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3. Kapitel „Märchen lesen“

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Als Mona ein paar Minuten später durch die Eingangstür in die Villa trat, waren Monas Eltern noch immer damit beschäftigt, den Garderobenschrank aufzubauen.

„Schon wieder im Haus?“ fragte Papa überrascht.

Statt einer Antwort sagte Mona: „Sehr weit seid ihr ja noch nicht gekommen.“

Erstaunt blickten Mama und Papa sich an. „Na, in den paar Minuten können wir auch keine Wunder vollbringen“, sagte Mama.

„In den paar Minuten?“ wiederholte Mona. „Ich war doch mindestens eine dreiviertel Stunde fort.“

Wieder schauten sich ihre Eltern verdutzt an. Papa warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Eine dreiviertel Stunde? Zehn Minuten, länger warst du nicht aus dem Haus.“

„Zehn Minuten?“ wiederholte Mona ungläubig. „Aber ich war doch—" Sie stockte. Sicherlich würden Mama und Papa ihr kein Wort davon glauben, dass sie dieses merkwürdige Tor gefunden hatte. Und schon gar nicht, dass sie Rotkäppchen getroffen hatte. Aber dass sie nur zehn Minuten lang weg gewesen sein sollte? Konnte es sein, dass Mona sich so in ihrem Zeitgefühl irrte?

„Aber du warst was?“ fragte Mama.

„Nur im Garten“, erwiderte Mona hastig. „Ich gehe jetzt meine Sachen auspacken.“

„Mach das“, sagte Mama belustigt und wandte sich mit Papa wieder dem Garderobenschrank zu.

Mona entschied sich als erstes, ihre Bücher in das große Bücherregal zu räumen. Sie hatte einen ganzen Karton, der so schwer war, dass Mona ihn nicht alleine heben konnte. Aber sie wollte ja ohnehin alle Bücher einzeln in das Regal sortieren. Was war die beste Art, die Bücher zu ordnen? Nach Größe? Nach Farbe? Oder alphabetisch?

Mona fand die Reihenfolge nach Größe am besten – so würde es später schön ordentlich aussehen. Das größte Buch, das sie besaß, war der Weltatlas – der kam als erstes ganz links in das Regal. Aber bei den anderen Büchern war es schon schwieriger. Also packte Mona erst einmal alle Bücher aus der Kiste, und legte sie auf den Fußboden.

Plötzlich fiel ihr ein Buch ins Auge: Es war das Märchenbuch. Auf dem matten Einband war ein Frosch mit einer Krone auf dem Kopf zu sehen. Schlagartig fiel ihr ihre Begegnung mit Rotkäppchen wieder ein. Mona erinnerte sich gar nicht, ob das „Rotkäppchen“-Märchen in dem alten Märchenbuch stand. Sie schlug das Buch auf und schaute im Inhaltsverzeichnis nach. Tatsächlich, unter „R“ gab es zwischen „Rapunzel“ und „Rumpelstilzchen“ auch das „Rotkäppchen“. Mona blätterte und suchte die richtige Seite raus. Dann begann sie, das Märchen zu lesen.

Es war einmal eine kleine süße Dirne, die hatte jedermann lieb, der sie nur ansah, am allerliebsten aber ihre Großmutter, die wusste gar nicht, was sie alles dem Kinde geben sollte. Einmal schenkte sie ihm ein Käppchen von rotem Samt, und weil ihm das so wohl stand, und es nichts anders mehr tragen wollte, hieß es nur das „Rotkäppchen“. Eines Tages sprach seine Mutter zu ihm: „Komm, Rotkäppchen, da hast du ein Stück Kuchen und eine Flasche Wein, bring das der Großmutter hinaus; sie ist krank und schwach und wird sich daran laben. Mach dich auf, bevor es heiß wird, und wenn du hinaus kommst, so geh hübsch sittsam und lauf nicht vom rechten Weg ab, sonst fällst du und zerbrichst das Glas und die Großmutter hat nichts. Und wenn du in ihre Stube kommst, so vergiss nicht guten Morgen zu sagen und guck nicht erst in alle Ecken herum.“

„Ich will schon alles gut machen“ sagte Rotkäppchen zur Mutter, und gab ihr die Hand darauf. Die Großmutter aber wohnte draußen im Wald, eine halbe Stunde vom Dorf. Wie nun Rotkäppchen in den Wald kam, begegnete ihm der Wolf. Rotkäppchen aber wusste nicht was das für ein böses Tier war und fürchtete sich nicht vor ihm. „Guten Tag, Rotkäppchen,“ sprach er. „Schönen Dank, Wolf.“ „Wo hinaus so früh, Rotkäppchen?“ „Zur Großmutter.“ „Was trägst du in deinem Korb?“ „Kuchen und Wein: gestern haben wir gebacken, da soll sich die kranke und schwache Großmutter etwas zu gut tun, und sich damit stärken.“ „Rotkäppchen, wo wohnt deine Großmutter?“ „Noch eine gute Viertelstunde weiter im Wald, unter den drei großen Eichbäumen, da steht ihr Haus, unten sind die Nusshecken, das wirst du ja wissen“ sagte Rotkäppchen. Der Wolf dachte bei sich „das junge zarte Ding, das ist ein fetter Bissen, der wird noch besser schmecken als die Alte: du musst es listig anfangen, damit du beide erschnappst.“ Da ging er ein Weilchen neben Rotkäppchen her, dann sprach er „Rotkäppchen, sieh einmal die schönen Blumen, die rings umher stehen, warum guckst du dich nicht um? ich glaube du hörst gar nicht, wie die Vöglein so lieblich singen? Du gehst ja für dich hin als wenn du zur Schule gingst, und ist so lustig draußen in dem Wald.“

Rotkäppchen schlug die Augen auf, und als es sah wie die Sonnenstrahlen durch die Bäume hin und her tanzten, und alles voll schöner Blumen stand, dachte es „wenn ich der Großmutter einen frischen Strauß mitbringe, der wird ihr auch Freude machen; es ist so früh am Tag, dass ich doch zu rechter Zeit ankomme,“ lief vom Wege ab in den Wald hinein und suchte Blumen. Und wenn es eine gebrochen hatte, meinte es, weiter hinaus stände eine schönere, und lief danach, und geriet immer tiefer in den Wald hinein. Der Wolf aber ging geradeswegs nach dem Haus der Großmutter, und klopfte an die Türe. „Wer ist draußen?“ „Rotkäppchen, das bringt Kuchen und Wein, mach auf.“ „Drück nur auf die Klinke,“ rief die Großmutter, „ich bin zu schwach und kann nicht aufstehen.“ Der Wolf drückte auf die Klinke, die Türe sprang auf und er ging, ohne ein Wort zu sprechen, gerade zum Bett der Großmutter und verschluckte sie. Dann tat er ihre Kleider an, setzte ihre Haube auf, legte sich in ihr Bett und zog die Vorhänge vor.

Rotkäppchen aber war nach den Blumen herum gelaufen, und als es so viel zusammen hatte, dass es keine mehr tragen konnte, fiel ihm die Großmutter wieder ein und es machte sich auf den Weg zu ihr. Es wunderte sich, dass die Türe aufstand, und wie es in die Stube trat, so kam es ihm so seltsam darin vor, dass es dachte: „Ei, du mein Gott, wie ängstlich wird mir’s heute zu Mut, und bin sonst so gerne bei der Großmutter!“ Es rief „Guten Morgen“, bekam aber keine Antwort. Darauf ging es zum Bett und zog die Vorhänge zurück: da lag die Großmutter, und hatte die Haube tief ins Gesicht gesetzt und sah so wunderlich aus. „Ei, Großmutter, was hast du für große Ohren!“ „Dass ich dich besser hören kann.“ „Ei, Großmutter, was hast du für große Augen!“ „Dass ich dich besser sehen kann.“ „Ei, Großmutter, was hast du für große Hände!“ „Dass ich dich besser packen kann.“ „Aber, Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul!“ „Dass ich dich besser fressen kann.“ Kaum hatte der Wolf das gesagt, so tat er einen Satz aus dem Bette und verschlang das arme Rotkäppchen.

Wie der Wolf sein Gelüsten gestillt hatte, legte er sich wieder ins Bett, schlief ein und fing an überlaut zu schnarchen. Der Jäger ging eben an dem Haus vorbei und dachte: „Wie die alte Frau schnarcht, du musst doch sehen, ob ihr etwas fehlt.“ Da trat er in die Stube, und wie er vor das Bette kam, so sah er dass der Wolf darin lag. „Finde ich dich hier, du alter Sünder,“ sagte er, „ich habe dich lange gesucht.“ Nun wollte er seine Büchse anlegen, da fiel ihm ein, der Wolf könnte die Großmutter gefressen haben, und sie wäre noch zu retten: schoss nicht, sondern nahm eine Schere und fing an, dem schlafenden Wolf den Bauch aufzuschneiden. Wie er ein paar Schnitte getan hatte, da sah er das rote Käppchen leuchten, und noch ein paar Schnitte, da sprang das Mädchen heraus und rief „Ach, wie war ich erschrocken, wie war’s so dunkel in dem Wolf seinem Leib!“ Und dann kam die alte Großmutter auch noch lebendig heraus und konnte kaum atmen. Rotkäppchen aber holte geschwind große Wackersteine, damit füllten sie dem Wolf den Leib, und wie er aufwachte, wollte er fortspringen, aber die Wackersteine waren so schwer, dass er gleich niedersank.

Da waren alle drei vergnügt; der Jäger ging heim, die Großmutter aß den Kuchen und trank den Wein, den Rotkäppchen gebracht hatte, und erholte sich wieder. Rotkäppchen aber dachte: „Du willst dein Lebtag nicht wieder allein vom rechten Wege ab in den Wald laufen, wenn dir es die Mutter verboten hat.“

Rotkäppchen, wie sie es im Wald kennen gelernt hatte, wirkte gar nicht so wie in der Geschichte, die Mona gerade gelesen hatte. Wie konnte es denn sein, dass das freche Mädchen aus dem Wald so leichtgläubig und dumm war, wie es im Märchen stand? Eines stand fest: Wenn es tatsächlich alles Wirklichkeit war, was Mona heute erlebt hatte, dann würde sie möglichst bald wieder das geheimnisvolle Tor im Wald aufsuchen. Und wenn sie Rotkäppchen dann wieder treffen würde, würde Mona ihr ordentlich ins Gewissen reden. Man konnte es ja nicht wissen, vielleicht brauchte sie das Märchen noch einmal – also machte Mona einen kleinen Knick in die Buchseite. Dann schlug sie das Märchenbuch zu.

Monas Märchentor

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