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1. Kapitel „Im Wald hinter dem Garten“

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„Das Haus ist eine richtige Villa!“ hatten Mama und Papa Mona versprochen. Eine „Villa“ hätte Mona das Haus nie im Leben genannt, als sie nun davor stand. Das riesige Gebäude mit der schmutzig-weißen Holzverkleidung sah aus, als hätte es die Hauptrolle in einem Gruselfilm gespielt. In dem verwilderten Garten standen ein paar karge Bäume, auf denen schwarze Krähen hockten. Ein hoher Zaun aus rostigem Eisen umgab den Garten. Dahinter begann ein dunkler Wald.

Rechts und links vom Grundstück gab es keine Nachbarn. Die nächsten Häuser lagen einige hundert Meter weit weg. Das Gruselhaus lag also auch noch mitten in der Einöde, stellte Mona erschrocken fest.

Wie hatten Mama und Papa ihr das antun können? Dass sie eines Tages mit Mona aus der engen Stadtwohnung in ein eigenes Haus ziehen wollten, das stand schon lange fest. Aber Mona hatte immer gedacht, sie würden ein neues Haus in einer schönen Siedlung in einem Vorort bauen. Dass sie in diese alte, riesige Bretterbude ziehen würden, damit hätte Mona niemals gerechnet.

„Und, wie gefällt es dir, Schatz?“ fragte Mama gespannt.

Mona entschloss sich, ihrem Entsetzen Einhalt zu gebieten. Darum sagte sie: „Ich warte ab, bis ich das Haus von innen sehe.“

Aber das Innere der neuen Bleibe war auch nicht besser. Die hölzernen Treppenstufen knarrten, die Tapeten waren vergilbt, es roch nach vielen vergangenen Jahrzehnten. Als Spukhaus wäre die „Villa“ wunderbar durchgegangen.

„Sicher muss man das ein oder andere noch renovieren“, gab Mama zu. „Aber das machen wir schon. Nicht wahr?“

„Sicher“, seufzte Mona und besah sich ihr neues Zimmer. All ihre Möbel und die anderen Sachen waren bereits geliefert worden. Mona blickte aus dem Fenster. Ihr Zimmer lag auf der Rückseite des Hauses. Die Aussicht durch die milchige Fensterscheibe zeigte das wuchernde Gras und den rostigen Zaun mit den Eisenspitzen. Dahinter war der Wald, nichts als Wald. Mona blickte noch einmal genauer hin. Zwei Metallsprossen des Zaunes waren auseinander gebogen.

Ob Monas Freundinnen sie hier jemals besuchen würden? Eine geschlagene halbe Stunde brauchte der Bus aus der Stadt hierher. Mit dem Fahrrad hier rauszufahren, daran war gar nicht zu denken. Sicherlich würde Mona all ihre Freundinnen verlieren, jetzt, wo sie hier draußen im Nirgendwo leben musste.

Mona überlegte, was sie zuerst auspacken wollte. Ihre Bücher? Ihre Kleider? Vielleicht die Spiele? Zwischen den Kartons fand Mona eine lange, weiße Feder auf dem Fußboden. Sie steckte zwischen zwei Paneelen des Holzbodens. Mona nahm sie und legte sie auf die Fensterbank. Sie hatte keine Ahnung, woher die Feder stammte.

Mama und Papa hatten ihr versichert, dass sie ihr Zimmer so einrichten und einräumen durfte, wie sie wollte. Aber wenn Mona jetzt beginnen würde, sich den Raum schön zu machen, so war das wie ein Zugeständnis an den Umzug und die „Villa“. Und das wollte Mona gerade auf keinen Fall. Lieber würde sie die Gegend um das Haus herum erkunden.

Ihre Eltern waren unten in der Diele damit beschäftigt, einen Garderobenschrank aufzubauen. Als Mona mit ihrer Jacke vorbeikam, um aus der Haustür zu schlüpfen, fragte Papa: „Nanu, wo willst du hin? Hast du nicht in deinem Zimmer zu tun?“

„Doch“, druckste Mona herum, „aber ich möchte erst einmal sehen, wie es draußen aussieht.“ Dann fügte sie hinzu: „Es wird ja draußen auch schon wieder viel früher dunkel. Da habe ich noch genug Zeit, mein Zeug auszupacken.“

„Gut“, sagte Mama, „aber bleib nicht zu lange fort.“

Mona fragte sich, wie lange es her war, dass jemand das Gras im Garten gemäht hatte. Es reichte ihr fast bis über den Bauch. Mona stellte sich vor, dass sie eine Riesin war, die durch einen Wald streifte und über alle Baumkronen hinausragte. Hinter sich ließ sie eine große Furche zurück. Eigentlich fand Mona das meterhohe Gras sogar toll. Aber Mama war ein Fan von Gartenarbeit – sie würde bestimmt bald einen kurzgeschnittenen Rasen daraus machen.

Der Herbst hatte den Bäumen im Garten schon sämtliche Blätter weggenommen. Die Bäume erinnerten Mona an Gerippe. Der Wald, der sich hinter dem hohen Zaun auftat, sah ebenso kahl und nackt aus. Mona mochte den Herbst nicht. Alles war so kalt und trostlos.

Mona hatte sich den Weg durch das Gras bis hinter die Villa gebahnt. Sie blickte an der Fassade nach oben. Dort musste ihr Zimmerfenster sein. Mona ließ den Blick vom Fenster durch den Garten bis hin zum Zaun gleiten. Ihr fielen die beiden Eisenstäbe auf, die sie schon durch das Fenster gesehen hatte. Jemand hatte sie gelockert und auseinander gebogen. So war eine Öffnung entstanden, durch die man recht bequem durch den hohen Zaun schlüpfen konnte.

Neugierig kletterte Mona zwischen dem rostigen Eisen hindurch. Vor ihr ragte der Wald empor. Mona sah zwischen den hohen Baumstämmen hindurch. Wie tief diese Wälder wohl sein mochten? Sie hatte keine Vorstellung, sah nur, dass es in der Ferne zwischen den turmdicken Bäumen immer dunkler wurde.

Vorsichtig tat sie ein paar Schritte ins Gehölz. Der Herbstwind heulte leise durch die nackten Baumkronen. Krähen riefen in der Ferne. Es war ein bisschen gruselig, fand Mona, aber die Stimmung gefiel ihr. Ein wenig wollte sie diesen Wald noch erkunden.

Sie lief durch das Laub, über nasse Erde, und sprang über einen dicken Ast, den der Sturm einmal von einem Baum abgerissen hatte. Zwischendurch vergewisserte sie sich immer wieder, dass sie das Haus und den Garten nicht aus den Augen verlor, um den Rückweg zu finden.

Der Duft von verregneter Erde mischte sich mit dem Geruch von vermodertem Holz. Mona balancierte über einen am Boden liegenden Baumstamm, um nicht mit den Füßen in den Schlamm zu geraten. Da fiel ihr plötzlich etwas ins Auge. Einige hundert Meter entfernt, vielleicht war es auch näher, nahm Mona ein großes, braungrünes Gebilde wahr. Kurz dachte sie, dass es ein riesiger Haufen von aufgestapelten Ästen und Zweigen war. Aber dafür war es zu riesig. Für ein Haus war das Gebilde zu unförmig. Mona machte schnellere Schritte. Sie musste wissen, was das war. Noch einmal drehte sie sich um. Die Villa und der Garten waren schon recht weit entfernt, aber Mona konnte sie noch sehen.

Allmählich nahm das merkwürdige, große Gebilde Gestalt an. Was Mona da sah, versetzte sie in Staunen: Zwei Bäume – Mona nahm an, es waren Eichen – standen dort, nur wenige Meter voneinander entfernt. Das Merkwürdige war aber, dass sich die Baumkronen ab dem oberen Teil des Stammes einander zuneigten. Die Äste der Bäume wuchsen aufeinander zu. Dort, wo sie sich trafen, verschlangen sich die Äste und verwuchsen ineinander. Doch damit war es nicht genug: Mona besah sich die Kletterpflanzen, die zwischen den Eichen wuchsen und an den Baumstämmen hinauf rankten, sich oben in den Ästen festhielten und an anderer Stelle wieder nach unten hingen. Was sich dort bildete, sah fast so aus wie ein... Tor.

Mona kam aus dem Staunen nicht heraus. Sie blickte das „Tor“ fassungslos an. Sie war sich nicht sicher, ob das Tor ein Kunstwerk war, das die Natur aus Zufall hatte wachsen lassen oder ob das jemand mit Absicht so gepflanzt hatte. Mit zaghaften Schritten näherte sich Mona dem Tor. Sie strich einige der hängenden Kletterpflanzen zur Seite und atmete tief durch. Dann ging sie zwischen den farblosen Blättern durch den Bogen aus Baumstämmen und Geäst.

Monas Märchentor

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