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Hausbau auf Wildnisart

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Tagish Lake, Mitte August 2005.

Müde tappte ich aus dem Zelt in die Dämmerung hinaus, ganz leise, um Chris nicht zu wecken. Die Hunde, die an ihren Leinen schliefen, damit sie bei mitternächtlichen Geräuschen nicht aus dem Zelt rannten, kuschelten ihre Nasen tiefer unter die Ruten.

Ein kühler Lufthauch umstrich meine nackte Haut, als ich mich einige Meter entfernt zum Pinkeln hinhockte. Zum ersten Mal seit Monaten war es nachts dunkel genug, dass ich Sterne am Himmel funkeln sah. Meine halbgeschlossenen Augen wanderten vom Himmel zu den ersten gelben Weidenblättern – Herbst. Und hinter dem Weidenbusch … ein unförmiger Schatten, der dort nicht hingehörte.

Plötzlich waren meine Augen riesengroß und ich hellwach. Keine zehn Meter von mir entfernt bewegte sich das dunkle Ding – ein Bär!


Erste Begegnung mit einem Bärennachbarn

„Oh, Mist“, flüsterte ich, konnte aber nicht zu pinkeln aufhören. Wie hypnotisiert starrte ich den Schwarzbären an, der mich ebenso gebannt beobachtete. Mein Herzschlag klopfte in meiner Kehle.

„Ich bin ein Mensch“, wisperte ich eindringlich. Das Tier hatte wohl noch nie einen nackten Zweibeiner gesehen, der wasserlassend vor ihm auf der Erde kauerte.

Plötzlich zuckte der Bär zusammen und sprang mit einem gewaltigen Satz in die Büsche, wo ihn sofort die Dämmerung verschluckte. Ich stand auf, froh, dass er das Weite gesucht hatte, aber ich hatte mich zu früh gefreut: Das Laub raschelte, und prompt war der Schwarzbär wieder da. Er richtete sich halb auf und witterte, konnte sich anscheinend keinen Reim auf mich machen. Mein Pulsschlag jagte noch immer in meinen Ohren, dabei waren es doch nur ein paar Meter bis zum Zelt, und das Tier war offensichtlich ganz verdattert. Bedrohlich verhielt sich der Bär nicht. Alles in Ordnung, beruhigte ich mich.

„Buh“, sagte ich und wandte mich zurück zu den Hunden, Chris und dem millimeterdünnen Zeltstoff, der uns vom Geschehen im Gesträuch trennte. Es krachte, und ohne Rücksicht auf Verluste rannte der Bär durchs Gebüsch davon, fort von mir, unter Ästeknacken und -geprassel nichts wie den Hügel hinunter in Richtung See, auf der Flucht vor dem blasshäutigen Zweibeingespenst. Chris' verschlafene Stimme tönte aus dem Zelt und die Hunde schlugen an, wie sie es fast jede Nacht in der letzten Woche getan hatten. Nun wusste ich, warum.

„Alles okay“, rief ich. Meine Haut prickelte vor Aufregung. Ich begann zu zittern, nicht nur vor Erleichterung. Es gab sie also doch, die Wildtiere! Wir hatten sie nicht alle verscheucht. Lebensfreude und Glück durchströmten mich; eine wilde Freude darüber, dass ich hier war, mit meinem Freund, unseren Hunden und einem halbfertigen Blockhaus mitten im herbstlichen Wald, wo man in der Dämmerung Zwiesprache mit einem Bären halten konnte.

„Verdammt noch mal!“ Missmutig setzte ich die Kettensäge ab und betrachtete die Nut, die ich aus dem Stammende herausgesägt hatte. Wie üblich war sie schief geraten. Ich sah zu Frank hinüber, der konzentriert vor seinem Stamm kniete und langsam mit Bleistift anzeichnete, wo er die Säge ansetzen musste.


Unser Nut- und Fugensystem

„Bei mir wird das nie was“, bekannte ich. Wenn ich wenigstens wüsste, was ich verkehrt machte. Es schien, als ob bei identischer Vorgehensweise Franks Stämme jedes Mal gelangen, während meine selbst mit Nachsägen nie so richtig passten. Chris hatte ebenfalls kein Händchen und keine Geduld für die akribische Nut-und-Fugen-Arbeit: Er sägte mit der Alaskan Mill, einem Aufsatz für die Kettensäge, den ganzen Tag lang die Stämme zurecht, sodass sie zwei flache Seiten zum Aufeinanderliegen hatten. In Akkordarbeit stellte er die Dutzende von Brettern her, die wir nicht nur für als Fußbodenbohlen, sondern auch für Fenster- und Türrahmen sowie Dachgebälk benötigten. Eine staubige, laute Arbeit, um die wir ihn nicht beneideten.

Frank zuckte die Achseln. „Schau dir doch das Werkzeug an, mit dem wir arbeiten! Das kann ja nur ungenau werden.“

„Bei mir auf jeden Fall.“ Ich schleppte das bereits geschälte Stämmchen zum Bau, wo sich die Blockhauswände inzwischen in den Himmel reckten. Isolierendes Moos hing zwischen den Stämmen heraus, und an der Südseite gähnten die beiden großen Fensteröffnungen.

Ich schob den Stamm auf die halbfertige Ostwand. Mit einem Ende steckten die waagerechten Stämme bereits in der Fuge des Stützpfeilers, während der zweite Stützpfeiler noch nicht gesetzt war: Unsere Lösung des Problems mit den waagerechten Stämmen. Erst wenn die Wand ganz in die Höhe gezogen war, schoben wir den zweiten Stützpfeiler heran und nagelten ihn an den Fußbodenbohlen fest. So konnten wir die waagerechten Stämme einfach aufeinanderstapeln, statt sie von ganz oben zwischen die Pfeiler hineinhebeln zu müssen.

Ich richtete den zweiten Stützpfeiler auf und schob ihn probeweise gegen das Wandende um zu prüfen, dass auch alle Nuten in der Fuge verschwanden. Die von mir gesägte war zu lang geraten und sah nicht schön aus, aber zumindest passte es.

Chris warf einen weiteren zweiseitig zugesägten Stamm, der eine Nutbehandlung brauchte, vor der Baustelle auf den Boden und wischte sich mit dem Arm über die von Sägemehl gepuderte Stirn und Ohren. „Die Blackflies machen mich noch wahnsinnig!“

„Zeig mal.“ Tatsächlich, rote Punkte tüpfelten seine Haut, wo die blutsaugenden Fliegen zugebissen hatten. „Das Insektenmittel ist hinten beim Werkzeug. Soll ich mal sägen?“ Keine verlockende Vorstellung, auch wenn es eine Abwechslung von der Nutsägerei wäre.


Die Bauarbeiten schreiten voran

Er beugte sich vor und gab mir einen staubigen Kuss, der nach Benzin schmeckte. „Ach, es geht schon. Bald können wir mit dem oberen Stockwerk anfangen!“

„Dann müssen wir uns zur Belohnung aber einen extra Tag freinehmen“, schlug ich vor. „Das muss doch echt drin sein – wir schuften sechs Tage die Woche, und der freie Tag geht immer mit so Sachen wie Brot backen oder Wäsche waschen drauf!“


Chris, gut eingehüllt gegen Mücken und Blackflies

„Oder mit Trips nach Atlin.“ Von Nägeln über Fenster bis hin zu den OSB-Platten für den Fußboden und den Metalldachpaneelen kam dank Chris und seiner winterlichen Flussbegehung alles heil mit dem Jetboot bei uns an. „Ja, dann machen wir einen Tag frei. Aber jetzt weiter, damit wir die Hütte vorm Winter noch fertigkriegen!“

Seufzend kniete ich mich vor den nächsten Stamm, um wieder eine Nut zu sägen. Immerhin lockte der freie Tag in nicht allzu weiter Ferne.

Die Hunde rannten aufgeregt vor Chris und mir her, konnten ihr Glück kaum fassen: Ein Spaziergang! Keine kurze Runde ums Grundstück mit Abstecher in die Bootsbucht wie in den letzten Wochen, sondern eine echte Exkursion in den noch immer unbekannten Wald. Weg- und steglos, wie die Wildnis war, ging es in einer Art Hürdenlauf unter, über und mitten durch das Gesträuch.

Unser Urlaubstag fühlte sich an, als würden wir schwänzen – fast hatte ich ein schlechtes Gewissen, endlich einmal allein mit Chris und den Hunden unterwegs zu sein. Wo wir hingingen, war mir egal; ich wollte nur das Gefühl auskosten, mit Chris durch die Gegend zu streifen, die uns irgendwann ein Zuhause sein würde. Meine Gedanken drehten sich immer noch um die praktischen Fragen des Wildnislebens.


Silas kann sich für die Bauarbeiten nicht begeistern

Ich tastete nach dem Bärenspray an meinem Gürtel, das ähnlich wie Pfefferspray wirkt, aber entsprechend stark für Bären dosiert ist. „Meinst du, wir müssen uns richtige Pfade durch den Wald anlegen?“

Chris duckte sich unter einem umgestürzten Baum hindurch. „Keine Ahnung. Vielleicht finden wir mit der Zeit ja Wildwechsel, die wir nutzen können … wenn wir endlich Zeit haben! Ich würde auch so gerne noch einen Elch schießen, sonst haben wir nur die paar Gläser Einmachfleisch.“

Ich rümpfte die Nase. „Die reichen schon bis zur nächsten Jagdsaison. So das Geschmackserlebnis ist das nicht … riecht wie Hundefutter aus der Dose, wenn man ein Glas aufmacht.“


Weideröschen

„Vielleicht müssen wir es das nächste Mal schon gleich beim Einkochen würzen oder die Soße machen“, schlug Chris vor. „Und wir können ja auch immer einen Teil Elchfleisch in Atlin in meiner Gefriertruhe bunkern.“

„Aber wenn wir mit dem Bauen fertig sind, musst du ja nicht mehr so viel hin und her fahren, oder? Dann kämen wir an deine Gefriertruhe nicht so oft ran.“

Eine winzige Wiese mit wilden Himbeerbüschen tauchte vor uns auf. Der See, an dem wir uns orientierten, glitzerte durch die grünen Bäume. Nur hie und da warnten ein paar Zweige mit frühem Herbstlaub davor, dass der Winter und das Ende der Bausaison nahten. Vom Wasser hallte der geisterhafte Ruf eines Eistauchers zu uns empor.

Chris pflückte ein paar Beeren und steckte mir eine in den Mund. Sie zerplatzte herrlich süß und fruchtig auf meiner Zunge. „Kommt drauf an, wie sich unsere Jugendherberge und Survivalkurse entwickeln.“

Ich kniete mich neben ihn. Wilde Himbeeren! Koyah und Silas schnüffelten interessiert am Busch und begannen mit spitzen Lippen, die besten Beeren zu pflücken. „Nee, sucht euch woanders was“, protestierte ich. Wenigstens betrieb Blizzard, mein blonder Wald- und Wiesenmischling, keinen Mundraub: Hechelnd hatte er sich in den Schatten gelegt. „Wir müssen uns auch bald entscheiden, wie die Leute bei uns überhaupt buchen können.“

„Satellitentelefon oder Funktelefon“, sagte Chris. „Oder Satelliteninternet.“

„Tja, nur was davon?“ Für diesen Sommer und Winter hatten wir nur ein Funkgerät. Telefonisch erreichen konnte uns niemand, und wenn wir ein Problem hatten, würden wir erst per Funk jemanden erreichen müssen, der für uns telefonierte. Auf die Dauer war das kein Zustand.

„Ich bin ja für Satelliteninternet“, meinte Chris und legte sich auf den Rücken. Koyah nutzte sofort die Gelegenheit, ihm quer übers Gesicht zu lecken – er war ein begeisterter Küsser und hatte die schnellste Zunge des Nordens. „Bäh! Geh!“

„Mit Internet in der Wildnis … “ Ich seufzte.

„Ich weiß“, grinste Chris und streichelte mir über den Arm. „Das passt irgendwie nicht und braucht Strom, aber das hier wird doch unser permanentes Zuhause. Funkgerät und Rauchzeichen sind nichts für immer.“

„Dann müssten wir den Generator ja noch mehr laufen lassen“, schmollte ich. Wie sehr hatten wir uns darüber gestritten, einen Stromgenerator anzuschaffen! Ohne Strom könnten wir nicht bauen, hatte Chris behauptet. Wie sonst sollten wir eine Kreissäge und einen Bohrer beim Blockhausbauen benutzen?

Geht auch alles mit der Kettensäge oder per Hand, hatte ich entgegnet. Die Menschheit hat es schließlich ohne Stromgeneratoren geschafft, den gesamten Planeten zu besiedeln. Auch in meinem Bergtal außerhalb von Atlin war es stromlos, still und friedlich gewesen, bis noch zwei Haushalte dazukamen und das elende Gebrumme ihrer Stromgeneratoren das Tal erfüllte. Ich verstand nicht, wie man so abgelegen wohnen wollte, sich aber nicht vom Stromkonsum abnabeln konnte.

Ich hatte dort ohne Elektrizitätsversorgung gebaut und mich auch zuvor in Atlin so arrangiert, dass ich zu Hause für nichts Strom brauchte. Öllampen gaben mir Licht, ich heizte mit Holz, Wasser holte ich mir in Eimern vom Bach, kochte auf Propanflammen und hatte ein Plumpsklo. Den größten Teil des Jahres hielten sich Lebensmittel draußen und sogar auch drinnen in einer kühlen Ecke des Hauses frisch. Im Sommer ging ich einfach öfter einkaufen und benutzte im Ort das Telefon, Internet und den Waschsalon. Einen Verzicht oder Entbehrungen spürte ich dabei nicht, nur ein großes Gefühl der Freiheit.

Ich hatte es für selbstverständlich gehalten, dass das Leben mit Chris in der Wildnis ebenso einfach sein würde, auf die elementarsten Dinge beschränkt. Falsch gedacht.


Blizzard, Silas, Koyah und Nicole

„Du bist da wirklich extrem“, meinte Chris. „Und du kannst hier draußen mit mir zusammen nun mal nicht haargenau so leben wie allein in Atlin.“ Ich stopfte mir noch eine Himbeere in den Mund. Nicht schon wieder streiten! Unser Baualltag war schon stressig genug.

„Du hast in Atlin ja deinen Strombedarf im Ort gedeckt“, fuhr Chris unbeirrt fort. „Ganz darauf verzichtet hattest du doch nicht. Und hier können wir nicht mehr zum Telefonieren kurz mal ins Dorf fahren.“

„Das weiß ich ja.“

„Mit einer Solarzelle bräuchten wir den Generator zumindest im Sommer bestimmt nicht oft laufen lassen. Die Funktelefone sollen ja abgeschafft werden, und billiger und vielseitiger als ein Satellitentelefon ist Internet auf jeden Fall“, sagte Chris. „Wenn wir Internet hätten, wären nicht nur die Reservierungen kein Problem, sondern die Leute könnten auch über PayPal bezahlen. Durch Skype hätten wir sogar eine Telefonverbindung.“


Der Herbst naht

„Hm.“

„Und über E-Mail könnten wir leicht Kontakt zu unseren Freunden und Familien halten.“

„Ach, ich weiß nicht … “ Seufzend befingerte ich die Schwielen an meinen Händen. Sah so das moderne Wildnisleben aus? Mit Satellitenschüssel und Generator im Wald? „Aber erst muss das Haus überhaupt mal fertig werden.“

Ein Blockhaus in der Einsamkeit

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