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Kapitel 3

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Ich erwachte mit einem ordentlichen Kater. Aus den zwei Fingern Ardbeg waren dann doch eher eine Handbreit geworden. Ich schleppte mich ins Bad und hielt den Kopf unter den kalten Wasserhahn. Halbwegs wach tapste ich die Treppe hinunter, um in der Küche die Kaffeemaschine einzuschalten. Aus dem Wohnzimmer hörte ich Geräusche. Na toll, mein .38er lag genau dort. Soweit mein desolater Zustand und meine 84 Kilo es zuließen, nahm ich die letzten vier Stufen annähernd geräuschlos.

Der Kerl, der unvermittelt aus der Wohnzimmertür in den Flur trat, war sehr groß und schwarz. Ich erschrak zu Tode.

„Morgen Bob”, grinste Tyler. „Hast Du jemand anderen erwartet?“

Ich boxte ihm mit Schmackes auf den Oberarm.

„Du Arsch, ich dachte, ich hätte schon wieder Besuch von zwei Gangstern.“

„Hast Du auch. Aber Du hast uns selber eingeladen, auf dem Sofa zu pennen. Wofür Dir mein Dank sicher ist. Sonst hätte ich jetzt vermutlich keinen Führerschein mehr.“

„Morgen Bob!“ Tim wankte durch die Küchentür. „Kaffee ist gleich fertig. Aber Du hast kein Bier mehr. Und keinen Ardbeg.“

Er trug Boxershorts mit einem Muster aus kleinen gelben Enten. Und eine gestreifte Krawatte um den Hals. Sonst nichts.

Ich deutete mit dem Finger auf ihn und sah Ty fragend an. Der zuckte nur mit den Schultern.

„Müsli? Oatmeal? Hash Browns? Eier?“ Ich selber wollte nichts als Kaffee, war aber nun mal ein vollendeter Gastgeber.

Tyler schüttelte den Kopf. „Nur Kaffee“, sagte er.

Tim nickte. „Gerne. Genau in der Reihenfolge“, sagte er.

„Echt?“

„Naja, notfalls tun es auch drei Spiegeleier mit allem.“

Ich schlurfte an den Herd und drehte das Gas auf. In eine schwere Pfanne legte ich Backpapier, darauf eine Schicht Bacon, dann wieder Backpapier und stellte auf das ganze einen Eisentopf. Dann auf den Herd damit.

Ich schob drei Scheiben Weißbrot in den Toaster und nahm drei Eier aus dem Kühlschrank. Tim verfolgte mein Tun, als sei er Zeuge einer Herztransplantation.

„Was wird das?”, fragte er und deutete auf die Pfanne mit dem Topf darin.

„So wird der Bacon schön knusperig und rollt sich nicht zusammen.“

„Oh.“

„Genau. Oh. Setz Dich raus und nimm Dir einen Kaffee mit. Aber zieh Dir vorher entweder ein Hemd an oder wenigstens die Krawatte aus. Ich habe einen heterosexuellen Ruf bei meiner Nachbarschaft, den ich nicht unnötig aufs Spiel setzen möchte. Deine Entchen-Shorts könntest Du eventuell auch gnädig bedecken.“

Tim zog ab.

Als das Brot aus dem Toaster hüpfte, waren auch die Eier, die ich mit etwas Butter in einer beschichteten Pfanne sanft gebrutzelt hatte, fertig. Ich ließ sie auf einen großen Teller gleiten, legte den Toast und den perfekt ausgelassenen Bacon dazu und trug ihn auf die Terrasse.

Tim hatte dankenswerterweise seine Anzughose und sein Hemd angezogen und nippte an seinem Kaffee.

„Danke, das sieht toll aus!”, meinte er, als ich ihm den Teller hinschob.

„Ist auch toll.“ Ich sah zu Tyler. „Du wirklich nichts?“

„Wirklich nicht. Danke. Und bitte bleib hart, wenn Tim gleich nach Ketchup fragt.“

Tim guckte unschuldig, während er in Sekundenschnelle sein Frühstück verschwinden ließ.

„Mehr?”, fragte ich.

„Och nö. Oder... vielleicht noch ein bisschen Toast und Marmelade?“

Ich ging in die Küche.

Nachdem Tim irgendwann satt war, fuhren die beiden nach Santa Monica, um sich umzuziehen und dann ihre Arbeit zu beginnen. Mich hatten sie noch zu einem weiteren Tag Rekonvaleszenz verdonnert. Was mir nicht wirklich so unrecht war.

Der Humidor stand noch immer auf dem Terrassentisch. Wie praktisch. Ich legte die Füße hoch und bohrte ein sauberes Loch in die letzte der illegal importierten kleinen Edmundos von Montecristo. Gut, dass ich gestern bei Valdez für adäquaten Nachschub gesorgt hatte. Nach dem Zigärrchen würde ich wohl beginnen müssen, das Chaos des gestrigen Abends zu beseitigen. Ich nahm einen tiefen Zug und sah aufs Meer und zum Strand, wo schon die ersten Badegäste auf ihren Handtüchern lagen. Das Leben hätte deutlich schlimmer sein können.

Nur dass Hannah nicht bei mir war, machte mir mehr und mehr zu schaffen. Wir hatten natürlich auch in München schon eine ganze Weile lang unsere Probleme gehabt. Aber seit ich darüber nachgedacht hatte, das ererbte Haus als einen Wink des Schicksals zu nehmen und in die USA auszuwandern, war es katastrophal geworden. Sie hatte sich schlichtweg geweigert, darüber auch nur zu reden, geschweige denn mitzukommen. Außerdem meinte sie, dass sie in den USA keine Chance hätte, weiter als Therapeutin zu arbeiten Was eventuell sogar richtig war. Ich war schließlich im Streit abgereist. Unsere gelegentlichen Telefonate endeten seitdem meist in gegenseitigen Vorwürfen. Sie wollte, dass ich zurückkam. Ich wollte, dass sie herkam. Einig waren wir nur darüber, dass wir uns noch liebten.

Ich verscheuchte die Gedanken an Hannah, zog an meiner Zigarre und sah den Rauchschwaden nach, die über die Promenade in Richtung Meer zogen. Es würde sich alles finden.

***

Um halb neun betrat Mag Sanchez das LAPD-Hauptquartier. Es war ein warmer und sonniger Morgen und im Halbdunkel der Vorhalle nahm sie ihre dunkle Pilotenbrille ab.

„Morgen Officer Sanchez“, empfing sie der Wachhabende an der Sicherheitsschleuse.

„Guten Morgen.“ Sie lächelte ihn an. Sie wusste, dass sie ihn kannte, hatte aber keine Ahnung, woher. Und – sie hasste sich dafür – ohne ihre Brille konnte sie sein Namensschild nicht entziffern. Es sei denn, sie hätte mit ihrer Nasenspitze an seine Brust gestupst. Was aber merkwürdig gewirkt hätte.

An ihrem Schreibtisch angekommen, stellte sie fest, dass von ihren Kollegen bisher nur Jack O’Mara da war. Ausgerechnet dieses Arschloch.

„Guten Morgen, Lieblingskollegin“, rief er. „Du siehst wieder mal sehr hübsch aus in Deiner engen Hose.“

„Du auch, Jack. Das beige Sportsakko ist ein Traum zu dem karierten Hemd und der grauen Anzughose. Und Dein offenes Haar liegt wie angeklebt an der Stirn.“

„Eines Tages wird das schon noch was mit uns beiden. Glaub mir!“

„Sicher nicht, Jack. Ganz sicher nicht. Könnten wir vielleicht lieber über die aktuellen Fälle reden?“

„Klar. Die Fingerabdrücke der beiden Leichen vom LA-River haben Treffer geliefert. Beide sind in der Kartei. Kleinganoven, die als Handlanger für alle möglichen großen Fische gearbeitet haben. Und in Eigenregie haben sie von Zeit zu Zeit mal eine Tankstelle oder einen Schnapsladen überfallen. Benito Verusco und Luca Denaro, klar zwei Spaghettifresser.“

„Ich glaube, seit ein paar Jahrzehnten nennt man die Italo-Amerikaner“, sagte Mag scharf.

„OK, zwei Spaghetti fressende Italo-Amerikaner.“

Mag schüttelte den Kopf.

„Was bist Du dann? Ein Haggis fressender Schottenrockträger?“

„Vorsicht, Kollegin! Das ist nicht witzig.“ Was zum Teufel bildete sich diese Mexikaner-Fotze eigentlich ein? Sie war natürlich scharf. Aber halt eine Tortillafresserin. Er würde es ihr eines Tages besorgen, ob sie nun freiwillig mitmachte oder nicht. Hinterher wäre sie dankbar.

„Schon was von der Gerichtsmedizin?“

„Nein.“ Er war wütend.

„OK“, sagte sie und begann, in den Akten über die beiden Toten zu blättern. Vielleicht gab es ja irgendeinen Hinweis, der zu ihrem Mörder führen würde.

O’Maras Handy klingelte zwei Mal, dann verstummte es. Mag sah, wie ihr Kollege den Raum verließ. Hoffentlich blieb er den Rest des Tages da, wo auch immer er gerade hinwollte.

***

Marc Roberts ließ es zwei Mal läuten, dann legte er auf. Der andere würde dann zurückrufen. Drei Minuten später klingelte sein Handy.

„Ja.“

„O’Mara hier, Mister Roberts.“

„Nein wirklich? Was für eine Überraschung. Wer sonst könnte mich wohl von Ihrem Handy aus zurückrufen?“

Jack hatte langsam die Schnauze voll von den Klugscheißern, die ihn heute nervten. Erst die Sanchez und jetzt dieser Roberts.

„Was wollen Sie von mir?“

„Ich will, dass sie das tun, was Sie am besten können. Anderen Leuten auf den Wecker fallen. Schreiben Sie sich mal einen Namen auf: Robert Decker, 60, Deutscher. Ich will, dass sie eine Schwachstelle bei ihm finden. Einstweilen, ohne dass er es merkt. Und ich will alles über den Kerl wissen, was sie herausfinden können.“

„Gut. Worum geht’s?“ O’Mara kannte diesen Deutschen. Über Maggie, die ihn ja ganz toll zu finden schien.

„Das geht Sie einen Scheiß an, O’Mara. Tun Sie einfach, was ich Ihnen sage.“

„Reden Sie nicht so mit mir, Roberts!“

„Sonst...?“

„Egal. Ich melde mich, wenn ich was weiß.“

„Sehr klug, O’Mara. Dann können Sie auch weiterhin die Rechnungen für die Klamotten ihrer fetten Frau zahlen. Und ihre kleinen Thaimädchen vögeln.“

Roberts beendete er das Gespräch per Tastendruck. Dieser O’Mara war wirklich ein ausgesuchter Blödmann. Aber er war ein nützlicher Blödmann.

***

„Morgen Betsy! Gut siehst Du aus.“ Tyler strahlte unsere Bürokraft an. Sie lächelte zurück.

Betsy war jetzt schon seit fünf Jahren für die Organisation bei T&T zuständig. Sie war Mitte vierzig, ein wenig mollig, hübsch und eine großartige Mitarbeiterin. Ihr Mann Richard arbeitete als Wachmann bei einem Geldtransport-Unternehmen und war schon ein paar Mal als Aushilfe bei uns eingesprungen, gerade bei Jobs, bei denen es um Personenschutz ging – was rund ein Drittel unseres Geschäfts ausmachte. Betsy kam jedes Mal um vor Sorge, es könne ihm dabei etwas zustoßen. Wir hatten kein Bedürfnis, sie darauf hinzuweisen, dass Geldtransporte in aller Regel risikoreicher waren als irgendeinen Rockstar auf eine Preisverleihung zu begleiten.

„Kaffee, Boss?“

„Danke, Betsy. Ich hatte heute Morgen schon einen wunderbaren Kaffee bei Bob, ich hab da übernachtet.“

Betsys fassungsloses Gesicht ließ ihn ergänzen: „Keine Sorge. Zusammen mit Tim. Bob ist immer noch hetero. Aber wir haben gestern Abend einen Tick zu viel getrunken.“

„Gut!“ Betsy nickte erleichtert. „Wo steckt Timmy?“

„Kommt etwas später. Er wollte noch ein paar Wellen reiten.“

Tyler verschwand in seinem Büro und startete den Computer. Mal sehen, ob sich irgendwo eine Passagierliste finden ließ, auf der der Name Oliver Remington stand. Falls nein, würde Tim nachher die offiziellen Stellen befragen. Aber Tyler ahnte, dass er selbst eher fündig werden würde. Er glaubte nicht daran, dass Remington einen Unfall gehabt hatte. Irgendetwas ließ ihn sicher sein, dass er freiwillig verschwunden war und das Land verlassen hatte. Sagte wenigstens sein Instinkt.

Aber drei Stunden später gab er auf. Nirgends ein Hinweis auf einen Remington. Natürlich hätte der zum Beispiel auch per Auto nach Kanada ausreisen können. Aber das war nicht so wirklich wahrscheinlich. Vielleicht hatte Tyler sich auch verrannt. Auch seine Kreditkarten schienen nicht benutzt worden zu sein.

Tim war seit neunzig Minuten – seitdem er aufgetaucht war – damit beschäftigt, die Krankenhäuser abzutelefonieren. Er war nicht minder erfolglos, wobei es natürlich komplett aussichtslos war, alle Krankenhäuser im Raum LA anzurufen. Er beschränkte sich auf die größeren, bekannteren Kliniken.

Sie trafen sich im Vorzimmer, als beide das Bedürfnis nach einem Kaffee verspürten. Sie sahen sich an und schüttelten synchron die Köpfe. Tim rührte sich zwei Löffel Zucker und einen Schluck Milch in den Kaffee, Tyler trank ihn schwarz. Zumindest hatten sie, seit Bob Partner war, eine anständige Kaffeemaschine. Und die Tütchen mit Süßstoff und Kaffeeweißer waren im Müll gelandet.

„Nada“, sagte Tim.

„Dito“, kam es von Tyler.

„Und nun? Offizielle Anfrage beim LAPD?“

„Nein.“ Tyler schüttelte den Kopf. „Einstweilen sollten wir den Wunsch unserer Klientin respektieren und das Ganze diskret behandeln. Wenn wir offiziell bei der Polizei anfragen, sickert das zur Presse durch. Und das Verschwinden eines Multimillionärs ist den Schreiberlingen immer ein paar Zeilen wert.“

„Dann also inoffiziell. Rufen wir Mag an?“

„Genau das wollte ich vorschlagen”, erwiderte Tyler und griff zum Handy. Er drückte eine Kurzwahltaste und wartete. Nach dem zweiten Klingeln meldete sie sich.

„Hey Mag, Tyler hier. Wie geht’s Dir?“

„Momentan gut, weil mein schwachsinniger Kollege O’Mara noch nicht wieder im Office aufgetaucht ist. Vielleicht habe ich ja Glück und er ist von einem Bus überrollt worden. Oder von Außerirdischen entführt. Was gibt’s bei Euch Neues? Wie geht’s Tim?“

„Wir sind beide ein klein wenig verkatert, sonst geht es uns gut. Wir waren gestern bei Bob zum T-Bone-Essen.“

„Hmmmm, das macht mich fast ein bisschen neidisch. Warum war ich nicht eingeladen?“

„Stimmt. Das nächste Mal denken wir an unseren Liebling-Cop. Hör zu, wir könnten ein bisschen Hilfe brauchen. Inoffiziell.“

„Ich könnte jetzt Mittagspause machen. Und zum Ausgleich dafür, dass ich Euch helfe, spendiert ihr mir einen Lunch. Wie klingt das?“

„Gut klingt das. Wo?“

„Ich brauch was Ungesundes. Im Nickel Diner in zwanzig Minuten?“

„Perfekt.“

***

Ich hatte meine Bude wieder einigermaßen in Schuss gebracht. Abgewaschen, aufgeräumt, Ascher geleert, Betten gemacht. Als mein Handy klingelte, hastete ich die Treppe runter und erwischte es gerade noch.

„Decker.“

„Hey, Tyler hier. Ist es schlimm?“

„Quatsch, bin gerade mit aufräumen fertig geworden.“

„Hunger?“

„Hunger.“

„Wir treffen Mag in zwanzig Minuten im Nickel Diner. Kennst Du das?“

„Ja. Aber ich bin noch in Venice, ich brauche länger.“

„OK, ich verschiebe unser Treffen um zwanzig Minuten.“

„Bin unterwegs. Bis gleich.“

Ich schnappte mir meine Brieftasche, meine Schlüssel und mein Zigarrenetui, rief nach George und sprang in den Buick. Meine Waffe ließ ich nach kurzem Zögern zuhause. George trottete auf die Beifahrerseite und sprang in den Fußraum. Wie immer ließ er die Tür offen. Ich rutschte rüber, um sie zu schließen. Als ich mich umdrehte, um aus der Einfahrt zu setzen, fiel mein Blick auf einen sehr großen grauen Kasten. Verdammt, ich hatte gestern Abend vergessen, die beiden Jungs zu bitten, mir mit dem Safe zu helfen. Und außerdem hatten wir auch meine Bilder nicht gesichtet. Beides würden wir bald nachholen müssen.

Nach genau 36 Minuten Fahrtzeit hatte ich den Parkplatz an der 6th und Main, gleich beim Nickel Diner erreicht. Trotz geschätzten 300 Pfund Ballast in Form eines Safes. Gute Rundenzeit! Der Jaguar von Tyler stand auch schon da.

Als ich ausstieg und zum Diner ging, kam mir Magdalena entgegen. Beeindruckendes Timing.

„Hey, Mag!”, rief ich und winkte.

Sie winkte zurück und begrüßte mich, als wir uns erreicht hatten, mit einem Kuss auf die Wange.

„Du hast gestern T-Bones gebraten. Wieso wusste ich davon nichts? Aber kaum braucht Ihr was, bin ich gut genug.“ Sie knuffte mich mit dem Ellenbogen in die Seite. Leider recht spürbar. Fand meine Niere. Ich verzog das Gesicht.

„Sorry, hab ich Dir wehgetan?“

„Lange Geschichte... erzähl ich Dir beim Essen.“

Sie hakte sich unter und gemeinsam betraten wir das Restaurant. Tim winkte von einer der Nischen an der Wand zu uns herüber.

„Ein bezauberndes Paar“, grinste er, als wir bei ihm waren.

„Finde ich auch“, erwiderte Mag.

„Hab’ ich nicht eine prachtvolle Tochter?”, meinte ich.

Mag knuffte wieder. „Ach, Mist“, sagte sie „Ich hab vergessen, dass Dir da was weh tut.“

Wir setzten uns zu den beiden in die Nische und schlugen die Karte auf. In stiller Eintracht bestellten wir alle das gleiche. Burger und Fries.

***

Noch bevor das Essen kam, hatten wir Mag weitgehend ins Bild gesetzt. Sie hatte zugehört und ab und zu eine Zwischenfrage gestellt. Jetzt hatte sie so ziemlich den gleichen Wissensstand wie wir.

„Sobald ich zurück im LAPD bin, werde ich sämtliche gemeldeten Todesfälle der letzten drei, vier Tage durchsehen. Aber macht Euch nicht zu viel Hoffnung. Die sind, glaube ich, alle identifiziert.“

„Danke, Mag. Wir wissen das zu schätzen.“ Tyler sah sie an.

„Was gibt’s denn sonst Neues?”, fragte Tim. „Du hast immer noch diesen O’Mara am Hals, richtig?“

Mag nickte.

„Ja. Er ist ein chauvinistisches, rassistisches, sexistisches Arschloch. Und ich bin absolut davon überzeugt, dass er korrupt ist. Was aber leider nicht zu beweisen ist. Bisher.“

„Wir würden in Deinem Fall Ermittlungen gegen ihn Pro Bono führen”, schlug ich vor. Tim und Tyler nickten.

„Danke. Aber Danke nein. Mit dem werde ich schon alleine fertig“, widersprach Mag.

„Na gut. Aber wenn es sich ergibt, werden wir auch ein Auge auf ihn haben.“ Tyler zögerte. „Was ich Dir jetzt erzähle, ist nur für Deine Ohren bestimmt. Und Du musst ignorieren, dass wir... nun... nicht ganz diesseits der Legalität gearbeitet haben, OK?“

Mag nickte stumm.

„Gut. Bob ist neulich in seinem Haus überfallen worden. Von zwei italienischen Ganoven, die sicherlich im Auftrag eines anderen unterwegs waren. Mafia oder was auch immer. Wir kamen dazu und haben die beiden per Schuss durchs Knie außer Gefecht gesetzt. Was ist los, Mag?“

Sie war blass geworden und sah uns entsetzt an.

„Ihr habt zwei Menschen erschossen? Seid Ihr irre?“

„Nein, nur angeschossen. Wir haben sie laufen lassen. Wir wollten nur wissen, ob Du uns helfen kannst, die beiden zu identifizieren. Wir müssen wissen, für wen sie arbeiten.“

„Und ob ich sie identifizieren kann. Sie liegen nämlich im Kühlhaus der Gerichtsmedizin. Mit jeweils einem Schuss durchs rechte Knie und einem in die Stirn.“

„Ach Du Scheiße.“ Tyler schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

Die Kellnerin zuckte erschrocken zusammen und stellte behutsam die Teller mit unseren Burgern auf den Tisch.

Ich lächelte sie entschuldigend an und bedankte mich. Sie trippelte irritiert davon.

„Ihr seid ganz sicher, dass Ihr nur die Knie getroffen habt...“, insistierte Mag leise.

Wir sahen sie gleichzeitig an und nickten stumm.

„OK, Ihr würdet mich nicht anlügen.“

„Würden wir nicht. Gut, dann lassen wir uns jetzt unsere Burger schmecken“, schlug ich vor. „Bitte gib uns noch die Namen der beiden Idioten. Und wenn Du uns ein klitzekleines bisschen an den Ergebnissen der Ermittlungen teilhaben lassen könntest, würde ich die Burger zahlen.“

„Das muss einer von Euch sowieso. Hat mir jedenfalls Tyler versprochen.“

***

Als Mag wieder an ihrem Schreibtisch saß, tauchte O’Mara ebenfalls wieder auf. War ja klar. Sie vertiefte sich in die Akten der beiden toten Italiener.

„Hi Maggy, alles OK?”, fragte O’Mara.

„Alles ganz toll. Ich arbeite.“ Jetzt fing der Blödmann auch schon mit diesem ‚Maggy’ an.

Er setzte sich auf die Kante ihres Schreibtischs.

„Bist Du nicht mit diesem alten Deutschen befreundet, der seit einiger Zeit bei dem schwulen Surfer und dem Nigger mitmischt?“

„Zwei Dinge, O’Mara. Erstens hast Du genau zehn Sekunden Zeit, um Deine müffelnde Polyesterhose samt Inhalt von meinem Schreibtisch zu nehmen. Sonst breche ich Dir den rechten Arm. Und zweitens, was Deine Frage betrifft: das geht Dich einen Scheißdreck an.“

O’Mara erhob sich betont langsam.

„Dein Ton gefällt mir nicht, Sanchez. Sieh Dich besser vor. Und das gilt auch für Deine Freunde. Hat dieser Kraut überhaupt eine Arbeitsgenehmigung?“

Mag ignorierte ihn und las weiter in der Akte. Aber sie würde Bob warnen müssen. Wenn sich O’Mara in etwas verbiss, war er wie ein Terrier. Und Bobs Leben in den USA war vermutlich wirklich nicht so ganz legal. Soweit Mag wusste, war er mit einem Touristenvisum im Land. Oder ganz ohne Visum...? Sie würde definitiv bald mit ihm reden müssen.

***

Ich fuhr nach dem Essen wieder nach Hause. Die Ereignisse der letzten zwei Tage saßen mir in den Knochen, ich war hundemüde. Ein Stündchen Schlaf auf dem Sofa erschien mir unglaublich verlockend.

Ich parkte, ließ George aus dem Wagen und ging zur Haustür. Er winselte und schaute mich vorwurfsvoll an. Er hatte ja Recht.

„OK, mein Alter. Gehen wir noch ein paar Minuten an den Strand. Ich hole schnell eine Tüte.“ George lief fröhlich zum Gartentor.

Wir machten es kurz. Zehn Minuten später waren wir wieder beim Haus. George rollte sich zufrieden im Schatten auf der Terrasse zusammen und fing an zu schnarchen. Ich tat es ihm gleich, rollte mich allerdings nicht auf der Terrasse zusammen sondern ließ mich im Haus auf mein Ledersofa fallen. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es halb vier war. Nach wenigen Minuten pennte ich traumlos und tief.

Gefühlte zwei Minuten später erwachte ich vom Klingeln meines Handys. Da war es halbsechs. Ich hatte wohl wirklich Schlaf nötig.

„Ja“, murmelte ich schlaftrunken.

„Mag hier. Alles OK, Du klingst so komisch?“

„Ich hab nur ein paar Minuten geschlafen.“

„Oh, sorry.“

„Nicht schlimm, ich wollte sowieso aufstehen.“

„Wir müssten mal reden. Nicht am Telefon. Wann hast Du Zeit?“

„Morgen Abend? Ich könnte uns was kochen.“

„Das klingt gut. Wann?“

„Gegen halbsieben, nach Deiner Schicht?“

„Perfekt. Bis morgen, Bob.“

„Bis morgen, Mag. Ich freu mich.“

Ich schlief übergangslos wieder ein.

Der nächste Anruf weckte mich eine Stunde später. Tim wollte nur wissen, ob alles in Ordnung sei. Und sich noch mal für das Essen bedanken. Diesmal blieb ich wach.

Ich dachte daran, Hannah anzurufen. Wusste aber nicht, was ich mit ihr reden sollte. Also ließ ich es bleiben und schenkte mir stattdessen einen doppelten Whisky ein. Auch so was, weswegen es mit Hannah immer wieder Streit gab. Ich trank zu viel. Fand sie. Dass ich trank, weil es mir einfach nur schmeckte, war in ihrem Weltbild nicht vorgesehen. OK, dafür war sie Psychotherapeutin.

Ich suchte mir eine von den Valdez-Zigarren aus dem Humidor und ging damit auf die Terrasse. George öffnete ein Auge und seufzte. Ich ließ mich in den Adirondeck fallen und zündete die Zigarre an. Sie war sehr fein.

Raoul Valdez war ein Freund geworden. Ich hatte ihn letztes Jahr kennengelernt. Da war er dreiundsiebzig und stand er noch jeden Tag zehn Stunden hinter der Theke seines Zigarrenladens. Er beschäftigte einen begnadeten Zigarrendreher, der aus irgendwelchen ominösen Quellen Tabak aus Kuba bekam. Raoul war seit fünfundvierzig Jahren in den USA. Ich war in meinem Leben zwei Mal in Havanna gewesen. So hatten wir ein Gesprächsthema gehabt. Im Lauf der Zeit hatten wir uns dann angefreundet. Vor rund einem halben Jahr hatte er den Laden an seinen Sohn Tony übergeben. Der war ein netter Kerl und ich kaufte ein, zwei Mal im Monat bei ihm meine Zigarren. Ungefähr genau so oft traf ich mich mit Raoul. Es wurde wieder mal Zeit. Ich nahm mir vor, ihn in den nächsten Tagen anzurufen.

***

Tyler und Tim hatten heute ein bisschen früher Schluss gemacht als sonst. Es war noch nicht mal halb sechs, als sie mit dem Jaguar über den Santa Monica Boulevard nach Hause fuhren. Es war ein milder Nachmittag, Anfang Juni, nicht zu heiß, eben noch nicht richtig Hochsommer.

„Wir waren bisher ja nicht wirklich erfolgreich“, meinte Tim.

Tyler sah zu ihm.

„Nein. Aber wir sind ja auch gerade mal zwei Tag dran. Du weißt, wie lange sich Vermisstenfälle oft ziehen. Und ehrlich gesagt wäre auch nicht sehr lukrativ, wenn wir den Fall schon gelöst hätten.“

Tim lachte.

„Stimmt. Dann lehnen wir uns mal entspannt zurück und warten auf Kommissar Zufall.“

„Du kennst mich lange genug, um zu wissen, dass ich es so nicht meine. Wir tun ja wirklich, was wir können.“

„Vielleicht kommt ja von Mag noch ein verwertbarer Hinweis. Sie ist wirklich gut.“

„Ist sie. Ich schätze, sie wird sich heute Abend melden.“

„Ist da was zwischen Bob und ihr?”, wollte Tim wissen.

„Quatsch. Bob ist verheiratet und soweit ich weiß, liebt er seine Frau. Und außerdem ist Mag fast zwanzig Jahre jünger als er. Die beiden mögen sich halt.“

„Achtzehn. Aber seine Frau ist ganz schön weit weg.“

„Das wird sich irgendwann ändern müssen. Da hast Du Recht.“

„Ich hab Hunger.“

Tyler lachte. „Warum überrascht mich das nicht.“

„Machen wir einen Abstecher zum Pier und leisten uns ein paar Shrimps? Oder sollen wir kochen?“

Tyler tätschelte Tims Knie.

„Wie ich Dich kenne, hast Du drei Stunden nach den Shrimps sowieso wieder Hunger. Wir könnten also beides tun.“

„Ich könnte ihn erschießen.“

Tyler sah Tim von der Seite an. Sein gelegentlich ans Tageslicht drängende Bedürfnis, jemanden umzubringen, war ihm ebenso vertraut wie sein manchmal wilde Kapriolen schlagender Hang zum unvermittelten Themenwechsel. Aber im Moment war selbst Tyler überfordert.

„Wen, bitte, könntest Du erschießen?“

„Diesen O’Hara.“

„O’Mara.“

„Den auch.“

„Weil...?“

„Weil er Mag das Leben schwer macht. Weil er ein Rassist ist. Weil er ein Arschloch ist. Weil er bestimmt was gegen Schwule hat. Weil er es verdient hat.“

„Aber Du kennst ihn doch gar nicht.“

„Mags Wort genügt mir. Also, was meinst Du? Soll ich?“

„Hmmmm, lass mich mal in Ruhe nachdenken. Ähhh. Nein!“

„Ich wusste es“, schmollte Tim.

Tyler bog, am Ozean angekommen, auf den Parkplatz am Pier.

Tyler legte seinen Arm um Tims Schultern.

„Komm, jetzt gibt’s erst mal Shrimps. Und dann überlegen wir, wenn Du sonst noch erschießen könntest.“

***

Nachdem ich den ganzen Nachmittag verpennt hatte, wusste ich jetzt schon, dass ich es gar nicht versuchen brauchte, vor ein oder zwei Uhr morgens Schlaf zu finden. Ich hatte noch einen Abendspaziergang mit George gemacht, der jetzt dösend auf seiner Decke lag, und hatte mich mit einem Whisky und einer Zigarre aufs Sofa gesetzt.

Ich schaltete den Fernseher an und zappte ratlos durch die Unzahl von Programmen. Das TV-Programm hier war wirklich nicht zu ertragen. Aber immer wenn mich Sehnsucht nach dem deutschen Fernsehen überkam, dachte ich schnell an Mario Barth, Carmen Nebel oder Cindy aus Marzahn, dann ließ das sofort nach.

Ich drückte auf OFF und angelte nach dem Handy.

„Hi Tyler.“

„Bob, alles OK?“

„Klar. Ich will Euch auch gar nicht stören. Ich hab nur gestern vergessen, Euch um einen Gefallen zu bitten. Ich habe nämlich einen dreihundert Pfund schweren Stahlschrank im Auto. Den kriege ich alleine nicht raus. Und außerdem wollten wir doch noch die Fotos anschauen.“

„Wie wär’s mit morgen Abend?“

„Prima. Mag wird auch da sein. Dann werfe ich was auf den Grill.“

„Mag?“

„Ja, sie wollte was mit mir besprechen.“

„Sicher, dass Ihr nicht alleine sein wollt?“

„Quark. Aber ich rufe sie nachher kurz an und gebe ihr Bescheid.“

„OK. Wenn wir nichts mehr von Dir hören, sind wir pünktlich um sieben da.“

„Ich würde morgen gerne noch nicht ins Büro kommen. Ich habe einen Zahnarzttermin. Wie nicht anders zu erwarten, wackeln die beiden Zähne immer noch.“

„Kein Problem. Bis morgen, Bob.“

„Bis morgen. Grüße an Tim.“

Ich legte auf und rief Mag an, um ihr Bescheid zu geben. Sie sagte, sie freue sich, Tim und Tyler dabei zu haben.

Ich war gerade so schön im Schwung, dass ich Hannahs Nummer wählte. Der Rufton brauchte ein Weilchen, um zehntausend Kilometer entfernt in München anzukommen.

„Decker”, meldete sie sich.

Ich schluckte, als ich unseren gemeinsamen Namen hörte.

„Hallo?“

„Hannah, ich bin es. Ich wollte nur wissen, ob alles in Ordnung ist. Und ... Ach quatsch: ich wollte eigentlich nur Deine Stimme hören.“

„Das ist nett, Deck. Aber im Moment passt das gerade nicht so gut.“

„Soll ich später noch mal anrufen?“

„Nein. Eher morgen, OK? Oder übermorgen.“

Klick.

Ich starrte das Telefon an. Die Distanz, die ich spürte hatte nichts mit den zehntausend Kilometern zu tun.

Ich schenkte mir nach und nahm einen Schluck. Am liebsten hätte ich heute noch einen Flug nach München gebucht.

***

O’Maras Handy klingelte zweimal. Seine Frau schaute auf. Er ging in die Küche und drückte die Kurzwahl für Marc Roberts. Der meldete sich augenblicklich.

„Ich hoffe, Sie haben gute Neuigkeiten für mich, Jackyboy.“

„Es ist gerade mal ein halber Tag vergangen. Was erwarten Sie denn?“ O’Mara sprach leise. Seine Frau musste ja nichts davon mitbekommen.

„Ich erwarte, dass Sie Ihren Job machen, O’Mara.“

„Sie setzen mich unter Druck.“

„Allerdings.“

„Ich brauche noch Zeit.“

„Haben Sie. Heute ist Mittwoch. Sagen wir bis... übermorgen?“

„Ich versuch’s.“

„Sie sollen keine Doktorarbeit schreiben. Ich will einfach wissen, wer der Kerl ist, ob er Dreck am Stecken hat, ob er seine Strafzettel bezahlt, wann er zuhause ist und wann nicht. Und nett wäre es zu wissen, ob er überhaupt legal im Land ist. Das sollten selbst sie rauskriegen können.“

Roberts legte grußlos auf.

Es half nichts. Er würde diesen Kraut beschatten müssen. Aus der Sanchez war ja nichts rauszuholen. Wahrscheinlich fickte sie den alten Sack auch noch.

„Kommst Du Jack? Jeopardy fängt gleich an. Und bring mir doch noch eine Tüte Popcorn mit.“

O’Mara schlug mit der Faust gegen die Kühlschranktür. Was für ein Scheißleben. Dann nahm er eine Tüte Popcorn und eine Tüte Chips aus dem Hängeschrank und ging zurück ins Wohnzimmer.

Jeopardy hatte gerade angefangen.

***

Es war inzwischen halb drei Uhr morgens. Ich hatte mir noch einen generösen Schluck Malt eingeschenkt und gegen meine Gewohnheit eine fünfte Zigarre geraucht – aber von diesen Exzessen abgesehen auch ein bisschen was Nützliches getan.

Ich hatte die Negative der letzten drei Monate noch einmal durchgesehen und alle Fehlbelichtungen und Doubletten durchgestrichen. Die verbleibenden Bilder hatte ich endlich digitalisiert. Davor hatte ich mich seit Monaten gedrückt. Die Arbeit mit dem Negativscanner gehörte nicht zu meinen Lieblingsjobs, war aber leider notwendig. Ich beschloss, mich in der kommenden Zeit Zug um Zug durch meine Negativordner zu wühlen, von den neueren Aufnahmen zurück zu den älteren.

Erstens brauchte ich die Scans ohnehin zur Archivierung und als Backup, zweitens dienten sie als Entscheidungshilfe, welche Fotos würdig waren, in der Dunkelkammer ausgearbeitet zu werden und drittens dachte ich, angesichts der regen Nachfrage aus Mafiakreisen nach meinen Bildern wäre es praktisch, diese auch per Mail versenden zu können. Ich kopierte alle Scans zusätzlich auf einen Speicherstick, den ich bei Tim und Tyler deponieren würde – falls ich demnächst so alt oder so betrunken – oder so alt und so betrunken – sein würde, dass ich mit einer Zigarre im Mund auf dem Bett einschlafen und das Haus abfackeln würde.

Ich schob den letzten Negativstreifen zurück in seine Pergamintasche, drehte dem Scanner den Saft ab und fuhr den Mac runter.

Um zehn nach drei kroch ich in die Federn. Das kurze Gespräch mit Hannah beschäftigte mich noch ein paar Minuten, dann aber siegte gottseidank die Müdigkeit.

In der Hitze Havannas

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