten.

Paranoia hin oder her, mein erster Weg führte mich zu einem Hardware Store, wo ich, neben einem Sack Holzkohle einen relativ schweren und recht massiven Safe erwarb. Mithilfe des Verkäufers gelang es, dass Ding in den Buick zu schieben, der spürbar in die Federn sackte. Der Schrank war zwar nicht Fort Knox, aber zur künftigen Aufbewahrung meiner Negativordner vermutlich sicher genug. Und Platz für Wertsachen wäre auch noch darin. Jetzt musste ich mir eigentlich nur noch ein paar Wertsachen besorgen.

Der benachbarte Waffenladen hatte ein leichtes Schulterhalfter aus Nylon für meine .38er. Und eine Schachtel Munition. Wenn schon, dann sollten mir im einsamen Gefecht mit den Gangstern wenigstens nicht die Kugeln ausgehen. Oder der Colt aus der Hose rutschen. Mir war natürlich klar, dass es im Prinzip ein Unding war, dass man Waffen, Munition und all den Kram so unkompliziert gleich neben dem Baumarkt kaufen konnte. Im Moment war ich allerdings ganz froh darüber. Konsequenz in Prinzipienfragen war ohnehin nicht meine Stärke. Und das bisschen, das ich mal besessen hatte, hatte ich bei der Umsiedlung in die USA ganz schnell ad acta gelegt.

Die meiste Zeit verschlang der Einkauf der Lebensmittel. Beladen mit einem halben Dutzend großer brauner Papiertüten schob ich eine Stunde später meinen Einkaufswagen über den Parkplatz und packte alle Einkäufe auf die Rücksitzbank des Kombis. George stellte sich schlafend, vermutlich um nicht helfen zu müssen. Ich stieg ein, ließ den Motor an, wendete und ließ den Buick in Richtung Downtown Los Angeles rollen.

Es war nicht allzu viel Verkehr und nach knapp fünfundzwanzig Minuten parkte ich den Wagen schräg gegenüber einem altmodischen Laden, an dessen Fenstern in gemalten, goldverzierten Lettern „Valdez & Son“ zu lesen war. Darunter „Newspapers, Tobacco and Fine Cigars“. Letzteren galt mein Verlangen.

***

Benito Verusco legte sein verbundenes Bein auf einen Hocker, wobei er wegen der Schmerzen das Gesicht verzog. Das klappte auch nur bedingt, denn seine Unterlippe war aufgeplatzt, seine rechte Wange unter dem Auge dick geschwollen und auf der Stirn prangte eine prächtige Beule.

Gegenüber auf der dunkelroten Couch saß Luca Denaro, sein ebenfalls verbundenes Bein hochgelagert. Er sah nur unwesentlich besser aus.

„Ihr Armen!“ Marc Roberts, der vor 46 Jahren als Marco Robertelli in die USA gekommen war, schlug Benito im Vorbeigehen freundschaftlich auf die Schulter. „Da hat man Euch ja ganz schön zugerichtet. Das muss ja entsetzlich weh tun. Ein Schuss durch die Kniescheibe. Furchtbar. Tut mir echt Leid, Jungs.“

Benito und Luca nickten zustimmend.

„Unser Auftraggeber ist ein ganz kleines bisschen verstimmt, weil Ihr nichts erreicht habt. Was tun wir denn jetzt?“

„Das schaffen wir schon noch“, erwiderte Luca. „Sobald wir wieder halbwegs laufen können.“

Marc schüttelte den Kopf. „Das kann Wochen dauern. Und so viel Zeit haben wir nicht.“

„Ach was, nächste Woche sind wir wieder auf dem Damm. Du musst einfach Vertrauen haben in Luca und mich.“

„Hab ich doch, Jungs. Und bis es soweit ist, werde ich was gegen Eure Schmerzen tun.“ Er lächelte.

Mit einer flüssigen Bewegung zog er eine schallgedämpfte Automatik aus der Jackentasche, und immer noch lächelnd schoss er Benito und Luca genau in die Mitte der Stirn. Das leise Plopp, das den beiden sicher bekannt vorgekommen wäre, konnten sie schon nicht mehr hören.

Marc trat beide mit seinen eleganten schwarzen Slippern in die Seite. Sie rührten sich nicht mehr. Dann griff er zu seinem Handy und drückte eine Kurzwahltaste.

„Die zwei Amateure machen uns keine Probleme mehr. Wie soll es jetzt weitergehen?“

***

Catherine Remington lenkte ihr Mercedes Cabriolet über die halbkreisförmige Auffahrt zu ihrem Haus in Beverly Hills. Der Kies knirschte unter den Reifen ihres Wagens. Lucy, ihre 11jährige Tochter saß bedrückt auf dem Beifahrersitz. Ihre Mutter war heute ungewohnt schweigsam gewesen. Während der ganzen Fahrt von der Schule bis nach Hause hatte sie nur ein paar knappe Sätze gesagt. Vermutlich sorgte sie sich genau so um Dad wie Lucy es tat. Es würde schon nichts Schlimmes passiert sein. Andererseits: wo konnte Dad stecken? Drei Tage ohne einen Anruf. Lucy hatte Angst.

Catherine hatte während der Fahrt über ihr Gespräch mit diesem schwarzen Detektiv nachgedacht. Ob es ein Fehler war, ihn zu beauftragen? Er wirkte sehr kompetent und energisch. Er hatte versucht, sie zu beruhigen und ihr Mut zu machen. Gott, es würde schon alles gut gehen. Daran musste sie einfach fest glauben.

Vor dem Eingang zu ihrem Haus bremste Catherine scharf und zog eine Spur in den geharkten Kies.

„Komm Kleines, nimm Deine Schultasche und dann ab mit Dir auf Dein Zimmer. Dein Bruder kommt heute Abend zum Essen. Ich möchte, dass Du bis dahin Deine Hausaufgaben fertig und wenigstens eine halbe Stunde Klavier geübt hast, verstanden?“

„Klar Mom.“ Lucy nickte und griff nach ihrer Tasche.

„Gut, Schatz.“

„Hallo Misses Catherine, hi Lucy“, begrüßte Myrna die beiden in der geöffneten Haustür. Mit ihren 72 Jahren war sie immer noch Haushälterin, Köchin, Kindermädchen und Putzfrau in Personalunion. Sie hatte schon bei der ersten Frau von Oliver Remington gearbeitet.

„Gibt es Nachricht von Mister Oliver?“ Myrna war vor die Tür getreten und sah Catherine besorgt an. Es war ihr rätselhaft wie gelassen sie mit dem Verschwinden ihres Mannes umging. Die erste Misses Remington wäre umgekommen vor Sorge. Aber natürlich reagierte jeder anders in einer solchen Situation. Ihr stand letztlich kein Urteil darüber zu.

„Nichts Neues, Myrna. Ich war heute bei einem Büro für Ermittlungen. Ich hoffe, dass die Leute dort herausbekommen, was mit meinem Mann geschehen sein... also, wo er sein könnte.“

Myrna nickte stumm. Sie machte sich große Sorgen.

***

Zuhause angekommen schaffte ich nacheinander die Holzkohle, tonnenweise Lebensmittel, meine kleines Waffenarsenal und ein Holzkistchen mit einer netten Zigarrenauswahl ins Haus. Den Safe ließ ich im Wagen. Der war alleine nicht zu schaffen und George machte wieder mal nicht den Eindruck, als wolle er helfen.

„Du bist ein fauler Hund“, schalt ich ihn.

Er lächelte mich an und sagte nichts. Ich kannte das schon.

„Hunger?”, fragte ich.

Er unterstrich sein Lächeln mit heftigem Schwanzwedeln.

„Na komm.“

Ich öffnete eines dieser Aludingens mit überriechendem – für Hundenasen also vermutlich köstlich duftendem – Hundefutter und kippte es in seinen Fressnapf. Außerdem füllte ich seine Wasserschale auf. Dann räumte ich die Einkäufe in die Küchenschränke und in den Kühlschrank, die Zigarren kamen in den Humidor. Das Schulterhalfter samt Munition landete erst mal auf Küchentisch. Darüber würde ich noch nachdenken müssen. Die Holzkohle hatte ich gleich auf der Terrasse stehen lassen. Jetzt schüttete ich einen Schwung davon in den Anzündkamin und stellte das ganze auf den Kugelgrill.

Es war mittlerweile später Nachmittag. Tim hatte angerufen und mich wissen lassen, dass er mit Tyler zusammen gegen sieben Uhr am Abend bei mir sein würde. Er hatte durchblicken lassen, dass beide auf etwas Gegrilltes und angemessene Getränke spekulierten. Und dass es Neuigkeiten gäbe. Nicht in Bezug auf den gestrigen Überfall allerdings. Mehr hatte er nicht verraten wollen.

Ich ging ins Bad im Obergeschoss und schaute in den Spiegel. Der Bluterguss unter dem Auge war beeindruckend, das Pflaster an der Stirn durchgeblutet, und meine beiden wackelnden Zähne wackelten immer noch. Ich hatte den Verdacht, dass sich das ohne zahnärztlichen Einsatz auch nicht ändern würde. Aber das konnte warten. Ich zog vorsichtig das Pflaster von der Stirn und ersetze es durch ein frisches. Die Wunde sah einigermaßen vertrauenerweckend aus und würde wohl zuheilen.

Ansonsten sah ich aus wie sonst auch: graue kurz geschorene Haare und grau-weiß gesprenkelte Bartstoppeln, die aussahen als jemand Pfeffer und Salz verschüttet. Mehr Salz als Pfeffer allerdings. Seit ich in Kalifornien lebte, hatte die Sonne für eine gesunde Gesichtsfarbe gesorgt, aus der meine blauen Augen herausleuchteten. Unbestreitbar war ich sechzig, sah aber nur wenig älter aus als neunundfünfzig.

Ich war froh, dass die Niere kaum noch schmerzte. Auch der Rest von mir tat nur noch verhalten weh.

Zurück in der Küche nahm ich mir ein Bier aus dem Kühlschrank und setzte mich auf die Terrasse. Das Wetter war wieder mal ausgesprochen südkalifornisch, sodass dem Grillabend keine Gefahr drohte. George legte sich neben mich, sagte aber kein Wort. Ich tätschelte seinen Kopf und sagte auch nichts.

***

Marc Roberts traf seinen Auftraggeber in einem Parkhaus, Downtown an der Central Avenue. Beide blieben in ihren Wagen sitzen und standen so, dass sie sich bei heruntergelassenen Fenstern unterhalten konnten.

„Ich würde gerne hören, dass das Problem gelöst ist, Roberts“, sagte der Mann in dem silbernen Cadillac Coupe. „Und ich würde mich gerne darauf verlassen können, dass mein Sicherheitschef in der Lage ist, ein paar Bilder aus der Welt zu schaffen, die ein harmloser Fotograf aus Deutschland versehentlich gemacht hat. So schwer kann das doch eigentlich nicht sein... oder täusche ich mich da?“

„Es gab Probleme, Sir. Der Mann hatte Hilfe von zwei Kerlen, die offenbar gut trainiert und außerdem bewaffnet waren. Meine Leute sind tot. Natürlich werde ich mich weiter um die Sache kümmern.“

„Und was genau gedenken Sie zu tun? Zwei weiter Amateure hin schicken?“

„Ich werde mich selber im Haus umschauen. Es kann ein bisschen dauern und ich würde gerne vorher dafür sorgen, dass er eine Weile nicht zuhause auftaucht. Geben Sie mir ein bisschen Zeit.“

„Sie wissen sehr genau, Roberts, dass wir nicht so wahnsinnig viel Zeit haben. Wenn die Fotos durch einen blöden Zufall publik werden, habe ich ein Problem. Und wenn ich ein Problem habe, dann haben Sie einen ganzen Sack voll Probleme. Dafür kann ich sorgen. Verstehen wir uns?“

„Natürlich, Sir. Aber ich denke, der Kerl hat keine Ahnung, auf was für Material er da sitzt. Ich werde tun, was ich kann.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob mir das reicht, Roberts. Weil ich langsam Zweifel an Ihrem Können habe.“

„Verlassen Sie sich auf mich, Sir.“

Die Scheiben des Cadillac glitten lautlos nach oben und der Wagen setzte sich sanft in Bewegung.

Roberts fluchte vor sich hin. Wenn dieses arrogante Arschloch glaubte, ihn mit reinreißen zu können, hatte er sich getäuscht. Er hatte schließlich niemanden getötet. Zumindest keinen Unschuldigen. Er trat energisch auf das Gaspedal seines schwarzen Geländewagens und fuhr mit wimmernden Reifen die Rampe des Parkhauses hinunter.

***

Die Holzkohle im Anzündkamin hatte eine schöne graue

Ascheschicht. Auf dem Klapptisch neben dem Grill lagen drei T-Bone-Steaks, die zusammen etwa die Größe Liechtensteins hatten. Ich hatte eine Schüssel Cole Slaw gemacht und einen alten Coca-Cola-Kühler aus doppelwandigem Blech mit Eiswürfeln gefüllt. Darin dümpelten zehn Flaschen Dos Equis. Die Steaks hatte ich im Sous-Vide-Garer auf den Punkt vorgekocht und dann in Alufolie warm gehalten.

Tim und Tyler waren – vermutlich Dank Tyler – pünktlich. Um zwei Minuten vor sieben hörte ich, dass auf der Straßenseite das Tor geöffnet und ein Jaguar geparkt wurde. Eine Minute später kamen die beiden den Weg am Haus vorbei auf die Terrasse.

Es dauerte allerdings einen Moment, bis mir klar war, dass der elegante junge Mann neben Tyler wirklich Tim war: er trug einen leichten anthrazitgrauen Anzug, der lässig und weich fiel, dazu ein paar schwarze Pferdelederschuhe, die teuer aussahen und ein graublaues Hemd mit einer blau-grau gestreiften schmalen Krawatte. Ich pfiff leise durch die Zähne.

„Wow. Im ersten Moment dachte ich, Tyler hätte einen neuen Freund“, sagte ich, während ich Tim umarmte. „Schön, dass Ihr hier seid.“

Tyler legte mir freundschaftlich den Arm um die Schultern.

„Klar sind wir hier. Du hast schließlich was von gegrilltem Tier erzählt.“

„T-Bones. Cole Slow. Bier. Kein Gemüse! Kein Salat! Kein Mineralwasser!“ Ich nahm drei Flaschen aus der Kühlbox und gab jedem eine in die Hand.

Wir öffneten sie synchron und stießen damit an.

„Auf Deinen neuen Freund, Ty!“

Tyler grinste.

„Wir waren heute einkaufen. Erst Timmy allein und dann wir beide zusammen. Was Du hier siehst, haben wir zusammen ausgesucht. Was Tim alleine gekauft hat, siehst Du dann wahrscheinlich an Halloween.“

„Du Mistkerl So schlimm ist der andere Anzug wirklich nicht.“

Tyler drückte Tim an sich und küsste ihn auf den Scheitel.

„Warum sind die Steaks noch nicht auf dem Grill?“

„Keine Panik, Jungs. Ich hab’ sie vorgekocht. In nicht mal zehn Minuten könne wir essen.“

„Gekochte Steaks?“ Tim schauderte. „Soll ich Pizza bestellen?“

„Ein bisschen Vertrauen in Euren Freund aus dem guten alten Europa solltet Ihr schon haben. Außerdem esst Ihr ja nicht zum ersten Mal bei mir Steaks. Ich hab’ nur zum ersten Mal verraten, wie ich sie zubereite.“

Ich schüttete die heißen Kohlen auf die untere Ebene des Grills, legte den oberen Rost auf und schloss den Deckel, um die richtige Hitze zu bekommen. Nach kurzer Zeit zeigte das Thermometer 500 Grad Fahrenheit an. Ich hob den Deckel an und legte die drei Steaks auf den glühend heißen Grill.

„Zwei Minuten von jeder Seite. Dann sind die Dinger schön dunkel gebraten, haben Grillaroma und sind innen rosa mit einem roten Kern.“

Tyler griff sich ein neues Bier.

„Tims schicke Klamotten sind nicht die einzigen Neuigkeiten. Wir haben eine reiche Klientin, deren Auftrag uns ganz sicher ein paar Wochen beschäftigen wird.“

Ich sah ihn an und nickte.

„Das ist gut. Der andere Kleinkram, an dem wir arbeiten, zahlt kaum die Fixkosten.“

Ich drehte mit der langen Grillzange die Steaks um und verbrannte mir die Pfoten. George schlenderte betont unauffällig auf die Terrasse und ließ sich, nachdem er Tyler und Tim angewedelt hatte, seufzend in der Nähe des Tischs nieder. Er spekulierte eindeutig auf die anfallenden Knochen.

„Setzt Euch. Nehmt Euch ein Bier mit. Ich bringe in einer Minute die Steaks. Und dann reden wir über unseren neuen Fall.“

***

Als Magdalena Sanchez am Tatort eintraf, waren der Gerichtsmediziner und die Spurensicherung mit ihrer Arbeit mehr oder weniger fertig.

„Was haben wir hier?“

„Zwei Leichen. Maggy. Noch nicht identifiziert, weil sie keine Papiere dabei hatten. Die Fingerabdrücke sind aber schon unterwegs an die Kollegen. Ohne jeden Zweifel sind sie nicht hier getötet worden. Man hat sie hier nur abgeladen. Beide sind durch einen sauberen Schuss mitten in die Stirn getötet worden. Außerdem haben beide das jeweils rechte Knie verbunden. Warum, wird die Obduktion zeigen. Außerdem sind beide miserabel gekleidet. Das ist allerdings meine persönliche Meinung und wird nicht im offiziellen Bericht stehen.“ Der Gerichtsmediziner grinste.

„Danke, Doc.“ Mag kannte Dr. Carlos Nuñez seit ein paar Jahren. Sie war ein Mal am Anfang ihrer Bekanntschaft mit ihm ausgegangen. Er war eigentlich nett, in seinem Job kompetent und hatte Humor. Aber die falschen Ansichten, was den Verlauf eines ersten Dates betraf. Außerdem nannte er sie Maggy. Was sie hasste. Insofern hatte sie den Abend mit ihm nicht wiederholt. Das musste jetzt auch schon wieder fünf, sechs Jahre her sein, damals hatte sie noch im alten Parker Center gearbeitet. Seit 2009 war das LAPD nun im neuen Hauptquartier an der First und Main Street untergebracht.

Mag sah sich um. Die Leichen lagen in einer Sackgasse nahe des Los Angeles River, mitten in einem alten Industriegebiet. Kein schlechter Platz, wenn es darum ging, nachts zwei Körper aus dem Auto zu werfen. Und genau so sah es aus: als hätte jemand die beiden einfach aus dem Auto gekippt, ohne sich lange damit aufzuhalten. Kein Ritual, keine Inszenierung, keine Botschaft, außer eben der, dass man zwei Menschen rasch und unkompliziert entsorgen wollte. Dass sie bei Tagesbeginn gefunden würden, war dem Täter offenbar egal.

„Können wir sie wegbringen?“ Der Fahrer des Leichenwagens sah Magdalena und den Doktor fragend an.

„Meinetwegen ja. Maggy?“

„Ja. Ich melde mich dann bei Ihnen wegen des Obduktionsberichts. Wann werden Sie soweit sein?“

„Es ist gerade überraschend ruhig. Rufen Sie mich morgen Nachmittag an, OK?“

„Danke, das mach ich.“

Nuñez sah Magdalena nach, als sie zu ihrem Wagen ging. Verdammt niedlich. Mit ihrer Jennifer-Lopez-Figur und den langen dunklen Locken. Der Doc seufzte. Zu schade, dass das mit ihr nicht geklappt hatte damals. Andererseits... vielleicht sollte er gelegentlich einen neuen Anlauf nehmen.

***

Ich will mich ja nicht selber loben, aber: Die T-Bone-Steaks waren ein Gedicht. Ein recht umfangreiches Gedicht, und so schob Tim als erster den Teller von sich weg und stöhnte behaglich.

„Break. Ich brauche eine Pause. Und einen kleinen Whisky.“

„Klingt nach einem Plan.“ Ty nickte zustimmend.

Ich legte ebenfalls mein Besteck beiseite und ging ins Haus. Mit drei Whisky-Tumblern, einer Flasche Single Malt und meinem Humidor kehrte ich auf die Terrasse zurück.

„Falls außer mir noch jemand eine Zigarre möchte, bedient Euch. Cutter und Feuerzeug liegen im Humidor. Ich mache noch ein schnell Kaffee.“

„Espresso!”, sagte Tim.

„Espresso!”, echote Tyler.

„Espresso“, sagte ich schulterzuckend. „Was denn sonst?“

Als drei Zigarren entzündet und drei Espressi getrunken waren, nahm jeder von uns seinen Tumbler, zwei Finger hoch gefüllt mit golden schimmerndem Ardbeg Ten, und Tyler begann zu sprechen.

„Ich hatte heute früh Besuch von Catherine Remington, 37, und Gattin des Industriellen Oliver Remington, 55. Der ist laut Catherine seit drei Tagen nicht mehr zuhause aufgetaucht. Das ist angeblich nie zuvor geschehen. Er ist treu, ein liebevoller Vater, hat keine Feinde, macht keinerlei unsaubere Geschäfte, hat in der Firma einen Partner, der sein bester Freund ist. Und ist überhaupt ein Heiliger. Sagt seine Frau.“

„Finanzielle Probleme?”, fragte ich.

„Nein, natürlich nicht. Die Firma flutscht nur so. Sagt wiederum seine Frau. Was wir alles noch – soweit möglich – überprüfen müssen. Dass das zumindest ein Teil davon nicht die Wahrheit sein kann, davon können wir wohl getrost ausgehen. Niemand ist so ein Engel.“

„Glaubt Misses Remington, was sie sagt?”, fragte Tim.

„Gute Frage, ich kann sie noch nicht so richtig einschätzen. Sie war sichtbar davon aus der Bahn geworfen, dass ich schwarz bin. Sie sieht nach reicher, konservativer, hochnäsiger WASP-Familie aus. Vermutlich hat mein Urgroßvater bei ihrem Urgroßvater noch Baumwolle gepflückt. Sie erscheint mir merkwürdig kalt, fast als sei das Verschwinden ihres Mannes eher ein gesellschaftliches als ein gefühlsmäßiges Problem für sie.“

„Kinder?”, wollte ich wissen.

„Zwei. Ein erwachsener Sohn, Benjamin, der auf irgendeiner Schnösel-Uni studiert. Und Lucy, die elfjährige Tochter. Ben ist Olivers Sohn aus erster Ehe, Lucy ist ihre gemeinsame Tochter.“

„Was macht Remingtons Firma eigentlich?”, warf Tim ein.

„Technologie. Sie entwickeln im Auftrag alle möglichen komplizierten Dinge, überwiegend für die Autoindustrie.“

„Wie kam seine Frau auf uns?“

„Peter Berenson, Du kennst ihn nicht, Bob. Er war vor drei

oder vier Jahren unser Klient, als zwei seiner Mitarbeiter versucht haben, seine Bücher zu manipulieren und Millionen beiseite zu schaffen. Er hat uns an sie empfohlen, die beiden Familien sind wohl ganz gut befreundet.“

„Irgendwelche Hinweise, wo er stecken könnte? Oder etwas, dass auf eine Entführung hindeutet? Oder auf Mord?“ Tim sagte das, als sei ihm Mord die liebste Variante.

„Bisher nichts. Soweit Catherine feststellen konnte, hat er keine Koffer gepackt. Es fehlt nichts, zumindest nichts, was ihr aufgefallen wäre. Allerdings meinte sie, dass er in seinem Aktenkoffer immer seinen Pass und andere persönliche Dokumente hatte. Und natürlich auch seine Brieftasche mit den Kreditkarten und dem ganzen Zeug.“

„Gut“, sagte Tim, während er mit der Serviette an seiner neuen Krawatte rieb. „Meint Ihr, das geht wieder raus? Scheint Ketchup zu sein. Ähhh, ja, ich werde morgen die üblichen Anrufe machen: Krankenhäuser, Polizei blah blah blah. Vielleicht ist er ja einfach nur gegen ein Auto gerannt.“

„OK“, sagte Ty. „Ich glaube nicht, dass das wieder raus geht. Außer in der Reinigung. Du kannst den Fleck aber auch drin lassen, um zu signalisieren: ich bin der Banause, der Ketchup über ein extraordinär gutes Steak schüttet. Und außerdem kannst Du auf die Liste Deiner Anrufe auch noch die Flughäfen setzen, falls er sich doch spontan zu einem Kurzurlaub entschieden hat. Ich übernehme den Part, der gewisse Computer-Kenntnisse einen Hauch jenseits der Legalität erfordert, zum Beispiel die Überprüfung seiner Kreditkarten. Die Liste samt Kartennummern hatte Caroline erstaunlicherweise zur Hand.“

Ich zog die Augenbraue hoch. „Sie hatte eine Auflistung seiner Kreditkarten dabei?“

„Ja. Das war entweder sehr weitblickend. Oder Zufall. Oder es steckt ein Grund dahinter.“

***

Das Abendessen bei der Familie Remington verlief in bedrückter Stimmung und recht schweigsam. Benjamin hatte sich für ein paar Tage von der Uni freigemacht, um zuhause zu sein.

„Schön, dass Du hier sein kannst, Benjamin.“

„Kein Problem, Catherine. Ich denke, meine Schwester braucht jetzt ihren großen Bruder.“ Er zwinkerte Lucy zu.

„Auch ich bin froh, dass mein Sohn in dieser Situation zuhause ist“, sagte Catherine.

„Stiefsohn, Catherine. Darauf hast Du bisher auch immer Wert gelegt.“

„Unsinn. Wir sind eine Familie, das weißt Du genau.“

Myrna servierte das Dessert. Ben bekam die größte Portion.

„Schön, dass Du mal wieder hier bist, Benny. Das Haus ist leerer geworden, seitdem Du studierst.“ Myrna sah ihn liebevoll an. Sie kannte ihn von klein auf. Er war immer noch ihr kleiner Benny.

„Danke Myrna“, sagte Catherine. „Sie können für heute Schluss machen, sobald wir das Dessert gegessen haben.“

Myrna nickte und verließ das Speisezimmer.

„Und Du, junge Dame verschwindest auch nach dem Dessert ins Bett. Ben und ich haben noch ein paar Dinge zu besprechen.“

„OK, Mom.“ Lucy löffelte ihr Dessert, während sie von ihrer Mutter zu Ben blickte. Die beiden hatten immer schon Probleme miteinander gehabt. Sie liebte beide und fand es blöde, dass sie immer stritten. Wenn doch nur ihr Dad wieder da wäre.

Ihr Bruder sah sie an.

„Mach Dir keine Sorgen, Schatz. Es wird alles in Ordnung kommen. Ich bin sicher.“

In der Hitze Havannas

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