Читать книгу Menschen, die die Welt bewegen - Nicola Vollkommer - Страница 6
[ Zum Inhaltsverzeichnis ] Kapitel 1 Die Bergpredigt und ihre Folgen
ОглавлениеSR. TERESA ZUKIC (*1964)
„Mein Vater war Fußballspieler. Ich habe sein sportliches Talent geerbt. Was man mir heute nicht mehr ansieht.“
Ein amüsiertes Raunen geht durch die Halle. So stellt sich Schwester Teresa am Anfang ihrer Vorträge meist vor. Mit Kalkül. Denn somit wird denjenigen im Publikum, die sich gefragt haben, wie um alles in der Welt eine Kirche mit einer gut gebauten Nonne mittleren Alters den Nerv der Zeit treffen will, der Wind aus den Segeln genommen.
„Tja, ich war hessische Meisterin im Schwebebalken und badische Meisterin im Siebenkampf“, fährt die katholische Schwester genüsslich fort und beobachtet mit sichtlicher Genugtuung die überraschten Blicke im Publikum – oder vielmehr die Versuche ihrer Zuhörer, diese Blicke zu überspielen.
„Aber das war vor etwa hundert Jahren!“1 Dieses Mal brechen alle in Lachen aus. Das Eis ist gebrochen, die Ohren sind gespitzt. Diese Dame hat offensichtlich eine Geschichte zu erzählen. Und was für eine.
Die neue Nummer eins
Gott betrat das Leben von Dana Zukic, wie sie mit bürgerlichem Namen heißt, zunächst als ungebetener Gast. Einen Grund, göttliche Rückendeckung für ihr Leben zu suchen, hatte sie nicht. Denn alles lief wie am Schnürchen. Ihre Mutter war zwar als Kind katholisch getauft worden, aber ihre Eltern hatten im sozialistischen Jugoslawien das Christentum nie praktiziert. Außerdem schien eine Familie, die die Kurve ganz ordentlich gekriegt hatte, Religion nicht nötig zu haben. 1964 in Kroatien geboren, kam Dana Zukic schon als kleines Kind nach Deutschland, nachdem ihr Vater als aufstrebendes Fußball-Ass mit Trophäenpotenzial entdeckt wurde. Eine gehörige Portion seines sportlichen Talents hatte er seiner Tochter tatsächlich vererbt: Vor ihr lag eine aussichtsreiche Zukunft als Profisportlerin, nachdem sie schon erste Erfolge in der Leichtathletik verbucht hatte. Daher stand eine religiöse Erfahrung an jenem Abend ganz und gar nicht auf ihrer To-do-Liste, als eine Mitschülerin aus dem Sportinternat, in dem sie ihre Schulbildung zu Ende bringen wollte, an ihre Tür klopfte.
„Willst du den Stapel durchschauen, bevor ich ihn zum Altpapier bringe, Dana?“
„Ja, gerne – leg die Bücher auf den Nachttisch!“ Ein kurzes „Dankeschön“ und „Gute Nacht“, und die junge Sportlerin legte sich schlafen. Oder zumindest versuchte sie es. Denn aus irgendeinem Grund konnte sie nicht einschlafen. Sie schaltete ihr Nachttischlämpchen an und griff wahllos nach den Büchern, die auf dem Tisch lagen. Das erste, das ihr in die Hand fiel, war eine Bibel. Sie schlug sie willkürlich auf und fand sich mitten in der Bergpredigt wieder. Es dauerte nicht lange, bis die Worte Jesu sie in ihren Bann zogen. „Gott segnet die, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott sehen“ (Matthäus 5,8).
In Danas Welt war ein Stammplatz auf dem Siegertreppchen bislang ihr einziges Lebensziel gewesen. Und jetzt drängte sich auf einmal eine andere Stimme in das Bewusstsein der jungen Sportlerin; eine Stimme, die andere Maßstäbe einforderte – Maßstäbe, die ganz und gar nicht in die geladene Wettbewerbsatmosphäre des professionellen Sports passten. Sie las von den „Armen im Geist“, denen „das Reich der Himmel“ gehört (Matthäus 5,3; ELB), den Trauernden, die getröstet werden, denen, die nach Gerechtigkeit hungern, „denn sie werden sie im Überfluss erhalten“ (Matthäus 5,6). Wenn dieses Buch recht hatte, dann waren Gottes Gewinnertypen offensichtlich andere als die, die unsere Gesellschaft auf das Podest stellt und mit Siegerehrungen überschüttet. Nicht nur Arme, Hungrige und Durstige gehören dazu, sondern auch die Sanftmütigen, die Verfolgten, die Barmherzigen, die Friedenstifter. Weiter las sie mit Staunen über „die andere Wange“, die man hinhalten soll, wenn man geschlagen wird, über die Extra-Meile, die man gehen soll (Matthäus 5,39-42).
„Ich war existenziell bewegt“, schilderte sie später das, was in ihr vor sich ging. „Gott hat mich umgekrempelt. Ich bin Christin geworden.“
Die andere Wange hinhalten
„Hierher! Schnell!“
„Bald haben wir es geschafft!“
„Und noch mal!“
Die Halle dröhnte von den aufgeregten Schreien der beiden Basketballteams. Dana Zukic schrie mit und sprang, um den Ball zu fangen und einen Treffer im Korb zu landen. Plötzlich ließ sie den Ball fallen, griff sich an den Bauch und brach zusammen. Eine Gegenspielerin hatte ihr gerade einen kräftigen Hieb versetzt, um den Treffer zu verhindern. „Foul!“, rief eine empörte Mitspielerin. Die Täterin, die Dana gestoßen hatte, war schon in weiter Ferne mit dem Ball.
Es war der Tag nach der nächtlichen Bibellektüre. Dana Zukics erste Bewährungsprobe hatte nicht lange auf sich warten lassen. Gerade wollte sie in gewohnter Weise die Gegnerin am Kragen packen, ausrasten und die gerechte Strafe einfordern. Aber bevor sie ihren Mund auftun konnte, fiel ihr die Sache mit der anderen Wange ein. Sie reagierte nicht. Ein tiefer Friede erfüllte ihr Herz, die Überzeugung wurde gefestigt, dass diese Botschaft wahr ist. Sie hatte sich unversehens und gleich am Anfang ihres Glaubens in einer geistlichen Disziplin geübt, mit der Christen auch nach Jahren oft hadern: Jesu Worte hören und ihnen gehorchen, schlicht und einfach, auch wenn dieser Gehorsam in erster Instanz nur Unglück mit sich zu bringen scheint. Es war keine religiöse Pflichtübung, sondern ein Gehorsam aus Überzeugung aufgrund des tiefen Vertrauens, das die junge Frau beim Lesen der Seligpreisungen auf Anhieb gespürt hatte.
„Existenziell bewegt“ blieb sie auch. Die kindliche Unkompliziertheit, mit der ihr Christenleben begann, sollte Dana Zukics Markenzeichen werden. Nicht theologische Information, sondern Herzensgewissheit war die treibende Kraft ihres Glaubens. Hören, glauben und umsetzen, egal was andere dazu sagen. Skeptische Analyse und Bitterkeit, die durch Lebensumstände, Enttäuschungen mit Menschen oder mit Gott selber hervorgerufen werden konnten, sollten nie Teil ihrer Agenda sein. Eine Devise, die immer wieder auf die Probe gestellt werden sollte.
„Ich bin unbelastet in das Christentum eingetreten“, reflektierte sie später den Vorteil, den sie als frisch Bekehrte ohne kirchlichen Hintergrund hatte. Sie lernte das Wort Gottes lieben, bevor ihr kirchliche Prägungen aufgedrängt wurden und bevor selbst ernannte Experten ihr erklären konnten, warum Gott in seinem Wort es doch nicht so gemeint hat, wie er es gesagt hat. „Vor lauter Begeisterung für diesen Gott erschien mir alles andere, was ich bisher getan hatte, als nichtig.“
Die Bergpredigt war für sie viel mehr als ein Verhaltenskodex. Sie war eine Lebensvision: die Liebe, Wärme und Barmherzigkeit Gottes in all ihren Facetten in eine kalte, gleichgültige Welt hinausstreuen. Das wurde zu Dana Zukics Definition von Kirche.
Sehnsucht nach Kirche für den Alltag
Als Studentin, die gerade zu Gott gefunden hatte, machte sie sich auf die Suche nach anderen Christen, die ihre Freude über Gott teilten. Ihre Suche führte sie zunächst in eine katholische Messe. Der Herkunft nach war sie ja katholisch.
„Ähnlich wie im Sportunterricht“, war ihr erster Gedanke. Sitzen, stehen, auf die Knie, dann wieder sitzen. Und dazu noch die komischen Dinge, die der Pfarrer hochhielt. Waren das Spalttabletten?
Fragen durfte man in dieser beklemmten Atmosphäre wohl nicht stellen. Alle anderen wussten offensichtlich, was hier vor sich ging. Bevor sie Zeit hatte, sich über die liturgischen Vorgänge viele Gedanken zu machen, die sich vor ihren Augen abspielten, wurden alle Gottesdienstbesucher nach vorne gerufen, um die vermeintlichen Spalttabletten von vorhin abzuholen: Es waren Oblaten. Lange, trübe Gesichter, dann wieder sitzen, knien, aufstehen. Erst nach Abschluss des gesamten Rituals entspannten sich alle und lachten.
„Und hier soll ein moderner Mensch für den christlichen Glauben gewonnen werden?“, fragte sich Dana, als sie sich kopfschüttelnd auf den Weg nach Hause machte. Mit der befreienden und froh machenden Botschaft einer Bergpredigt hatte ihre erste Begegnung mit dem kollektiven Christsein wenig gemeinsam.
Wäre sie bei ihrer kritischen Haltung der Kirche gegenüber geblieben, hätten wir vielleicht nichts mehr über Dana Zukic gehört. Den Kern der Seligpreisungen hatte sie aber rechtzeitig verinnerlicht. Man richtet den kritischen Blick eben nicht auf die anderen, sondern – entgegen jedem Instinkt der in sich selbst verliebten menschlichen Natur – auf sich selbst. Sie entdeckte schnell, dass es nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der kirchlichen Welt von Menschen wimmelt, die wissen, wie man andere Menschen schlechtmacht.
Dana Zukic beschloss, es anders zu machen. Ihre Ernüchterung über den ersten Gottesdienstbesuch belastete sie weniger als die negativen Regungen, die sie immer wieder in ihrer eigenen Seele entdeckte: Neid, Bitterkeit, Wut. Dinge, die ihr früher nicht weiter aufgefallen waren. Wer eine Kirche erneuern will, muss zuerst das eigene Herz erneuern. So beschloss sie, ihre Sportkarriere an den Nagel zu hängen und ihre Suche nach Gott in einem Kloster fortzusetzen. Sie meldete sich im Mutterhaus der Barmherzigen Schwestern in Fulda an. Später wurde dort ihr Beschluss, ihr Leben als Ordensschwester Gott und ihrer Kirche zu weihen, damit bekräftigt, dass sie einen neuen Namen bekam: aus Dana wurde Schwester Teresa. Ihre negativen Eindrücke hatten keine zynische Haltung der Resignation ausgelöst, sondern vielmehr die Entschlossenheit, die Bergpredigt nicht nur als persönliches Bekenntnis zu leben, sondern als Zeugnis für die Kirche, der sie nun ihr Leben widmete.
„Ich bekenne, dass ich diese Kirche liebe, trotz und gerade weil man an ihr oft kein gutes Haar mehr lässt“, beteuert sie bis heute. „Und es gibt für mich kein größeres Glück, als ein Kind der Kirche zu sein.“ Unzufriedenheit war für sie nie eine Option.
Raus auf die Straße
„Eure Klausur sind die Straßen der Stadt!“ Diese Aufforderung ihres Ordensgründers Vinzenz von Paul stieß in Schwester Teresa auf freudige Resonanz und stellte für ihren Lebensweg feste Weichen. Die Bergpredigt selber zu verinnerlichen und dann weiterzutragen – vor allem an die Menschen, die mit Kirche nichts anfangen konnten: Davon träumte sie. Und davon, die Kirche dadurch zu ihrer ursprünglichen, von Gott gegebenen missionarischen Bestimmung zurückzuführen.
„Es gab eine Frau, die auch so verzweifelt war wie Sie“, erzählte sie einmal einem schwer kranken Patienten im Krankenhaus, der voller Verbitterung mit seinem Schicksal haderte. „Sie warf sich vor Jesus und benetzte seine Füße mit ihren Tränen, so verzweifelt war sie. So eine Liebe gibt es tatsächlich in dieser Welt – und zwar überall dort, wo Jesus auftaucht.“
„Ich glaube Ihnen kein Wort“, erwiderte der Mann. „Mit Liebe habe ich schon vor Langem endgültig Schluss gemacht. Wer liebt schon so einen wie mich?“
„Ich beweise Ihnen, dass es so eine Liebe gibt“, konterte die unnachgiebige Schwester. Sie hob die Bettdecke am unteren Ende des Bettes sanft auf und küsste ihm zärtlich die Füße. Er brach in Tränen aus.
„Ich hatte nicht überlegt, was wohl andere darüber denken. Liebe handelt und fürchtet sich nicht“, erklärte sie später ihr ungewöhnliches Handeln. Die Schwester, die sich unter dem Vorzeichen der Barmherzigkeit bekehrt hatte und einem Orden angehörte, der die „Barmherzigen Schwestern“ hieß, ließ nun keine Möglichkeit aus, leidende Menschen diese Barmherzigkeit spüren zu lassen.
Ihre Arbeit auf „den Straßen der Stadt“ nannte sie ihre neun „Wanderjahre“. Diese Wanderjahre machten aus ihr ein Multitalent. Sie sammelte religionspädagogische Erfahrungen in Kinderheimen, im Behindertenheim, mit Jugendlichen aller gesellschaftlichen Schichten. Soziale Brennpunkte mit ihren Begleiterscheinungen der Kriminalität und der Verwahrlosung wurden zu ihrer Spezialität. Jesu Klientel – die Armen, die Trauernden, die Hungrigen und Durstigen – wurde auch Schwester Teresas Klientel. Sie ging mit Obdachlosen essen, rappte mit Kindern, plauderte mit Migranten, spielte Fußball mit Jungs in den Hinterhöfen der Innenstadt, forderte amerikanische Jugendliche zu Basketballpartien auf, besuchte Alkoholiker. Um in die Welt der jungen Generation besser eintauchen zu können, abonnierte sie die Zeitschrift „Bravo“. „Eine Schwester zum Anfassen“ wollte sie werden, den weltfremden Anstrich vieler Kirchen und Klöster abschütteln. „Wie wenig wir doch bräuchten, um diese Welt wärmer und freundlicher zu gestalten!“ Was sie ausmachte, war ein Christsein als Lebensstil, nicht als Dienstleistung. Oder in den Worten von Schwester Teresa selber: „Mein Leben ist mein Hobby!“. Das kam an.
Das Skateboard, das Schwester Teresa den Spitznamen „die Skateboard-Nonne“ bescherte, wurde nur zufällig zu einem Werkzeug ihrer Mission. Sich in den nationalen Medien als „Skateboard-Nonne“ oder gar als „Deutschlands Antwort auf Sister Act“ vorzustellen, wäre ihr nie in den Sinn gekommen. Ursprünglich war das Brett mit Rädern lediglich ein geschicktes Fortbewegungsmittel auf ihren Touren durch die Innenstädte zu den Treffpunkten der Jugendlichen. Die Möglichkeit, ohne Benzinkosten und Zeitverschwendung jeden Verkehrsstau zu umgehen, war genau das, was die Missionarin brauchte. Es war aber ein Accessoire, das sich bezahlt machen sollte. Eine gut gebaute Nonne in fließendem Gewand, die auf einem Brett durch die Straßen rast: Wer schaut da nicht hin? Es war ihre Eintrittskarte in die Herzen der Menschen und ein zuverlässiger Garant für einen Gesprächsaufhänger. Und es war ebenso ihre Eintrittskarte zu einer viel größeren Plattform.
Rein ins Rampenlicht
„Hören Sie immer so’n harten Beat?“
„Wie bitte?“ Schwester Teresa zog die Kopfhörer ab und lehnte sich zu den zwei jungen Frauen vor, die ihr im Zugabteil gegenübersaßen und schon eine Weile amüsierte Blicke gewechselt und in ihre Richtung geworfen hatten.
„‚Ne Nonne, die sich mit einem Walkman Rock’ n’ Roll reinzieht und hin und her wippt, sieht man nicht jeden Tag“, bemerkte die eine.
Die jungen Frauen kicherten.
„Guns N’ Roses“, erklärte die Ordensschwester. „Hören Sie nicht Guns N’ Roses?“ Einige Kinder, die zu ihr zu Besuch kamen, hatten ihr die Kassette ausgeliehen, damit sie die coole, rockige Musik anhören konnte, von der sie so begeistert waren. „Mich würde was ganz anderes interessieren“, warf die andere junge Frau ein. „Was halten Sie vom Zölibat? Ich meine, es ist eine ziemliche Zumutung der katholischen Kirche, finde ich, zu verlangen, dass ein Mann ohne Sex lebt. Finden Sie nicht auch?“
Und schon waren sie im Thema drin. Dass sie ohne Scheu über Sex redete, damit konnte die Schwester bei jedem Anlass sofort punkten. Vom Zölibat schwenkte Schwester Teresa zur Pille, ihrem eigenen Leben und schließlich zur üblichen Endstation: dem Leben ihrer Gesprächspartner, ihren Problemen und Nöten. Sich einer Frau zu öffnen, die solch eine Herzlichkeit ausstrahlte und diese mit einem authentischen Interesse verband, fiel den meisten nicht schwer.
„Jammerschade, gleich müssen wir aussteigen“, sagte eine der jungen Frauen mit Reue in der Stimme. „Würden Sie uns zeigen, wie Sie Stepptanz machen?“, fügte die andere hinzu. Ein vorgeführter Stepptanz in schwarz-weiß und das Versprechen, in Verbindung zu bleiben – und das Gespräch war beendet.
Was Schwester Teresa nicht wusste, war, dass eine der beiden Frauen beim Fernsehen arbeitete. So öffnete sich für die Dienerin Gottes eine Tür zu einer breiten Öffentlichkeit – direkt ins Herz der Medienwelt. Es fing mit einem Auftritt bei der Talkshow „Schreinemakers Live“ an, bei dem sie als „ein ganz gelungener Ableger vom Bodenpersonal Gottes“ vorgestellt wurde. Fünf Millionen Zuschauer wurden Zeugen ihres Stepptanzes, einer Skateboardvorführung und ihrer Standarderklärung dazu, die lautete: „Für Gott tue ich alles.“ Ihr Ruf als „skateboard fahrende Nonne“ war damit besiegelt und bot brisanten Stoff für säkulare Schlagzeilen. Zeitschriften rissen sich darum, ihre Titelseiten mit dem Bild der sportlichen Nonne zu schmücken. Eine Schleuse hatte sich geöffnet. Sie erschien auf einem Zeitschriftencover in den USA und in einer renommierten Boulevardzeitung in England – auf einer Seite neben Prinz Charles. Es gab sie zum Ausschneiden im Schnippelheft. Arabella Kiesbauer wollte sie als Gesprächspartnerin zum Thema Sex in Pro 7. Das ARD Mittagsmagazin und die Bildzeitung folgten, später noch Jörg Pilawa.
„Ansteckungsgefahr Gottes“
Darf sich ein Christ auf den öffentlichen Bühnen dieser Welt einen Namen machen? Schwester Teresa war nicht naiv. Sie war sich vor allem bewusst, dass fast alles, was über Kirche in den Medien läuft, gerne zu einer Lachnummer gemacht wird. Aber die Botschaft der Barmherzigkeit Gottes und ihr inneres Drängen, seine Liebe bekannt zu machen, waren stärker als jede Angst vor möglichen negativen Konsequenzen. Das Anliegen, Kirchenfernen zu erzählen, dass Kirche auch heute gerade für sie etwas zu bieten hat, war stärker als die Befürchtung, dass Mitchristen sie als selbstdarstellerisch und eigensüchtig wahrnehmen könnten.
„Manchmal wäre ich lieber zu Fuß gegangen“, beteuerte sie einmal, als der Moderator einer Talkshow sie schmunzelnd auf ihr Skateboard hin ansprach. „Aber Gott hat nichts mit toten Sachen und toten Leuten zu tun, er hat nichts zu schaffen mit Muff und Staub und frömmelnder Gestelztheit. Er ist Lust und Tanz, Bewegung und Musik.“
Die Sportlerin aus Leidenschaft, die als junge Frau immer auf der Gewinnerseite des Lebens stand, hatte sich nun auch öffentlich auf die Seite der Hungernden und Dürstenden, der Suchenden und Verlorenen geschlagen. Aber auch auf die Seite derer, denen es äußerlich gut ging, die aber noch nicht wussten, wie verloren sie ohne Gott waren. Und wie unendlich wertvoll sie in seinen Augen waren. Inzwischen suchten auch gut betuchte Geschäftsführer und Unternehmer ihren Rat, luden sie zu ihren Podiumsdiskussionen ein. Das Ausüben der Barmherzigkeit: die Marktlücke schlechthin, die eine träge gewordene Kirche nicht mehr ausfüllte. „Wir brauchen mehr Treue zu den Gescheiterten!“, behauptete sie vehement in ihren Interviews. Sie war im wahrsten Sinne des Wortes eine Sportlerin im Dienst des Evangeliums geworden.
„Ansteckungsgefahr Gottes!“ lautete der Titel des Rockmusicals, das Schwester Teresa für den Katholikentag 1994 in Dresden komponiert hatte und war so etwas wie ihr Lebensslogan geworden. In der jungen Generation fand sie ihr dankbarstes Publikum. Denn dieses Musical – und auch weitere, die folgten – war die perfekte Kulisse dafür, Kinder für die Liebe Jesu zu begeistern und sie zu befähigen, selber Botschafter dieser Liebe zu werden. Auch kirchenferne Jugendliche wurden eingespannt und sollten nicht nur das Gefühl bekommen, kleine Superstars zu sein, sondern eine Kirche erleben, in der man aufatmen konnte, anstatt den Atem verkrampft anhalten zu müssen. Kindergottesdienste mit dem vielsagenden Namen „Abenteuerland“ wurden gegründet. Der Traum ging nach und nach in Erfüllung: Ihre eigene froh machende Begegnung mit der Bergpredigt entwickelte sich zu einer Kultur, die sich erneuernd und beflügelnd auf ganze christliche Gemeinschaften auswirkte. Schwester Teresas Motto dazu: „Unsere Gottesdienste sollten zur schönsten Stunde in der Woche für die Kinder werden.“
Bewährungsprobe Barmherzigkeit
„Was, schon wieder ein anonymer Brief?“
Seit Tagen traute sich Schwester Teresa kaum noch ans Telefon. Dass nicht alle sich von ihrer Begeisterung anstecken lassen wollten, war sie längst gewohnt. Aber nach der Veröffentlichung ihres ersten Buches „Die kleine Nonne“ und der Gründung der „Kleinen Kommunität der Geschwister Jesu“ in Pegnitz 1994 bekam sie Anfeindungen und Widerstände jedoch eindeutig zu spüren. Nicht nur am Telefon.
„Ja, leider schon wieder ein anonymer Brief, Schwester.“
„Und was habe ich jetzt schon wieder falsch gemacht?“
„Nichts Bestimmtes. Pauschal. Wie immer.“
„Es wird wohl der übliche Grund sein“, seufzte Schwester Teresa. „Erstens bin ich eine Frau, zweitens eine dicke Frau und drittens eine erfolgreiche dicke Frau. Das ärgert immer irgendjemanden.“ Die einen ärgerten sich über ihre unkonventionelle Art, das Evangelium unter das Volk zu bringen, die anderen über die Kontakte, die sie zu andersdenkenden Christen pflegte. Manche wiederum missbilligten ihre Freundschaft zu profilierten, alles andere als kirchlich angehauchten Talkshow-Damen wie Margarethe Schreinemakers.„Intrigen, Gerüchte, Spaltungen, Eifersüchteleien, Bespitzelungen, Konkurrenz – und Machtkämpfe um Profil und Prominenz. Geht unsere Kirche an ihren Christen zugrunde?“, klagte sie verzweifelt.
Am Anfang ihres Lebens als Christ hatte sie das Geheimnis der Seligpreisungen mitten in einem Basketballspiel entdeckt und eine große Freude dabei empfunden. Jetzt schloss sich auf einmal der Kreis. Die Geschichte mit der Wange holte sie wieder ein – aber dieses Mal im Großformat. Die „Feinde“, denen sie die Wange hinhalten sollte, waren hauseigene Glaubensgeschwister. Das war hart. „Wir wehren uns nicht, wir rächen uns mit Liebe“, sagte sie ihren Mitarbeitern mit Nachdruck. „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen. In Matthäus 5,44 steht es. Da gibt es, liebe Freunde, nichts zu diskutieren. Hass vergiftet den Hassenden, nicht den Gehassten.“
Die tapferen Worte täuschten über durchwachte Nächte hinweg, in denen sie viele Tränen geweint und zu Gott um Hilfe geschrien hatte. Gottes Antwort drehte sich immer um die biblische Variante der „Rache“. Hass nicht mit Hass begegnen, sondern mit einer neuen Offensive der Liebe. Erst recht in die Welt hinausgehen. Schwester Teresas Aufforderungen an ihre Mitchristen blieben nicht bei der Theorie: „Versuchen wir doch einmal, die Menschen, die uns heute begegnen, bewusster wahrzunehmen und keinen an uns vorbeigehen zu lassen, ohne ihm durch einen warmen Blick, eine freundliche Geste oder durch ein Wort Aufmerksamkeit zu schenken.“ Einfache Prinzipien des Reiches Gottes, gelernt und beherzigt – nicht in theologischen Seminaren, sondern in der Hitze des alltäglichen Gefechts.
Die Rechnung ging auf. Die Anfeindungen blieben ein Phänomen der Anfangszeit in Pegnitz und ließen nach. Stattdessen entstanden Festivals, sie erhielt Einladungen aus ganz Deutschland zu Vorträgen, Musicalaufführungen, Fernsehauftritten, bekam Preise und veröffentliche Bücher, die in verschiedene Sprachen übersetzt wurden: Schwester Teresa erlangte eine Beliebtheit, von der die meisten Kirchenfunktionäre nur träumen können. Nicht weil sie diese suchte, sondern weil sie einem Herrn diente, der „den Demütigen Gnade schenkt“ (Jakobus 4,6).
Nicht jeder kann oder soll eine Schwester Teresa werden. Aber von ihr lernen – das kann jeder. Jeder kann auf seine eigene originelle und persönliche Art ein Zeuge für Jesus sein. Denn Gott braucht nicht in erster Linie die exotischen Bühnenpersönlichkeiten und Ausnahmetalente, um sein Reich zu bauen, sondern nur Menschen, die bereit sind, sich mit allem, was sie sind und haben, ihm zur Verfügung zu stellen.
Die Elberfelder Bibelübersetzung spricht von „Talenten“, die jedem von Jesus in einem bestimmten Maße anvertraut werden (Matthäus 25,15-30). In der Geschichte, die er erzählt, handelt es sich um Geldsummen, die im symbolischen Sinne für die Ressourcen stehen, die jedem gegeben werden. Mit diesen anvertrauten „Talenten“ sollen wir arbeiten, egal wie unbedeutend sie uns selber vorkommen. Mose hat lediglich einen Hirtenstab in der Hand, als Gott ihn ruft. In Gottes Hand wird dieser zu einem Werkzeug der Macht und Autorität. Beim Hirtenjungen David ist es eine einfache Schleuder. In Gottes Hand besiegt diese Schleuder ein ganzes feindliches Heer. Der kleine Junge im Evangelium hat nur fünf Fische und zwei Brote, aber in der Hand des Herrn speist dieses kleine Mahl eine riesige Menschenmenge. In allen diesen Geschichten geht es nicht darum, wie viel man zu bieten hat, sondern in welche Hände es anvertraut wird.
Rechnen, Zählen, Vergleichen, Kalkulieren, Mathe überhaupt: All das passt nicht so richtig in Gottes Kultur. Er haushaltet nur in einer Kategorie: verschwenderische Liebe. Überfluss. Die Vernunfttypen, die am Rande der Festlichkeiten Kopfrechnungen machen, kommen bei ihm nie gut weg – wie der ältere Sohn im Gleichnis des verlorenen Sohns (Lukas 15), der nachrechnet, wie viele Jahre er dem Vater doch unentgeltlich gedient hat. Judas, der – symbolisch gesehen – mit einem Taschenrechner in der Hand zuschaut, während Maria ein Fläschchen teures Öl an die Füße des Herrn verschwendet (Johannes 12,1-8). Die Arbeiter im Weingarten, die den ganzen Tag geschwitzt haben und nun zusehen müssen, wie die Faulenzer, die erst am Tagesende zur Arbeit antreten, mit dem gleichen Sold belohnt werden (Matthäus 18,1-20). Gnade rechnet nicht. Gnade verschenkt sich.
Tun, was uns gesagt ist
Selten habe ich als Beute eines Vortrags so viele vollgeschriebene Notizzettel mit nach Hause gebracht wie nach der Tagung mit Schwester Teresa, bei der ich einmal dabei sein konnte. Es waren nicht in erster Linie die geistlichen Gedanken, die unvergesslich waren. Viele davon waren gar nicht neu, und meine Bibel sowie die Bergpredigt kannte ich schon gut. Es war die tiefe Gewissheit, die ich danach hatte, von Gott unendlich geliebt zu sein. Biblisches Wissen hatte sich ein Stück weiter in Herzensoffenbarung verwandelt.
Dabei waren ihre Predigten in keiner Weise leichte Kost für die Seele. Mit Sprüchen wie „Sexualität und Finanzen, das sind die zwei Bereiche, in die Christen Gott nicht reinlassen“ forderte sie ihre Zuhörer unverblümt heraus, ihr Leben nach den Maßstäben Gottes auszurichten. Sie schockierte, brachte zum Lachen, überzeugte, brach Tabus. Ein Hauch der Bergpredigt durchdrang alles, was sie sagte. Als ob sie damals selber auf dem Berghang des Sees Genezareth vor den Füßen Jesu gesessen hätte. Einfache Feststellungen wie: „Wir Menschen sind Gottes größter Schatz“, wechselten sich mit bewegenden Zusprüchen ab wie „Jesus sagt am Kreuz: ‚Vergib ihnen‘, nicht: ‚Es bringt alles nichts‘“. Er liebte auch – und gerade –, wenn er nicht zurückgeliebt wurde. Er liebte ohne Garantie, dass jemals einer dafür „Danke“ sagen würde. Er schluchzte in der Nacht im dunklen Garten, stolperte durch die höhnenden Menschenmengen den Golgathahang zu seiner Hinrichtung hinauf und nahm den gesamten Ballast unserer Schuld ohne die geringste Zusicherung auf sich, dass wir die Gnade dieses Freispruchs jemals annehmen oder überhaupt einsehen würden, dass wir sie nötig hätten. Einfach, weil es seine Art war.
Unsere Art darf es auch werden.
Ein Satz von Schwester Teresas Vortrag ist in meinen Aufzeichnungen besonders dick unterstrichen: „Richte nicht, dann wirst du nicht gerichtet – wenn wir nur diesen Spruch leben, haben wir ein Leben lang was zu tun.“ Wieder die Sache mit der anderen Wange. Mit der Barmherzigkeit, die den Suchenden und den Verlierern dieser Welt, sogar unseren Feinden gilt. Darin liegt vermutlich das Geheimnis von Schwester Teresas Leben: ihr schlichter Gehorsam den Anforderungen des Evangeliums gegenüber, sodass man meinen könnte, Schwester Teresa sei in der Tat bei der Bergpredigt „dabei gewesen“.