Читать книгу In der Hitze Havannas - Nick Hermanns - Страница 4

Kapitel 4

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Ich erwachte wieder einmal mit einem dicken Kopf. Wenn man mich gefragt hätte, ob ich ein Alkoholproblem hätte, wäre meine Antwort ganz klar ein Nein gewesen. Wenn ich mich selbst das gleiche fragte, war die Antwort nicht ganz so eindeutig. Ich sagt mir zwar, dass ich jederzeit mit dem Alkohol aufhören könnte – aber ich wollte ja gar nicht. Wie heißt es so schön: Kein Alkohol ist auch keine Lösung. Womit ich das Problem wieder mal verniedlicht hätte.

Als zweites fiel mir Hannah ein. Was den Tagesbeginn nicht wesentlich fröhlicher machte. Aber ich war zu stolz und vermutlich auch zu feige, um sie gleich noch mal anzurufen und zu fragen, was zum Teufel eigentlich los sei.

Der dritte Gedanke galt den zwei toten Schlägern. Nicht, dass ich vor Mitleid zerfloss, aber ob sie nun verdient hatten zu sterben wusste ich auch nicht so recht. Vermutlich schon. Aber ich war froh, für ihren Tod nicht verantwortlich zu sein. Allenfalls dafür, dass sie den letzten Tag ihres Lebens Schmerzen hatten.

Womit ich bei Thema Nummer vier war: ich hatte um zehn einen Termin beim Zahnarzt. Bäh.

George drückte seine feuchte Nase an mein nacktes Bein. Ich versprach ihm, mich zu sputen und dann mit ihm einen kurzen Strandspaziergang zu machen. Er war einverstanden und verzog sich nach unten in die Küche, wo er vermutlich auf einen kleinen Imbiss spekulierte. Pustekuchen. Er und ich würden erst nach dem Spaziergang frühstücken.

Eine Stunde später war ich geduscht, der Hund entwässert und gefüttert, das Frühstück verzehrt und die erste Zigarre des Tages entzündet. Ich informierte George über meine Vormittagsplanung und er schien sich mit der Tatsache abzufinden, dass er das Haus hüten würde während ich auf dem Zahnarztstuhl litt. Er hatte eindeutig den besseren Part erwischt.

Mein Zahnarzt war in Venice. ‚Mein’ impliziert, dass ich schon mal bei ihm gewesen wäre. Was ich nicht war. Er war erst seit gestern, als ich in den Gelben Seiten von Venice gesucht hatte, mein Zahnarzt. Er hieß Peter Ackermann und war daher der erste Eintrag. Ich ließ den Buick stehen und schnappte mir mein olles Beach Bike. Bob, der Radsportler. Wobei Radfahren gottlob ein bisschen weniger sportlich wirkt, wenn man dabei eine dicke Robusto raucht.

In Venice klemmte ich den Rest meiner Zigarre am Gepäckträger fest und betrat Ackermanns Praxis. Schon der Geruch nach Zahnarzt ließ mir den Schweiß ausbrechen.

***

Tyler saß an seinem Schreibtisch, Tim ihm gegenüber auf dem Besucherstuhl. Tyler hatte Mag an der Strippe, die ihm gerade die Namen der beiden Italiener durchgab.

„Hast Du sonst noch Infos über die beiden, die uns weiterhelfen könnten, Mag?“

„Ich maile Euch die Akten der beiden. Aber außer dem, was ich Euch gestern schon gesagt habe, geben die nicht viel her. Kleinganoven halt.“

„Danke, Du bist ein Schatz. Wir sehen uns heute Abend.“

„Bis dann, ich freu mich. Ach ja, von Eurem Remington keine Spur.“

Tyler legte auf und sah Tim an.

„Wir bekommen die Akten. Aber so wie es aussieht, werden wir damit nicht auf den Auftraggeber der beiden stoßen. Ich schätze, dass dahinter ein mächtiger Mann steckt, so verängstigt wie die beiden waren.“

„Jepp, das denke ich auch. Wenn sie mit uns geredet hätten, wären sie vielleicht noch am Leben“ spekulierte Tim.

„Glaube ich nicht. Man hat sie erschossen, damit sie nicht reden. Hätten sie geredet, hätte man sie deshalb erschossen. Im Ergebnis wären sie dann auch nicht weniger tot.“

„Kann sein.“

„Wie machen wir mit unserem verschwundenen Gatten weiter? Mag hatte nichts über ihn.“

„Einer von uns sollte mal mit dem Junior reden”, schlug Tim vor.

„Ja, daran habe ich auch schon gedacht. Wäre vielleicht gut, wenn Du das machst. Du bist eher seine Altersklasse. Und auch viel weniger schwarz.“

„Jetzt wo Du es sagst. Ist mir bisher nie aufgefallen. Ich ruf ihn an und mache ein Treffen mit ihm aus.“

„Gut. Am besten ohne die Mama.“

Tim nickte, ließ sich von Tyler die Nummer geben und griff zum Telefon. Er sprach kurz mit Catherine Remington, sagte, dass es bisher nur vage Spuren gäbe, was besser klang als keine Spuren, und bat darum, mit ihrem Sohn sprechen zu dürfen. Als er aufgelegt hatte, sah er zu Tyler.

„Heute Mittag um halb eins bei Musso and Frank. Der Mann hat zumindest Stil.“

„Hoffentlich lädt er Dich ein. Obwohl... ich habe mit Catherine eine relativ großzügige Spesenregelung vereinbart.“

„Gut. Die Lamb Chops dort sind nämlich ein Gedicht.“

„Treib es nicht zu bunt, Timmyboy! Versuch bitte, unter hundert Dollar zu bleiben.“

„Pro Nase?“

„Insgesamt.“

„Das wird nicht klappen.“

Tyler seufzte theatralisch.

„Heute Abend kocht ja Bob schon wieder für uns. Versuch doch einfach, Dich nicht zu überfressen.“

„Das Risiko ist gering. Du kennst mich.“

„Stimmt leider. Und bind Dir eine Krawatte um.“

„Die mit dem Ketchup-Fleck?“

Tyler verdrehte die Augen und griff in seine Schreitischschublade.

„Nimm die hier. Und iss bitte irgendwas, was nicht kleckert. Das Ding war teuer.“

„Lamb Chops kleckern nicht.“

***

Dr. Ackermann war ein netter Zahnarzt. Auch wenn er der Meinung war, dass sich wackelnde Zähne nicht einfach wieder festmachen ließen, sondern gezogen und durch baugleiche Implantate ersetzt werden müssten. Ich ergab mich in mein bitteres Schicksal.

Eine Stunde später waren die wankelmütigen Zähne draußen und ich war im vorübergehenden Besitz zweier selten schlecht aussehender Provisorien, die am Montag durch die finalen Beißer ersetzt werden würden. Ich sah wehmütig auf das schwenkbare Tischchen vor mir, auf dem meine Zähne lagen, die mich immerhin sechzig Jahre lang begleitet hatten. Momentan war ich wieder der Meinung, dass die beiden Ganoven ihren Tod absolut verdient hatten.

Ackermann war auch aus Deutschland, lebte aber seit mehr als dreißig Jahren in Venice. Sein Deutsch klang sehr amerikanisch und ich fragte mich, ob ich eines Tages auch so klingen würde. Bei mir war es bisher eher umgekehrt: mein Amerikanisch klang noch immer ein bisschen zu deutsch. Und jetzt gerade klang es ohnehin, als hätte ich den Mund voll Watte.

„Warten Sie“, sagte Ackermann und holte mit der Pinzette zwei Watteröllchen aus meinem Mund. „Besser?“

Ich nickte dankbar.

„Wir sehen uns am Montag um zehn.“

Ich verabschiedete mich, und er bat noch darum, dass ich am Montag gleich bar bezahlen möge. Er nannte eine Summe, für die ich mir weitaus Vergnüglicheres hätte leisten können, zum Beispiel ein langes Wochenende in Cancun. Mit allen Extras. Zu zweit. Inklusive Flug.

„Und bitte rauchen Sie die nächsten achtundvierzig Stunden nicht.“

Ich nickte brav und verließ die Folterkammer.

Draußen nahm ich meine halb gerauchte Robusto vom Gepäckträger und entzündete sie für den Rückweg.

***

O’Mara saß in seinem zivilen Ford Crown und sah Decker aus der Praxis kommen. Er sah, wie der sich auf sein altes Fahrrad schwang und wieder in Richtung seines Hauses radelte. Er ließ ihm einen großzügigen Vorsprung und folgte ihm.

Das Ganze ging ihm gehörig auf den Nerv. Er hatte gestern schon alle Informationen über Decker per Computer recherchiert, die sich da finden ließen. Und das war wenig. Und das Wenige war praktisch nutzlos.

OK, er war Deutscher, er lebte zeitweise in den USA, hatte aber bisher seine jeweilig genehmigte Aufenthaltsdauer nie überzogen. Er hatte keine polizeilichen Einträge, zahlte seine Strafzettel wegen Falschparkens pünktlich und schien ein braver Bürger zu sein. Das Haus gehörte ihm. Es lag so kreuzdämlich, dass O’Mara es nicht von seinem Auto aus beobachten konnte. Er würde heute Abend zu Fuß vor Ort sein müssen. Decker war sechzig – was O’Mara überraschte. Er hätte eher auf Anfang fünfzig getippt. Er schien nicht illegal zu arbeiten, zumindest war er gestern offenbar den ganzen Tag zuhause gewesen. Wenigstens seitdem O’Mara ein Auge auf ihn hatte. Kurz: er hatte keinen Schimmer, wie er Decker beikommen konnte. Es war zum Kotzen.

Und auch jetzt verschwand der samt Fahrrad hinter seinem Gartentor und ließ sich die nächsten zehn Minuten nicht mehr blicken. Dann hupte der Fahrer eines UPS-Lasters hinter O’Maras Ford. Es blieb ihm nichts anderes übrig als leise fluchend weiter zu fahren, bis er sich hundertfünfzig Meter entfernt in eine Ausfahrt quetschen konnte. Das hatte alles keinen Zweck.

Er würde sich ganzentschieden etwas einfallen lassen müssen. Und zwar bald.

***

Tim war ausnahmsweise überpünktlich. Benjamin Remington hatte, wie versprochen, einen Tisch bei Musso and Frank reserviert, und Tim vertrieb sich die Wartezeit mit einem Körbchen mit frischem Knoblauchbrot und einem Martini Cocktail.

Um zehn vor eins kam Remington. Er entschuldigte sich mit beiläufiger Selbstverständlichkeit, nicht so als sei es ihm wirklich unangenehm sondern so, als sei er es gewohnt, dass andere Menschen auf ihn warteten.

„Kein Problem, Mister Remington. Ich habe mir die Zeit damit vertrieben, den Martini zu testen.“

„Nennen Sie mich Ben.“

„Sehr gerne. Ich bin Tim.“

„Was kann ich für Sie tun, Tim? Oder gibt es schon Neuigkeiten über meinen Vater?“

„Leider nein. Dafür ist es noch zu früh. Das einzige, was wir bisher mit einiger Wahrscheinlichkeit annehmen dürfen, ist das er nicht in einem der großen Krankenhäuser ist, dass außerdem die Polizei keine nicht identifizierten Verbrechensopfer gemeldet hat und dass er – soweit sich das überhaupt feststellen lässt – nicht die USA verlassen hat, wenigstens nicht per Flugzeug .“

Der Ober reichte den beiden die Menu-Karte. Remington Junior nahm das Lamb Chop. Tom ergriff die Gelegenheit, sich dieser Wahl höflich anzuschließen. Der Ober nahm noch die Bestellung von zwei Club-Soda auf und verschwand.

„Ich glaube ohnehin nicht an sein Verschwinden“, murmelte Ben.

„Verzeihen Sie?“

„Ich glaube, er lebt nicht mehr. Sie hat ihn umbringen lassen.“

„Wer hat ihn umbringen lassen, Ben?“

„Meine Stiefmutter. Wussten Sie, dass sie ein Verhältnis mit dem Geschäftspartner meines Vaters hat?“

„Nein. Aber selbst wenn: wie kommen Sie darauf, dass sie Ihren Vater hätte töten wollen?“

„Geld. Und die Freiheit, mit Goodell zusammen zu sein.“

„Goodell ist der Partner Ihres Vaters?“

„Ja. Henry Goodell. Er ist seit vielen Jahren geschieden. Er ist jünger als mein Vater. Und er erbt automatisch die Firmenanteile, sodass ihm dann das Unternehmen alleine untersteht. Das Vermögen geht an meine Mutter, ein Teil natürlich auch an mich. Aber der geringere Teil.“

„Was dann wären...?“

„Ich weiß es nicht genau. Für mich blieben wahrscheinlich so um die zwei oder drei Millionen Dollar.“

„Was ja auch ein Motiv wäre.“

„Natürlich. Aber mir liegt nicht viel an Geld. Ich komme mit dem, was ich während meines Studiums von meinem Vater bekomme, hervorragend aus. Mehr als die fünftausend Dollar im Monat brauche ich nie, alle Kosten für Wohnung und Uni werden natürlich extra bezahlt.“

Tim schluckte. Was für ein schnöseliger kleiner Pisser.

„Nehmen wir mal an, Ihr Vater sei am Leben. Gibt es einen Ort, an dem Sie nach ihm suchen würden?“, fragte er.

„Wir haben eine kleine Ranch in Oregon, wo meine Stiefmutter oft einen Teil des Sommers verbringt. Mein Vater ist da auch oft gewesen, ebenso wie ich. Aber dort ist niemand. Ich habe schon mit unserem Verwalter telefoniert, der sich um die Ranch kümmert. Er ist extra rausgefahren. Das Haus ist leer.“

„Geben Sie mir bitte die Adresse und die Nummer des Verwalters. Vielleicht taucht er ja doch noch dort auf.“

Benjamin zog einen schweren Füllhalter aus der Innentasche seines Sakkos und notierte eine Adresse und eine Telefonnummer auf einen Zettel.

„Hier. Aber das ist sinnlos.“

Der Ober erschien mit zwei dampfenden Tellern. Die Lamb Chops sahen fantastisch aus. Während des Essens verstummte die Unterhaltung fast ganz. Die beiden sprachen über belanglose Details aus Oliver Remingtons Leben. Tim registrierte, dass Ben Remington dazu neigte, von seinem Vater in der Vergangenheitsform zu erzählen. Was immer das bedeuten mochte. Nachdem das Lämmlein verzehrt war, bestellte Ben noch zwei Espressi und bat um die Rechnung.

„Lassen Sie mich das zahlen, Tim. Und versprechen Sie mir, dass Sie herausbekommen, was mit meinem Vater geschehen ist. Und bitte glauben Sie mir, dass meine Stiefmutter da mit drinsteckt.“

Tim bedankte sich für die Einladung und versprach, sein Bestes zu tun. Ben zahlte per Kreditkarte, ließ aber vierzig Dollar Trinkgeld in bar auf dem Tisch liegen. Zwanzig wäre normal, überschlug Tim. Dreißig wäre großzügig. Vierzig fand der ein bisschen angeberisch.

Vor dem Lokal verabschiedeten sich die beiden per Handschlag. Tim ging in Richtung La Brea Avenue. Als er sich umschaute wurde gerade Benjamins Wagen gebracht. Ein 911er Cabrio. Das wurde sicher auch nicht vom monatlichen Taschengeld bezahlt.

***

Ich pulte mit der Zungenspitze an den Zähnen rum, die vorübergehend in meinem Mund wohnten. Ich mochte meine alten entschieden lieber. Vor allem klang ich früher nicht wie Inge Meysel – falls die außer mir noch jemand kennt. Jedenfalls klang sie so wie ich momentan. Als säße das Gebiss nicht ganz fest.

In Anbetracht der Tatsache, dass mir am Abend schon wieder Grillgäste ins Haus standen, kam ich nicht umhin, die doch arg angegriffenen Vorräte aufzufüllen, vor allem die flüssigen.

So langsam hatte ich mich an den Geldschrank im Wagen gewöhnt. Gut, dass ich so ein großes Auto gekauft hatte. Also schielte ich wieder mal beim rückwärts fahren über die graue Riesenkiste hinweg und machte mich auf den Weg zum Einkaufscenter. George wollte zuhause bleiben. Auf halbem Weg hörte ich hinter mir eine Polizeisirene. Ich sah auf den Tacho. Fünfundzwanzig. Das konnte es also nicht sein. Ich zog den Wagen nach rechts und hielt in einer breiten Ausfahrt an. Im Rückspiegel sah ich ein Blaulicht auf einem Zivilfahrzeug.

Ich blieb im Wagen, ließ das Fenster runter und kramte nach meinen Papieren. Ein zivil gekleideter Mann in mittleren Jahren, der ein bisschen schlampig und irgendwie unglücklich wirkte hielt mir seine Marke entgegen.

„Guten Tag, Sir. Bitte Führerschein und Wagenpapiere.“

Wenn ich in meiner Zeit in den USA eines gelernt hatte, dann dass es nicht empfehlenswert war, mit den Police-Officers zu diskutieren, blöde Fragen zu stellen oder ein Scherzlein zu wagen. Humor gehörte nicht unbedingt zur Kernkompetenz der kalifornischen Polizei. Noch weniger empfehlenswert war es, aus dem Wagen zu steigen.

Also reichte ich ihm mit freundlichem Gesicht die bereitgehaltenen Papiere aus dem Fenster. Er griff wortlos danach und studierte sie ausgiebig. Wobei die Dauer seiner Lesetätigkeit in keinem sinnvollen Verhältnis zur Informationsdichte der Papiere stand. Mir schien es, als wüsste er nicht recht weiter. Dann gab er die Papiere zurück.

„Was ist in dem Schrank auf Ihrer Ladefläche, Sir?“

„Nichts, Officer. Ich habe ihn kürzlich gekauft.“

„Haben Sie die Quittung dabei?“

Ich war mir überhaupt nicht sicher, ob er das Recht hatte, nach einer Quittung zu fragen, aber da sie tatsächlich noch auf dem Beifahrersitz rumlag, nickte ich und reichte sie ihm.

„Ihre Ladung ist unzureichend gesichert, Sir.“

„Ich werde den Schrank heute noch ausladen, Officer. Ich erwarte zwei Freunde, die mir dabei helfen. Das Ding ist für einen alleine etwas zu schwer.“

„Ich werde eine Mängelanzeige aufsetzen, Sir. Ich bitte Sie, sich morgen um zehn Uhr im LAPD Hauptquartier mit dem Wagen einzufinden. Sollte bis dahin der Schrank nicht ausgeladen sein, müssen Sie mit einer Anzeige wegen Verkehrsgefährdung rechnen.“

Ich fasste es nicht. Hatte dieser Sesselfurzer nichts Wichtigeres zu tun? Ich nickte ergeben und hielt die Klappe. Ich war ja nicht mal sicher, ob der Transport einer solchen Ladung wirklich nicht legal war. Angesichts der Pickups mit zehn Mexikanern auf der Ladefläche, die mir dauernd begegneten, schien mir das eher unwahrscheinlich. Aber was sollte ich diskutieren? Fuhr ich eben am nächsten Tag mal wieder nach Downtown.

Der Zivilbulle nickte mir knapp zu und ging zu seinem Crown Victoria. Ich sah ihm nach. Er sah auch von hinten nicht glücklich aus.

***

Gegen vier Uhr am Nachmittag war ich wieder zuhause und lud die Einkäufe aus. Ich ging rasch den Hund ausgießen, und anschließend schwamm ich ein paar hundert Meter. Anfangs hatte ich das täglich gemacht, in letzter Zeit war ich meist zu faul, zu müde oder zu sonst was. Ich musste in bisschen mehr auf mich achten. Von meiner früher relativ guten Form war nicht mehr allzu viel übrig. Fünf Kilo zu viel – und das war noch eine optimistische Schätzung. Immerhin hatte ich heute das Mittagessen ausfallen lassen, es sei denn, man rechnete den Donut, den ich mir im Food Court des Einkaufscenters gegönnt hatte, als Mittagessen.

Ich rubbelte mich am Strand trocken und ging zum Haus zurück. Meine Schultern protestierten wegen der ungewohnten Anstrengung, aber ich versuchte, das zu ignorieren. Ich duschte mir schnell das Salz und den Sand vom Körper, zog mir Chinos und ein T-Shirt über und begann, den Grill vorzubereiten. Dazu gab’s ein eiskaltes Dos Equis und eine kurze dicke Zigarre von Valdez.

Pünktlich wie eine Polizeibeamtin kam um halb sieben Mag. George wedelte mit dem Schwanz und leckte ihr über die Hand. Ich tat nichts dergleichen, umarmte sie aber und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

Sie streckte mir eine Flasche Whisky entgegen.

„Ein schottischer Single Malt, ein Islay. Der stand bei mir seit Urzeiten rum.“

„Ich glaub’ Dir kein Wort, aber bin gerührt. Süß von Dir, Vielen Dank!“

„Krieg ich ein Bier dafür?“

„Aber klar.“ Ich öffnete den wieder aufgefüllten Cola-Kühler und reichte ihr eine Flasche. Wir stießen an und machten beide im gleichem Moment ‚Ahhh’.

„Du hast es wirklich unglaublich schön hier“, sagte Mag und schaute auf den Horizont.

„Ich weiß. Ich denke das auch, eigentlich jeden Tag. Und ich hoffe wirklich inständig, dass das bis an mein Lebensende so bleibt.“

„Das soll jetzt wirklich kein Apropos sein, Bob, aber ich habe doch diesen nervtötenden Kollegen, O’Mara. Ich bin kürzlich mit ihm aneinander geraten und er hat auch Dich erwähnt. Im Zusammenhang mit Scheißausländer, Arbeitsgenehmigung, Green Card, weiß der Geier... mit anderen Worten: ich glaube, er will Dir an den Karren fahren. Und sei es nur, um mich zu ärgern. Kann er Dir was anhaben?“

„Mittelgroß, Mitte fünfzig, ungepflegt, Polyesteranzug, schlecht rasiert und mit einer frustrierten Fresse?“

„Du kennst ihn?“

Ich schüttete Kohle in den Anzündkamin und legte einen brennenden Knäuel Papier darunter.

„Er hat mich heute angehalten und mir was von einer ungesicherten Ladung erzählt. Was soweit stimmt, ich fahre nämlich einen Panzerschrank spazieren. Ich muss mich morgen um zehn im Parker Center – oder wie auch immer das jetzt heißt – melden und mein leeres Auto vorführen.“

„Was für ein Korinthenkacker”, sagte Mag und schüttelte ihre dunkle Mähne. „Und wie sieht es wirklich aus mit Aufenthaltsgenehmigung und so weiter? Und warum sieht Dein Schneidezahn so komisch aus?“

„Eigentlich im grünen Bereich. Ich habe zwar keine Green Card aber ein B1-Visum. Und immer noch einen deutschen Wohnsitz. Bis Herbst kann ich in jedem Fall bleiben, dann müsste ich wieder mal das Aus- und Einreise-Spielchen machen. War bisher nie ein Problem. Und der Schneidezahn ist ein Provisorium. Weiter hinten ist noch eins, aber das fällt nicht so auf.“

„Gut. Sieh Dich aber vor, der Kerl ist ein Arschloch und will Dir Ärger machen.“

„Wer will Dir Ärger machen? Ich wäre jederzeit bereit, ihn verschwinden zu lassen.“ Tim war auf die Terrasse gekommen, Tyler folgte ihm. Ich hielt beiden ein kaltes Bier entgegen.

„O’Mara“, antwortete ich.

„Siehst Du“, sagte Tim, zu Tyler gewandt.

„Nein“, erwiderte Tyler. „Trotzdem darfst Du ihn nicht einfach erschießen.“

Es war Zeit die angeheizte Grillkohle auf den Rost zu schütten. Und Zeit für ein neues Bier.

„Angesichts der Tatsache, dass eine Dame anwesend ist, gibt es heute gegrillte Zucchini und Möhrchen.“

Ich blickte in drei Gesichter, aus denen die schiere Fassungslosigkeit sprach.

„Nur Spaß! Wie klingen Shrimps, King Crabs und Jakobsmuscheln?“

Das schien meine Gäste zufrieden zu stimmen. Ich marschierte in die Küche und holte die Tüte, die ich beim Fischhändler gekauft hatte. Außerdem frisches Baguette, Aioli und eine Schüssel mit Rucola-Salat und Tomaten.

Nach ein paar Minuten war das Meeresgetier perfekt gegart, und wir ließen es uns schmecken. Ganz der Mann von Welt hatte ich zum Fisch ein paar Flaschen eines französischen Sauvignon Blanc kalt gestellt. Selbst Tim trank Wein statt Bier. Während wir aßen, brachte er uns auf den aktuellen Stand in Sachen Oliver Remington und erzählte auch von seinem Gespräch mit dessen Sohn. Tims Frage nach der sonderbaren Optik meines Schneidezahns überhörte ich nonchalant.

„Kann es sein, dass Ihr nicht recht weiter kommt?”, meinte Mag.

„So sieht’s aus“, antwortete Tyler.

Wir sahen uns betreten an. Ich hatte auch keine Ahnung, wie wir weiter vorgehen sollten.

„Irgendeine Idee?”, fragte ich.

„Ja. Eine zweite Flasche Weißwein wäre zum Beispiel gut.“

Da musste ich Mag Recht geben.

***

O’Mara drückte die Kurzwahl für Roberts.

„Was gibt’s?”, meldete der sich.

„Der Deutsche wird morgen früh um zehn im LAPD aufkreuzen. Ich habe ihn einbestellt. Ich werde ihn so lange festhalten, wie es notwendig ist. Wie viel Zeit brauchen Sie?“

„Zwei, besser drei Stunden, in denen ich sicher sein kann, dass mich keiner stört, reichen.“

„Dafür sorge ich.“

„Sehen Sie, O’Mara. Es geht doch.

Roberts legte auf.

„Gerne geschehen. Wenn Sie wieder mal was brauchen, geben Sie einfach Bescheid”, murmelte O’Mara in die tote Leitung. Dann knallte er sein Handy auf den Küchentisch, einmal, zweimal, dreimal. Beim dritten Mal ging es aus. Er vermisste die schweren Telefonhörer, die man mit Anlauf auf die Gabel knallen lassen konnte.

„Was ist das für ein Krach, da in der Küche, Jack?“

„Nichts, Schatz. Mir ist nur was runter gefallen.“

O’Mara schloss die Augen und atmete tief ein und aus.

Dann ging er ins Wohnzimmer.

***

Nach dem Essen hatten wir drei Jungs in einem Anfall von Arbeitseifer den Geldschrank aus dem Auto gewuchtet, auf meiner gottlob recht stabilen Sackkarre bis zur Terrassentür gebracht und gemeinsam ins Haus gewuchtet. Mag räumte den Tisch ab und machte Kaffee. Ich konnte sie gerade noch daran hindern, abzuwaschen.

Die Idee, das Ding ins Arbeitszimmer zu stellen, verwarfen wir augenblicklich. Dreihundert Pfund, drei Mann, eine Treppe mit siebzehn Stufen, keine Tragegurte. No way! Also hatte ich jetzt in der Küche einen Panzerschrank. Er passte gerade noch so neben den Kühlschrank. Das sah zwar relativ blöd aus, aber ich würde mich dran gewöhnen. George war etwas gekränkt, weil er in dieser Nische gerne mal lag, aber andererseits: wo lag George nicht gerne mal? Auch er würde sich daran gewöhnen.

Als wir leicht derangiert und sanft schwitzend auf die Terrasse zurückkamen, kam Mag mit einem Tablett, auf dem vier Espressi, Gläser und die mitgebrachte Flasche Islay standen und bediente uns.

„Danke Magdalena, Sie können dann für heute Feierabend machen“, näselte Tim, was ihm eine Kopfnuss von Mag einbrachte.

„Du meinst nicht, Du könntest Lady Remington dazu bringen, eine Vermisstenanzeige zu erstatten?”, nahm sie den Gesprächsfaden wieder auf. „Wir hätten dann ganz andere Ressourcen, die wir nutzen könnten.“

„Sie will das nicht, Mag. Jedenfalls noch nicht“, antwortete Tyler.

Mag nickte.

„Halte ich für einen Fehler“, sagte sie.

„Ich auch“, gab ich ihr Recht. „Aber wir könne sie nicht dazu zwingen. Also müssen wir schauen, dass wir auch ohne das LAPD einen Hebel finden, der uns weiterbringt.“

„Ich rede morgen noch mal mit Catherine“, sagte Tyler. „Und danach will ich mir mal diesen Goodell zur Brust nehmen, den Geschäftspartner von Remington.“

„OK“, schaltete ich mich ein. „Ich bin morgen bei O’Mara wegen dieser blödsinnigen Anzeige. Danach stünde ich zur Verfügung. Können wir uns jetzt noch mal über die Bilder hermachen? Vielleicht fällt uns ja was auf, was diesen mysteriösen Überfall erklären könnte.“

Alle waren einverstanden. Ich holte mein Notebook und stellte es auf den Tisch. Schlau, dass ich die Bilder digitalisiert hatte. Ich ließ den Kram als Diaschau ablaufen. Alle guckten stumm auf den Monitor, wo im Fünf-Sekunden-Rhythmus die Bilder wechselten.

„Stopp“, rief Tyler.

Wir sahen ihn gespannt an.

„Schaut Euch mal den Anzug an. Wenn man mich in so einem Anzug fotografieren würde, würde ich auch den Fotografen verprügeln.“

Jetzt bekam auch Tyler seine Kopfnuss von Mag. Sie grinste dabei.

Fünfunddreißig oder vierzig Fotos weiter rief Mag Stopp.

„Kannst Du das ein bisschen größer zoomen? Ja, so. Seht Ihr den Mann hier im dunklen Anzug mit Weste und Aktentasche? Der gerade an dem Zeitungsständer vorbei geht? Das ist Senator Coleman, Ralph D. Coleman.“

„OK“, warf ich ein. „Aber das ist doch ein völlig harmloses Bild. Er hat keine halbnackte Blondine am Arm, und auch sein Schwanz hängt nicht aus der Hose. Unwahrscheinlich, dass er wegen so eines Bildes Ärger macht.“

„Hat er bemerkt, dass Du ihn fotografiert hast?”, fragte Tim.

„Kann sein, ja ich denke. Aber er hat mich nicht darauf angesprochen. Mal angenommen, er wäre derjenige welcher. Wie hat er mich gefunden? Ich trage ja kein Namensschildchen.“

„Kann er Dir gefolgt sein?”, wollte Tyler wissen.

„Möglich, das hätte ich vermutlich nicht bemerkt.“

„Wohin bist Du den anschließend gegangen?”, fragte Mag.

„Warte, lass mich überlegen. Das ist ja wenigstens zwei Wochen her. Ich glaube, ich war gleich eine Straße weiter in der Galerie, mit der ich gerade wegen einer Ausstellung verhandele. Galerie Fisher Fine Art Photography. Das ist Downtown, im Arts District. Nette kleine Galerie übrigens.“

„Wenn er Dir also ein Stück nachgegangen wäre, hätt er später in der Galerie unter einem Vorwand Deinen Namen erfragen können?“

„Wäre möglich, Mag.“

„OK, machen wir weiter. Bisher scheint mir aber ein prominenter Politiker ein Anwärter auf den ersten Platz in der Hitparade zu sein.“

Ich fand Mags Folgerung schlüssig, auch wenn ich keine Ahnung hatte, was an dem Bild verfänglich sein sollte. Nach weiteren zehn Minuten waren wir durch, ohne ein anderes verdächtiges Foto gefunden zu haben. Ich fuhr das Notebook runter.

„Gut, Coleman also. Mag, kannst Du morgen versuchen, raus zu bekommen, ob er Dreck am Stecken hat?”, bat ich.

„Na klar. Wenn ich dann noch ein Abendessen gut habe.“

„Hast Du. Oder zwei.“

„Dann lasst uns jetzt noch einen Schluck trinken und ein bisschen aufs Meer schauen. Das ist auch im Dunkeln toll“, fand Mag.

Sie hatte schon wieder Recht.

Um Mitternacht verabschiedeten sich Tim und Tyler, Mag folgte ihnen ein paar Minuten später. Sie legte den Arm um mich und gab mir einen züchtigen Kuss auf den Mund. Dann ging sie.

Ich sah ihr nach.

Ich scheuchte George auf und drehte mit ihm die kürzest mögliche Runde am Strand. Bevor ich schlafen ging, legte ich meinen .38er, meine Negativordner, meine IWC, die ich nur manchmal trug, und ein paar persönliche Dokumente in den Panzerschrank und verschloss ihn. Der Schlüssel hing schon an meinem Bund, zusammen mit Haus- und Autoschlüsseln.

Irgendwie beruhigend.

In der Hitze Havannas

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