Читать книгу Craving Rose - Nicole Jacquelyn - Страница 6
Prolog Rose
ОглавлениеIch ließ die Männer am anderen Ende des Raums nicht aus den Augen, als ob ich es so schaffen könnte, ihm etwas von seinem Schmerz abzunehmen und in mich zu ziehen. Ich wollte schreien, dass ich genau hier war, dass ich wichtiger war, als sie ahnten, dass jetzt ich an der Reihe war. Himmel, war ich denn immer noch nicht an der Reihe? Worauf warteten sie noch? Ich ließ den Kopf gegen die Wand hinter mir sinken und biss die Zähne zusammen, um den Schrei zu unterdrücken, der sich in meiner Kehle bildete. In diesem Moment sah er auf und begegnete meinem Blick. Sie benutzten eine Zange, um einen weiteren Fingernagel von seiner rechten Hand zu reißen. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, irgendetwas.
Tu es nicht. Ich konnte die Warnung in seinen Augen deutlicher lesen, als ich seine Stimme je gehört hatte. Die Nachricht war sowohl entschieden als auch bittend, eine Mischung, die ich nie erwartet hätte, zu sehen. Seine blauen Augen waren trocken, während er mich weiterhin ansah. Ich hatte genug für uns beide geweint, aber er hatte den ganzen Tag kaum einen Laut von sich gegeben, egal, was sie taten.
Ich nickte andeutungsweise, meine Lippen zitterten. Ich befolgte seine schweigende Aufforderung. Ich würde still und leise in meiner Ecke bleiben. Es war das Einzige, was ich für ihn tun konnte.
Mein Blick wanderte über sein Gesicht, die feinen Linien um seine Augen, die sich jedes Mal vertieften, wenn er lächelte. Die dichten Augenbrauen und die sonnengebräunte Stirn, die da, wo sein Helm gesessen hatte, eine dünne Linie aufwies. Seine hohlen Wangen, die sich nie rundeten, egal wie viel Essen von der Tankstelle er mittags verdrückte, und der starke Kiefer, der so angespannt war, dass es wehtun musste. Mein Blick verharrte auf seinen Lippen, mit denen er seine Tochter so sanft geküsst hatte und die er zu mehr Gelegenheiten, als ich zählen konnte, vor Lachen weit aufgerissen hatte.
Als sich unsere Blicke wieder trafen, konnte ich ihn durch meine Tränen kaum sehen. Ich unterdrückte ein Schluchzen, und er blinzelte langsam, seine Nasenflügel blähten sich.
Ich verlor den Blick auf ihn, als der Mann, den ich in meinen Albträumen gesehen hatte, sich gemächlich zwischen uns schob. „Ich glaube nicht, dass dich jemand holen kommt“, sagte unser Geiselnehmer verächtlich und legte den Kopf auf die Seite.
Mein Magen zog sich zusammen, obwohl ich wusste, dass er unrecht hatte.
„Wenn wir nicht bald etwas hören …“ Das andere Arschloch zuckte mit den Schultern.
Er warf die blutige Zange auf den verstaubten Billardtisch. Dann gingen sie durch den Keller zur Treppe. Sie machten sich nicht die Mühe, die Tür hinter sich zu schließen. Wohin sollten wir auch? Wir waren beide gefesselt und hatten uns seit einer gefühlten Ewigkeit nicht bewegt.
„Hat er schon angerufen?“, fragte einer der Männer, dessen Stimme aus dem Erdgeschoss zu uns herunter drang. „Wenn wir nicht bald unser Geld kriegen, bin ich hier raus.“
Ich schloss die Augen und unterdrückte ein Schluchzen, als sich die Stimmen entfernten.
„Schon okay, Rosie“, keuchte er. Sein Hals spannte sich an, als er sich so weit zu mir lehnte, wie es möglich war. „Es wird alles wieder gut, Baby. Das ist nichts.“
„Deine Hand“, schluchzte ich. „Deine armen Finger.“
„Das kommt wieder in Ordnung“, sagte er. Seine Schultern strafften sich, als er an seinen Fesseln zerrte. „Gott, Baby, du musst aufhören, so zu weinen. Dir wird noch übel.“
„Tut mir leid“, flüsterte ich und hickste. Ich bekam kaum Luft.
Wir waren seit Tagen hier. Anfangs war ich so zuversichtlich, dass ich mich fast dreist verhielt. Sie schubsten uns herum, fesselten uns, und die ganze Zeit dachte ich: Wartet nur, bis mein Dad euch in die Finger kriegt. Als sie uns mitnahmen, geriet ich kurz in Panik, nahm aber an, dass es bald vorbei sein würde. Aber als die Zeit verging und die Männer, die uns entführt hatten, immer wütender wurden, begann ich, mir Sorgen zu machen. Schließlich fingen sie mit der Folter an, und ich verlor die Hoffnung, jemals wieder aus diesem Keller herauszukommen.
„Es muss dir nicht leidtun“, sagte er schmerzerfüllt und zerrte an dem Klebeband, mit dem seine Arme an die Stuhllehnen gefesselt waren. „Ich hasse, dass ich dich nicht halten kann.“
„Glaubst du, dass sie kommen?“, flüsterte ich und suchte seinen Blick. „Warum sind sie noch nicht hier?“
„Ich weiß es nicht“, sagte er seufzend und zuckte zusammen, als er auf dem Stuhl herumrückte. Seine Hand sah wie rohes Hackfleisch aus, und die Vorderseite seines Shirts war steif vor getrocknetem Blut. Ich konnte nicht sehen, wo sie ihn geschnitten hatten, aber es musste schlimm sein, wenn er so stark geblutet hatte. Ich biss mir in die Innenseite der Wange, weil Hysterie in mir aufstieg. „Casper und Hulk sind unten im Süden“, sagte er so leise, dass ich es von seinen Lippen lesen musste. „Vielleicht warten sie auf Verstärkung.“
„Das ergibt keinen Sinn“, schnaufte ich. „Ihnen fehlen nur zwei Männer. Das ist nichts.“
Er sah mich mit sanftem Blick an. „Wir wissen nicht, was das hier ist, Rose“, murmelte er. „Diese Irren könnten Teil von etwas viel Größerem sein, was wir von diesem verdammten Keller aus nicht erkennen.“
„Ich kann hier nicht mehr einfach so rumsitzen“, sagte ich, und mein Unglück verwandelte sich in Frustration. „Ich kann nicht zusehen, wie sie dir wehtun.“
„Das wirst du“, sagte er fest.
„Nein.“ Ich schüttelte wild den Kopf. „Ich kann nicht.“
„Du wirst.“
„Ich sage ihnen, wer ich …“
„Ich schwöre bei Gott“, unterbrach er mich zischend und stemmte sich so heftig gegen seine Fesseln, dass seine Hände purpurn anliefen. „Du sagst kein verdammtes Wort. Nicht ein einziges verfluchtes Wort, Rose.“
„Aber vielleicht …“
„Ich sterbe lieber, als zuzulassen, dass sie dich anrühren“, sagte er, und sein Gesicht wurde völlig ausdruckslos. „Hast du mich verstanden? Ist es das, was du willst?“
„Sag so etwas nicht.“
„Ich werde alles tun, was nötig ist, damit du sicher bist“, brachte er hervor. „Einfach alles.“
„Du würdest mich mit ihnen allein lassen?“, fragte ich, und mein Herzschlag dröhnte mir in den Ohren.
„Ich würde die Arschgesichter mitnehmen“, antwortete er ausdruckslos. „Einer von uns muss hier rauskommen. Und wenn ich wählen muss, bist es du.“
Ich schloss die Augen ganz fest und erschauderte. Alles in mir wurde still.
„Sie braucht dich.“
„Sie braucht eine Mutter“, antwortete er rau.
„Es ist nur eine Frage der Zeit“, flüsterte ich und sprach damit aus, was wir beide seit Tagen dachten. „Du weißt, dass es kommt.“ Ich öffnete die Augen und starrte in seine. „Es ist egal, ob ich den Mund halte oder nicht.“
Sein Kopf fiel zurück, als er niedergeschlagen auf dem Stuhl zusammensank. Wir wussten beide, dass sie irgendwann genug davon haben würden, zu versuchen, Informationen von ihm zu bekommen. Und dann würden sie begreifen, dass ich ein viel besseres Ziel war.
Ich starrte auf seinen Hals und erinnerte mich an die vielen Male, als ich Küsse darauf verteilt hatte. Ich war keine sonderlich anschmiegsame Frau, war es nie gewesen, aber bei ihm schien ich mich nicht zurückhalten zu können. Ich wollte ihn ständig berühren. Ich hatte Stunden damit verbracht, Muster auf jedes Stückchen seiner Haut zu küssen, das ich erreichen konnte. Ich fuhr mit den Fingerspitzen über seine Wimpern, wenn er schlief und rieb die Nase an der weichen Haut seines Ohrs, wenn wir zusammen im Bett lagen.
„Steh auf“, sagte er plötzlich und sah zum Türeingang hinüber.
„Was?“, flüsterte ich verwirrt.
„Hoch, Baby. Und sei leise, ja?“
Ich starrte ihn verständnislos an, kam aber trotzdem unbeholfen auf die Füße, wobei ich mich mit den hinter dem Rücken zusammengeklebten Händen an der Wand abstützte.
„Wie viel Spiel hast du um die Fußknöchel herum?“, fragte er leise und beobachtete, wie ich die Füße ein wenig hin und her schob.
„Nicht viel“, flüsterte ich. Ich wollte mich auf ihn zu bewegen, erstarrte aber, als er den Kopf schüttelte.
„Der Billardtisch“, sagte er und wies mit dem Kopf darauf. „So leise du kannst, Baby.“
Ich sah hinüber und mir drehte sich der Magen um, als ich begriff, was ich tun sollte. Auf der Tischkante lag die blutige Gartenschere, die der Entführer dort hingeworfen hatte, bevor er ging. Das war keine Zange. Ich drängte das Erbrochene zurück, das in meiner Kehle aufzusteigen drohte. Es war eine schwere, gebogene Schere.
Ich hielt den Atem an, schob die Füße nacheinander zentimeterweise voran und bemühte mich, nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Als ich selbstsicherer wurde, bewegte ich mich etwas schneller. Und da stolperte ich und fiel hart auf die Knie. Ich unterdrückte ein Stöhnen und atmete keuchend, bis der Schmerz nachließ.
Ich schaukelte ein paar Mal vor und zurück und versuchte, genug Schwung zu bekommen, um wieder aufzustehen. Aber es hatte keinen Sinn. Ich weigerte mich jedoch, aufzugeben und schob mich auf Knien voran. Ich war froh, dass er schwieg, während ich mich schnaufend abmühte. Ein kleines, ermutigendes Wort, und ich wäre komplett durchgedreht.
Ich brauchte Ewigkeiten, bis ich den Tisch erreichte, und als ich da war, ließ ich den Kopf gegen das breite Bein sinken. Dann drehte ich mich auf die Hüfte und nutzte jedes Quäntchen Energie, das ich noch hatte, um mich an den Tisch zu klammern und hochzuziehen.
Ich starrte entsetzt auf die Haut und das Blut, die die Schere bedeckten.
Wie sollte ich sie hochheben?
Oben polterte etwas, und ich fuhr zusammen.
„Dreh dich um und lehn dich mit dem Hintern gegen den Tisch“, erklangen ruhige Worte hinter mir. „Dann fass nach hinten und schnapp sie dir.“
Ich nickte, straffte die Schultern und wandte den Blick von dem Blut ab, bevor ich tat, was er gesagt hatte. Die Schere war glitschig, und ich ließ sie fast fallen, als ich vom Tisch wegtrat.
„Was jetzt?“, fragte ich mit rasendem Herzschlag.
„Komm zu mir.“
Ich sackte vor Erleichterung zusammen. Ich hatte ihn so lange nicht mehr berührt, und die drei Meter zwischen seinem Stuhl und meinem Platz an der Wand schienen immer mehr zu werden, je länger wir voneinander getrennt waren. Ich hasste ihn ein bisschen dafür, dass er mich gezwungen hatte, zu bleiben, wohin sie mich geschoben hatten. Aber ich liebte ihn auch dafür. Er war so entschlossen, mich zu beschützen, dass er mich nicht das Risiko eingehen ließ, da erwischt zu werden, wo ich nicht sein sollte, auch wenn wir beide darunter gelitten hätten.
Vorsichtig, um nicht zu stolpern, schob ich mich auf ihn zu. Ich ließ mir den Moment nicht dadurch verderben, wie viel schlimmer seine Verletzungen aus der Nähe aussahen, denn ich hatte schon befürchtet, in diesem Keller zu sterben, ohne ihn noch einmal berühren zu dürfen.
„Mein Liebster“, flüsterte ich tränenblind. Die Worte erklangen leise zwischen uns, als ich mich zu ihm herabbeugte. Ich benutzte diese Worte nur in den dunkelsten, stillsten Stunden der Nacht. Die Empfindung war zu intim und zerbrechlich, um damit gedankenlos um sich zu werfen. Sein Blick wurde sanfter, wie es dann immer der Fall war.
„Dir vollkommen verfallen“, erwiderte er und beugte den Kopf zurück, damit sich unsere Lippen treffen konnten.
Alles um uns herum verschwand für diesen kurzen Moment, und ich spürte, wie Hoffnung in meiner Brust aufkeimte. Vielleicht kamen wir hier raus. Vielleicht, nur vielleicht, konnten wir diesen Albtraum hinter uns lassen.
„Wir müssen uns beeilen, Baby“, sagte er, nachdem er sich von mir gelöst und den zarten Moment wie Glas zerbrochen hatte. Ich schniefte und lehnte für eine Sekunde meine Stirn an seine. Dann richtete ich mich wieder auf.
„Dreh dich um und gib mir die Schere“, sagte er, und sein Kiefer spannte sich an. „In meine rechte Hand, okay?“
„Deine Finger“, erwiderte ich rau und schüttelte den Kopf.
„Kümmere dich nicht darum“, sagte er. „Meine linke Hand ist scheiße. Es muss die rechte sein.“
Ich suchte in seinem Gesicht nach irgendeinem Anzeichen, dass er seine Meinung geändert hatte, dann drehte ich mich langsam, bis ich mit dem Rücken zu ihm stand. Ich schloss die Augen und stellte mir die Gartenschere vor, drehte sie vorsichtig in meinen Händen, bis der Griff zu ihm wies. Ich stöhnte leise, als meine Finger mit dem Blut in Berührung kamen, das die Schneiden bedeckte.
„Gut so“, flüsterte er. „Beug dich etwas zurück.“
Als er das Werkzeug fest im Griff hatte, atmete ich vor Erleichterung tief durch.
„Du musst dich herunterbeugen“, forderte er. „Ich zerschneide das Klebeband zwischen deinen Handgelenken.“
Ich tat, was er wollte und wartete schweigend, während ich den Zug am Klebeband spürte. Ich gab keinen Laut von mir, als die scharfe Spitze der Schneide sich in meine Haut bohrte und Blut meine Hand hinunterlief.
„Es tut mir leid, ich kriege sie nicht richtig zu fassen“, keuchte er. „Verflucht.“
„Mach weiter“, flüsterte ich zurück. „Hör nicht auf.“
„Werde ich nicht.“
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis meine Hände frei waren. Aber sobald ich spürte, dass der Druck nachließ, zerrte ich ganz fest. Der Schmerz in meinen zuvor tauben Armen war unerträglich, als ich sie etwas hin und her schwang. Ich drehte mich um, griff sanft nach der Schere und zog sie aus seinen geschundenen Fingern.
„Nein“, sagte er, als ich mich an dem Klebeband zu schaffen machen wollte, mit dem sein Arm an den Stuhl gefesselt war. „Mach das Band von deinen Fußknöcheln ab, bevor du noch fällst.“
Ich dachte mir nichts bei seiner Aufforderung, beugte mich hinunter und befreite meine Fußknöchel. Adrenalin rauschte durch meine Adern, während ich nach jeglichem Geräusch über uns lauschte. Es war das erste Mal, dass sie uns für längere Zeit allein ließen, und ich wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis sie zurückkamen.
„Fertig“, murmelte ich, richtete mich auf und fasste wieder nach ihm.
„Nein, Baby“, sagte er entschieden und sah mir in die Augen. „Nur du.“
„Was?“, fragte ich verwirrt. „Nein. Wovon redest du? Nein.“
„Du musst gehen.“
„Ich lasse dich nicht hier“, schnappte ich und griff wieder nach seinem Arm.
„Verdammt, Rose“, sagte er scharf. „Hör auf.“
Ich erstarrte.
„Ich gehe nicht ohne dich“, erwiderte ich.
„Du musst.“
„Nein“, sagte ich stur um den Kloß in meinem Hals herum. „Nein.“
„Du kannst mich auf keinen Fall diese Treppe hochtragen“, flüsterte er rau. „Und ich schaffe es nicht allein.“
„Warum?“ Ich sah an seinem Körper hinunter und entdeckte die tiefe Wunde in seinem linken Oberschenkel. Ich versuchte verzweifelt, mich zu erinnern, wann das passiert war, konnte es aber nicht. Er hatte keinen Laut von sich gegeben. „Oh, Gott“, keuchte ich.
„Du musst gehen, Baby.“
„Ich kann nicht.“ Mein Körper zuckte, als ich ein Schluchzen unterdrückte.
„Ich schaffe es nur hier raus, wenn du die Kavallerie holst“, sagte er. Seine Augen wurden glasig, während er mich ansah. „Aber, Baby, wenn das nicht passiert …“
„Hör auf“, brachte ich hervor und schüttelte den Kopf.
„Wenn das nicht passiert“, wiederholte er und ignorierte meinen Widerspruch, „dann reicht es mir, zu wissen, dass du in Sicherheit bist. In Ordnung? Wenn du mich liebst, dann verschwindest du so schnell du kannst von hier.“
Ich konnte nicht einmal nicken, während ich ihm in die Augen sah. Mein Herz zerbrach in Millionen Stücke.
„Sieh nicht zurück, Rose“, presste er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Halt nicht an, bis du hinter dem Tor bist.“
„Ich liebe dich“, flüsterte ich.
„Das weiß ich“, antwortete er. „Und darum musst du hier raus. Jetzt, Rosie. Bevor sie zurückkommen.“
Ein Gefühl der Ruhe überkam mich. Ich wusste mit absoluter Sicherheit, wenn ich nicht sofort ginge, würde ich es niemals tun. Ich würde bei ihm bleiben und den Dingen einfach ihren Lauf lassen.
„Ich komme mit der Kavallerie zurück“, flüsterte ich und küsste ihn sanft. „Halt einfach durch, bis wir zu dir kommen.“
„Ich liebe dich“, erwiderte er. „Jetzt geh.“
Ich stolperte ein paar Schritte zurück, den Blick noch immer auf ihn gerichtet. Dann, bevor ich meine Meinung ändern konnte, wirbelte ich herum und lief zur Treppe. Ich sah nicht zurück. Ich konnte nicht.
Die Holztreppe war stabil und machte keine Geräusche, als ich schnell ins Erdgeschoss des Hauses lief. Als ich auf der obersten Stufe ankam, umklammerte ich die Gartenschere in meiner Hand und spähte um die Ecke in die leere Küche. Ich entdeckte nur wenige Meter von mir entfernt eine Tür nach draußen.
Ein Schweißtropfen rollte meinen Rücken hinunter, als ich auf die Tür zu schlich. Eine Spitzengardine bedeckte die obere Hälfte des Fensters, und ich konnte gerade noch die Umrisse eines blauen Autos auf der Zufahrt erkennen. Ich öffnete die Tür behutsam, wobei ich den Knauf so langsam drehte, dass ich ein kleines Klicken spürte, als der Riegel sich löste.
Sobald ich auf die Terrasse trat, gefror alles in mir. Es fühlte sich an, als würde alles in Zeitlupe ablaufen. Der Kerl, der auf den Verandastufen gesessen und eine Zigarette geraucht hatte, griff nach meinem Bein. Und ich riss die Gartenschere hoch und stieß sie in sein rechtes Auge.
Es war das Widerlichste, was ich je in meinem Leben gesehen hatte, und ich schrie fast, als er nach der Schere griff und versuchte, sie aus seinem Gesicht zu ziehen. Stattdessen sprang ich von der Veranda und rannte zum Auto.
Die Türen waren nicht verschlossen, und ich stieg ein. In dem Moment fiel der Kerl mit einem dumpfen Schlag auf die Veranda. Ich hatte wahrscheinlich nur wenige Sekunden, bevor der andere Mann aus dem Haus kommen würde. Ich betätigte die automatische Verriegelung und machte mich ans Werk.
Mit dem motorischen Gedächtnis ist es merkwürdig. Wenn man es braucht, weiß man verflucht noch mal nicht, was man tun soll. Aber wenn man nicht darüber nachdenkt, was man tut, führt dein Körper einfach die Bewegungen durch, die er schon tausend Mal gemacht hat. Das passierte, als ich meinen Fuß aufs Gaspedal setzte, an dem Plastik unter dem Lenkrad zerrte und die Kabel darunter hervor riss. Als ich die Gruppe gefunden hatte, die ich brauchte, benutzte ich in wilder Verzweiflung die Zähne, um die Drähte für Zündung und Batterie freizulegen. Dann verdrehte ich sie miteinander.
Ich sah erschrocken auf, als der zweite Mann aus dem Haus kam und schrie, aber meine Hände machten keine Pause. Ich rieb den Batteriedraht an dem für den Motorstarter, trat aufs Gaspedal und startete das Auto. Ich legte den Rückwärtsgang ein und schrie, als der Mann nach meinem Türgriff langte.
Ich drückte in dem Moment das Gaspedal durch, als er die Hand hob und ich die auf mein Gesicht gerichtete Waffe sah. Ich duckte mich, so weit es ging und schob die Gangschaltung auf Drive. Kies flog, als ich mit durchdrehenden Reifen losraste. Ich jagte die lange, mit Kies bestreute Zufahrt hinunter und hielt den Kopf gesenkt, als ich auf die Hauptstraße raste.
Ich schluchzte vor Erleichterung, als ich das Stück verlassenen Highways erkannte. Wenn ich rechts abbog, war ich nur noch ein paar Meilen von dem kleinen Teich entfernt, wo wir schwimmen gingen, seit wir Kinder waren. Wenn ich nach links abbog, würde ich direkt zum Clubhaus kommen.
Ich kannte diese Straßen. Ich hatte auf ihnen fahren gelernt. Ich drückte das Gaspedal ganz durch und verringerte die Geschwindigkeit kaum, als ich um die erste Ecke bog. Die Reifen quietschten, als ich das Auto geraderichtete, aber ich wurde nicht langsamer.
Meine Hände rutschten über das Lenkrad. Sie waren glitschig von dem Blut, das meinen Arm herunterlief. Ich blinzelte gegen den Schweiß und die Tränen an, die in meinen Augen brannten. Ich beugte mich vor und nahm die nächste Kurve zu schnell, trat aber trotzdem nicht auf die Bremse. Ich schleuderte etwas, fuhr dennoch weiter. Ich sah nach beiden Seiten und überfuhr erst ein Stoppschild, dann ein weiteres.
„Oh, Gott“, betete ich und wünschte mir, dass das Auto schneller fahren könnte. „Bitte. Bitte.“
Jede Sekunde, die es dauerte, zum Anwesen zu kommen, war pure Qual, und als ich die vertraute Abzweigung und das Tor sah, das die Zufahrt versperrte, schluchzte ich vor Erleichterung. Ich war fast da.
Ich glitt auf den Kiesweg und sah die Anwärter, die das Tor bewachten, kaum an, bevor ich durch es hindurchbrach. Der große Riegel krachte auf die Windschutzscheibe, als das ganze Tor gegen das Auto flog. Es blieb einen Moment hängen, bevor es vom Auto gerissen wurde. Innerhalb von Sekunden war ich auf dem Vorhof, stellte die Gangschaltung auf Parken und fiel aus dem Auto.
„Was zur Hölle?“, schrie jemand, und eine Welle von Männern flutete auf mich zu.
„Rose?“, schrie mein Vater mit dröhnender Stimme und rannte auf mich zu. „Gott sei Dank!“
„Daddy!“, rief ich und stolperte auf ihn zu.
„Ich habe dich“, sagte er, als er mich erreichte und mich eng an sich zog. „Es ist alles in Ordnung. Ich habe dich.“
„Ich habe ihn dagelassen“, schluchzte ich. Das Gewicht dieser Wahrheit war so schwer, dass ich es kaum ertragen konnte. „Wir müssen zurück. Wir müssen jetzt fahren.“