Читать книгу Der Duft der indischen Nelke - Nicolà Tölcke - Страница 9

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In der Glotze beginnt ein neuer Film. Massagesalon Elvira.

Ein hellblauer Opel Kadett ist von der Beifahrerseite her zu sehen. Eine Blondine in graublauer Bluse mit Sternchen darauf plaudert mit einer älteren Frau am Steuer. Die Blondine steigt aus. Verdammt, ich kenne das Gesicht! Neben mir beginnt es zu kichern. Liane schüttet sich fast aus vor Lachen.

„Na? Haste mich erkannt?“

„Du spielst in einem Porno mit?“

Klar! Habe ich ausnahmsweise gemacht. Der Produzent war ein paar Mal Gast bei mir. War richtig lustig mit dieser Crew! Und hat gut Kohle gebracht. Aber auf Dauer wäre mir das nichts. Hier, das ist mir lieber. Hier suchen sich die Männer mich zwar aus, aber ich kann dann unter denen wählen. Ich akzeptiere bei Weitem nicht jeden.“

„Nach welchen Kriterien?“

„Ich zwischen euch wähle?“

„Ja.“

„Sympathische Erscheinung, Sauberkeit und er muss mich auf emotionaler Ebene anmachen. Ich muss eine Spannung zwischen ihm und mir spüren.“

Im Fernsehen ist ein dicklicher Kerl auf einer Massageliege zu sehen, der sich über irgendetwas beschwert. Er will ihr ihre Hand zu seinem Teil unter einem weißen Handtuch führen. Sie ist entsetzt und verlässt den Behandlungsraum. Eben diese gefilmte Hand ist hier in Realität auf mir und streichelt sehr wirkungsvoll. Die Liane im Film betritt einen anderen Raum. Dort ist eine schmollmündige Wasserstoffblondine dabei, auf einem Patienten zu reiten. Jedenfalls sieht man von hinten, wie er in sie ein und ausfährt, während ihr wohlgeformter Po die Bewegung unterstützt. Die Liane der Glotze verlässt mit angsterfüllter Miene auch diesen Raum.

„Die Geschichte ist einfach. Ich spiele eine ausgebildete Masseurin, die erst nicht begreift, dass in diesem Massagesalon nur ein männliches Körperteil massiert werden soll. Zum Schluss akzeptiert sie die Situation und zeigt ihrem Chef, dass sie auch diese Art von Massage glänzend beherrscht.“

„Was sagt eigentlich dein Freund oder Mann dazu. Ich meine, dass du Pornos drehst und in der Peepshow arbeitest?“

„Mein Mann und ich sind auf der gleichen Wellenlänge. Sexuelle Vergnügen sind frei. Wir entsagen den landläufigen Praktiken seinen Partner besitzen zu wollen oder zu müssen. Unsere gegenseitige Zuneigung ist natürlich, ehrlich und ohne Erpressungen. Eine Mutter, die mehrere Kinder hat, liebt die sicher auch alle, jedes individuell. Ich glaube nicht an eine Begrenzung des Lieben-Könnens, jedenfalls nicht in Richtung Quantität.“

Im Fernseher hält Liane den Warja eines sportlichen Typen in der Hand und beginnt ihn zu massieren, so wie meinen gerade.

Ich küsse sie auf ihre schönen Lippen. So lässt sie mich nicht davonkommen. Sie drückt mich an sich und der Kuss wird sehr, sehr intensiv. Sie hat mich völlig in der Hand. Mein Unterbauch schmerzt vor Vergnügen und ich bin zu allem bereit.

„Wie gefällt dir das, was ich da gerade mit Johnny mache?“

Johnny heißt der Kerl also. Sie hat inzwischen sein Teil in mündlicher Behandlung.

„Ich hätte nichts dagegen!“

„Dass ich dich lutsche? Hubert, das stehst du nicht lange durch. Wir haben doch eine Stunde. Nimm dir nicht die Spannung! Komm, ich ziehe mir wieder mein Kleid an. Zuerst lassen wir Margarethe und Julia wieder verschwinden. Schwupp sind die beiden wieder hinter bayerischem Textil und Liane sitzt angeblich brav neben mir. Mein Bauchweh nimmt zu. Sie schließt mich in ihre Arme, schleckt mir sehr feucht mein Ohr und erobert erneut meinen Mund. Ich schließe die Augen und höre:

„Ich verwöhne dich so gerne, weißt du? Von der ersten Berührung an habe ich in allem gespürt, dass du genießen kannst, dass du dich mir ganz und gar hingibst. Das macht mich stolz und glücklich und dass macht mich auch geil. Verstehst du? Ein Wechselspiel im wahrsten Sinne des Wortes.“

„Du bist ein Phänomen, Liane Margarethe Julia. Ich möchte mich ununterbrochen zwicken und mich fragen, ob du nicht nur einem wunderbaren Traum entstammst. Alles an dir ist pure Erotik, macht mich so verlangend, so sehnsüchtig nach dir, obwohl du da bist.“

„Ich habe verstanden, Hubert. Wenn du mir versprichst, dass du es eine Minute aushältst, werde ich dich jetzt schon mal ein wenig beschlecken. Im Film vergewaltige ich übrigens gleich meinen Massagestudiochef. Er sagt mir da, dass ich vorsichtig sein soll, denn sein armes bestes Stück ginge sonst in die Binsen. Worauf ich ihm entgegenhauche, dass bei mir die Moral in die Binsen gegangen sei.

Und du, genieße das mal! Wer hat schon seine Pornoqueen im Fernseher und gleichzeitig an und um sich?“

Sie beugt sich über meinen Schoß und hat ihn sogleich geschnappt, schlabbert und saugt, aber äußerst vorsichtig, wie in Zeitlupe. Im Film hat sich Lianes Liane das Teil ihres Massagechefs einverleibt und scheint es auch genüsslich zu bearbeiten.

„Hör bitte auf, Liane. Ich halte es sonst nicht länger aus.“

„Okay, mein stolzer Krieger. Programmänderung!“ Sie lässt von mir ab und lehnt sich relaxt zurück.

„Wieso bin ich denn plötzlich ein Krieger?“

„Na lieben es nicht die Herren, das sogenannte starke Geschlecht

in sexueller Hinsicht in Kriegssprache zu schwadronieren? Ich habe sie erobert, habe sie genommen, sie mir unterworfen oder in brutalo Jargon: habe sie flach gelegt, sie aufgerissen, sie zugeritten und so weiter!“

„Ist nicht meine Sprache! Bei mir hieße das: Sie ist ein Sonnenstrahl in meinem Leben, ich bete sie an oder sie ist die zarteste Versuchung, seitdem es blonde Engel gibt!“ Mein Lächeln versucht meine Worte zu verstärken.

„Du bist wohl ein Romantiker, ein Träumer?“ Sie stützt ihr Kinn auf ihren Handrücken.

„Wer bei dir nicht zum Träumer wird, muss ein Herz aus Glas haben.“ Ich greife ihr mit einer Hand seitlich unter die Achsel, spüre ihre Wärme und gleite hinunter bis zur Hüfte. Dann ziehe ich sie zu mir, beuge meinen Kopf über ihre Schulter und küsse sie auf den kleinen Bereich zwischen dem Kragen des Kleides und Haaransatz. Das ist die Stelle, die für einen Japaner an einer Frau wohl der erregendste Ort ist. Ich wandere mit den Lippen seitlich hinter ein Ohr und tippe dort ein paar Mal ganz sanft mit der Zungenspitze an. Sie zittert ein wenig und atmet tief ein.

Das Fernsehprogramm ist seit dem Massagesalon Elvira unterbrochen. Weißes Schneeflimmern erfüllt den Bildschirm.

Liane steht auf und geht zum Fernsehapparat.

„Ich erspare uns jetzt den elektronischen Schnee.“

Neben der Glotze steht ein Cassettenkoffergerät. Sie führt eine Cassette ein und drückt auf einen Knopf.

Die ersten Töne von Nights In White Satin erklingen.

„So, mein lieber Hubert. Du ziehst dir jetzt mal deine Hosen und Schuhe an. Ich würde gerne ein bisschen mit dir tanzen. Ich setze mich jetzt wieder hin und du forderst mich auf, so als ob wir uns nicht kennen würden.“

Ich bin sehr folgsam.

Mit Hosen und T-Shirt am Körper und Schuhen an den Füßen stehe ich vor ihr und schenke ihr ein liebevolles Lächeln.

„Tanzt du mal mit mir?“

„Sehr gerne“, flötet sie mit verstellt, tiefer Stimme.

Besitzergreifend ist ihr Körper, mit allen Partien an mich geschmiegt, die dafür möglich sind. Wange an Wange bewegen wir uns nach Beauty, I'd always missed with these eyes before. Just what the truth is, I can't say anymore …

„I can’t say anymore“, singe ich ihr leise ins Ohr.

„Du hast mir doch noch gar nichts gesagt“, neckt sie mich.

„Ich habe dich sofort da sitzen sehen und mir gedacht, dass du wohl eine Fata Morgana sein musst. Jemand wie du hier alleine ohne Tanzpartner?“

„Ich bin eine Mutter Mordana! Sei vorsichtig, schöner Fremder. Ich fresse junge, frauenlose Männer.“ Schwupp spüre ich eine Hand auf einer Pobacke.

„Zeigst du mir, wie das geht? Ich meine, wer möchte nicht von dir gefressen werden?“ Ich tue es ihr gleich. Meine rechte Hand gleitet unter ihren Rock und kommt auf der Kurve ihres Hinterteils zu einer vorgetäuschten Ruhe.

„Du gehst aber ran, junger Mann! Aber ich mag das! Du weißt, was du willst?“ Ihre Hand wandert von meinem Po zu meinem Hinterkopf. Ihr Augenpaar nimmt Stellung vor meinem Gesicht, fixiert mich und schon erobert ihre Schnute mit allem, was zu ihr gehört, meinen Mund. Wie eine Katze ihre Jungen, schleckt sie mein Gesicht. Natürlich spürt sie meine heftige Reaktion und drückt hemmungslos dagegen. Auch Margarethe und Julia lassen mich sie spüren.

Ich merke, wie sie eine Hand unter ihren Rock schickt. Postwendend kommt ein feuchter Finger und lässt mich daran schmecken.

Die Musik ist beim zweiten Moody Blues Titel angekommen. Take a look at me but slowly the candle of life …

Ich habe den Geschmack ihrer erregten Yoni im Mund, ihre Hand auf meinem Po und Margarethe und Julia schmiegen sich lüstern an meinen Brustkorb. Mein Bauch krampft und schmerzt.

„Wollen wir es uns ein wenig auf dem Kanapee gemütlich machen?“, flüstert sie mir ins Ohr.

Ich setze mich. Sie knöpft meine Hose auf und zieht sie mir von den Beinen. Meine verbeulte Unterhose bleibt nicht unkommentiert.

„Junger Mann, un peu de contenance!“

Sie setzt sich daneben, und zwar so, dass der Saum ihres Kleides eine freie Sicht auf ihre Muschi gestattet.

Nicht ein bisschen schüchtern nimmt sie sich meine rechte Hand und führt sie eben dort hin. Sie landet unterhalb ihres Kleides. Dort ist es eher heiß, als nur warm und auf dem Weg zu einer Überschwemmung.

Mit immensem Vergnügen lassen es ihr meine Fingerspitzen gut gehen. Doch ich bin süchtig nach dem Geschmack, den sie mir eben geschenkt hat. Möchte ihn noch mal. Sie merkt das natürlich und schaut mich fragend an.

„Köstlich!“ Mehr bringe ich verbal nicht zu Stande. Es schmeckt nach einem sehr frischen Joghurt mit Studentenblumenaroma.

Zu Question, natürlich auch von den Moody Blues, findet meine Aufregung endlich wieder Einlass. I’m looking for someone to change my life, I’m looking for a miracle in my life …

Als habe sie mich Jahre lang vermisst, werde ich verwöhnt, dass es mir schwarz vor Augen wird. Ihre Lippen bilden einen samtenen Ring, der ihn ansaugt. Das Ganze wandert der Länge nach von vorne bis hinten und wieder zurück. Und dann auch noch die Zunge, die sich nicht zurückhalten kann.

Der Deltadrachen hat uns wieder. Es geht enorm hoch und höher. Zum Mont Blanc? Und dann, Flammen oben, Feuer unten. Zurück zum Monte Bianco. Dann Schussfahrt ins Nichts. Regenbögen verkehrt herum, Wasserfälle, die vom Boden in den Himmel rauschen, Sonnenblumen, die in Sekunden aus dem Boden schießen und Tagetesgeruch überall.

Bevor wir zu unserem Spaziergang aufgebrochen sind, habe ich Lara ihr goldenes Geschirr angelegt. Ich habe so im Gefühl, dass sie das glücklich macht. Sie verbindet Spaziergänge und Entdeckungen damit.

„Chéri, hast du alles?“ Liane steht an der Einfahrt zur Villa. Es ist stickig warm heute und sie tat gut daran, sich nur ein seidenes, weißes, indisches Hemd übergezogen zu haben. Mein T-Shirt und die Kaki-Shorts kommen mir da schon viel zu aufwendig vor. Der Weg in Richtung Tal ist holprig und voller Ausspülungen vom letzten großen Regen. Neulich haben wir in fünf Minuten Entfernung vom Ortseingang einen Höhleneingang entdeckt. Das hat neugierig gemacht und so haben wir zwei Taschenlampen mitgenommen.

Ich lasse Lara an der langen Leine. Alles Mögliche interessiert sie. Sie nimmt Witterungen auf, die wir mit unseren Nasen nie wahrnehmen könnten.

„Meinst du, wir könnten sie jetzt an die Schleppleine nehmen?“ Liane krault Lara hinter den Ohren. Sie liebt das. Ihr markiges Schnurren hat einen ziemlichen Gänsehautfaktor.

„Warum eigentlich nicht. Ich habe bislang noch kein Schafsgeblöke vernommen.“ Ich lege ihr die zehn Meter lange Leine ans Geschirr. Das scheint sie nicht im Geringsten zu interessieren. Im Gegenteil! Sie köpfelt mich beständig am Knie.

Am Höhleneingang gibt es eine Überraschung. Ein ockerfarbener

VW-Bulli mit Westberliner Kennzeichen steht seitlich an einer kolossalen Pinie und verdeckt das Hinweisschild.

Ich nehme Lara wieder an die kurze Leine.

„Das ist ja ein dolles Ding! Kannst du mit Lara hier kurz warten? Ich schaue mal, ob ich da drinnen den Berliner treffe.“

„Aber geh‘ nicht alleine zu tief da rein. Ich möchte dich heute schon noch wieder sehen. Wir wollen heute Abend noch unsere Chopinaufnahmen fortsetzen.“ Liane setzt sich auf einen platten Felsenvorsprung und Lara nimmt neben ihr wie eine afrikanische Statue Platz.

In der Höhle ist es sofort merklich kühler. Eine Art Weg schlängelt sich relativ stetig abwärts. Meine Taschenlampe offenbart frische, derbe Schuhabdrücke. Jemand muss vor Kurzem hier hineingegangen sein.

Der Weg biegt rechts ab. Eine natürliche Treppe führt steil bergab. Nach zirka dreißig stufenähnlichen Felsplatten stehe ich in einem riesigen Saal. Rechts von mir, um die fünfzig Meter entfernt, bewegt sich ein grelles Licht. Es wird links davon durch eine große Wasseroberfläche reflektiert. Ein unterirdischer See!

„Hallo! Was machen Sie hier?“ Die Stimme kommt vom Licht her.

„Das könnte ich Sie auch fragen“, töne ich zurück.

„Moment mal. Ich komme zu Ihnen!“ Das Licht bewegt sich auf mich zu.

Ich erkenne alsbald einen schlanken Mann so um die Mitte dreißig.

Eine Stirnlampe ziert seinen voluminösen Kopf, der von kinnlangen, dunkelblonden Locken bewachsen ist. Er zieht den Unterarm, der in einem rotblauen Holzfällerhemd steckt, genüsslich an seiner Nasenöffnung oberhalb seines breiten Schnauzbartes entlang.

Er scheint seine Manieren an die Zeiten der Höhlenmalerei angepasst zu haben.

„Das ist kein Ort fürs Höhlentrekking, junger Freund.“

„Das empfiehlt wer?“

„Ich bin kein Speläologe, falls du diesem Irrtum aufgesessen sein solltest. Mein Name ist Leo Wächter, Doktor Leo Wächter,

Ingenieur für Verfahrenstechnik. Die hiesige Administration hat mich beauftragt, die Wasserqualität dieses Gewässers zu begutachten. Und was machst du hier?“ Jetzt wandert der andere Arm an seinem Schnäuzer entlang.

„Hubert Schenck, Sir!“, antworte ich etwas keck wie der Held von Uhrwerk Orange.

„Wir haben unser Anwesen oben am Rande des Dorfes.“ Da er mich duzt, mache ich es ihm gleich.

„Du bist den ganzen Weg von Berlin mit dem Bulli hierher gekommen, um das unterirdische Wasser zu begutachten? Ist das nicht verdammt aufwendig?“ Er sieht mich an, als ob etwas in ihm nach einer Lösung sucht.

„Verdammt! Hubert Schenck! Den Namen kenne ich doch! Bloß woher? Hast du etwas mit Musik zu tun?“ Er ist schnell auf der richtigen Fährte.

„Nicht schlecht, Herr Doktor. In der Tat, ick mache in Mussick, wie die Berliner sagen würden. Tabula Raza, schon mal gehört?“

„Natürlich, ja! Ich mag euer Zeug sogar sehr. Iss ja ´n Ding. Da muss ick inne Höhle in‘ Pyrenäen rumlatschen, um Hubert Schenck zu treffen!“, berlinert er etwas aufgesetzt. Der ist mit Sicherheit kein gebürtiger Preuße!

„Ich habe heute schon gesehen, was ich wollte. Meinen Bericht werde ich in der Pension schreiben. Von mir aus könn‘ wir wieder ans Tageslicht.“ Er schreitet voran und ich folge ihm. Zuerst also wieder die dreißig Stufen nach oben. Plötzlich spüre ich, wie alles um uns herum vibriert. Zwei faustgroße Steine poltern kurz vor mir und kurz hinter ihm von der Decke.

„Sehr unvernünftig, dass wir keine Helme hier tragen. Man hat mir aber auch nicht gesagt, dass die Erde hier beben kann.“

Wir erhöhen unser Schritttempo. Irgendwie ist es mir nun unheimlich. Wieder bebt alles und noch viel stärker. Zehn Meter vor uns kracht es gewaltig. Wir nähern uns der Stelle. Ein etwa fünf Meter großer Spalt ist entstanden, zu breit um da

hinüberzuspringen!

„Und nun?“ Meine Stimme klingt sicher nicht sehr hoffnungsfroh.

„Ich habe ein Seil dabei. Im Berg brauchst du ein ähnliches Equipment wie ein Bergsteiger. Also beruhige dich. Wir werden da schon rüberkommen. Ich frage mich nur, was du gemacht hättest, wenn ich nicht auch hier gewesen wäre?“ Wieder wandert ein Ärmel an seiner Nase entlang.

„Hilfreich wäre aber jetzt noch ein dritter Mann. Bist du alleine hierher gekommen?“

„Nein, meine Frau wartet am Eingang.“

Doktor Leo Wächter schnallt seinen Rucksack ab und holt ein solides Seil, einen Hammer und dicke Nägel heraus.

„Vielleicht versuchst du, sie mal zu rufen. Sie könnte da drüben das Seil befestigen.“

„L i a n e !“, schreie ich so laut ich kann. Von unten, vom unterirdischen See kommt ein gurgelndes Echo. Ich komme mir vor wie in einem Edgar-Wallace-Film, fehlt nur noch Klaus Kinski mit seinem diabolischen Grinsen. Herr Wächter hat nicht dieses Kaliber.

„Komm, wir setzen uns hier auf den Vorsprung. Vielleicht hat sie es ja gehört. Wenn nicht, wird sie doch sicher bald unruhig und kommt nachschauen?“

„Sicher!“, beruhige ich mich wohl eher selbst.

„Habe neulich gelesen, dass euer Lichtsinnlich dehnbarer Traum

live aufgeführt werden soll?“, versucht er von der misslichen Situation abzulenken.

„Richtig, das wird ein utopisch, geiles Projekt. Wir planen oben an der französisch-spanischen Grenze, auf dem Grat der Pyrenäen sozusagen, eine gigantische Bühne aufzubauen, und zwar direkt auf der Brèche de Roland. Das ist eine riesige Kerbe, die der Sage nach der Neffe von Karl dem Großen beim Kampf gegen die Sarazenen in den Berg geschlagen haben soll.“

Ich merke, wie Leo plötzlich wie gebannt über den Spalt im Weg starrt.

Ein glühendes Augenpaar hat uns im Visier. Ein paar Meter dahinter taucht der Strahl einer Taschenlampe auf.

„Liane, du bist unsere Rettung!“

„Hubert, was ist das?“, flüstert Leo neben mir.

„Beruhige dich, das ist doch nur Lara!“

„Chéri, was ist denn los?“

„Liane, vorsichtig. Es gab ein kleines Beben und zirka fünf Meter des Weges sind versackt. Wir werfen dir ein Seil rüber und du müsstest es dann dort irgendwo befestigen.“ Ich versuche meine Atmung zu beruhigen.

„Das ist Doktor Leo Wächter. Er kümmert sich hier im Berg um die Wasserqualität.“

„Was ist Lara?“ Leo erlebt wohl gerade einen Alptraum.

„In zwei Sekunden auf freier Strecke sechzig Kilometer schnell. Ihre Flecken sind zu Längsstreifen verschmolzen. Gewicht an die vierzig Kilo!“

Als wir unsere missliche Situation dank des Seiles und mit Lianes Hilfe gemeistert haben und wieder am Tageslicht angekommen sind, setzt sich Lara neben dem Höhleneingang vor Herrn Doktor Wächter in Positur.

„Ein Gepard, oder?“

„Fast“, verbessert ihn Liane. „Eine Königsgepardin!“

Unsere Panoramastube ist angereichert mit den Gerüchen einer ausgezeichneten Paella. Zum Dessert gibt es Crème brulé maison. Paul kümmert sich schon seit geraumer Zeit um unser kulinarisches Wohlergehen. Er ist um die fünfzig, war früher in der Legion und hat somit schon viel von der Welt gesehen. Seine Wiege stand in Marseille, weshalb sein Französisch den typischen Singsang des Südens zelebriert. Irgendwer aus seiner Verwandtschaft kam aus Frankfurt/Oder. Seltsame Zusammenstellung, Marseille und Frankfurt an der Oder. Auf jeden Fall könnte er als Bruder Alain Delons durchgehen. Sagen wir mal mit konstantem Dreitagebart. Sein Deutsch ist gewöhnungsbedürftig. Sein Wortschatz ziemlich groß, doch hat er die Angewohnheit, die französische Satzstellung ins Deutsche zu transferieren.

„Ich Sie bringe noch ein Bier?“ Paul blickt auf Leos leeres Glas.

„Ja, mach mal. Hätte gerne noch so’n Töpfchen.“ Leos Blick ist schon etwas glasig.

„Für Eusch? Alles ist Ordnung? Liane, du willst noch ein Mousseux? Hubert und für disch?“

„Okay, okay, Paul. Alles bestens. Wir bedienen uns selbst.“ Liane steht auf und stellt sich in seitlich wippenden Bewegungen vors gigantische Fenster. Gegen die sich verabschiedende Sonne sieht sie in ihrem schwarzen, trägerlosen Chiffonkleid wie ein lebensgroßer Scherenschnitt aus. Die Musik wechselt von Gerry Raffertys Baker Street zu Eric Claptons Lay Down Sally.

Lara gibt mir Köpfchen in die Taille. Sie weiß, dass da noch etwas in der silbernen Schale auf sie wartet. Ich gebe ihr noch den großen letzten Brocken Hammelrippchen. Ihre Lieblingsspeise. Leo beobachtet das mit einem eher unsicheren Gesichtsausdruck. Doch seine Aufmerksamkeit wandert wieder zurück zur tanzenden Liane. „Ihr habt es hier wirklich super. Diese Aussicht! Ich meine natürlich auch gerade vor dem Fenster.“ Die Weise, wie Leo Liane betrachtet, rutscht ins Lüsterne.

„Das war wirklich total nett, mich Höhlenforscher so spontan zum Happen Pappen zu bitten.“ Wie es bei alkoholisierten Menschen oft zu bemerken ist, lachen sie gerne über sich selbst. Und Leo findet gerade sein Happen Pappen äußerst lustig.

„Monsieur! Ihre Töpfschen Bier, voilà.“ Paul nimmt die leeren Schälchen Crème brulée mit. Ich habe nur ungefähr aufgepasst, aber das muss Leos achtes oder neuntes Bier sein.

„Merci! Wohl bekomms! Auf alle Mütter meiner ungeborenen Kinder!“, prostet er sich selbst zu.

„Ich glaube, es wird besser sein, wenn du die Nacht hier verbringst. Jedenfalls sehe ich dich nicht mit ruhigem Gewissen im Dunkeln mit deinem Bulli die engen Serpentinen langfahren.“

„Quatsch! Bin schon im Jeep in Afrika am Fuße des Kilimandscharo die Savanne langgerauscht. Vorher hatten wir ein Gelange? Nee, ein Gelage sacht ma wohl. Egal, im Nachbarzelt wohnte Mick Jagger. Habe nicht schlecht geschaut, als der morgens vor seinem Eingang paar Freiübungen machte. Auf jeden Fall floss das keniatische, ich meine das kenische Bier, eine furchtbare Brühe, in Strömen!“ Bei Leo floss gerade der aktuelle Inhalt seines Glases halb über sein Kinn und dann über sein Hemd und die andere Hälfte folgte eher dem herkömmlichen Weg eines Bieres nach Verlassen des Seidels.

„Ich glaub‘, das Leolein sich hat ´n bisschen nass gemacht. Liiaane, wo issn des Klo? Oh, oh. Hier schaukelt ja allet!“

Leo wollte aufstehen, merkt aber sogleich, dass mit seinem Gleichgewichtssinn nicht alles zum Besten ist.

Aus den Lautsprechern ertönt Ramblin Man von der Allman Brothers Band und Leo grölt nicht unbedingt ton- und rhythmussicher: „Gamblin man, gamblin man, hey, hey!“

„Komm, Leo, ich bring‘ dich jetzt mal für große Jungs!“ Ich stelle mich auffordernd vor ihn. Er erhebt sich, kippt fast vorne über, legt mir den Arm um die Schulter und ab geht’s in Richtung Toilette.

„Liiaane!“, imitiere ich ihn, „mach schon mal alles im Studio klar. Ich zeige unserem Verfahrensdoktor sein Schlafgemach.“

„Cool, ich sehe es dir an, du hast noch was Geiles ausgebrütet!“ Sie swingt ihre schwarzen Rockschöße zu Ramblin Man.

Als ich wenig später ins Studio A komme, sind alle Strahler an, die Lämpchen an den Geräten blitzen und Liane sieht auf einem Barhocker so aufgeräumt aus, als habe sie sich vor dem großen Spiegel neben den Orange Boxen einen multiplen Orgasmus bereitet. Ihre Frisur gleicht der Janis Joplins nach einem inbrünstig vorgetragenen Summertime.

Das macht mich zwar tierisch an, sie so zu sehen und am liebsten ginge ich unter ihrem Rock und auf ihrem Dekolleté auf Erkundungstour, aber ich weiß, dass diese erotische Spannung zwischen uns, wenn sie spontan unerfüllt bleibt, der kreativen Umsetzung musikalischer Ideen sehr förderlich ist.

„Komm, meine Süße, du meine allerliebste of all the Bitches, lass uns uns unserer erhabenen, dekadenten Version von Choppis Nocturnes No. 3 in BH-Dur en Si Op. 9/3 widmen.“ Es macht mir Vergnügen, den ganzen Titel süffisant herzubeten! Für die Interpretation dieses classic Klassikers habe ich mir eine Spezialanfertigung einer Wersi-Orgel mit einem einmaligen Lautsprecher-Kabinett geordert. Das ist eine hölzerne Boxenkonstruktion mit darin rotierenden Leslie-Lautsprechern für den gleichnamigen Effekt. Ich nehme auf der Bank mit dem weinroten Samtbezug Platz, der an das Cover der Doppel-LP Odessa von den Bee Gees erinnert. Zuerst mal lasse ich die Lautsprecher im Kabinett rotieren und schalte ein wenig Hall ein. Die Noten hat mir Liane schon aufgestellt. Ein wenig Vibrato kann nicht schaden. Liane hat ihre Noten und den relevanten Text auf einem Notenständer vor sich. Sie rauft sich die Mähne und schnüffelt sich unter den Achseln. Dann greift sie sich ihre Geige. Ich beginne mit den ersten neun Tönen von Tin Soldier von den Small Faces.


Übergangslos geht es dann in die Melodie von Chopin. Nach zwanzig Sekunden steigt Liane ein und wiederholt die Melodie mit ihren Saiten und dem Rosshaar des Bogens. Unmittelbar danach kommt die Stelle, wo wir die Klänge das erste Mal schweben lassen. Liane ist mit dem Text dran: „Schmieg dich an meine Haut, bis die Sonne wieder scheint. Davor spielen wir das Spiel, von dem Robert Plant uns singt. Quetsche ich dich und knete ich dich, bis der Saft dir die Beine lang rinnt!“ Das bringt sie mit einer derart lasziven Betonung unter einer nahezu schmutzigen, betörenden Hervorhebung der Wortendungen, dass mir heiß und kalt wird. Aber dafür ist keine Zeit. Ich muss mich auf die Noten konzentrieren und sie auf ihren nächsten Geigeneinsatz. Wenn alles zur Zufriedenheit aufgenommen sein wird, werde ich unseren Percussionisten Pablo Rodriguez bitten, mit seinen Bongos und Congas etwas hinzuzuzaubern.

„Ich bin bettreif, Chéri! Sei mir nicht böse, wenn ich schon mal in die Federn springe. Mach‘ hier noch so lange, wie du brauchst, um alles ultramäßig abzuschließen.“ Lara, die lang ausgestreckt auf dem alten braunen Leder Chaiselongue von Lianes Oma vor sich hingeschnarcht hatte, schließt sich ihrem Frauchen an. Die beiden sind unzertrennlich.

Nach viermaligem Anhören, Zurückspulen und noch ein fünftes Mal, bin ich fast am Ende des Stückes angelangt. Wieder und wieder überlege ich, ob ich Nocturnes No. 3 so enden lasse, wie wir es begonnen haben. Ich füge dem Ende mit leichter Überblendung die neun Töne von Tin Soldier an. Da poltert mit entsetztem Gesichtsausdruck Paul ins Studio. „Hubèrt! Kommen rapide! Es sich passiert etwas. Schnell zu Liane, Hubèrt.“ Er eilt voran und ich hinterher. Auf dem lila Sitzsack vor unserem Schlafzimmer kauert blutüberströmt Leo. Über die rechte Gesichtshälfte führen die Spuren beeindruckender Krallen. Ich weiß natürlich, wer das war. Aber ich weiß nicht, warum sie das gemacht hat.

„Was ist hier los?“ Leo antwortet nicht, sondern wimmert nur etwas debil.

Im Schlafzimmer sitzt Liane im roten Kimono auf der Bettkante. Lara thront neben ihr und sieht mir mit stolzem Blick entgegen.

„Chéri, dieser Leo ist wohl nicht ganz dicht. Auf dem Weg von der Toilette hierher muss er mir nachgeschlichen sein. Jedenfalls stand er plötzlich hinter mir, als ich mein Kleid ausgezogen hatte. Ich war nur im BH und bei ihm rutschte die Hose und er zeigte mir seine Erektion. Ich sagte, dass er unsere Gastfreundschaft in diese Richtung wohl missverstanden hätte. Daraufhin meinte er, dass seine Leistung trotz vieler Töpfchen Bier doch erstaunlich genug sei und es zudem schade sei, diesen Zustand ungenutzt zu lassen. Daraufhin bat ich ihn, das Zimmer zu verlassen und gab ihm noch den Rat, seine Hände zu gebrauchen. Er könnte ja dann an mich denken. Das fiele ihm nicht im Traume ein und wie ein Wiesel schubste er mich und warf mich rücklings aufs Bett. Lara sprang neben mich und knurrte und fauchte unüberhörbar. Doch in seinem Suff schien er das nicht zu hören, sondern wälzte sich auf mich. Da baute sich unsere Lara vor ihm auf und ratsch, batsch fing er sich eine mächtige Tatze in die verschwitzte Visage!“

Ich nehme sie in die Arme. Sie zittert. Lara gibt mir Köpfchen und draußen zischt eine lallende Stimme: „Mistvieh, das büßt du mir!“

Nach einer Weile klopft es an der Tür und Paul entschuldigt sich. „Pardon, dass ich störe, Monsieur Léo, er ist gegangen und gefahren los mit seiner Bulli!“

„Merci Paul, geh‘ man nun auch schlafen.“ Ich schlüpfe zu Liane unter die Decke. Lara sitzt aufrecht am Fußende, so als müsse sie über uns wachen.

Die Nachmittagsvorstellung von Catwalk im großen Kino von Pau ist nur spärlich besucht. Liane hatte schon ein paar Tage lang darauf gedrängt, diesen Film unbedingt sehen zu müssen. Irgendwie hat mich die Idee auch angebockt, da die Models einer Kollektion wohl nach den Greatful Dead liefen. Eine ganz und gar absurde Vorstellung. Glanz und Glamour der Modezaren von Paris nach dem morbiden Westcoast-Charme der

Ultra-Hippies.

Und so staksen die ersten Ladys gerade nach Baker Street in Outfits von Dior, als wir uns gemütlich und mutterseelen lonesome eine Veuve Clicquot öffnen. Nach einem Glas beginnt sich meine liebe Begleiterin für meinen Schoß zu interessieren. Jedenfalls spüre ich die Wärme ihrer linken Hand auf mir. Ihr ist heute so nach bravem Schulmädchen, denn zwei Rattenschwänzchen schaukeln rechts und links ihres auf Unschuld geschminkten Gesichtchens. Eine Bluse, die, wenn sie nicht so blütenweiß wäre, von ihrer Großmutter stammen könnte. Der rot-schwarz karierte Rock dürfte keinen Millimeter kürzer sein, da man ihn sonst eher als ziemlich breiten Gürtel bezeichnen müsste. Die weißen Kniestrümpfe, die aus den ebenso weißen Tennisschuhen herausragen, sind vielleicht das bravste, was sie heute zu dieser Cinema-Show trägt.

Von der Leinwand kommt jetzt ein anderer Sound, eine andere Kollektion. Tatsächlich! Da ist er laut und deutlich zu hören:

der Candyman von Jerry Garcia und Robert Hunter, eine Liveversion der Dead. Und sagenhaft geile Outfits getragen von

auf Geisha geschminkten Asiatinnen. Alles fließende Chiffonstoffe, unter denen die Models nichts tragen.

Jetzt kommt eine große Blonde und sie ist keine Asiatin, aber ihre Augen sind definitiv so geschminkt. Eher wie eine Katze schleicht sie über den Laufsteg. Just für sie spielen die Dead auch live Little Red Rooster. Das eng anliegende Top lässt ihre beiden birnenförmigen Brüste bis in alle Einzelheiten erkennen. Die Trompetenärmel wehen im exakten Rhythmusgefühl ihrer Trägerin. Liane ist ohne jede Scham, hat meine Hose geöffnet und beginnt, an mir zu kosten.

„Du schmeckst aber heute nach reifen Kastanien!“, flüstert sie mir von unten zu.

„Kein Wunder, du Biest!“, zische ich ihr ins Ohr. „Du weißt doch, dass ich auch feucht werde, wenn du mich noch dazu in der Öffentlichkeit so anmachst.“

Die blonde Asiatin führt nun zum zweiten Mal ihren schwarzen, wadenlangen Stufenrock entlang der bewundernden Blicke eines vornehmlich weiblichen und ausnahmslos ultragestylten Publikums. Jetzt kommt die Stelle, wo der künstliche Wind besonders aufreizend die Rockschöße wirbelt. Sie passt nicht gut auf. Ich möchte meinen, sie legt es sogar darauf an, denn unmerklich verlangsamt sie ihren Walk und wie bei Marilyn auf dem U-Bahnschacht bildet der Rock ein schirmartiges Outfit.

„Die ist ja rasiert!“, tuschele ich nach unten. Liane lässt kurz von mir ab und kann gerade noch miterleben, wie sich der schwarze Chiffon nach dem Ausnutzen der Bö wieder nach unten fallen lässt und die Blondine mit pobetontem Gang den Steg verlässt.

Jetzt ist wieder eine, vermutlich echte Japanerin auf dem Weg. Ein schwarzweißes Kimonokleid mit tiefem Ausschnitt gleitet ihr um den grazilen Körper. Bei mir gleitet etwas sehr Stolzes, weil sanft Umhegtes, in sündigen Bewegungen zwischen Lianes Lippen. Jetzt trifft auch das Kimonokleid auf den gesteuerten Wind. Auch sie passt nicht auf, so wie ich nicht aufpasse und loslasse, was ich noch lange zurückhalten wollte. Ich fühle, wie meine Haut elektrisiert, mein Rücken vibriert und es flutet aus mir, als sei ein Staudamm gebrochen. Liane funkelt mich strahlend an. Sprechen kann sie gerade nicht, doch von der Leinwand singen die Dead Friend Of the Devil but me I’m the Friend of an Angel!

Voices In the Sky kommt aus dem Kassettenrecorder und Liane kniet vor mir und lächelt mich zweideutig an.

„Hubert, du bist ein echtes Phänomen!“

Sie schlüpft in ihr Kleid und ich in meine Hosen. Dessen ungeachtet nimmt sie auf meinem Schoß Platz. Sie fährt mir durchs Haar.

„Man könnte meinen, dass du eine mittelprächtige Wanderung absolviert hättest.“

„Mittelprächtig war hier rein gar nichts, sondern über alle Maßen prachtvoll! Und absolviert habe ich eine kleine Einsicht, in was es bedeuten kann, Glücklichsein zu sein.“ Ich gebe ihr einen Kuss auf die Wange.

„Sag mal, was machst du eigentlich in der Zeit, wenn du armen Kerlen nicht den Kopf verdrehst?“

„Magst du raten?“ Postwendend bekomme ich meinen Kuss zurück.

„Nun, schließen wir erst mal aus: Du bist keine Bäckerfachverkäuferin, keine Anwaltskanzleigehilfin, keine technische Zeichnerin und auch keine Angestellte in einer Expressreinigung.“ Ich warte, ob ich irgendwo danebenliege.

„Schlau, schlau, lieber Hubert! Nun aber mal ein paar realistische Vorschläge, was ich wohl mache.“ Sie geht zum Recorder und dreht die Cassette. Cymbaline von Pink Floyd schmiegt sich in unsere Ohren.

„Erzieherin in einem Kinderheim für schwer erziehbare Gören?“

„Nee!“ Sie kriegt fast einen Lachkrampf.

„Krankenschwester in einer Psychiatrie vielleicht?“ Ich zwicke sie in ihre ausgeprägte Taille. Tapfer kämpft sie gegen eine Kitzelreaktion.

„Auch nicht! Hubert, ich bin weit entfernt von Mutter Theresa.“

„Bist du noch in einer Ausbildung?“ Plötzlich kommt mir dieser Gedanke, denn sie ist wahrlich noch nicht alt.

„Ja, ist schon viel wärmer.“

„Studierst du?“ Sie nickt ein bisschen.

„Psychologie?“

„Falsch!“

„Biologie?“

„Genau, du hast es. Und deshalb nutze ich diese Gelegenheit, dir zu sagen … “

„… dass das hier zu deinen biologischen Studien gehört!“

„Nein, mein Lieber! Humanbiologie ist sicher eine sehr interessante Fachrichtung, aber nicht die Meine. Meine Gebiete sind Echsen und Reptilien. Was ich dir sagen wollte, ist, dass das heute für ein halbes Jahr unser letztes Treffen war. Ab nächster Woche gehe ich auf große Exkursion nach Madagaskar. Mit meinen Rendezvous hier finanziere ich mir die Reise.“ Sie sieht mich an und merkt natürlich meine Enttäuschung.

„Da hast du ein halbes Jahr Zeit, dich auf mich zu freuen!“

„Wenn es mal nur ein halbes Jahr wäre. Ich muss in drei Monaten für sechs Monate nach Frankfurt. Also können wir uns eine Schwangerschaft lang nicht sehen.“

„Was musst du denn so lange bei den Hesseköpp machen?“ Sie drückt mich liebevoll an sich.

„Ich schmeiße mein Tiermedizinstudium und heure bei Hoechst an. Mache ´ne Ausbildung zum geprüften Pharmareferenten.“

„Ist doch vielleicht gar nicht schlecht. Da lernst du dann viele Ärzte kennen. Mein Mann ist auch Arzt.“

Cirrus Minor auch von der Filmmusikplatte More der Floyd schafft sehnsüchtige Stimmung.

Liane greift nach ihrer Handtasche, die heute ein wesentlich größeres Format als die Kulturtasche vom letzten Mal hat. Sie zieht eine Art Papiertüte heraus, so eine, mit der man gewöhnlich die Schrippen vom Bäcker holt.

„Hier, das wird dir die Zeit etwas verkürzen.“ Schelmisch grinst sie mich an.

Die Tüte enthält keine Brötchen. So viel steht fest. Da ist etwas Hartes, Rundes drin. Ich hole es ans Funzellicht unseres Séparées. Eine Filmrolle mit Film!

„Was ist da drauf? Hoffentlich nicht Love Story!“

„Wo denkst du hin. Kannst du es dir nicht denken?“ Ich erhalte einen Kuss auf meinen Mund.

„Sag bloß? Der Film von vorhin? Dein Porno? Der Massagesalon?“

„Ja!“, sagt sie einfach so.

Ich bin perplex. Wie finde ich das? Na geil natürlich.

„Ich bin sprachlos! Danke!“ Ich drücke sie ganz fest an mich.

„Was ich dir noch sagen wollte. Eine Empfehlung, falls du es ohne entsprechendes weibliches Wesen nicht aushalten solltest. Miriam ist eine sehr zärtliche, tolle Frau. Mit ihr könntest du viel Spaß haben. Und auch Tooky, die macht immer auf unschuldiges Mädchen, hat es aber faustdick hinter ihren Öhrchen. Letztlich Gaby. Zwei von meinen Gästen wechseln mich gerne mit ihr ab, wenn man das so bezeichnen kann. Solltest du sie also mal besuchen, kannst du sie gerne von mir grüßen.“

„Liane! Nach unseren zwei Rendezvous glaube ich kaum, dass mir nach einer Anderen zumute sein wird.“ Ich schaue ihr traurig in ihr schönes Augenpaar.

„Abschiede sind etwas Furchtbares. Wie ein kleiner Tod, hat irgendwer mal gesagt. Komm, sei tapfer. Wir stehen jetzt beide auf.“

Wir schmiegen uns eng aneinander. Spüren jeder vom anderen so viel Körper wie nur möglich, küssen uns bis The Nile Song endet.

„Bis nächstes Jahr“, sage ich, als sie schon fast durch die Tür ist. „Ja, bis nächstes Jahr, aber noch in diesem Leben“, flüstert sie zurück.

Der Duft der indischen Nelke

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