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5 Haupt unter Dornen

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Das Buch des Dornenkönigs Yareth

von Caelen aep Ban-Caervael

Die Sammlung verlorener Schriften der Aensidhe

Vorwort

Auf meiner Suche nach verloren geglaubten Schriften der Völker des Alten Blutes war ich vor einigen Jahren in der Gestalt der Schreiberin Leandea auch ins verborgene Reich der letzten Waldelfen gekommen. Die reinblütigen Elfenrassen waren eine der letzten, die mein wahres Wesen erkannten und ehrten. Sie wussten, dass ich nicht nur in der Gestalt der Erdgöttin Gaea auftrat, sondern jegliche Lebensform annehmen konnte.

Caelen, seinerzeit Kämmerer des Locthars Yareth aep Ban-Caervael, legte mir höchstpersönlich sein selbsterfasstes Werk in die Hände. Er hatte die schmerzvollen Ereignisse niedergeschrieben, als sein geliebter Herrscher von einer zweiten Seele besessen worden war und zum Spielball eines vergessenen Gottes wurde. In schlaflosen Nächten erzählte ihm der Dornenkönig sein Leid und Caelen bannte diese Worte auf Pergamentrollen. Dieses Skript liegt nun neben mir auf dem Tisch und ich fertige davon eine Abschrift, um diese Kapitel in meiner Razer-Chronik unterzubringen - da sie die einzige Quelle waren, in der die Jugend des letzten großartigen Eiswolfes geschrieben steht. (Der Vollständigkeit halber lasse ich keines der Kapitel weg, auch wenn nur in zwei Teilen Razer persönlich erscheint. Denn der, der nach Wissen sucht, soll ruhig mehr über die Vergangenheit der Königreiche und die Dinge, die im Verborgenen geschehen sind, erfahren.)

Eines sei noch erwähnt: So wie mein uralter Erzfeind Therein in die Geschickte von Yareth eingriff, so habe auch ich hier meine Finger im Spiel des Lebens gehabt.

Den sexuellen Drang, den die Heilerin Vyctorea mit dem Soldaten Lancelt verspürte - diesen Impuls gab ich ihr ein. Obgleich Zauberinnen und Magier steril waren, schenkte ich dieser magisch begabten zierlichen Frau diese Gabe, auch wenn sie darüber weniger erfreut schien. Wie sonst erklärt sich, dass sie den süßen kleinen Jungen einsam seinem Schicksal überlassen hatte? Na ja, ich darf über ihre Beweggründe nicht richten, ich habe selbst mein eigenes Kind der Bruderschaft überantwortet.

Doch gab es ein kleines Geheimnis um den wahren Vater von Razer: er war nicht nur ein kleiner Hauptmann in einer Armee, die eine Reichsgrenze sichern musste und dabei sein Leben ließ, er wurde in der besagten Nacht, als Razer gezeugt wurde, vom Gott Daen beherrscht und so floss göttliches Blut in den Jungen, wie seinerzeit es auch bei Caladir geschehen war. Hatte ich bei meinem eigenen Sohn versagt, so wollte ich mir weiterhin einen Helden erschaffen, der in dieser Welt einzigartig sein sollte.

Handelte ich aus Eigennutz oder strebte ich höhere Ziele an? Und so mancher Schachzug von mir, mag in anderen Augen grausam und niederträchtig erscheinen.

Archivarin Leandea, Kloster der Gaea in Erryander

spätes Frühjahr 1252 n. G. D.

I Der Schrein des vergessenen Gottes

Die Menschen erhoben sich über das weite Land, teilten es in unterschiedliche Königreiche und setzten gekrönte grausame Herrscher auf protzige Throne. Auf den Ruinen der einst prächtigen Elfenstädten entstanden neue Siedlungen voller Trubel, Abfall und Lasterhaftigkeit. Irgendwo focht immer irgendwer Krieg gegen seinen Nachbarn und der Skrupelloseste ging meist als Sieger einher.

Irgendwann kehrten die meisten Elfen in die Städte zurück. Ausgezerrt von ihrem Stolz und Edelmut sperrte man sie in Ghettos. Behandelte man die einst erhabenen Aensidhe wie herrenlose Hunde, denen man in einer urinverseuchten Gasse einen Fußtritt verpasste. Die Spitzohren wurden geduldet, manche Menschen vermischten sich sogar mit ihnen und das einst machtvolle Alte Blut verdünnte sich immer weiter.

Vieles geriet in Vergessenheit oder wurde nur noch in romantischen Liedern fehlinterpretiert. Tausend Jahre gingen ins Land, in denen die Dekadenz der Menschen auf alles einen verschlingenden Schatten warf, dass einst voller anmutiger Magie gewesen war. Selbst die langlebigsten Wesen vergaßen irgendwann und vergingen unbemerkt.

Herzog Roderick war ein kleiner Mann mit breiten Muskeln, das ihm eher das Aussehen eines zu großgeratenen Zwergs verlieh. Sein buschiger, graumelierter Vollbart tat sein übriges. Er herrschte über das kleine Land Castros, das nördlich des Tawardorn - dem Dryadenwald - lag und seine vorwitzige Spitze ins Meer hinein streckte. Weil er nicht sonderlich beeindruckend aussah und nur ein kleines Reich besaß, hatte sich das Herz des Herzogs zu einem grausamen Tyrannen gewandelt, der seine autonome Macht gerne an den Schwachen und Armen seines Landes ausließ.

Roderick neigte zu harten Strafen für schon kleinste Vergehen und er war dem Weiberschoß in jeglicher Form zugetan. So kam es, dass seine Leibgarde auf einer Jagd nahe dem Tawardorn eine vermeintliche Dryade einfingen, die sich jedoch als blonde Elfin herausstellte.

Indrail war schwerverletzt und ohne Gedächtnis von den Waldnymphen gefunden und geheilt worden. Eines Tages verlor sie den Anschluss an ihre Jagdtruppe und irrte drei Tage durstend durch den Wald, bevor sie hinausfand und unerwartet zur Jagdbeute des Herzogs von Castros wurde. Da Indrail aber eine magere, blonde Schönheit war und Roderick ein besonderes Faible für Elfinnen hatte, nahm er die verwirrte Frau mit sich in die Hauptstadt.

Eine Zeitlang wurde die Elfin zu seiner Bettgespielin, bis sie schwanger wurde und Roderick allmählich das Interesse an ihr verlor.

Man schrieb inzwischen das Jahr 1.109 n. G. D., als der Herzog von Castros wieder einmal mit einer speichelleckenden Gesellschaft für einige Tage zur Jagd ritt, wanderte Indrail, die kurz vor ihrer Niederkunft stand, suchend durch die weiten Flure der Regentenburg in Aedd-Castros. Die Elfin wusste nicht, was sie antrieb und wonach sie überhaupt suchte, aber der innere Zwang die Schritte immer schneller werden zu lassen, konnte sie nicht abschütteln.

Der Nachmittag war vorangeschritten und neigte sich dem Abend zu. Einige höfliche Dienerinnen hatten die Hochschwangere angehalten und nach ihren Wünschen befragt. Aber Indrail hatte sie abgeschüttelt, Unverständliches auf elfisch gemurmelt.

Plötzlich durchstach sie ein rasender Schmerz im Bauch, der so unerwartet und heftig war, dass sie strauchelte. Zu allem Unglück stand sie oberhalb einer steinernen Treppe, verfehlte eine Stufe und stürzte hinab. Die Elfin wollte sich noch mit den Händen abfangen, doch ihr zartes Handgelenk brach unter der harten Steinkante. Ihr feingliedriger, hochgewachsener Körper überschlug sich mehrmals und sie rollte schreiend die Stufen hinab. Wimmernd blieb sie am Fuße auf den kalten Steinfließen liegen.

Vom Ende des Flurs hatte ein Wachsoldat ihren Sturz bemerkt und eilte bereits herbei. Indrail hielt sich den Unterleib, aller Schmerz schien sich in ihrem Innern auf ihr Kind zu konzentrieren. "Mein Baby", rief sie verzweifelt und der Soldat rannte Hilfe holend den Korridor zurück.

Nach kurzer Zeit eilten Diener herbei und eine Hofdame ließ nach dem Zauberer und einer Heilerin rufen. Sie trugen die Elfin in ihr Gemach - einem kleinen Zimmer in der Burgkemenate von Rodericks achtköpfigem Harem. Äußerlich konnten nur Prellungen, Abschürfungen und ein gebrochenes Handgelenk diagnostiziert werden. Der stets griesgrämige Hofzauberer Dermund und die junge Brünette Heilerin Alisan aus der Stadt kümmerten sich bald um die jammernde Frau.

"Das Kind lebt noch und sie hat keine inneren Blutungen", maulte der Zauberer und wusch sich die bleichen Hände in einer Schüssel. Er machte keinen Hehl daraus, dass er die andersartigen Frauen seines Königs missachtete. "Jetzt wo ihr da seid, Frau Alisan, könnt ihr euch um sie kümmern."

Die hübsche Heilerin warf Dermund einen verächtlichen Blick aus grünbraunen Augen hinterher, als der blasse zauberkundige Kollege das Zimmer eilends verließ. Vergrab dich weiter in deine Bücher, dachte Alisan und beugte sich fürsorglich über die jammernde Elfin. Mit warmen Händen tastete sie über den bis auf ein Unterhemdchen entkleideten dickbäuchigen Körper und befahl den beiden Dienerinnen, die ebenfalls zurück geblieben waren, alles Notwendige für eine Geburt herzurichten.

"Rettet mein Kind", wimmerte Indrail und krallte ihre noch blutigen Hände gegen den schmerzenden Bauch. Als eine Geburtswehe ihren Leib durchzog, schrie sie auf.

"Erst heile ich eure schlimmsten Wunden, meine Dame", entgegnete Alisan und nahm sich bereits der gebrochenen Hand an. Sanft strömte Magie aus ihren Händen und drang in das verkrümmte Gelenk ein. Knochen und Sehnen richteten sich, waren aber noch sehr instabil. Eine Dienerin musste aus mehreren Kräutern einen Sud anrühren, während die andere heißes Wasser und saubere Tücher bereit legte und die Heilerin selbst das Handgelenk verband. Sie gab der Elfin einen schmerzlindernden Tee zu trinken und zählte die Abschnitte zwischen den Wehen, die immer kürzer wurden.

Eine Stunde später lag ein rosiger Junge in eine Decke gewickelt neben seiner Mutter, die erschöpft dahindämmerte. Die Wunden vom Treppensturz waren gesalbt und verbunden und eine Dienerin saß am Bett und gab der Elfin alle paar Minuten einen Schluck von einem starken Kräutertee zu trinken.

"Ihr habe das Kind gesehen, Frau Alisan", flüsterte die Magd, die bei der Geburt dabei gewesen war. "Kann das der Sturz verursacht haben?"

Die Heilerin schüttelte den Kopf und schloss die Tür hinter sich. "Die Verkrüppelung des Jungen ist magischer Natur. Ein Fluch lastet auf dem Samen des Herzogs, das weiß hier doch jeder im Schloss."

Denn bisher hatten all die Bettgefährtinnen Rodericks nur gesunde Töchter auf die Welt gebracht, wenn es ein Junge war, kam er entweder tot zur Welt oder als schwachsinniges, verunstaltetes Wesen, das man alsbald nach der Geburt aus Furcht vor Unheil tötete. Doch dieses Kind war anders, lag es diesmal an der reinblütigen Elfin?

"Beobachtet die Mutter gut, wenn sie ihr ungestaltetes Kind ablehnt, ereilt der Junge wohl das gleiche Schicksal, wie die anderen drei Wechselbälger. Sagt mir Bescheid, damit ich dem Kind dann ein schnellwirkendes Gift verabreichen kann." Alisan verließ wieder die Burg.

Indrail strich durch die weißblonden Löckchen ihres Sohnes und strahlendblaue Babyaugen blickten sie an. Er hatte ein elfenschlankes, wunderhübsches Gesichtchen. Vorsichtig langsam wickelte sie das Kind aus der Decke. Sie hatte bereits einen Blick auf ihr Neugeborenes werfen können, trotzdem erschrak sie erneut, als sie die Verkrüppelung betrachtete. Es begann bereits am linken Ohr und zog sich über Brust, Arm, Hüfte und bis zu den Zehen des linken Fußes hinab. Eine olivgrüne schuppige Haut bedeckte die gesamte linke Seite und bildete in der Mitte eine geschwungene Linie die die makellose rechte Seite von der entstellten abtrennte. Indrail wagte nicht über die verunstaltete Haut zu streicheln, die nicht nur wie eine Echsenhaut aussah, sondern sich auch so anfühlte. Stattdessen liebkoste sie die helle samtweiche rechte Seite und versank in den vollkommenen blauen Augen ihres kleinen Jungen. Die Elfin drückte ihm einen Kuss auf die Stirn und legte die Decke wieder um ihn.

Zwei Tage nach der Geburt ritt Herzog Roderick mit seiner Jagdgesellschaft zurück nach Aedd-Castros. An seiner Seite schritt ein finster blickender Recke mit langem farblosem Haar wie Asche, in dunkler Rüstung und einem auffälligen Silberschwert auf dem Rücken. Ein Gast und, wie sich alsbald herausstellte, ein Lebensretter des kleinstämmigen Herzogs.

Denn am Nachmittag vor zwei Tagen, zur selben Zeit als Indrail durch die Burgkorridore eilte, wurde die zwanzigköpfige Gesellschaft von vier Wyverne angegriffen, wobei eine rote Königin darunter war. Ein Glück, dass sich eben dieser Recke auf der Jagd nach den hungrigen Drachentieren befand und die Wyverne-Königin erlegen konnte, bevor diese den Herzog auffraß. Es stellte sich heraus, dass der gewandte, katzenäugige Kämpfer mit dem Silberschwert ein Eisexorzist war, der sich bestens auf das Töten von Ungeheuern verstand. Zum Dank forderte der Eisexorzist vom Herzog einen sonderbaren Lohn: das was er zu Hause vorzufinden hoffte, aber nicht so erwarten würde.

Ein Bankett wurde angesetzt und als Roderick erfuhr, dass Indrail ihm einen Sohn geboren hatte, eilte der bärtige Herzog schnell zur Mutter, um sich das Kind anzusehen. Seit vielen Jahren schon wünschte sich Roderick einen männlichen Thronfolger, aber bisher scheiterten alle Versuche in Tot- und Missgeburten.

Der Mann hob freudig den Jungen auf seine Arme, als er das blondflaumige Köpfchen mit den strahlenden Augen sah. Doch dann bemerkte Roderick den schuppigen Hautansatz am linken Ohr und wickelte das Baby aus der Decke. Vor Schreck und Ekel ließ der Herzog das Baby fallen und rannte enttäuscht aus dem Zimmer. Wie gut, dass Indrail daneben stand und den Jungen rechtzeitig auffangen konnte, bevor sein zarter Körper auf dem harten Steinboden fiel.

Sie liebte das Kind und konnte bereits ohne Scheu über die linke Seite streicheln, auch wenn sie es bisher absichtlich vermied. Traurig blickte sie dem Herzog nach, lächelte aber mütterlich, als das Baby mit seinen Händchen nach ihrem Finger griff.

Kurze Zeit später saß Roderick mit wütender Miene am Banketttische und schenkte seinem sittsamen Hofstaat nur wenig Beachtung.

Der Eisexorzist, sein Name war übrigens Caladir e'Yander, legte den abgenagten Knochen auf den Silberteller und spülte mit dem Rotwein aus seinem Kelch nach. Als Ehrengast hatte er neben dem Herzog zu seiner Linken Platz nehmen dürfen. Schließlich beugte er sich zu dem kleinen Mann herüber und meinte: "Verzeiht, edler Herzog, aber hat euch etwas Unerwartetes die gute Laune verdorben?" Und damit erinnerte Caladir den Regenten an sein gegebenes Versprechen.

Roderick blickte auf. Erinnerte sich an den Moment, als er starr vor Angst beinahe als Mahl für eine Wyverne geendet wäre. Sorglos hatte er in diesem Augenblick dem Eisexorzisten alles versprochen. Und so kam es zu der eigenartigen Übereinkunft, ihm das zu geben, was er hoffte Zuhause vorzufinden, aber nicht so erwartet hatte! Er hatte auf einen gesunden Jungen gehofft, doch die Vorsehung hatte ihm erneut eine Missgeburt in die Wiege gelegt. Sollte ruhig der Eiswolf diesen Wechselbalg mitnehmen, so musste Roderick das Baby schon nicht töten lassen.

Wie auf ein Stichwort trat in diesem Augenblick die Elfin Indrail in den Festsaal und an die Feiernden heran. Sie trug ein schweres, dunkelgrünes Kleid und hatte die blonden Haare in ein goldglitzerndes Haarnetz geflochten. In ihren Armen trug sie ihr Kind, sorgsam in eine blau-weißbestickte Decke gewickelt. Die Elfin wusste, dass jeder hier in der Burg ihr Baby verachtete und wollte daher das Neugeborene nicht alleine lassen. Sie hatte von der sonderbaren Belohnung gehört, die der furchteinflößende Eisexorzist verlangte und wollte sich den Kämpfer ansehen, dem Roderick ihr Kind versprochen hatte.

Caladir erhob sich und neigte ehrenvoll das Haupt vor der elfischen Dame. "Es ist mir eine Ehre eure Bekanntschaft zu machen, edle Dame Indrail", sprach sie der Mann mit dunklem Bass an.

Das lange aschfarbene Haar war am Hinterkopf zusammengebunden und zwei auffallend tiefe Narben zerteilten seine linke Augenbraue und das leicht spitze Kinn. Er war glattrasiert und seine durchscheinend helle Haut wies unzählige feine Narben aber kaum Altersfalten auf, trotzdem schätzte Indrail ihn älter, als er aussehen mochte. "Ihr habt meinem Herrn das Leben gerettet, dafür bin ich euch dankbar", erwiderte die Elfin in der Gemeinsprache. "Wie ich erfuhr, ist dabei mein neugeborener Sohn zum Gegenstand der Entlohnung geworden?" Sie hielt ihm mit ernstem Gesicht das Kind entgegen.

Der Eiswolf blickte kurz auf das hübsche Elfengesichtchen und wehrte mit einer Hand ab. "Edle Dame, nichts liegt mir ferner, als einer Mutter das Kind zu rauben, das sie mit ganzem Herzen liebt."

Indrail blickte hinauf zu den sonderbaren Augen, deren Pupillen wegen der von Fackelschein und Öllampen erhellten Halle zu schwarzen Seen geworden waren und fast völlig die weiße Iris bedeckten. Sie konnte keinerlei Gefühl aus dem narbigen Gesicht des Hünen ablesen. Aber auch sie vom Volk der Elfen konnte ihre Emotionen hinter höflichen nichtssagenden Gesten verstecken. "Wie könnte eine Mutter ihr Kind nicht lieben, dass sie neun Monate unter ihrem Herzen getragen und unter Schmerzen geboren hat? Sicher findet sich eine andere Belohnung, die das tapfere Herz unseres Gastes erfreuen wird."

Der Herzog, bereits ein wenig angetrunken, erhob sich und stellte sich zwischen die beiden. "Ich habe dem Eiswolf mein Wort gegeben und er soll das Balg... äh den Jungen ruhig mit sich nehmen. Soll er aus ihm einen Eisexorzisten machen, das geschieht doch mit den Kindern, die das Schicksal prophetisch geküsst hat. Oder nicht, Herr Caladir?"

Leise und zögerlich drang ein "Ja" über die schmalen Lippen des großen Kämpfers. "Aber es kommt mir sehr ungelegen, ein noch so junges Kind der Mutter zu entreißen. Bitte, ehrenwerter Herzog Roderick", lenkte Caladir beschwichtigend ein, als er bemerkte wie Indrail das Baby fester an sich drückte, "ich will mich des Jungen annehmen, wenn er sechs Jahre alt geworden ist."

"Ach", brummte Roderick, "dann soll es eben so geschehen, wie ihr es wünscht, Herr Exorzist." Er setzte sich beleidigt zurück auf seinen Platz und verlangte, dass ihm der Goldpokal mit Wein gefüllt wurde. Schnell eilte ein Diener mit einer Karaffe herbei, um seinem Wunsch zu entsprechen.

Indrail und Caladir sahen sich noch einige Herzschläge lang in die Augen. Niemand, der die beiden beobachtete, konnte erkennen, was in diesen sonderbaren Wesen vorgehen mochte. Dann wandte sich die Elfin abrupt ab und verließ die Festhalle wieder. Der Eisexorzist setzte sich auf seinen Platz zurück und genoss das Bankett nun mit grüblerischer Zurückhaltung.

Bevor die zaghafte Hand gegen die Holztür klopfen konnte, war Caladir aufgesprungen und hatte die Tür aufgerissen. Vor ihm stand die schlanke Elfin Indrail, die ihm trotz ihrer Größe, nur bis an die Schulter reichte. Deutlich erkannte der Eiswolf sie und ließ sie ein.

"Was führt euch zu dieser späten Nachtstunde noch zu mir, Frau Indrail?" fragte Caladir und entzündete eine Kerze auf einem Tisch und bot ihr einen Stuhl an. "Sollte das Baby nicht längst in seiner Wiege ruhen?"

"Ich gab ihm den Namen Yareth", entgegnete die Elfin und setzte sich, das Kind legte sie auf den Tisch. Sie begann die Decke zu öffnen und zeigte dem Mann den entstellten Neugeborenen.

Caladir betrachtete den winzigen Elfenknaben. Wäre nicht die gesamte linke Seite mit dieser dunklen Echsenhaut überzogen worden, Yareth wäre ein wunderhübscher Säugling. Sanft berührte der narbige Hüne diese Verkrüppelung und das Wolfsmedaillon auf seiner Brust vibrierte leicht.

"Der Herzog ist verflucht", gestand Indrail, als sie seine Verwunderung bemerkte, "vielleicht ist es auch meine Schuld. Werdet ihr mir helfen?" Sie holte einen Geldbeutel aus ihrem weiten Gewand und legte ihn auf den Tisch zwischen Kerze und Baby.

"Er sieht halb wie ein Vran aus, aber das Echsenvolk ist vernichtet. Von so einem Fluch habe ich nie gehört. Wie könnte ich euch helfen?"

"Ihr müsst uns beide von hier fortbringen, bitte Herr Exorzist! Sie werden den Jungen sonst töten", drängte die Elfin. "Sagt dem Herzog, ihr habt es euch anders überlegt, ihr wollt den Knaben sofort mitnehmen und die Mutter gleich mit, damit sie sich weiter um ihn kümmern kann."

"Herzog Roderick wird euch nicht gehen lassen, Frau Indrail. Männer wie er geben ihre Trophäen nie mehr aus der Hand." Damit sprach der Kämpfer eine grausame Wahrheit mit dunkler Stimme aus.

"Dann flieht mit mir noch heute Nacht aus Aedd-Castros heraus!" Verzweiflung bebte mit in ihrer Bettelei, als sie vor dem Hünen auf die Knie fiel.

Verlegen zog er die Elfin auf die Beine. Überlegte stumm einige zitternde Augenblicke lang. "Könnt ihr euch in einer Stunde reisefertig in die Pferdeställe schleichen? Niemand darf uns sehen. Wenn ich mich schon wie ein Dieb vom Castrosischen Hof schleichen muss, so will ich nicht auch noch in einen Kampf hineingeraten."

Indrail nickte und griff sich ihr Baby, das zwar wach war, aber nicht zu weinen anfing. Seit Yareth auf der Welt war, hatte er nicht ein einziges Mal geweint. "In einer Stunde, ja!" Sie eilte hinaus.

Der Eisexorzist zog sich seine Rüstung über, schulterte seine wenige Habe und verließ sein Gastzimmer in der Burg. An den schnarchenden Wachposten kam er ungesehen vorbei und fand sich bald bei der Box seines dunkelbraunen Pferdes wieder. In der Ecke kauerte die Elfin in gedeckten grünen Kleidern gekleidet, das Baby mit einem Tuch an die Brust gebunden. Caladir warf den Sattel auf den Rücken der Stute und schnallte ihn fest. Bevor er das Tier hinausführte, überlegte er kurz, ob er für die Elfin ein zweites Pferd satteln sollte. Verwarf den Gedanken aber, denn dann wäre er wahrlich zum Dieb geworden. Er hob die Frau auf sein Pferd und führte beide quer über den Hof zum Burgtor.

Müde rieb sich der eine Wachmann die Augen, als er den Eisexorzist herankommen sah und stieß seinem schlafenden Kollegen den Ellenbogen in die Brust. "He Mann, was tut ihr da zu dieser späten Nachtstunde?"

"Der Morgen graut bereits", brummte Caladir vernehmlich, "ich wollte mich wieder früh auf den Weg machen. Es gibt anderorts auch dringend Ungeheuer zu erlegen."

"Ah, der Herr Exorzist ist es", erkannte der Wachposten den Reiter. "Wen habt ihr da bei euch?" Pflichtbewusst stellten sich die beiden Soldaten ihm in den Weg.

"Ich habe die Burg alleine verlassen", raunte Caladir und seine Tieraugen leuchteten kurz weiß auf, als er mit der freien rechten Hand das Faêr-Zeichen wob, um die Wachmänner zu manipulieren.

"Dann viel Glück bei der Monsterjagd, Herr Exorzist", wünschten die Soldaten, nachdem sie dem narbigen bleichen Hünen das Burgtor geöffnet hatten.

Draußen schwang sich Caladir hinter die Elfin in den Sattel und nahm den direkten Weg aus Castros Hauptstadt. "Wo soll ich euch hinbringen, Frau Indrail?"

"Wenn es euch keine zu großen Umstände macht, Herr Caladir", wandte die Elfin ein, "dann bringt mich zu einem unbedeutenden Fischerdorf in Doriath."

"Ihr habt Glück, meine Dame, das liegt auf meinem Weg", antwortete der Eiswolf und ließ seine Stute in leichten Galopp fallen.

Eine Woche war die Elfin Indrail mit dem Eisexorzist Caladir unterwegs gewesen. Dann setzte er sie in einem kleinen Dorf, namens Rosenwasser, am Glann ab und ritt seiner Wege. Er hatte ihr versprochen, dass er ihren Jungen verschonen und nicht einfordern würde. Bevor er davonritt, reichte Caladir ihr den Geldbeutel, den sie ihm in Castros gegeben hatte und entnahm ihm nur eine einzige Münze für seine Dienste. "Ihr braucht das Geld dringender als ich, passt mir auf Yareth auf, er ist ein stiller lieber Junge."

"Ihr seid ein Ehrenmann, Herr Caladir und viele der grausamen Gerüchte über die Eiswölfe strafen euch Lügen."

Indrail wurde etwas argwöhnisch aber freundlich in die Dorfgemeinschaft aufgenommen. Sie kam bei dem Elfenpaar Gavril und Sayaenn unter. Und verdiente etwas Geld mit dem Anfertigen von Kleidung.

So vergingen die ersten vier Jahre und Yareth wuchs zu einem quirligen, wortkargen Elfenjungen heran. Seine Mutter achtete immer darauf, dass seine linke verunstaltete Seite mit Kleidung bedeckt war. Er musste selbst im heißen Sommer Handschuhe und hochgeschlossene, langärmlige Hemden und lange Hosen tragen.

Die Kinder des Dorfes machten sich schon sehr früh über den sonderbaren Jungen lustig, als er laufen konnte und mit ihnen am Dorfleben teilnahm.

Eines Sommertages spielten die Vier- bis Zehnjährigen Kinder der Menschen, Elfen und wenigen Zwergen am flachen Ufer und begannen den abseitssitzenden Yareth zu hänseln. Yareth saß in seiner langen unpassenden Kleidung auf einem Stein, sein hellblondes Haar fiel ihm in seidigen Wellen über die Schultern den schlaksigen Rücken hinab und er blickte sehnsüchtig zu den nackten Mädchen und Jungen, die im Grenzfluss Glann planschten. Zu gerne hätte er mit ihnen im Wasser herumgetollt.

Hogan, einer der ältesten und größten unter den anwesenden Kinder kam mit einer Handvoll seiner engsten Freund zu Yareth gelaufen. "Warum bist du immer so komisch angezogen, Elf?" fragte der große Junge und deutete auf den sonnengebräunten schlaksigen halbnackten Elfenjungen an seiner Seite. "Gondyr meint, das sei keine Elfentradition."

"Meine Mutter erlaubt es mir nicht", gestand Yareth trotzig.

Die anderen Kinder lachten verächtlich. "Los, zieh mal dieses Zeug aus und komm mit ins Wasser!" forderte Hogan und riss an seinem Hemd herum.

Yareth rutschte vom Stein und versuchte die zerrende Hand abzuschütteln. "Lass mich in Ruhe!" schrie er auf und gab dem größeren Menschenjunge einen ungelenken Boxhieb in den Bauch.

"He", knurrte Hogan und zog noch heftiger am Hemd, "was hast du zu verstecken?" Die Verschnürung des Oberteils riss und offenbarte einen winzigen Einblick auf dunkle Haut. Das stachelte Hogan und die anderen erst recht an und sie begannen den kleinen zappelnden Elfenjungen auszuziehen. Die Handschuhe flogen, wie die Schuhe im weiten Bogen davon und das Hemd wurde ihm regelrecht zerfetzt.

Als die olivgrüne schuppige Haut zu Tage kam, ließen die Kinder verwundert den Jungen in ihrer Mitte los. Yareth kauerte im Gras und zum ersten Mal kullerten ihm Tränen aus den Augen, als er sich den angewiderten Blicken seiner Spielkameraden stellen musste.

"Was bist du denn für ein Monster?" kommentierte Hogan.

"Er muss ein Wechselbalg sein", meinte Gondyr, der braunhaarige Elfenjunge von sieben Jahren. "Den haben sie seiner Mutter in die Wiege gelegt und niemand wollte ihn anschließend töten."

Verlegen lachten die sechs Kinder und zogen die Aufmerksamkeit der anderen auf sich. Allmählich kamen alle herbei und starrten Yareth mit unterschiedlichen Gefühlen an, doch die meisten Blicke waren voller Ekel über seine olivfarbene Echsenhaut. Schließlich wurden aus unsicheren Beschimpfungen zaghafte Tritte.

Yareths Zorn ließ ihn wild um sich schlagen und er begann zu schreien. Hogan, Gondyr und zwei weitere tapfere größere Jungen droschen bald mit abgebrochenen Ästen auf ihn ein.

Indrail kam eiligst zum Ufer gerannt, als sie die hohen Schreie ihres Jungen hörte und kämpfte sich durch den Ring von anfeuernden Kindern. Sie zerrte Hogan zur Seite und packte Gondyr. "Ihr solltet euch was schämen!" rief Indrail und stellte sich schützend über ihren Sohn. "Er hat euch nie etwas getan und nur weil er etwas anders aussieht, müsst ihr ihn nicht schlagen."

"Wir wollen keinen Wechselbalg unter uns haben!" brüllte Gondyr trotzig zurück und donnerte seinen Ast auf den Boden, dass dieser zerbrach.

"Yareth ist kein Wechselbalg, er ist ein ganz normaler Elf!" fauchte Indrail zurück.

Die Kinder blickten aufmüpfig zu ihr hinüber und zogen sich wieder zum Ufer zurück. "Der ist nicht normal", flüsterte Hogan seinem Freund zu, "der ist eine Kröte." Gondyr und einige anderen lachten und rannten davon.

Indrail hob das zerrissene Hemd auf und legte es ihrem wimmernden Sohn um den entblößten Oberkörper. Dann trug sie ihn zurück zu ihrem kleinen Haus, das sie inzwischen mit ihm alleine bewohnte.

Seit diesem Tag behandelten die Kinder ihn wie einen Aussätzigen, riefen ihm allerlei Schimpfwörter und Reime nach und Yareth fand fortan keine Freunde mehr. Auch von den Erwachsenen wurde er auf Abstand gehalten und seine Mutter erfuhr abweisende Blicke, da sie die sonderbare Verkrüppelung ihres Kindes den meisten Dorfbewohnern so lange verheimlicht hatte.

Bald darauf kam in dieses Dorf eine hochschwangere zierliche Frau mit leuchtendroten Haaren. Sie war ein recht hübsches Ding, verstand sich auf Heilung und Magie, denn sie war eine Zauberin und hieß Vyctorea. Der Bruder ihres Kindsvater lebte hier und sie wollte bei ihrer Niederkunft eine Bleibe habe. Die Geburt dauerte fast einen ganzen Tag und erschöpfte sowohl die Gebärende, als auch ihre vier Helferinnen, unter ihnen war Indrail. Doch der Junge, den sie auf die Welt brachte, war kräftig und gesund. Er hatte das rötliche Haar seiner Mutter und bekam den Namen Razer.

Yareth war inzwischen neun Jahre alt. Die Hasstriaden der anderen Kinder hatten ihn zu einem verstockten, einsamen, jähzornigen Jungen werden lassen, der seine schuppige Haut nicht mehr vor den anderen versteckte, da sie ja nun von seiner Entstellung wussten.

In der Schule war es so schlimm geworden, dass Indrail ihren Sohn zu Hause unterrichtete. Oft saß der fünfjährige Razer neben seinem großen Freund und versuchte sich im Buchstaben schreiben. Razers Mutter Vyctorea hatte ihn kurz nach der Geburt bereits wieder verlassen und in der Obhut des Onkels gelassen, seitdem kümmerte sich Indrail mit um den kräftigen Jungen mit den roten Haaren.

Jeden Tag verbrachten die beiden Jungen zusammen, denn als Sohn einer Zauberin war auch Razer zu einem Außenseiter gestempelt worden.

Nach dem Unterricht schickte Indrail die beiden Jungen in den Wald, es war Spätsommer und die Beeren an den Sträuchern wurden reif. Sie gab ihnen einen Holzeimer mit, den sie mit den Früchten füllen sollten.

Diesmal steckte Yareth ein kleines Messer ein, das er am Vortag bei einem Nachbar in einem Berg voll Unrat entdeckt und mitgenommen hatte. Er hatte es gesäubert und die halbe Nacht damit zugebracht, es mit einem alten Schleifstein zu schärfen.

Die beiden unterschiedlichen Jungen, die sich durch ihr Schicksal doch wieder näher waren als Brüder, schlugen sich lachend in die Büsche. Aßen mehr von den Beeren, als sie im Eimer landeten und schließlich zog Yareth den jüngeren bei einem sprudelnden Bach zur Seite. Der Elf holte das Messer hervor und zeigte es Razer.

"Wo hast du das her?" wollte der rothaarige Junge wissen und griff danach.

"Pass auf, Razer. Ich habe es geschärft", warnte Yareth. "Der alte Belga hat es fortgeworfen."

"Bitte lass es mich auch mal ansehen?" bettelte der kleine Razer und der Elfenjunge reichte ihm vorsichtig die kleine Waffe. Es war ein Schnitzmesser, das in der Gesamtlänge nur eine Hand lang war, aber für die beiden Knaben war das Abenteuer pur. Razer prüfte die Schärfe vorsichtig mit dem Daumennagel und grinste über beide Ohren hinweg. "Das ist ja verdammt scharf!"

"Schneid dich nicht und gib es mir wieder", mahnte Yareth und holte sich sein gefährliches Spielzeug zurück. "Wir können uns damit Pfeile und einen Bogen anfertigen."

"Und du kannst dich damit gegen Hogan verteidigen, wenn er dir wieder mal auflauert und dich verprügeln will", schlug Razer vor.

Plötzlich setzte sich Yareth die leicht gebogene Klinge an den schuppigen Unterarm und schabte damit nach unten. Die obere Schicht der olivgrünen Echsenhaut löste sich unter dem scharfen Grat des Messers. Doch dann drückte Yareth zu fest und schnitt sich in den Arm, so dass es blutete.

"Was machst du denn da, Yar!" schrie Razer entsetzt auf und versuchte seinem Freund das Messer aus der Hand zu winden, der es an einer anderen Stelle erneut angesetzt hatte.

"Lass mich, Razer! Sieh doch, es funktioniert, ich kann die Schuppen abschaben!" Der Elf versuchte den rothaarigen Jungen wegzudrücken.

Selbst als sich beide an der scharfen Klinge verletzten, versuchte Razer weiterhin an das Messer heranzukommen. "Bitte lass das, Yar. Du schneidest dich doch nur", bettelte der Kleine und zerrte mit aller Kraft am Handgelenk des Freundes. "Mich schreckt deine Haut nicht."

Yareth konnte den rothaarigen Jungen nicht von sich abschütteln und ließ endlich das Schnitzmesser los. Mit den bloßen Fingernägeln hieb er auf seinen verhassten, schuppigen Arm ein, das hübsche Gesicht rot vor Wut. Razer warf das Messer von sich, das im Stamm eines nahen Baumes steckenblieb und packte den verzweifelten Freund an den Schultern. "Eines Tages gehen wir beide in die Stadt zu einem Zauberer und der zaubert dir die Schuppen weg."

Der Elf klammerte sich an die kräftigen Arme des Fünfjährigen und meinte: "Du bist mein einziger Freund, Razer. Aber wir werden nie so viel Geld besitzen, um diesen Zauberer bezahlen zu können. So eine Operation ist nämlich sehr, sehr teuer."

"Ich lass mir was einfallen", grinste Razer hoffnungsvoll.

Kurze Zeit darauf schlenderten die beiden Jungen zurück zum Dorf, der Eimer halbvoll mit Beeren. Yareth hatte das Messer aus dem Stamm gezogen und die Schnittwunden im kühlen Bach gesäubert.

Als sie beim Dorf ankamen, waren einige Leute zusammen gekommen, da ein fremder Reiter in einer dunklen Rüstung aufgetaucht war. Der Mann war sehr groß, kräftig und voller Narben. Das farblose Haar hatte er am Hinterkopf mit einem Lederband zusammen gebunden und auf dem Rücken war ein Silberschwert zu sehen. Yareth erinnerte sich zwar nicht an den Eisexorzist Caladir, da er damals noch ein winziges Baby gewesen war, aber seine Mutter hatte oft von ihm erzählt. Er entdeckte sie neben dem Kämpfer stehen.

"Wer ist das?" wollte Razer wissen.

"Das muss der Eiswolf Caladir sein, der meine Mutter und mich aus Castros gebracht hat", vermutete der entstellte Elfenjunge. "Was der wohl hier will?"

Der Hüne mit dem zeitlosen, narbigen Gesicht erblickte die beiden Jungen und winkte sie zu sich. Auch Indrail lockte ihren Sohn heran und stellte sich schützend hinter ihn, als einige der Dorfbewohner von ihnen abrückten. Sie stellte Yareth und Caladir einander vor.

"Du bist groß und ein hübscher Junge geworden, Yareth", brummte der Eisexorzist in seiner väterlich-tiefen Stimme. Dann griff er nach dessen Arm und bemerkte die Schnitte. "Das solltest du kein zweites Mal versuchen, meine Junge."

Beleidigt zog Yareth seinen Arm zurück und vergrub sich mit seiner entstellten Seite tiefer in die Rockfalten seiner Mutter. "Ich bin nicht dein Junge", maulte er leise und erntete dafür ein sanftes Kopftätscheln von dem weißhäutigen Kämpfer.

"Und wer ist der kleine Kerl da?" fragte Caladir den Rotschopf, doch sein eisiger Katzenblick ließ ahnen, dass er bereits wusste, wer der Knabe war.

"Das ist Razer, der Sohn der Heilerin Vyctorea", antwortete Caleb, der Onkel des Jungen.

Caladir nickte. "Seinetwegen bin ich hier. Er ist ein Kind der Prophezeiung und ich werde ihn mit mir in die Nebelburg nehmen."

Der Onkel packte den Jungen bei den Schultern und nickte wissentlich, Razer selbst war noch zu klein, um zu begreifen, was in diesem Moment vor sich ging. Aber Yareth begriff und erinnerte sich. "Ich bin auch ein Kind des Schicksals, dann musst du mich ebenfalls mit dir nehmen!" brüllte der Elfenjunge.

"Nein, Yareth, Dir ist ein ganz anderer Weg vorherbestimmt", mahnte der Eiswolf. "Kein Elf kann Exorzist werden, du kannst nicht mit mir kommen."

Jähzorn stieg in dem blonden Knaben hoch. Dieser aufgeblasene Kerl wollte ihm seinen einzigen und besten Freund wegnehmen. Yareth riss sich los und donnerte mit seinen kleinen Fäusten wütend auf den Hünen ein. Es war Caladir ein leichtes den Elfenjungen von sich fortzudrücken und mit dem Faêr-Zeichen zu beruhigen.

Indrail umklammerte ihren Sohn, einerseits erleichtert, dass der Eisexorzist nicht seinetwegen gekommen war. Andrerseits bestürzt, dass er den einzigen Freund ihres Sohns mit sich nahm und zu seinesgleichen machen würde. Was das Todesurteil des rothaarigen Jungen bedeuten konnte.

Der Eisexorzist Caladir e'Yander schwang sich in den Sattel und Caleb hob ihn den jungen Razer hoch. Ein Beutel mit den wenigen Habseligkeiten des Jungen wurde ihnen gereicht, am Sattel festgebunden. Der Kämpfer verabschiedete sich von der Elfin mit den Worten: "Es tut mir leid. Aber es war mir eine Freude euch gesund wiedergesehen zu haben, Frau Indrail. Eines Tages wird Yareth alt genug sein und begreifen, warum wir manchmal so handeln müssen, wie es uns das Schicksal vorherbestimmt. Lebt wohl. Und euch, Herr Caleb, sei gedankt, dass ihr auf Vyctoreas Kind aufgepasst habt." Caladir wendete seinen hellbraunen Wallach und ritt aus Rosenwasser hinaus.

Razer drehte sich zu seinem Freund ein letztes Mal herum und winkte ihm. Yareth winkte zurück und vergrub dann weinend sein Gesicht in der Schürze seiner Mutter. Indrail war ihrem Jungen nie böse gewesen, egal was er auch anstellte oder wie unmöglich er sich aufführte. Sie verzieh es ihm, weil sie sich immer noch die Schuld an seinem entstellten Aussehen gab.

Yareth bearbeitete seine Echsenhaut nicht nur mit dem Schnitzmesser, er versuchte in den nächsten Monaten und Jahren die verhasste Schuppenhaut mit Feuer und mit ätzender Säure loszuwerden. Alles brachte nur kurzweiligen Erfolg, hinterließ unschöne Narben und die Haut wuchs noch dunkler und härter wieder nach. Je älter er wurde, umso mehr hasste er sich und entzog sich seiner Umwelt.

An seinem fünfzehnten Geburtstag, Yareth war zu einem großen schlanken Jüngling herangewachsen, schenkte seine Mutter ihm einen über und über mit Blattornamenten bestickten Mantel aus blauen Linnen und ein neues Problem begann, da er kurz davor in die Pubertät gekommen war und nun zum Mann reifte.

Hatten früher die Kinder nicht mit ihm spielen wollen, so wollte auch kein Mädchen mit dem Echsenelf, wie er nun oft gerufen wurde, zu tun haben. Yareth blieb ein Außenseiter, den die meisten Menschen und sogar Andersartige mieden.

Yareth warf seiner Mutter den aufwendig verarbeiteten Mantel vor die Füße und schrie sie an: "Was soll ich damit Mutter? Auch wenn ich wie ein Prinz gekleidet bin, wird mich nie ein Mädchen lieben und kein Mann als seinen Freund haben wollen!"

Indrail verzweifelte an seinem Kummer, doch sie konnte ihrem Sohn nicht helfen. Sie war zu arm, um einen Zauberer bezahlen zu können, falls dieser es je vermochte die Echsenhaut per Magie verschwinden zu lassen.

Einmal war ein Zauberer auf der Suche nach einem neuen königlichen Herrn durch das Dorf Rosenwasser gekommen. Sie hatte ihm ihren Sohn gezeigt, der angeekelt die olivfarbene Schuppenhaut untersucht hatte und dann meinte, er wäre dazu nicht imstande. Vielleicht gäbe es auf Taneidd Erzmagier die mächtig genug waren, um den Vran-Fluch von dem Jungen zu nehmen. Vran-Fluch! Auch Caladir hatte davon gesprochen.

Inzwischen wusste Indrail, dass die Vran ein uraltes Volk von Echsenwesen gewesen waren, die in den östlichen Kristallbergen die Stadt Ban-Lâvael erbaut hatten. Doch vor vielen hunderten von Jahren hatten die Aensidhe dieses Volk ausgelöscht und eine der schönsten Städte der Nordlande auf den Vran-Ruinen errichtet. Doch seit dem die Elfen von den Menschen unterjocht wurden, verkam Ban-Lâvael erneut zu einer verlassenen Stadt, die immer weiter zerfiel.

Einige Tage nach seinem fünfzehnten Geburtstag entschloss Yareth aus Rosenwasser fortzugehen. Das Dorf mit dem wundervollen Namen war ihm nie eine Heimat gewesen. Er holte den edlen Mantel hervor, den ihm seine Mutter gefertigt hatte und zog seine besten Stiefel über seine wollenen Hosen. Ein schlichtes Lederband an der Stirn bändigte seine hellblonden langen Haare. Yareth warf sich den Köcher mit einer Handvoll Pfeilen und den selbstgefertigten Langbogen über die Schultern und verließ die kleine Hütte, die er mit seiner Mutter bewohnte.

Indrail hängte einige Kleidungsstücke auf eine Leine, die sie zuvor im Fluss gewaschen hatte, sie bemerkte den traurigen Blick ihres Sohnes nicht, der mit schweren Schritten vom Hof ging.

"Bitte verzeih mir Mutter", murmelte Yareth zu sich selbst, "ohne mich wird dein Leben einfacher. Dann findest du sicher auch wieder einen Mann."

Für den jungen Elf war das Leben auf dem Lande eine Tortur, niemand wollte ihn wegen seines Aussehens in die Lehre nehmen - er würde also nie einen Beruf erlernen und sich und seine Mutter versorgen können. In die größeren Städte, wie Aedd-Weihmar traute er sich erst gar nicht, da er gehört hatte, dass dort die Andersartigen in erbärmlichen Zuständen in Ghettos hausten und ausgenutzt wurden. Sein bisher kurzes Leben war immer nur auf die kleine Siedlung am Glann beschränkt gewesen. Es war einerlei, wohin er ging, mit seiner Schuppenhaut wäre er überall ein Außenseiter. Daher verfolgte er einen ganz anderen Plan.

Um seinen Entschluss mehr Wirkkraft zu geben, beschleunigte er sein Tempo und rannte auf einsamen Pfaden zu den Wäldern, die sich im Süden dem Fischerdorf Rosenwasser anschlossen. Er folgte eine Zeitlang einem ausgetretenen Wildschweinpfad und verlor sich schließlich in den Weiten des Mischwäldchens. Er kämpfte sich durchs überwucherte Dickicht, riss sich den edlen blauen Mantel an Dornen und Ästen auf. Und als gegen Abend auch noch leichter Nieselregen einsetzte, stand er kurz davor wieder umzukehren.

Die Regentropfen netzten sein schmales Gesicht und mischten sich mit den Tränen. Eine innere Leere hielt ihn gefangen und verhinderte, dass er müde wurde. Er stolperte über Baumwurzeln. Schrak auf, als ein großer Hirsch aufgescheucht durch das morsche Holz brach und verlor vollends die Orientierung. Dämmerlicht nahm ihm die Sicht und schließlich brach die Nacht herein.

Die Wesen der Dunkelheit erwachten. Ihre tiefen Schreie und ihr unsichtbares Rascheln durch das Laub ließen Yareth endlich anhalten. Erschöpft lehnte er sich an einen der Baumriesen, sog die kühl gewordene Luft in die Lungen und wischte sich das nasse Haar aus dem Gesicht. Die Beine zitterten ihm, da er den halben Tag nur gerannt und sich durchs Dickicht gekämpft hatte. Jetzt merkte er seine Müdigkeit und Hunger. Doch ein nahes Brüllen von einem großen, unbekannten Raubtier ließ ihn die Hand vom Proviantbeutel nehmen und sich stattdessen auf einem hohen Baum in Sicherheit bringen. Oft griff er in der Dunkelheit daneben und rutschte auf dem nassen Geäst aus, konnte sich aber immer noch im letzten Augenblick irgendwo festklammern. So erreichte er nach einiger Zeit einen der oberen Äste, der noch dick genug war, um sein mageres Gewicht zu tragen.

Yareth fror, saß unbequem in einer Astgabel fest und der Köcher drückte ihm in den Rücken. Mit Mühe und Not kramte er seinen Beutel hervor und aß einen Apfel. Die Erschöpfung und Verzweiflung waren zu groß, um ihn mehr essen zu lassen. Doch Schlaf fand er in seiner Situation erst recht keinen. Wut stieg in ihm hoch, verzweifelter Zorn und erhöhte noch sein Zittern. Mühsam versuchte er die Beine an den Leib zu schlagen, sich in die relativ trockene Astkuhle zu setzen und verlor unerwartet den Halt.

Er kippte von seinem Platz, griff mit den Händen nach Ästen, die jedoch brachen. Der Elf fiel durch das Laub. Ein Wirrwarr aus Zweigen zerbrach unter seinem Gewicht und er schlug hart mit dem Rücken auf einem Stein auf, rutschte am nassen Efeu daran herunter und blieb schließlich am Waldboden verletzt liegen. Der Schmerz in seinen gebrochenen Rippen überwältigte den Jüngling und ihn überkam eine Ohnmacht.

Das schmerzvolle Stechen holte Yareth in das Diesseits zurück. Verkrümmt, durchnässt und verfroren lag er auf dem moosüberwucherten Boden. Jedes Einatmen wurde zur Qual, da zwei gesplitterte Rippenknochen drohten die Lungenflügel zu durchdringen, wenn er sich zu sehr bewegte. So blieb er reglos liegen und versuchte so flach wie möglich zu atmen.

Der Regen hatte aufgehört, vereinzelt hörte der Elf dicke Tropfen von den Blättern fallen. Er öffnete die hellblauen Augen und konnte über sich deutlich das Geäst des Baumes erkennen, von dem er gefallen war. Ein warmes gelbes Licht umhüllte ihn, er blickte zur Seite und ein von Efeu und Moos überwucherter schwarzer Obelisk ragte an seiner Seite hinauf. Verwitterte fremde Zeichen und Symbole lugten an den freien Stellen hervor, deutlich zu erkennen, da das seltsame Licht tiefe Schattenfurchen hinein brannte.

War es bereits wieder helllichter Tag und das das Licht der Sonne? Doch da drang die finstere Nacht wieder heran, umschloss das gleißende Schimmern, das sich aufgebracht über den verletzten Elf legte. Yareth spürte eine Berührung, wie von warmen Wind und stöhnte auf. Dann schmolz die Helligkeit zu einer zweifarbigen Gestalt zusammen: die linke Seite war olivgrün und schuppig, die rechte von makelloser rosigen Haut bedeckt. Yareth sah auf sein nacktes Ebenbild. Nur die Augen waren von einer lichtlosen Schwärze.

Schmerz! Du leidest, Yareth! Ein Flüstern in seinem Kopf. Der nackte Zwilling, der sich über ihn gebeugt hatte und neugierig betrachtete, schien zu ihm zu sprechen.

"Wer ... bist ... du?" fragte Yareth leise.

Ich bin ... Vergessen. Ich war einmal ein Gott. Wer ist Yareth? Das Wesen drehte nur neugierig den Kopf, die Lippen bewegten sich nicht.

"Ich bin ein verfluchter Aensidhe", antwortete Yareth und stöhnte schmerzvoll auf, als die gebrochenen Rippen ins Muskelfleisch stachen. "Erlöse mich bitte von meinem Leid. Töte mich."

Leid? Yareths nacktes Ebenbild streckte die Hand nach ihm aus, berührte ihn an der Brust, entlockte ihm einen weiteren Schmerzensschrei. Warum willst du sterben? Du bist so jung, kräftig und wunderschön.

Yareth lachte auf und bereute es sofort wieder. Ächzend versuchte der Elf sich etwas zur Seite zu drehen, um die Spannung von seinem durchgebogenen Kreuz und dem Brustkorb zu nehmen. Er hustete Blut.

Die Hand des namenlosen Gottes schob sich auf die Stirn des Elfen, von ihr ging eine einnehmende Wärme aus. Er drang in Yareths Bewusstsein, saugte ihm die Antworten aus seinen Erinnerungen und Erfahrungen. Yareth wimmerte hilflos unter ihm. Wehrlos und gebrochen ließ er das Suchen des Gottes in seinem verzweifelten Inneren zu. Hoffte auf baldige Erlösung.

Irgendwann wurde die Hand fortgezogen, das Wesen erhob sich. Mit tränennassen Augen blickte Yareth nach einer Weile auf eine andere Gestalt, der Gott hatte sein Aussehen erneut verändert. Nun schaute ein Mischwesen - halb Mann, halb Adler - auf ihn herab. Der Kopf und die Arme waren von einem riesigen Adler mit hellbraunen Federn bedeckt, die auch den breiten Rücken hinab liefen und in einem Federkeilschwanz endeten. Die mächtige Brust, das große Gemächt und die kräftigen Beine waren haarlos und er trug keinerlei Kleidung. So ein Gottwesen hatte der Elf noch nirgendwo gesehen.

"Du empfindest deinen Echsenanteil als abstoßend", krächzte der unbekannte Gott in der Elfensprache, denn Yareth konnte ihn gut verstehen. "Du bist fortgelaufen, um den Tod zu suchen. Und hier auf meinem vergessenen Schrein gelandet. Dein Blut und dein Schmerz haben mich geweckt. Ich erfülle dir deinen Wunsch Aensidhe!"

Yareth wimmerte auf. Plötzlich nicht mehr ganz so mutig, im Angesicht seines nahen Todes. Wollte er sein Leben wirklich jetzt schon beendet? Nur wegen seiner Hässlichkeit? "Bitte, warte", entgegnete der Elf zweifelnd.

Der Adlerkopf drehte sich, das eine gelbrote Auge fixierte ihn neugierig. "Keine Angst, Yareth. Ich werde dir eine ganz neue Existenz schenken."

Der Adlermann beugte sich bedrohlich herab, der scharfe Schnabel öffnete sich. Der junge Elf wehrte den namenlosen Gott mit seinen Händen ab, hatte ihm aber nur wenig an Gegenwehr zu bieten. "Ich werde dein Blut trinken und in diese Welt zurückkehren", krächzte der Adlerkopf und der Schnabel näherte sich dem Hals des Elfenjünglings. "Empfange deine Belohnung!"

Die Klauenhände an den Flügelenden fixierten die abwehrenden Hände. Yareth schrie gellend auf, als der Schnabel seinen Hals aufriss. Dann war um ihn nur noch formlose, gefühlsfreie Finsternis.

Der hellbraune Adler stieß auf die sich am Boden windende dunkelgrüne Schlange herab und ergriff sie mit den gelben Klauen. Die spitzen Krallen gruben sich in den windenden Schlangenleib und flogen mit der Beute davon. Der Griff des Adlers sprengte die Schuppenhaut, das biegsame Schlangenskelett zerbarst.

Albtraumgleich fuhr der Elf aus seinem Traum auf. Erwachte zitternd. Gerade noch war Yareth die Schlange gewesen, die im eisernen Griff des Adlers starb. Jetzt fand er sich in einer weiten mit hohen Säulen und Baumriesen durchwobenen Halle wieder.

Er barg seinen pochenden Kopf in den schlanken Händen, an deren Finger er je einen protzigen Silberring mit Edelsteinen trug. Verwundert betrachtete Yareth seine Hände. Makellose Form, rosig helle Haut und lange weiße Nägel - bei beiden Händen, die aus silberdurchwebten Ärmeln schauten. Yareth schob den linken Ärmel weiter hinauf, ein makelloser Unterarm folgte. Keine vernarbte Echsenhaut.

Yareth sprang auf, sah an sich hinab, tastete am Hals hinab und riss sich das edle Silbergewand auf. An seiner linken Seite war die schuppige Haut verschwunden und er trug die Kleidung eines Königs. Das weißblonde Haar fiel ihm in feinen Wellen über den Rücken und an der Seite des Kopfes herab, es war heller als Yareth es in Erinnerung hatte. Er tastete sein Gesicht ab, volle Lippen, gerade Nase und spitze Elfenohren unter einer seltsamen, dornigen Krone. Aber am meisten freute ihn, dass seine entstellte Seite verschwunden war.

Er blickte sich weiter um, sah den wuchtigen hohen Thron mit der Rückenlehne aus verschlungenen Ästen. Eine breite Treppe führte hinab, so dass jeder Bittsteller demütig zum Thron des Königs hinaufsehen musste. Ein kleiner Platz folgte, von dem vier Wege in alle Himmelrichtungen durch die gewaltige Halle führten. Gebogene Deckenbögen, gehalten von haushohen verzierten Säulen durchbrachen in unregelmäßigen Abständen die Weite. Dazwischen schlanke Bäume mit silbergrünem Blattwerk. Sonnenlicht wurde mit Spiegeln ins Innere geleitet und durchflutete die unterirdische Halle taghell. Wege und Brücken führten kreuz und quer zu weiteren Plateaus und Wohnbereichen zwischen den Steinstelen. Feingliedrige Elfenverzierungen prangten überall. Sparsame Sitz- und Abstellgelegenheiten ließen den eigentlichen Zweck dieser überdimensionalen Halle im Berg erahnen. Ein sanftes Zwitschern und Plätschern lockte die drückende Stille fort. In der Ferne liefen fünf Elfen in grüngoldenen Rüstungen über einen Brückensteg.

Das muss ein Traum sein, gestand sich Yareth und drehte sich im Kreis.

"Kein Traum", mahnte ihn eine krächzende Stimme und neben dem geflochtenen Thronsessel stand der Gott halb Mann, halb Adler.

Yareth erstarrte in seiner Bewegung. Nahm den Handspiegel entgegen, den ihm der vergessene Gott reichte. Einige Male hatte sich der Elf im Wasser angewidert betrachtet. Nun strahlte ihn ein wunderhübsches edles Elfengesicht mit weißblondem Haar und Augen wie blaues Eis entgegen. Nirgends war auch nur die kleinste Narbe, Schuppe oder Verunstaltung zu sehen. Und er war zudem noch mit unsterblicher Jugendlichkeit belohnt.

Nur die goldkupferne Krone, die sich in Höhe der Ohren von den Wangen um seinen Kopf windete, schien eine Besonderheit aufzuweisen: ihre dornigen Enden drangen bis in die Haut. Sie saß wie eine zu enge Fessel auf seinem Haupt und Yareth bemerkte den dauernden Schmerz, der von ihr ausging. Er zerrte an ihren Spitzen, versuchte die Enden aus seiner Wange zu ziehen.

"Wenn du sie abnimmst, wirst du zu dem der du einst warst", sprach der Gott und griff nach einem gewundenen Kampfstab, mit einem blauweißen Kristall, der wie eine Lanzenspitze geformt war. Der Stab schien aus dem gleichen hölzernen Metall zu bestehen, wie die Krone. Rötliches Gold. "Diese Krone verleiht dir unendliche Macht. Zusammen mit diesem Richtstab."

Verwirrt legte der Elf den Spiegel zu Boden, nahm den Stab entgegen und duldete die drückende Dornenkrone auf seinem Kopf. "Wer bin ich?"

"Du bist Yareth", antwortete ihm der Adler-Mann. "Du bist der König dieser im Verborgenen lebenden Aentawardhe. Das hier ist dein Reich Ban-Caervael, das im Süden der Kristallberge und im äußersten Osten von Hedena liegt. Du bist das mächtigste Wesen in dieser von Menschen, Elfen, Zwerge und anderen Ungeheuern bewohnten nördlichen Welt. In dir ruht mehr Magie als alle menschlichen Zauberern zur Verfügung steht. Du bist das schönste Wesen, das je unter den hochedlen Aensidhe geboren wurde. Das ist mein Geschenk an dich."

"Warum tust du das?" wollte Yareth wissen. "Und was geschah mit dem entstellten Jungen?"

Der vergessene Gott zuckte die mit Federn bedeckten Schultern. "Lausche in dich. Dort findest du alle Antworten auf deine Fragen. Ich nahm dir nicht dein altes Leben, ich gab dir nur ein neues dazu." Ein Adlerschrei ersetzte ein Lachen, dann verschwand der sonderbare Gott. Löste sich einfach im gleißenden Tageslicht auf.

Der schwarze Obelisk im Wald, erinnerte sich der Elf und ein Schwindel überfiel ihn. Als er sich fing, stand er unverwandt an diesem Ort. Blickte zum zweimannshohen Schrein hinauf, dessen Spitze in zwei Adlerflügeln endete, wovon eine abgebrochen war. Mit der linken, makellosen freien Hand tastete er das schwarze Gestein ab. Fuhr die unbekannten Symbole entlang und konnte auch sie entziffern. Erfuhr den Namen des vergessenen Gottes. Er wurde einst Therein alfirin Vala aen Ledinrim genannt. Therein, der unsterbliche Gott der Freien Völker war bereits vor dem neuen Zeitalter in Vergessenheit geraten.

Yareth spürte unter den Fingern sein getrocknetes Blut, das von seinem Sturz herrührte. Einen toten Körper fand er nicht. So musste stimmen, was der Adler-Mann ihm erzählt hatte: der Sohn von Indrail existierte weiterhin. Er verstand dieses Wunder noch nicht, aber akzeptierte es. Ging auf die Knie und dankte seinem neuen Gott Therein.

"Vielleicht offenbarst du mir eines Tages deine wahren Beweggründe", betete Yareth leise, "bis dahin will ich dein Geschenk annehmen und auskosten."

Auf den Kampfstab gestützt erhob sich der Dornenkönig und fand sich einen Lidschlag später in der gewaltigen Thronhalle wieder. Yareth taumelte, ließ sich auf den harten Thronsessel fallen.

"Ist euch unwohl, mein hoher Locthar?" fragte ihn besorgt eine männliche Stimme.

Yareth blickte auf, sah einen hübschen Aentawardhe in grünbrauner Kleidung auf der Treppe stehen. Aus seinen Erinnerungen her wusste der König, dass dies sein Hofkämmerer und persönlicher Diener Caelen war. Er hatte hellbraunes Haar und Augen wie Bernsteine.

Sie verehren mich, dachte Yareth, in ihren Augen bin ich ihr unsterblicher Herrscher. Ein mächtiger uralter Aensidhe unter wilden Waldelfen. "Ich will mich ausruhen und zuvor ein Bad nehmen", befahl er seinem Diener und Caelen eilte davon.

Er kannte jeden einzelnen der um einiges kleiner gestalteten meist braun- und rothaarigen Elfen, die sich in diesen gewaltigen Höhlenkomplex inmitten der waldigen südlichen Kristallberge zurückgezogen hatten. Yareth überragte den größten Aentawardhe unter ihnen noch um eine ganze Kopflänge und durch sein makelloses helles Aussehen zeichnete er sich als Einer vom Volk des Alten Blutes aus. Er war von edelster Ursprünglichkeit, voller uraltem Wissen und Magie der alten Zeit. Yareth war einzigartig unter seinesgleichen. Ein Elf des Ursprungs. Jahrtausend alt und doch steckte in ihm vordergründig ein erst fünfzehnjähriger pubertierender Jüngling mit verkrüppeltem Geist.

II Der Spielmann

Das edle Haupt lag auf einer mit Moos gepolsterten Kopfstütze und das weißblonde seidige Haar umschloss das schmale Gesicht wie ein Lichtkranz. Die rötlich-goldene Dornenkrone stach mit ihren Enden in die hohen Wangenknochen und in den eisblauen Augen spiegelte sich das stete Leid, das davon hervorging. Der Kopfschmerz war allgegenwärtig. Nur manchmal, wenn andere Dinge den Elfenkönig ablenkten, vergaß er die Pein.

Yareth lag seit Stunden unbeweglich auf seinem weichen Bett, starrte an den gemalten Sternenhimmel darüber und grübelte.

Viele Male war er aus seinem luxuriösen Rattenloch gekrochen, in die Berge und Wälder zur Jagd geritten und hatte sich kaum jemanden außer seinem Waldelfenvolk gezeigt. Yareth fand sich in einem immerwährenden Traum, aus dem er so schnell nicht erwachen wollte.

Die Aentawardhe führten ein zurückgezogenes Leben, fern ab der menschlichen Zivilisation. Mussten sich nur den unzähligen Harpyien in den Bergen und den hungrigen Wölfen in den Wäldern erwehren. Es gab derer nicht mehr viele, nur etwa sechshundert der einst naturverbundenen Waldelfen lebten im unterirdischen Ban-Caervael. Und unter einem Drittel davon waren weiblichen Geschlechts.

Yareth wollte nicht zugeben, dass er sich vor der großen rauen Welt da draußen fürchtete, dazu war er in seiner vollkommenen Gestalt viel zu stolz. Dabei musste er die Menschen, die ständig Krieg gegeneinander führten und alles unterjochten und zerstörten was anders war als sie, nicht mal fürchten. Hatte er doch uneingeschränkte Macht durch das göttliche Geschenk, das ihm der vergessene Gott Therein einst gab.

Sein Hofkämmerer Caelen legte das Buch, in dem er die halbe Nacht gelesen hatte, beiseite, als sein weißblonder Herr die leichte Decke zur Seite schob und sich aus dem Bett erhob. Gegen den zwei Meter großen edlen Elf wirkte der hellbraunhaarige Waldelfe beinahe wie ein Zwerg. Die meisten Aentawardhe waren kaum größer als die menschliche Rasse. Caelen bewunderte alles an seinem König, die makellose hellrosige Haut und die sehnig kräftige Statur.

Auf sein Verlangen hin holte der Diener eine aus feinem Gras gewebte Hose, kniehohe weiche Lederstiefel und kleidete seinen Herrn damit ein. Yareth setzte sich auf einen Hocker, damit ihm der Kämmerer das lange Haar zu einem Zopf flechten konnte. Dann massierte er ein nach Vanille duftendes Öl in seine Haut ein. Zum Schluss half ihm Caelen in eine silbergewirkte lange Weste hinein, deren unzählige Knochenknöpfe er geübt schloss.

Mit einer kurzen Geste, in der Yareth seinem Diener den Oberarm herunter streichelte, bedankte er sich und holte seinen Richtstab aus rotem Gold von der Seite seines Bettes. Niemand erlaubte er diesen Stab zu berühren.

Statt aus der reich geschnitzten Tür zu gehen, wünschte sich Yareth einfach dorthin, wohin er zu gehen gedachte. In einer der unzähligen großen lichtdurchfluteten Hallen waren etwa fünfzig Soldaten damit beschäftigt, unermüdlich ihr Kampftraining zu verbessern. Eine Handvoll Offiziere beobachtete die Krieger dabei und beurteilten sie. Als der Dornenkönig in ihrer Mitte auftauchte, hielten alle inne und verneigten sich vor ihm.

Yareth lockerte seine Muskulatur, die noch etwas steif vom unbewegten Liegen war. Die Soldaten in ihren leichten Rüstungen aus braunem Leder setzten sich in einen großen Kreis und schauten dem Übungskampf ihres Königs fasziniert zu. Von den vier Offizieren traten zwei Männer in den Kreis und griffen ihren Herrscher mit scharfen Lanzen sofort an.

Mit seinem außergewöhnlichen Kampfstab blockte Yareth den ersten Angreifer ab und wich dem anderen mit einer eleganten Drehung aus. Schon traf er diesen mit der Unterseite seines Stabs in die geschützte Hüfte, der Hauptmann - ein stämmiger Elf mit dunkelbraunen Haarzöpfen - fing sich nach dem dritten Schritt und stach diesmal tief mit seiner Lanze zu. Sein erster Angreifer, ein dunkelblonder älterer Elf mit einer Narbe an der Stirn, attackierte Yareth. Unermüdlich schlugen die langen Waffen gegeneinander und ihr Tocktock widerhallte in der großen Halle. Doch keiner der beiden gewandten Waldelfen durchbrach die Deckung des größeren Weißblonden. Yareth tänzelte zwischen den beiden Angreifern hin und her, spielte mit ihnen. Er hielt sie eine Weile hin, bis er mit unglaublich schnellen Bewegungen deren Deckung unterwanderte und sie mit harten Stößen zu Boden schickte.

Anerkennende leise Jubelrufe galten dem weißblonden Sieger und mancher der Soldaten klatschte mit seiner flachen Hand auf die Schenkel. Der Dornenkönig stand unbeweglich in der Mitte, gerade und abwartend blickte er zu der Schönheit mit den rostbraunen Haaren.

Daryl war Hauptmann der Leibgarde des Königs von Ban-Caervael, die Elfenfrau mit dem zweithöchsten Rang. Sie löste sich von der Seite des hochrangigsten Elfen, Lordkommandant Navareth, einem Kampfveteran mit zeitlosem Gesicht unter kurzen dunkelbraunen Haaren. Die Kriegerin schritt langsam dem Dornenkönig entgegen. In ihrem ernsten Gesicht war keinerlei Regung zu erkennen, aber jeder wusste, dass sie heimlich in den weißblonden Aensidhe verliebt war, da sie bisher jede Annäherung eines anderen Elfenmannes abgelehnt hatte. Ob jedoch der König selbst von der Schwärmerei seines weiblichen Hauptmanns wusste?

Ohne Vorwarnung schwang Yareth in einer weiten tänzerischen Drehung seinen Kampfstab mit dem Kristall und Daryl blockierte mit ihren gekreuzten Schwertern. Dreimal führte der Dornenkönig überraschend schnelle Attacken gegen die hochgewachsene Frau, die ihm doch in allem unterlegen schien, und alle in allerletzter Minute parieren konnte. Sie sprang nach hinten, als er ihr die Beine unterm Leib fortschlagen wollte. Tänzelte flink nach links und stach abwechselnd mit ihren Klingen nach seinem Leib, ohne ihn jedoch zu berühren. Er ließ zu, dass sie ihn umrundete und in seinen Rücken gelangte.

Daryl sprang auf Yareth zu, der sich drehte und den Kampfstab senkte. Die Hauptmann trat auf den Stab, federte daran hoch und aus der Bewegung ihres Saltos heraus stach ihr schlankes Sihil über die Brust ihres Königs. Knochenknöpfe flogen im hohen Bogen durch die Luft und fielen mit einem markanten Singsang auf den Boden. Daryl fing ihren Salto ab, ging auf ein Knie und spürte einen harten Stoß gegen die Stirn. Mit dem Stabende holte sich Yareth dann doch noch den Kampfsieg.

Die Weste klaffte auf, die Waldelfen hielten den Atem an und schauten mit geweiteten Augen, ob Daryls Schwert ihren Herrscher verletzt hatte, aber auf der haarlosen Brust war kein einziger Blutstropfen auszumachen. Yareth wartete bis sich die Kriegerin erhoben hatte und demütig den Blick vor ihm senkte.

"Das war gut gekontert, Hauptmann", entgegnete der Dornenkönig trocken. "Aber du bist zu langsam. Ihr seid alle viel zu langsam." Diese Rüge ihres Herrschers kannten die Soldaten bereits und verneigten sich ehrfurchtsvoll, bevor sie den Kampfplatz verließen. Als Daryl an Yareth vorbeigehen wollte, hielt dieser sie auf. "Sammele die Knöpfe ein."

In den leuchtend grünen Augen der Elfin mit dem rostbraunen langen Haar funkelte kurzer Zorn auf, doch dann klaubte sie die weißen Knöpfe vom Boden auf. Mit einer magischen Handbewegung öffnete Yareth die restlichen Knochenknöpfe, die an der Weste drangeblieben waren und zog sich das Kleidungsstück vom wohlgestalteten Leib. Er reichte ihr die Langweste und meinte: "Nähe sie alle wieder daran."

Daryl zögerte, nahm das Kleidungsstück jedoch nicht entgegen. Stattdessen konterte sie: "Meine Talente liegen im Kampf und nicht in der Hausarbeit. Würde ich die Knöpfe wieder annähen, mein Locthar, die wunderschöne Weste könnte nie mehr von euch getragen werden. Gebt dies lieber Caelen in die Hand." Sie streckte ihm die Hand mit den eingesammelten Knochenknöpfen hin.

Der Dornenkönig schien noch vor ihr zu wachsen, als er bestürzt über ihre Widerworte die beschädigte Weste über ihren Arm legte. "Du hast sie beschädigt, du reparierst sie auch", forderte Yareth kühl.

Langsam drehte die Elfin ihren Arm. Die Knöpfe kullerten aus der Hand, fielen erneut zu Boden und die Weste folgte diesmal. Wären sie in diesem Augenblick nicht alleine in der großen Halle gewesen, Daryl hätte sich solch eine rebellische Aktion gegenüber ihres Königs nie erlaubt. Aber nun nutzte sie die Situation, um endlich seine Aufmerksamkeit zu erlangen, mochte sie auch von strafender, negativer Natur sein.

Ein amüsiertes Lächeln legte sich auf seine vollen, rosigen Lippen. Daryl senkte ein letztes Mal den Blick, betrachtete dabei sehnsüchtig den nackten Oberkörper ihres begehrten Königs und ging hinaus.

Fast täglich betrachtete sich Yareth nackt im Spiegel. Bewunderte den makellosen perfekten Körper in dem er nun steckte. Die Erinnerung an seine Schuppenhaut verblasste, ebenso wie an seine Mutter Indrail und seine Kindheit in Rosenwasser. Jetzt war er mehr als nur ein Außenseiter, den alle mit hässlichen Schimpfwörtern titulierten. Ein Außenseiter war er zwar geblieben, aber er besaß nun absolute Macht und Schönheit. Die er jedoch kaum zu nutzen wagte.

Caelen trat in die privaten Räume seines Herrn, als dieser sich wieder einmal nur mit seiner dornigen Krone bekleidet in einem mannshohen Spiegelbild betrachtete. Über seinem Arm trug der Hofkämmerer die silberdurchwirkte Weste, die Knöpfe waren allesamt wieder angenäht worden. Der Waldelfe verstaute das Kleidungsstück auf einer der vielen Ablagefächer im hinteren Ankleidebereich.

Dort trugen hölzerne Puppen die prächtigsten der Gewänder des Königs, damit diese keine Falten bekamen. Alle waren mit echten Gold- und Silberfäden durchwirkt und meist in den edlen Farben von Himmelblau, Silbergrau und Tannengrün gehalten. Dazu gab es unzählige Schatullen mit wertvollem Schmuck. Meist Ringe, Diademe, lange Ketten und filigrane Gürtel. Eine der Puppen trug eine so dunkelgrüne Rüstung, dass sie schon fast schwarz wirkte, sie war aus abertausenden kleinen Metallblättern, die echten Blättern nachempfunden waren, gefertigt. Vollendete Elfenkunst auch der passende elegante Helm dazu. In einem Bereich daneben, lagen allerlei Waffen auf Tischen, in Truhen und an den Wänden waren Schilde und Banner gehängt.

"Hast du sie repariert?" wollte Yareth wissen und schlüpfte in einen weiten Hausmantel aus grauer Seide, die bei jeder Bewegung zerfloss wie Quecksilber.

Caelen nickte. "Daryl hat sich noch keinen Mann erwählt."

"Dann sollte sie es langsam tun", kommentierte Yareth ungehalten, "ihre Frechheiten mir gegenüber werden immer dreister."

"Dann habt ihr es noch nicht bemerkt?" entgegnete der Kämmerer vorsichtig.

"Du meinst ihren schmachtenden Blick auf meine Gestalt und ihr sehnsüchtig pochendes Herz, das in einer mädchenhaften Schwärmerei zu mir entflammt ist?"

Es ist viele Jahre her, dass sein Herr eine Frau in sein Bett gelassen hatte, dachte der Diener kummervoll. Und seit dem er sich so seltsam zwiespältig benimmt und die dornige Krone nicht mehr abnimmt, behandelte er die Elfenfrauen mit einer noch größeren Distanz als sonst. Aber Caelen würde dies vor seinem Herrscher nie laut auszusprechen wagen, stattdessen meinte er: "Gefällt sie euch denn nicht?"

"Sie ist eine sehr hübsche Elfin", erläuterte Yareth, "und ihr Kontra erweckt mein Interesse an ihr zudem. Aber mir ist nicht nach dieser ...Sache."

"Erlaubt mir zu sagen", mahnte Caelen zögerlich, "dass ihr euch im letzten Jahr arg verändert habt."

Yareth trat an seinen Kammerdiener heran, blickte kritisch auf ihn herab. "Jeden Tag kümmerst du dich um meine intimsten Bedürfnisse, salbst mir den Leib, kämmst mir das Haar und kennst mich fast besser, als ich mich selbst." Er verschränkte die Arme in den weiten Ärmeln des Mantels, versuchte einen wohlwollenden fürsorglichen Ausdruck aufs edle Gesicht zu setzen. "Sprich frei heraus, Caelen, was dich sorgt."

Der Waldelfe zögerte, fasste sich dann doch ein Herz und meinte: "Ihr nehmt diese Krone nicht mehr ab. Ihre Dornenenden wachsen in euch hinein, sie muss euch Schmerzen bereiten. Vermutlich hat das euch verändert."

Meine Untertanen wissen es also, dachte Yareth qualvoll. In so mancher einsamer Nacht, wenn Caelen in der Vermutung, dass er tief und fest schlief, fortgegangen war, hatte er das stachlige Ding aus rotem Gold heruntergerissen. Aber dann hatte er sich in das verhasste Echsenwesen zurückverwandelt, als das er geboren worden war. Schnell hatte er sie sich wieder aufs Haupt gestülpt und jedes Mal waren die Dornenenden tiefer in die Schläfen eingedrungen. Sollte er Caelen die Wahrheit sagen?

"Ich darf sie nicht mehr abnehmen, weil..." der Dornenkönig zögerte und setzte sich auf seinen Hocker vor dem Toilettentisch. Er betrachtete sein wunderhübsches Antlitz. Weil ich mich sonst in ein hässliches Monster zurück verwandle - doch das sprach er nicht aus.

Caelen drängte nicht weiter. Ihm stand es nicht zu seinen königlichen Herrn zu maßregeln. Doch die Qual in den eisblauen Augen ließ ihn fast sein Herz brechen. Er liebte diesen weißblonden, großen Elf, der über ein Jahrtausend überdauert hatte, aber immer noch wie ein unerfahrener Jüngling aussah. Er diente ihm bereits seit fast zwei Jahrhunderten, daher war ihm die Wesensveränderung an ihm besonders schnell aufgefallen.

"Daryl ist der Hauptmann meiner Leibgarde", wechselte Yareth unerwartet zum alten Thema zurück. "Das könnte nur neue Probleme heraufbeschwören."

"Sie ist ungebunden und vom hohen Rang", antwortete der Diener überlegt.

"Ich kann jede aus meinem Volk erwählen!" Yareth hatte den Blick nicht vom Spiegel genommen, der Diener stand so hinter ihm, dass er ihn im Spiegelbild sehen konnte.

Caelen nickte ergeben.

Einige Tage später eilte einer seiner Wachsoldaten durch den Thronsaal, erkletterte die hohe Treppe in demütiger Haltung und überreichte seinem König eine kleine Nachricht, die vor wenigen Minuten eine Amsel aus dem Wald herangebracht hatte. Yareth entrollte den Zettel und las die kurze Mitteilung. Der Soldat wartete am Fuße der Throntreppe auf weitere Anweisungen.

Der Dornenkönig erhob sich, griff nach seinem Richtstab und kam die Stufen hinab geschwebt. "Schickt einen Reitertrupp zum westlichen Waldpfad, dort wurden Eindringlinge entdeckt."

"Ja, mein hoher Locthar", antwortete ihm der Soldat - wartete aber, bis sein Herrscher an ihm vorbei geschritten und sich fort teleportiert hatte, bevor er Kommandant Navareth den Befehl überbrachte.

Sein dunkelgrünes Gewand mit den goldenen Netzstickereien darauf tarnte Yareth vorzüglich und Hauptmann Daryl bemerkte zunächst nicht, dass ihr König sich in ihrer Nähe materialisiert hatte. Sie lauschte in den Wald hinein und war abgelenkt.

Die Sonne stand hoch am Himmel und nur einzelne Sonnenstrahlen fanden ihren Weg durch das sommerlich dichte Blattwerk der riesigen Bäume. Es war angenehm warm, nicht zu heiß und die Vögel und Insekten taten emsig ihre Arbeit.

Doch ein weiteres Geräusch, das nicht in die abgelegene wilde Idylle hineinpasste, drang an die spitzen Ohren der Elfen: Jemand spielte auf einer Laute und sang dazu. Es war eine leichte Weise mit einem melancholischen Refrain. Das Lied war eine vergessene Liebesgeschichte und wurde auf elfisch vorgetragen.

Yareth trat an die Elfin heran, die sich zu ihm umdrehte, als er zu sprechen anfing. Sie wirkte keinesfalls erschrocken über sein Auftauchen. "Wer ist das?"

"Ein Spielmann, ein Mensch", antwortete Daryl, "er ist allein. Wir sind vor einer Stunde auf ihn gestoßen. Seitdem spielt er ununterbrochen auf seiner Laute."

"Er spielt gut", meinte Yareth. "Hat er sich verirrt?"

Die Hauptmann schüttelte den Kopf. "Ich glaube das nicht, mein Locthar. Er will auf sich aufmerksam machen. Vermutlich weiß er, dass wir hier im Wald leben. Was sollen wir mit ihm machen?"

"Ich sehe ihn mir erst einmal an", konterte der Dornenkönig und schritt auf dem alten Weg dem Lied entgegen. Die Pflastersteine waren schon fast völlig mit der Zeit von Gras und Moos überwuchert und kaum noch zu entdecken.

Die leichte Weise endete, während Yareth dem Spielmann immer näher kam. Ein neues Lied wurde angestimmt, noch melancholischer als das zuvor - es erinnerte an den Herzschmerz einer Frau, die am Grab ihres Geliebten stand.

Wie es wohl meiner Mutter Indrail geht, dachte Yareth auf einmal und eine tiefe Traurigkeit übermannte ihn.

Die Klänge des Instruments waren nun so laut, dass er den begnadeten Künstler eigentlich fast erreicht haben musste. Doch der Wald war so dicht, dass der weißblonde Elf ihn noch nicht sah. Er darf mich nicht entdecken! - mahnte sich Yareth und die hochgewachsene Gestalt verschmolz mit seiner Umgebung. Sie wurde unsichtbar.

Langsamen Schrittes trat ein einzelner Mann im bunten Gewand, mit den Farben des Regenbogens zwischen den Bäumen und Farnbüschen hindurch. Eine mit unzähligen feinen Intarsien gefertigte, zwölfsaitige Laute vor der Brust und ein leises Summen auf den vollen Lippen. Schwarzes Haar umschmeichelte unter dem Hütchen mit Feder den schmalen Nacken. Der Barde war eher von schmächtiger, mittelgroßer Statur. Die dunklen Augen lagen im Schatten und blickten stetig voraus. Am Rücken hatte er einen magergefüllten Rucksack geschnallt und im Gürtel steckte ein schlichter Dolch. Yareths Blick bemerkte, als der Spielmann an ihm vorbeiwanderte, dass das Wams, die Hose, die Stiefel und der halblange Mantel schon bessere Tage gesehen hatten, abgewetzt und bereits einige Male geflickt worden war.

Ein Vagabund mit begnadetem Talent, dachte der Dornenkönig und blickte dem Menschenmann hinterher. Was ihn wohl in diese Gegend verschlagen hatte?

Als hätte er die Gedanken des Elfen gehört, blieb der Spielmann plötzlich stehen und drehte sich mit einer eleganten Wendung zu Yareth herum. Er hatte aufgehört zu spielen und sagte mit wohlklingendem Timbre unverfroren in den Wald hinein: "Die Kunde von Ban-Caervael kam an mein Ohr - die fast vergessenen Aentawardhe lebten dort. Ein edler König mit dorniger Krone stehe ihnen vor, ihm will ich aufspielen, schickt er mich nicht wieder fort." Ein breites Grinsen legte sich auf die recht hübschen Züge des etwas dreißigjährigen Mannes und er verbeugte sich übertrieben höfisch vor dem Elfenkönig, der weiterhin unsichtbar über allem ragte. "Ihr erlaubt, dass ich mich euch vorstelle, edelster aller Elfenkönige. Ich bin Dorian Schwarzherz."

Yareth tat einen Schritt aus den Schatten hervor und offenbarte sich in seiner ganzen elfischen Pracht. "Hattest du keine Angst, dass dich zuvor ein Elfenpfeil tödlich treffen würde?"

Der Troubadour blieb in demütiger Verbeugung stehen, hatte den rechten Arm und das rechte Bein zur Seite ausgestreckt. "Drum kamen verzauberte Lieder über meine Lippen, damit kein Pfeil drang in meine Rippen."

Hinter Dorian Schwarzherz traten Daryl und fünf weiter Elfenkrieger lautlos heran und der schmächtige Mann wagte es sich langsam aufzurichten. Abwartend blickte er mit dunklen Augen zu dem großen Elfenkönig hinauf.

"Gut, Barde, ich lasse euch nach Ban-Caervael gehen", sagte Yareth schließlich, "aber ihr werdet gebunden und dürft den Weg dorthin nicht kennen."

Auf einen Befehl hin legte man ihm ein Tuch um die Augen und band ihm die Hände vor dem Körper zusammen und führte ihn dann am langen Seil durch den Wald hindurch. Auf halbem Wege begegnete ihnen Navareth auf schlanken, braunen Pferden und der Spielmann konnte den restlichen Weg in die unterirdischen Hallen Ban-Caervael reiten. Der Dornenkönig ließ sich in seinen Höhlen-Baum-Palast zurückteleportieren - dazu benötigte er nur einen einzigen Wimpernschlag.

Yareth hatte den Spielmann in den Thronsaal bringen lassen, dort musste er - befreit von Fessel und Augenbinde - einige Zeit unter Aufsicht von einem Dutzend Elfenkriegern, warten. Der Dornenkönig hatte sich in seine privaten Gemächer begeben und kleidete sich in eine himmelblaue Robe, die über und über mit aufwendigen silbernen Ornamenten und weißen Edelsteinen bestickt war. Dabei ließ er sich Zeit.

"Hat je ein Mensch diese Hallen betreten?" fragte Yareth seinen Hofkämmerer, der ihm gerade einen Gürtel aus silbernen Schwalben um die Hüften drapierte.

"Seit ich hier lebe, noch nicht", gestand Caelen, aber mit seinen zweihundertfünfzig Jahren war er auch noch kein besonders alter Elf. "Ist das nicht ein wenig zu viel Aufwand für einen musizierenden Vagabunden?"

"Ich denke nicht", erwiderte Yareth und zog sich auf jeden Finger einen Edelstein besetzten Ring. "Sagt dir der Name Dorian Schwarzherz etwas?"

Erneut verneinte Caelen. "Diese Künstler sind sonderbare Kauze, geben sich gerne hochtrabende Namen. Viel Erfolg scheint er mit seiner Liederkunst jedoch nicht zu haben, nach seinem Aussehen zu schließen." Der Diener zupfte die Falten des imposanten Gewandes zurecht und kämmte dann das offene weißblonde Haar seines Herrn, so dass es in seidigen Wellen über den Rücken fiel.

"Ich hörte ihn im Wald spielen", meinte Yareth und griff nach seinem Richtstab. "Sein Talent kommt eines Aensidhe gleich." Er betrachtete sich wohlwollend im hohen Spiegel. "Caelen, ich möchte dich ebenfalls nachher an der Tafel wissen."

"Wenn ihr es wünscht, werde ich dort sein", antwortete der Kämmerer und ließ seinem Herrscher den Vortritt.

Als Yareth in die verschlungene weitläufige Thronhalle schritt und dabei sein langes Gewand stetig vor sich hin klirrte, erhob sich der regenbogenfarbige Gast von der drittuntersten Stufe der Treppe, die zum Thronsessel führte. Der Dornenkönig trat erhaben an den Barden heran und blickte hochmütig auf den ärmlich gekleideten Mann herunter. Seine Laute - zweifelsfrei von Elfenhand gefertigt - hatte er neben sich gelegt gehabt. Nun nahm Dorian sie auf und schob sie sich auf den Rücken.

"Das Geschenk eines Elfen?" wollte Yareth desinteressiert wissen.

"Zweifelsohne", entgegnete Dorian und deutete eine kleine Verbeugung an. "Es ist mir eine außerordentliche Freude, euer Gast sein zu dürfen." Sein Lächeln war geübt höflich, erreichte aber nicht die dunklen Augen.

Die Augen sind der Eingang zur Seele, dachte Yareth und betrachtete den Spielmann eindringlicher. Der hielt seinem Blick stand, zeigte aber keinerlei Regung. Doch in deinen kann ich nichts erkennen!

Auf einer hinteren Ebene war ein niederer Tisch mit schwachgewürzten Gerichten aufgestellt worden. Darum herum waren Kissen ausgelegt, auf die sich die hochgestellten Elfen alsbald setzten. An der Stirnseite ließ sich Yareth nieder, zu seiner rechten Seite nahm ihr Gast Platz, Navareth und die anderen drei hohen Offiziere reihten sich nach links. Caelen und zwei Elfenfrauen von hohem Rang gesellten sich rechts neben Dorian Schwarzherz.

Es wurde schweigend gegessen und erst am Ende führten die Anwesenden eine höfliche belanglose Konversation.

Valdavien König Reâgan II. hatte über Kôrn ein Embargo verhängt, weil es ihn ärgerte, dass das kleine wohlhabende Reich im Norden regen Seehandel mit Doriath führte und ihn dazwischen von den Gewinnen ausschloss. Ansonsten war es erstaunlich ruhig in den Nordlande Lahors. Sah man mal davon ab, dass die Menschenstädte immer größer wurden - aber auch immer mehr verarmten. Aus dem Sumpf und Unrat darum herum wuchsen immer häufiger sonderbare, blutrünstige Ungeheuer, die nur durch ein magisches Schwert getötet werden konnten.

"Es gibt viel zu tun für Magier, Zauberinnen und Exorzisten", erläuterte Dorian seine Kundgebungen aus der Zivilisation.

"Seit ihr auf euren Wanderungen schon vielen von ihnen begegnet?" fragte Caelen, der neben dem Barden saß und den interessierten Blick seines Herrn bemerkt hatte.

Der Spielmann schüttelte den Kopf. "Ich gehe ihnen lieber aus dem Weg. Zauberinnen sind eine unangenehm arrogante Plage und ihre männlichen Artgenossen sind nicht minder überheblich und müssen sich zudem überall einmischen."

"Und diese Eisexorzisten?" wollte nun Yareth direkt wissen.

"Diese Bruderschaft von Eiswölfen aus der Lannduner Nebelburg ist zum Glück bereits dem Untergang geweiht", entgegnete Dorian trocken. "Zu wenige der geraubten Jungen überleben diesen grässlichen Giftcocktail, die sie zu mutierten Tötungsmaschinen verkommen lässt. Ich glaube", der Barde hielt kurz inne, um einen Schluck Wasser aus seinem Kelch zu nehmen, "dass sie, wenn sie ihre Pflicht getan haben, selbst von der Erde getilgt werden."

Im Geiste entstand das Bild eines quirligen rothaarigen Jungen. Wie lange mag es her sein, überlegte Yareth, das der Eisexorzist Caladir mir meinen einzigen Freund genommen hatte? Fast neun Jahre waren seitdem ins Feld gezogen. Ob Razer noch lebte und zum Eiswolf umgewandelt worden war?

"Nun verehrter Barde, ihr habt euch an meiner Festtafel gestärkt", entgegnete der Dornenkönig, "nun sollt ihr eure besten Lieder vortragen." Und in einer einzigen rauschenden Bewegung erhob sich Yareth und teleportierte sich auf seinen hohen Thronsessel mit der kunstvoll geflochtenen Rückenlehne.

Alle anderen mussten sich zu Fuß aufmachen, verließen die Ebene über eine weitläufige Brücke, um in den schmucklosen Bereich unterhalb ihres Herrschers zu gelangen. Die hochrangigen Elfen geleiteten den Spielmann in ihrer Mitte hinüber und aus allen Himmelsrichtungen kamen Aentawardhe herbei, allesamt in ihre besten Gewänder aus feinem Gras und braunem Leder gekleidet. Unzählige schöne Männer, an die einhundertfünfzig anmutige Elfenfrauen - und unter ihnen fanden sich sogar fünfzehn Kinder ein.

Sie versammelten sich alle um ihren König und dessen unscheinbaren Gast. Setzten sich auf den glatten Boden, ließen die Beine von den Brücken baumeln, lehnten gegen Säulen oder saßen auf den Ästen der Bäume. Das Tageslicht schwand und Öllampen und hohe Kerzen wurden entzündet.

Yareth beobachtete den Spielmann in seiner abgewetzten bunten Gewandung, der die Laute vor die Brust genommen hatte und geduldig reglos wartete, bis alle Waldelfen einen bequemen Platz gefunden hatten. Dann stimmte er das Instrument mit wenigen Akkorden und begann spielerisch an den goldglänzenden Saiten zu zupfen.

Er begann sein Programm mit einem altbekannten Lied, das die Liebe von einer Elfin zu einem Menschenprinzen besang. Dorians Stimme - die ein vorzüglich melodisches Elfisch sprach - nahm alle in ihren Bann. Der Klang des Instruments war vollkommen, und der Barde verstand meisterhaft mit den zwölf Saiten umzugehen. Das anerkennende Raunen nach dem Lied und das verhaltene Klatschen auf die Schenkel waren typisch für die Spitzohren und Dorian zollte ihnen eine höfisch-dramatische Verbeugung, in der er den Arm abspreizte und sich im Kreis seiner Zuhörer drehte. Nur der Dornenkönig selbst blieb wie eine Statue unbewegt auf seinem hohen Thron sitzen.

"Edler Elfenkönig", wandte sich Dorian Schwarzherz direkt an Yareth, "habt ihr einen besonderen Liederwunsch?" Das Grinsen des Spielmanns wurde noch breiter und er äugte unter seinem Hütchen schelmisch hervor.

Seine Mutter Indrail hatte ihm, als er noch ein hilfloses Baby war, immer ein Wiegenlied vorgesunden - wieso erinnerte er sich plötzlich daran, wo er das Schlaflied längst vergessen hatte? Die Kopfschmerzen schienen gerade in diesem Augenblick zu zunehmen. Die Krone drückt, dachte der Dornenkönig schmerzvoll und sprach seine Gedanken aus: "Kennt ihr das Wiegenlied vom kleinen Eichkätzchen und dem Baum?"

Dorian nickte. "Ihr sprecht mir aus der Seele, ehrwürdiger Locthar. Es ist auch eines meiner Lieblingslieder." Dann griffen die schlanken Finger in die goldenen Saiten und durch die atemanhaltende Stille drang das Wunderwerk von sehnsuchtsvollen Traumwelten.

Die Herzen der meisten Elfen vergingen in den Erinnerungen ihrer Kindheit, als sie unschuldig in den Armen ihrer Mütter lagen und davon träumten schmetterlingsgleich durch ein sorgloses blumenbuntes Paradies zu fliegen. Einige erhoben sich, meist Frauen, und tanzten leichtfüßig zu der langsamen Melodie. Der leise Gesang, der eindringlich in die Seelen der Waldelfen drang, schlug sie in seinen Bann und machte sie willenlos. Einige Elfenmänner, die auf den ungeschützten Brücken und auf hohen Ästen saßen, seufzten auf und stürzten sich in die Tiefe. Ihre Körper schlugen auf Felsgestein auf und sie starben einen nichtsahnenden stummen Tod. Viele hundert weitere Aentawardhe fielen in einen verzauberten tiefen Schlaf.

Viel zu spät bemerkte Yareth die Veränderung. Der Dornenkönig erhob sich wie in Zeitlupe, hatte selbst kaum Kontrolle über seinen Körper. Die Melodie hatte auch ihn gefesselt. Hemmte seinen freien Willen. Yareth zwang sich Schritt um Schritt die Stufen hinunter.

Der Spielmann schlug fordernder in die Saiten und die Melodie wechselte zu einem erhabenen Totengesang für einen König. "Auch ein Dornenkönig kann sich meiner schwarzen Macht nicht entziehen. Und dient mir in der nun kommenden Nacht."

Eine Lautensaite zersprang unter dem eifrigen Zauber und Yareth stolperte. Das lange Gewand hinderte ihn daran sich abzufangen, er stürzte schmerzvoll die Treppe hinab und blieb am Ende auf dem Rücken liegen.

Dorian trat an den Gestürzten heran, hob demonstrativ die Hände von seiner Laute, aber in der weiten Höhlenhalle widerhallte das Schlaflied von vorhin. Die Instrumente, die die Waldelfen selbst herbeigetragen hatten, spielten. Jedoch niemand zupfte die Saiten oder blies in die Flöten, keine Person schlug auf Trommelfelle oder strich über Harfensaiten. Sie schliefen alle bis auf die, die zuvor in den Tod gestürzt waren. Nur ein magischer Wind brachte die neben den schlafenden Aentawardhe stehende Instrumente zum erklingen. Ein mächtiger Zauber hatte die weiten Hallen Ban-Caervael ergriffen und tauchte das verborgene Elfenreich in ein bewegungsloses Traumland.

Nur der Herr des Zaubers bewegte sich unbeeindruckt zwischen den steten Melodien hindurch. Und Yareth war zwar bei Bewusstsein, war aber nicht mehr Herr über seinen Körper. Dorian stieß seinen abgewetzten Stiefel in die Seite des Elfenkönigs, der ihm wehrlos zu Füßen lag. "Habt euch meinetwegen alle in Schale geworfen, um mir meine armselige Existenz vor Augen halten zu können. Doch das Blatt hat sich gewendet und ich kann euch zertreten wie Maden im Dreck." Er lachte und schwang sich die Treppe zum Thron hinauf.

Sein Auge war auf den Richtstab gefallen. Doch als Dorian ihn in die Hand nehmen wollte, schwang der Kampfstab an ihm vorbei und in die Hand von Yareth. Ein stummer Fluch kam über die vollen Lippen, von dem ein vorwitziges Kinnbärtchen hinab wuchs.

Der Spielmann griff erneut in die Lautensaiten, kam elegant die Stufen hinab geeilt, während er eine einnehmende Tanzweise zur Mayenzeit spielte.

Der Elfenkönig spürte den Drang zu tanzen. Erhob sich quälend mit Hilfe des Richtstabes auf die Beine und stolperte tanzend an ihn geklammert herum, da er sich beim Sturz das linke Schienbein gebrochen hatte. Der schwarze Zauber nahm Einfluss auf seinen Körper, weniger auf seinen Geist. Trotzdem verhinderten der stete Schmerz und der eindringliche Klang der Laute, dass Yareth sich auf seine eigene Zauberkraft konzentrieren konnte.

Einen immer schnelleren Rhythmus schlug Dorian und lachte lauthals. Der Dornenkönig kam kaum nachgestolpert, da schlug der Barde ihm unerwartet den Richtstab aus den Händen. Abrupt kam Yareth zu Fall, stürzte erschöpft auf den felsigen Boden. "Du hast mir zu gehorchen, Dornenkönig!" brüllte der Spielmann mit hassvoller Stimme und stellte seinen schmutzigen Stiefel auf den Hals des Aensidhe. Das Tanzlied war verstummt, aber die anderen Instrumente spielten weiterhin das Schlaflied vom Eichkätzchen und dem Baum. Sie würden es so lange wiederholen, bis der Höllenbarde den Zauber von ihnen nehmen würde. "Küss mir den Schuh", verlangte Dorian Schwarzherz und offenbarte sein schwarzes Herz.

Yareth wollte sich dagegen wehren, konnte es jedoch nicht. Widerwillig hob er den Kopf und drückte seine Lippen auf das abgewetzte Leder.

Dorian lachte und befahl dem Elfenkönig das hellblaue Gewand mit den Verzierungen von Silber und weißen Edelsteinen auszuziehen.

Mühsam fingerte Yareth den Schwalbengürtel auf, zog die unzähligen Falten beiseite und schlüpfte aus den weiten Ärmeln. Der Elf trug darunter eine knielange Hose aus weißem Gespinst und weiche Stiefel aus gebleichtem Hirschleder. Der Troubadour stieß den verwundeten, gedemütigten Elfenkönig mit harten Tritten unerbittlich vom Prachtgewand hinunter. Dabei fing der offene Schienbeinbruch noch heftiger zu bluten an. Das Kleid und der Boden wurden gleichermaßen besudelt, was den Barden wenig interessierte.

"Ein letzter kleiner Test, mein dorniger Freund", fauchte der Spielmann und schob Yareth seinen Richtstab zu. "Wandle mein Gewand in ein ebenso prächtiges um."

Der einst makellose Leib des hellhaarigen Elfenkönigs war nun voller blauer Flecke und einigen Schürfwunden. Die eisblauen Augen tränennass, die Dornen der Krone stachen zusätzlich tief in den Hinterkopf, weil er auf hartem Felsboden lag. Sein schlanker Körper war eine einzige pochende Schmerzquelle. Instinktiv griff Yareth nach dem Stab, wirkte damit Magie und erfüllte seinem neuen Herrn seinen Wunsch. Das regenbogenbunte Wams bestand auf einmal aus schwerem Brokat, die Hose war aus Samt, das Hemd aus feinster Seide und alles schimmerte in einem immer wiederkehrenden Regenbogen. Die abgenutzten Stiefel waren nun aus schwarzem Büffelleder, ebenso der Gürtel und der schlichte Dolch war mit einem Rubin verziert.

Dorian Schwarzherz drehte sich freudig im Kreis. Er genoss den triumphalen Augenblick, sein Sieg über den am Boden kriechenden Elfenkönig.

Da fiel sein Blick auf die dunkelblonde Elfin Faeyenn, ihr unterstanden die hauswirtschaftlichen Aufgaben hier in Ban-Caervael Palast und sie hatte mit am Tisch gesessen, als sie zu Abend gegessen hatten. Für eine Elfin war sie sehr üppig gebaut und gefiel dem Spielmann. Er trat neben die schlafende Faeyenn und sang leise einen Zauber, hob die Hand über ihren Körper, der in einem orangegelben hochgeschlossenen Kleid steckte.

Yareth lag auf der Seite und konnte beobachten, wie die Elfin aus ihrem Schlafzauber erwachte und sich willenlos dem Höllenbarden ergeben musste. Er riss ihr das Kleid auf, um zu prüfen, ob ihm das auch wirklich gefiel, was darunter war. Dann zog er sie mit sich an eine ungestörte Stelle, ein Zimmer mit einem weichen Bett, wo sich Dorian ungestört mit der gefügig gemachten Faeyenn für einige Stunden amüsierte.

Yareth lauschte dem Rhythmus seines schlagenden Herzens. Der Schmerz betäubte ihn und er fiel immer mal wieder vor Erschöpfung und Pein in einen Dämmerzustand. Das nimmer enden wollende Schlaflied lullte ihn ein und erschwerte ihm das Denken.

Allmählich verloschen die Kerzen im kühlen Luftzug, der durch die stillen Hallen wehte. Und die meisten Öllampen gingen aus, weil sich der Tiertran aufgebraucht hatte.

Der Elfenkönig wurde jäh aus seinem Erschöpfungsschlaf gerissen, als der Spielmann ihn gegen das gebrochene Bein trat. Yareth konnte einen Schmerzensschrei nicht unterdrücken.

"Jammere nicht so rum", maulte Dorian, "du kannst dich doch sicher heilen?"

"Ich ... ich kann mich nicht darauf-" wandte der weißblonde Elf ein, wurde aber von dem ungeduldigen Mensch unterbrochen, als der ihm erneut gegen das Bein trat.

"Wo habt ihr eure ganzen Schätze versteckt? Bisher konnte ich nichts Interessantes finden. Los, Dornenkönig, wo sind deine Edelsteine, dein Gold und Silber?"

Instinktiv griff sich Yareth an die Finger, seine ganzen Ringe waren verschwunden. Der Barde musste sie ihm abgenommen haben, während er schlief - und er hatte nichts davon bemerkt. Er versuchte sich aufzusetzen, doch jede noch so kleine Bewegung war eine unendlich qualvolle Anstrengung. Jetzt bemerkte er auch, dass die Sonne durch die Öffnungen und Spiegel in die Halle fiel und sie taghell erleuchtete.

"Bleib besser da unten", knurrte Dorian, stellte ihm den Stiefel aus schwarzem Büffelleder auf die Brust. "Nun, Dornenkönig, du hast mir meine Frage noch nicht beantwortet. Wo sind die Schätze der Aentawardhe?"

"Es gibt keine", antwortete Yareth resigniert. Alles was die Waldelfen an materiellem Reichtum besaßen war in ihren Alltagsgegenständen, in der Festkleidung oder im Privatbesitz ihres Königs. Es gab einige Truhen mit ungenutzten Edelsteinen, Gold- und Silberplatten, die für den Handel mit den Menschen gedacht waren. Doch sie waren sehr gut verborgen und Yareth würde ihre Verstecke niemals preisgeben.

"Du lügst", brüllte Dorian und trat wütend auf den am Boden liegenden Elf ein. "Es muss doch noch mehr geben, außer dem bisschen Schmuck, was ich in deinen Gemächern gefunden habe. Sag es mir!" Der Spielmann zerrte Yareth an den Haaren zu sich hoch und fragte wütend erneut nach dem Elfenschatz.

Der Dornenkönig schwieg und kassierte dafür mehre harte Fausthiebe ins Gesicht. Die Lippe platzte auf und ein Schlag drückte das Dornenende tiefer in die Wange. Blut tropfte ihm übers Kinn. Yareth stöhnte nur noch.

Dorian Schwarzherz ließ den Elfenkönig los, setzte einen letzten unfairen Tritt nach, dass man glaubte Rippenknochen brechen zu hören. "Dann zaubere mir einen Schatz herbei", forderte der Barde und sah am Boden nach dem Richtstab. "Du hast mir doch schon gezeigt, dass du es kannst. Los, Dornenkönig, überhäufe mich mit Gold und Juwelen."

Yareth lag zusammengekrümmt auf der Seite, die unzähligen groben Tritte und Schläge hatten ihn vorerst ausgeschaltet. Er fühlte nur noch überschwemmenden Schmerz. Wünschte nur, dass es aufhörte. Doch es wurde noch qualvoller, als der Spielmann an seiner Dornenkrone zu reißen begann.

"Ist deine seltsame Krone etwas wert?" wollte Dorian wissen und zerrte an der rotgoldenen Dornenkrone herum. "Da ist doch Gold mit verarbeitet!" Er stemmte den Fuß auf die Brust des Elfen und zog mit aller Kraft an den längsten Dornen.

Mit einem schmatzenden Laut lösten sich die Enden aus den Wangen und hinterließen zwei blutige Löcher. Blut mischte sich mit dem weißblonden Haar. Auch am Hinterkopf waren einige Spitzen durch das Liegen auf dem harten Boden in die Haut gedrungen und hatten tiefe Wunden verursacht. Yareth war unfähig noch irgendetwas zu tun und fiel in eine erlösende Ohnmacht.

Das grünschuppige Echsenwesen kniete vor dem schwarzen Obelisken des vergessenen Gottes Therein. Im nächsten Augenblick durchfuhr ihn ein hohes Krächzen und er war ein Adler, der in weiter Höhe durch die Lüfte flog. Mit dem nächsten Herzschlag war er wieder der Vran - und sein muskulöser Leib war überall mit dunkelgrünen Schuppen bedeckt. Um sich dann beim nächsten Lidschlag als Schlange vorzufinden, die in den Klauen eines mächtigen Adlers zerquetscht wurde.

Jemand rief seinen Namen und Yareth zwang sich die Augen zu öffnen. Neben ihm kniete Therein, der vergessene Gott - in Gestalt des bizarren Adler-Mannes. Er blickte an sich herunter, seine linke Seite war nicht mit Schuppen entstellt, nur voller Abschürfungen und Blutergüsse.

"Wird dir die Krone mit Gewalt geraubt, verwandelst du dich nicht zurück", beantwortete ihm Therein seine ungestellte Frage. Er hatte sich seines Beinbruchs angenommen, den Knochen gerade gerichtet und aus dem hellblauen Prachtgewand Stoffstreifen gerissen, um ihm daraus einen stützenden Verband zu machen.

Yareth fühlte keinen Schmerz, wusste aber, dass das Bein noch nicht geheilt, das Schienbein noch gebrochen war. Suchend blickte er sich um.

"Dein Gast sitzt dort", Therein erhob sich und deutete die Treppe zum Thron hinauf. "Jetzt wirst du allein zurechtkommen müssen." Das gefiederte Gottwesen verschwand.

Tatsächlich erkannte der Elfenkönig eine regenbogenfarbene Gestalt, die auf seinem geflochtenen Thronsessel saß. Er kämpfte sich auf die Beine und schritt langsam die Stufen hinauf. Einige Male verlor er mit seinem linken Bein den Halt, zog sich mit Händen und Knien hinauf.

Dorian Schwarzherz saß aufrecht im Thronstuhl, hatte den Richtstab in der ausgestreckten Hand und die Dornenkrone auf dem Haupt. Seine dunklen Augen waren vor Entsetzen weit geöffnet und die Dornspitzen waren tief in seine Schläfen eingedrungen. Er rührte sich nicht, nur sein schmächtiger Brustkorb hob sich ganz leicht beim Ein- und Ausatmen. Verwundert betrachtete Yareth den in einem fremden Zauberbann gefangenen Spielmann.

Seine zwölfsaitige Laute lag zu seinen Füßen. Der Elf hob das edle, verfluchte Instrument auf und warf es mit einer dramatischen Bewegung quer durch die Halle. Nach kurzer Zeit schepperte der Holzkörper gegen eine Säule, zerbarst jedoch daran nicht.

Mit seiner linken Hand umschloss er den gewundenen Kampfstab mit der Kristalllanzenspitze daran. Wie von selbst löste er sich aus der Hand des Peinigers. Yareth beugte sich vor, streckte die Rechte nach der marternden Krone aus. Der Elf konnte sie ganz leicht vom Kopf des Menschen ziehen. Bereitwillig gaben die spitzen Dornen das ungewohnte Haupt frei. Langsam, aber nicht zögernd, setzte Yareth sie sich auf. Die Dornenkrone legte sich wie gewohnt über die Ohren am Hinterkopf entlang und grub seine spitzen Enden in die Wangenwunden. Bereits floss neue Kraft und Magie durch seinen zerschundenen Körper, gefolgt schon steten Kopfdruckschmerz.

Dorian erwachte aus seiner Starre, aber da hatte ihm der Elfenkönig bereits die Lanzenspitze an die Kehle gehalten. Ängstlich blickte der Barde zu dem halbnackten, hochgewachsenen Elf hinauf.

Im Hintergrund spielten die verzauberten Instrumente der Waldelfen immer noch das Schlaflied vom Eichkätzchen und dem Baum. Alle Aentawardhe lagen verstreut in der Halle und schliefen dazu.

"Ich frage mich gerade", begann Yareth ruhig zu sprechen, "ob dein Zauberbann endet, wenn ich dich töte." Die scharfe Kristallspitze drückte in den Kehlkopf und ein Blutstropfen fiel auf den bläulichen Edelstein.

"Bitte, Locthar", wimmerte der Barde und breitete die Arme zur Seite aus, "nehmt mir nicht das Leben. Jagt mich fort, ich bitte um euer Vergeben."

Dass er seinen Worten einen Reim beigefügt hatte, machte sie in den Ohren des Elfenkönigs nur unglaubwürdig und Yareth stieß seinen Richtstab tiefer und richtete über den Spielmann. Er zog den sterbenden Mann mit der Lanze von seinem Thronsessel und schleuderte ihn die Treppen hinab. Blut spritze auf die Stufen. Röchelnd krümmte sich Dorian am Boden. Mit jedem Ausatmen floss sein Lebenssaft aus der klaffenden Halswunde heraus, netzte die Kleidung und die steinerne Erde.

Der Dornenkönig stand reglos neben dem Todgeweihten und schaute ihm beim Sterben zu. Mit dem letzten Atemzug legte sich ein teuflisches Grinsen auf die blutverschmierten Lippen. Dann verstummten die Instrumente. Einige Herzschläge lang war Totenstille.

Dann erwachten die Aentawardhe aus ihrem Zauberbann. Bewegten ihre Körper, dort wo sie niedergefallen waren. Einige, die zu nahe am Brückenrand lagen stürzten in die Tiefe. Yareth bemerkte es rechtzeitig, fing die Fallenden mit seiner Magie auf und hob sie auf sicheren Boden.

Verwirrt sammelten sich die Waldelfen um ihren König und den toten Spielmann. Sie hatten keinerlei Erinnerungen an das was geschehen war, nachdem der Barde zu spielen begonnen hatte.

Yareth befahl seinem Lordhauptmann Navareth nach Faeyenn zu suchen, die irgendwo in den angrenzenden Räumen liegen musste, er hoffte darauf, dass die Elfin noch lebte.

Aufgeregte Rufe ließ den Elfenkönig an den Abgrund eilen. Da erinnerte er sich an die, die am Abend, als das Schlaflied zu spielen begonnen hatte, von ihren Ästen und Brückenplätzen gefallen waren. Mit seiner Magie hob er die zerschmetterten Elfenkörper auf den sicheren Grund.

Fünfundzwanzig waren es, wobei nur zwei Elfinnen, von insgesamt fünf, schwerverletzt den Absturz überlebt hatten - und unter ihnen befand sich Hauptmann Daryl. Yareth kniete bei ihr nieder und setzte erneut Zauberkraft ein, um ihre schweren Knochenbrüche und Quetschungen zu heilen. Es kostete ihn viel eigene Kraft, aber er vollendete es. Auch der zweiten Überlebenden rettete er mit seiner magischen Kraft das Leben.

Caelen eilte mit einem wärmenden, grünen Mantel herbei und hüllte den geschwächten, fast nackten Leib seines Herrschers hinein. Zwei Aentawardhe halfen ihm, ihren König in seine Gemächer zu tragen, legten ihn dort in sein weiches Bett. Weitere eilten mit heißem Wasser und duftenden Salben herbei, um den zerschundenen Körper zu säubern, aber Yareth schickte sie bis auf seinen Kämmerer alle fort.

"Bring mir etwas kalten Braten und von dem roten, süßen Wein", bat Yareth und sein Diener eilte hinaus. Erschöpft ließ er sich auf sein Lager fallen, bettete sein Haupt auf die Kopfstütze. Ihm schwindelte es, seine zerschundenen Muskeln zitterten und das gebrochene Bein begann wieder zu schmerzen. Warum hatte ihm das Schicksal solch einen Höllenbarden geschickt? Niemand gab ihm darauf eine Antwort.

Faeyenn fand man tot in einem der abseits gelegenen Wohn- und Schlafräume. Der Spielmann hatte sie beim Liebesakt erdrosselt. Vier Frauen und zwanzig meist sehr junge Elfenmänner hatten den Tod gefunden. Sie wurden in die Katakomben weit unter den Hallen Ban-Caervael aufgebahrt.

Der Leichnam Dorian Schwarzherz hingegen schafften sie in den Wald hinein und überließen seine Überreste den natürlichen und unnatürlichen Aasfressern. Seine unbeschädigte Laute wurde in einem kleinen Höhlenraum untergebracht, in dem sich noch andere magische und uralte sonderbare Dinge befanden und geriet dort in Vergessenheit. Nie mehr würde ein Musikant die zwölf Saiten anschlagen und Unheil über seine ahnungslosen Zuhörer bringen.

Äußerlich war Yareth nichts mehr von dem anzusehen, was der Spielmann ihm angetan hatte. Sein hellhäutiger, schlanker Leib war dank seiner magischen Kraft wieder makellos. Den eigenen Körper zu heilen, vor allem das gebrochene Bein zu richten, hatte ihn so viel Kraft gekostet, das er einen ganzen Tag lang nicht sein Bett verließ. Und die beiden folgenden Tage wollte er seine Gemächer auch nicht verlassen. Er überließ seinen hochrangigen Getreuen alles weitere, was zu regeln war.

Innerlich fühlte er sich immer noch erschöpft und müde. Dass ein Mensch mit so viel Zwietracht und Brutalität in sein Reich marschiert war, hatte er noch nicht verkraftet. Es warf neue Aspekte auf das Bildnis von Ungeheuern und wie sie zu definieren waren.

Das edle hellblaue Gewand wurde auf Bitten ihres einstigen Trägers vernichtet, nur die weißen Edelsteine fanden einen neuen Platz in einer Schatulle.

Einige Tage später bat Hauptmann Daryl um Einlass in die Gemächer ihres weißblonden Königs. Caelen ließ sie ein. Die hübsche junge Elfin mit den rostbraunen Haaren trug über einem beigen Kleid eine sienafarbene Weste aus weichem Rehleder. Schmale Zöpfe waren in ihre langen Haare geflochten, wie es zur üblichen Mode bei den Elfen gehörte.

Yareth trug mehrere Lagen weißes Gespinst und wirkte fast transparent. Er saß an einem kleinen Tischchen und schob gerade eine rote Kriegerfigur über ein Spielbrett, auf der noch einige andere rote und weiße Figuren standen. Der Dornenkönig zeigte auf den Hocker gegenüber und reihte die geschlagene weiße Figur zu den anderen an den Rand. "Spielst du gelegentlich auch Dae'dagor?"

Daryl schüttelte den Kopf und kniete sich neben ihren König nieder. "Ich will euch für meine Rettung danken."

Yareth wandte sich ihr zu, hob sanft mit dem Finger ihr Kinn an. Das Grün ihrer wunderschönen Augen hatte die Farbe vom frischen Gras nach einem Regenschauer. Ein goldener Schimmer glänzte auf ihren rosigen Lippen. Er spürte den Rhythmus ihres immer schneller schlagenden Herzens - weil sie ihm so nah sein durfte.

Kurz blickte der Elfenkönig über ihren Kopf hinweg und bemerkte das auffordernde Nicken seines Hofkämmerers. Er zog seine Hand zurück, schob den Hocker nach hinten und erhob sich. "Bitte Daryl steh auf", sagte er ruhig und gefasst, "du musst mir nicht danken."

"Es ist meine Pflicht, habt ihr euch doch zuerst um mich gekümmert", entgegnete die schöne Elfenhauptmann.

Nach dem du eine ganze Nacht und einen halben Tag schwer verletzt im Abgrund gelegen hast, dachte Yareth bitter. Er drehte ihr den Rücken zu, war unsicher in ihrer Gegenwart. Daryl war wunderschön, aber bisher war nie ein körperliches Gefühl für sie in ihm wachgerufen worden. Er hatte nur freundschaftliche Gefühle für sie gehegt, weil sie die einzige war, die ihm im Übungskampf ebenbürtig schien. Oder zumindest es als einzige wagte, ihm mit Kontra zu begegnen. Auch diesmal hatte er in ihren Augen das Feuer ihrer verliebten Leidenschaft erkennen können.

Er blieb mit dem Rücken zu ihr stehen, als er erläuterte: "Ich bin zwar euer König, aber ich bin kein Aentawardhe. Ich bin ein Aensidhe und lebe bereits mehr als eintausend Jahre in dieser Welt. Ich führe euch an, weil in Ban-Caervael die letzten sechshundert Waldelfen leben und ihr mächtigen magischen Schutz benötigt. Ich bin einer der letzten des Alten Blutes." Yareth hielt - ob der traurigen Tatsache - kurz inne. "Du bist meine beste Kriegerin und wirst sicher eines Tages zum obersten Lordkommandanten aufsteigen." Er unterbrach erneut seine Rede. Ich muss meinesgleichen finden, andere Aensidhe, damit mein reines uraltes mächtiges Blut nicht untergeht!

Tief atmete der Dornenkönig ein, drückte sein Kreuz durch und drehte sich um. Daryl stand schweigend vor ihm. Eine Träne floss ihre Wange hinab. Die goldrosigen Lippen bebten leicht. Da stürzte Yareth auf sie zu, nahm ihr Gesicht in seine Hände und küsste sie.

Sie schmeckte nach salziger Vanille und der Duft von Jasmin strömte aus ihrem Haar. Doch der Moment seiner Schwäche war kurz - viel zu kurz. Schon löste sich der weißhaarige Elf wieder, schob sie von sich, sank auf seinen Hocker zurück. "Geh!" forderte Yareth knapp.

Daryl verbeugte sich vor ihm, auch wenn der Elfenkönig sich von ihr abgewandt hatte und verließ schweren Schrittes das Gemach.

Caelen trat aus dem Hintergrund heran. Der Kämmerer schwieg betroffen, er verstand die Qual seines Herrn nicht, die keinerlei Intimität zu zulassen schien.

Ein wütender Stoß gegen den Tisch kippte das Spielfeld um und die roten und weißen Figuren fielen zu Boden. Caelen wollte sie umgehend aufheben, aber der Elfenkönig schickte auch ihn hinaus: "Lass mich allein!"

Yareth stand auf und ging zum mannshohen Spiegel, in dem er sich so oft betrachtete. Auch jetzt tat er dies und sah mit wenig Begeisterung sein vollkommenes Ebenbild an. Ein zwei Meter großer, weißblonder Aensidhe mit schlanker sehniger Statur, eisblauen Augen und magischem Alten Blut in den Adern. Er fühlte sich einsam.

Voller verzweifelter Wut griff er sich an den Hinterkopf und riss sich die Dornenkrone vom Haupt. Ein kurzer Schwindel, er taumelte und klammerte sich an den aufwendig geschnitzten Rahmen des schweren Standspiegels. Als er wieder hineinblickte, hatte sich sein Aussehen verändert. Der Jüngling, der ihn nun anstarrte, hatte etwas dunklere blonde Haare und war auch kleiner. Seine linke Seite war mit dunkeloliver Schuppenhaut bedeckt. Inzwischen zog sich die verhasste Echsenhaut bis fast zum linken Auge hinauf. Die Entstellung - der Vran-Fluch - breitete sich aus. Auch unter seiner Kleidung wusste Yareth, dass die Schuppenhaut über die Körpermitte hinaus gewandert war. Wie konnte er solch eine hässliche Bestie einer so schönen Elfin zumuten?

Die Faust donnerte in den Spiegel, der zersprang. Yareth brüllte auf, als ihn die Knöchel brachen und die scharfen Splitter die Hand aufschnitten.

In diesem Augenblick kam Caelen hereingeeilt, sah die Gestalt halb Elf, halb Echse und erstarrte inmitten seiner Bewegung. Yareth bemerkte ihn. Demonstrativ langsam schob er sich die Krone zurück aufs Haupt. Die Dornen legten sich um seinen Kopf und die Spitzen gruben sich in die Wange und er war wieder der vollkommene weißhaarige Elfenkönig. "Jetzt weißt du es, Caelen" raunte Yareth. "Was wirst du nun tun?"

Der Hofkämmerer fing sich wieder und ging vorsichtigen Schrittes auf seinen verfluchten Herrscher zu. "Ich werde euer Geheimnis wahren, Locthar. Gibt es eine Möglichkeit diesen ... Fluch von euch zu nehmen?"

"Ich weiß es nicht", gestand ihm Yareth und seine Magie heilte seine Hand im nächsten Augenblick. Er betrachtete sie, Blut klebte noch auf den Knöcheln. Wieso unterlag er trotz der umfangreichen Zauberkraft all diesen Grenzen? Wurde er getäuscht und war nur eine Spielfigur in den verrückten Gedanken des vergessenen Gottes?

Die Antworten darauf, blieb sein Schicksal ihm noch eine ganze Weile schuldig.

III Die Jagd beginnt

Fünf Reiter in einfachen leichten Rüstungen saßen auf flinken kleinen Pferden. Unter dem braunen gehärteten Leder trugen die Elfenmänner grüne Kleidung aus Naturfasern. An ihren Seiten baumelten schmale Schwerter und sie gaben keinen besonders stolzen und reichen Anblick ab. Ihre Statur und Gesichter waren unter warmen Mänteln mit weiten Kapuzen verborgen. Und nur einer unter ihnen fiel durch seine sehr hochgewachsene Gestalt auf, er überragte seine vier Begleiter um mindestens eine ganze Kopflänge und ritt in ihrer Mitte.

Die beiden Elfenreiter am Ende führten zwei Packpferde mit sich, deren Sättel mit vollen Kisten und Säcken beladen waren. Ihr Tempo war daher ein leichter Trab. Sie kamen aus einer Stadt der Menschen, Aedd-Hedena - die beschauliche Hauptstadt des gleichnamigen Königsreichs - und hatten ihre Vorräte an besonderen Stoffen, Metallen, Gewürzen und edlen Genussmitteln, die es in den Wäldern im Osten der Kristallberge nicht gab, aufgefrischt.

Es hatte über vier Jahre gedauert, bis sich der König der Waldelfen dazu entschlossen hatte, aus seinem Schneckenhaus zu kriechen und seine handelnden Kundschafter zu begleiten. Die rohe Welt der Menschen, die das einstige Paradies von Elfen und Zwergen überflutet hatte, bereitete ihm immer noch klamme Furcht. Yareth hatte sich zwar hinaus getraut, aber sich den Bewohner des Königreichs Hedena nicht offenbart. Seine auffällige Gestalt hatte er unter einem weiten Kapuzenmantel und hinter täuschenden Blendzaubern versteckt, als er in die Hauptstadt eingeritten war. Er blieb abseits, ließ Hauptmann Daryl und den Magister Rubaenn verhandeln. Und war erleichtert, als sie mit ihren Einkäufen den Rückweg antreten konnten.

Doch einer Person war der verborgene Dornenkönig aufgefallen, einem in Schwarz gekleideten Mann, der sich selbst auch im Verborgen hielt und beobachtete. Nach Beute Ausschau haltend. Und als sich die fünf Waldelfen aus Ban-Caervael auf ihren Heimweg machten, eilte auch der dunkle Mann zu seinen ebenso finsteren Gefährten, um ihnen von seiner Entdeckung zu berichten.

Yareth, der sich ohne seinen Richtstab und in den ungewohnten Weiten des fruchtbaren Landes sichtlich unwohl fühlte, blickte nach vorne zu Hauptmann Daryl. Die Elfin mit den rostbraunen Haaren hatte mittlerweile akzeptiert, dass der Aensidhe keine sexuelle Beziehung zu ihr aufbauen wollte, aus welchen Gründen auch immer. Das hatte ihrer rebellischen Leidenschaft ihm gegenüber aber keinen Abbruch getan und sie übten sich weiterhin oft im Kampf, spielten Dae'dagor und wanderten, tiefsinnige Gespräche führend, durch die unterirdischen Halle Ban-Caervael.

"In einer Stunde erreichen wir das Dorf Armenia", rief Daryl in die Runde, "danach erwartet uns nur noch die vertraute Wildnis. In vier Tagen dürften wir die Heimat erreichen."

Der plattgefahrene Weg zu dem am östlich gelegensten Hedenanischen Dorfes machte eine Biegung und führte in eine tiefe Senke hinein. Linkerhand hatten die Holzfäller begonnen den Wald ab zu roden und die entästeten Stämme stapelten sich am Wegesrand und warteten auf den Abtransport. Nach Süden hin erstreckte sich der Mischwald unberührt. Derzeit ruhte die Arbeit und von den menschlichen Holzfällern war nichts zu sehen. Wehmütig blickten die Elfen auf die zersägten, toten Bäume.

"Sie roden den Wald, um mehr Ackerland zu bekommen", antwortete der Magister Rubaenn - ein stämmiger Waldelfe mit ergrautem Haar, aber noch faltenfreiem Gesicht. "Die Menschen vermehren sich wie die Kaninchen und benötigen immer mehr Platz und Nahrung."

Plötzlich zügelten die fünf Elfen ihre Pferde, denn sie hatten einen schwarzgekleideten Mann auf einem der hinteren gestapelten Stämme sitzen sehen und von vorne ritten zwei ebenfalls in schwarzer Edelmannstracht gekleidete Männer auf sie zu.

In ihren schmucken Langjacken, ledernen Reithosen und über die Knie reichenden Stiefeln wirkten die drei recht gutaussehenden Männer völlig fehl am Platz. Nur bleiche Haut, silberne Schnallen, Knöpfe und Waffengriffe durchbrachen das einheitliche Schwarz, sogar die dürren Rösser, die sie mit rotglühenden Augen ansahen, waren schwarz wie die tiefste Nacht. Aus ihren starren Gesichtern war keinerlei Regung abzulesen.

Der Elfenkönig beugte sich zu Daryl hinüber und flüsterte: "Vorsicht, irgendetwas stimmt mit diesen Männern nicht." Yareth spürte, dass von den sonderbaren Edelmännern etwas Böses auszugehen schien.

Ein Geräusch hinter ihnen, ließ sich die Elfen umschauen. Zwei weitere Edelmänner auf rotäugigen Rappen näherten sich langsam, sie mussten sich hinter den Baumstämmen versteckt und gewartete haben, bis die kleine Elfentruppe an ihnen vorbeigeritten war. Nun zogen Daryl, Yareth, Rubaenn und die beiden anderen Elfenreiter ihre Schwerter aus den Scheiden.

Stumm und ohne dass ein Befehl von dem auf den Stämmen sitzenden Anführer gekommen wäre, stürmten die vier schwarzen Reiter von beiden Seiten auf die Elfen zu. Daryl und Rubaenn ritten den vorderen Angreifern entgegen, die beiden anderen Elfenreiter nahmen sich der beiden in ihrem Rücken an. Yareth blieb bei den Packtieren zurück, als er zu dem fünften Mann hinaufblickte, war dieser jedoch verschwunden.

Die schwarzen Angreifer hatten Dolche gezogen und aus ihren weitgeöffneten Mündern kam ein furchtbares Jaulen. Die Eckzähne und dunklen Nägel hatten sich zu langen Waffen ausgefahren.

"Vampire!" brüllten Daryl und Rubaenn gleichzeitig und hieben ihre schlanken Schwerter in die Körper der schwarzen Reiter.

Einer der braunhaarigen Waldelfen wurde von einem der Vampire aus dem Sattel geholt, als dieser ihn ansprang und sich in den Mantel krallte. Beide kullerten zwischen den Pferdeleibern auf den staubigen Weg. Der Vampir kam auf dem armen Elf zu liegen, konnte ihm die Fangzähne in den Hals jagen und tötete ihn nach nur kürzester Zeit, in dem er ihm die Kehle aufriss und das Blut aussaugte.

Sein Kampfgefährte hatte mehr Glück, auch wenn sein blutrünstiger Angreifer das gleiche Manöver bei ihm versuchte. Das hellbraune Elfenpferd stieg im rechten Moment auf die Hinterhand und trat nach dem glutäugigen Rappen. Kurz darauf kratzten Klauennägel an der Elfenklinge vorbei und gruben sich in den Hals des erschrockenen Elfenreittiers. Das Tier stürzte, sein Reiter rutschte aus dem Sattel und rammte sein Schwert in den ungeschützten Körper des auf ihn zu springenden Vampirs. Das Brüllen des aufgespießten Gegners dröhnte in den empfindlichen Elfenohren, die Fangzähne kamen ihm gefährlich nahe und der zweite Vampir griff sich den Elfenkrieger von hinten.

Yareth bemerkte, dass einer seiner elfischen Untertanen von gleich zwei der Blutsauger in die Mangel genommen wurde und ritt heran. Sein Schwert schlug über den ungedeckten Rücken des einen Vampirs, der schon das Elfenschwert im Bauch stecken hatte, und zerteilte ihm den bestickten Stoff des Mantels, des schwarzen Hemdes und der bleichen Haut darunter. Aber das entlockte dem Unhold nur ein weiteres schauriges Brüllen. Der Vampir drehte sich, Yareths Schwert sauste ein zweites Mal herunter und trennte die Hand ab, die ihn hatte stoppen wollen.

Das Genick brach, als der zweite Vampir dem Elfenkrieger den Hals verdrehte und ihn auf der Stelle tötete, dann warf er sich dem Elfenkönig entgegen.

Daryl stach wie wild auf ihren vampirischen Angreifer ein, ihre Pferde um tänzelten einander dabei unruhig. Keiner von ihnen jedoch bekam die Oberhand.

Rubaenn war in jungen Jahren zu seinem Glück ein erfahrener Kämpfer gewesen und hatte noch nichts verlernt. Auch er konnte sich den fauchenden Vampir lange vom Leib halten. Obgleich auch seine sicher geführten schnellen Hiebe wenig Schaden im untoten Leib des Blutsaugers anrichteten. Er gelangte weder in Herznähe, noch gelang es dem hochrangigen Waldelfen den Vampir zu köpfen.

Doch dann tauchte unerwartet der fünfte Vampir - der auf den Baumstämmen gesessen hatte - wieder auf. Nicht auf einem schwarzen Ross mit rotglühenden Augen kam er daher, sondern er stürzte sich mit mächtigen ledernen Schwingen vom Himmel. Er hatte sich in einen graubleichen riesenhaften hässlichen Fledermausmann verwandelt. Und griff sich mit krallenbewährten Füßen den Dornenkönig. Er packte ihn an den wohlgeformten Schultern, grub ihm die langen Klauen durch den Mantel in die Haut und erhob sich mit ihm in den wolkenverhangenen Himmel. Immer höher hinauf flog er mit seiner Beute über die Baumkronen des Waldes nach Süden hin und war bald außer Sicht.

Kaum war der Elfenkönig aus ihrer Mitte entrissen worden, ergriffen die vier Vampire die Flucht, dabei musste einer von ihnen schwerverletzt gestützt werden. Sie sprangen auf ihre rotäugigen Rappen und preschten im halsbrecherischen Tempo zwischen den Bäumen hindurch und verschwanden.

Die Elfen nahmen die Verfolgung nicht auf. Daryl blickte dem schwarzen Punkt am Himmel nach und fluchte laut.

Der grauhaarige Magister führte die Pferde zusammen und konnte nur noch den Tod ihrer beiden Gefährten feststellen. "Wo sind die auf einmal hergekommen? Und was war das für ein fliegendes Scheusal?"

Die Hauptmann schüttelte den Kopf und begann die toten Elfenkrieger auf die Pferderücken zu hieven, Rubaenn half ihr dabei. "Du bringst die Toten und Handelswaren nach Ban-Caervael und holst Hilfe. Ich werde dieses Monster verfolgen und versuchen unseren König zu retten." Dann stieg die Elfin auf ihr Pferd und folgte den Vampiren in den Wald hinein.

Zunächst wehrte sich Yareth mit bloßen Händen gegen den harten Griff des monströsen geflügelten Vampirs. Aber die Krallen gruben sich nur noch tiefer in sein Fleisch. Das Rauschen der mächtigen Lederschwingen schlug im Rhythmus seines Herzens und unter ihm entfernte sich der Boden immer mehr. Sie flogen über die Kronen von Bäumen, die sich bereits begannen herbstlich zu verfärben.

Über den Schmerz hinwegsetzend erinnerte sich der Elfenkönig an sein Messer im Gürtel, dazu musste er den Mantel öffnen, um an die in seinem Rücken sitzende Waffe heran zu kommen. Sein Schwert hatte er verloren, als das Ungeheuer nach ihm gegriffen hatte. Fieberhaft zerrte er die Verschlüsse auf.

Der Vampir bemerkte sein Vorgehen und schüttelte ihn mächtig durch, aber Yareth versuchte weiterhin an sein Messer zu gelangen. Da flog der Fledermausmann eine weite Kurve, verlor beträchtlich an Höhe und kam den Baumkronen gefährlich nahe.

Der Dornenkönig wurde erneut durchgeschüttelt, aber er konnte die Waffe ergreifen und sie sicher in seine rechte Hand bekommen. Die Äste eines besonders hochwachsenden Baumes streiften seine hellen Stiefelsohlen, gerade noch so zog Yareth die Knie an und stach mit dem Messer auf eines der Beine des Vampirs ein. Der Griff lockerte sich und bevor der Elf nachgreifen konnte, löste sich auch die andere Klaue von seinen Schultern und er fiel in die Tiefe.

Hart brach er durch die Baumkrone, die dünnen Zweige zerbrachen unter seinem Gewicht. Ein knorriger Ast bremste seine Fallgeschwindigkeit, hielt ihn jedoch nicht auf. Yareth stürzte weiter hinab und wurde an einen ähnlichen Sturz vor über fünf Jahren erinnert, als er noch ein schuppenhäutiger Jüngling, der gerade von Zuhause fortgelaufen, gewesen war. Er kam auf dem laubbedeckten Boden auf, rollte sich instinktiv in den Schutz eines dichten Farndickichts und lauschte.

Der Schatten des Flugvampirs verdeckte kurz die tiefstehende Sonne, dann brach das Ungeheuer zwischen zwei nicht so dicht stehenden Bäumen hindurch und landete ganz in seiner Nähe.

Yareth robbte von ihm fort, blieb am Boden liegen, damit ihn der Fledermausmann nicht entdeckte. Bald war seine Kleidung voller Dreck und Laub, selbst in seiner Dornenkrone blieben Blätter und Moos haften. Vom Sturz schmerzte ihm der zerschlagene Körper, aber gebrochen schien er sich nichts zu haben. Der Elfenkönig rutschte einen kleinen Abhang hinunter, unterdrückte einen Schmerzensschrei, als seine geprellte Hüfte gegen einen Baumstumpf stieß. Sein rasselnder Atem pochte aufgeregt in den Ohren.

Zweige knackten unter den Krallen des Monsters, Laub raschelte und verriet sein Näherkommen. Die grauhäutige zweieinhalbmetergroße aufrechtgehende Fledermaus schnupperte mit seinen gespaltenen Nasenflügeln in der Luft um den Geruch des Elfen eventuell einzufangen. Er sandte eine unsichtbare Schallwelle aus, um die magische Signatur des Dornenkönigs aufzufangen. Tatsächlich fand er damit die Absturzstelle.

Yareth überlegte fieberhaft, wie er dieses Ungeheuer abschütteln konnte. Er selbst war verletzt und unbewaffnet. Wagte nicht den direkten Kampf, da er die eigentliche Stärke des Vampirs nicht kannte. So lautlos wie er konnte und ohne dabei eine Spur im Laub zu hinterlassen, glitt der Elfenkönig weiter durchs Unterholz, immer weiter fort von seinem Verfolger.

Bei einem Bachlauf entdeckte er eine kleine Höhle unterhalb eines über dem Ufer wachsenden Baumes. Yareth ließ sich ins kalte Wasser rollen und presste seinen Körper in die dunkle, feuchte Erdkuhle. Von oben bröckelte wurzeldurchwebte Erde auf ihn und er zog ein morsches, Flechten überwuchertes Rindenstück über eine Lücke und duckte sich tiefer in die Schatten. Aufgescheuchte Käfer krabbelten über seine Hände und suchten Schutz im Erdreich.

Zwei Herzschläge später trabten zwei Reiter den Bachlauf hinunter und hielten unweit von Yareths Versteck. Der Elfenkönig konnte die acht schwarzen Beine der Pferde sehen und er hielt sogar sein Körperzittern an.

Der schwerverletzte Edelmann rutschte aus dem Sattel, als sie angehalten hatten und fiel in den eisigen Bach. Sein Gefährte fluchte und vom oberen Ufer rief eine dunkle Stimme herab: "Bring Rygan nach oben, Vyctor ist hier."

Lloyd fluchte erneut, sprang aus dem Sattel und half seinem Kameraden aufs Pferd. Rygan, der seinen blutenden Armstumpf hielt und tiefe Schwertwunden am Oberkörper aufwies, musste von Lloyd gehalten werden, sonst wäre er wieder heruntergerutscht, so geschwächt war er. Aber das verhinderte, dass die beiden Vampire den Elfenkönig in seinem Versteck bemerkten.

Außer Sichtweite warteten Kyle, der gerufen hatte und sein Kamerad Rhys auf die beiden und sammelten sich bei dem geflügelten Ungeheuer, der sich in diesem Augenblick in den Mann zurück verwandelte, der auf den Baumstämmen gesessen hatte - er war Vyctor de Crux, ihr Anführer und Meister. Vyctor befahl ihnen auszuschwärmen und nach dem Elfenkönig zu suchen.

Eine Weile durchkämmten die fünf Vampire noch das Waldstück, doch sie fanden ihre entflohene Beute nicht wieder. Allmählich entfernten sie sich.

Yareth rührte sich noch sehr lange Zeit nicht, während das eisigkalte Wasser seinen zerschundenen Körper betäubte. Der Abend kehrte ein und irgendwann waren keine Schritte und Rufe mehr zu hören. Die alltäglichen Tierlaute traten wieder in den Vordergrund. Der Elf löste sich ächzend aus seiner Starre und robbte mühsam unter den Wurzeln hervor. Yareth kämpfte sich ans Ufer, kam zitternd auf dem laubbedeckten Moos zum Liegen.

Er war eingenickt und als Yareth erwachte, schnupperte eine kalt-feuchte Hundenase in seinem Gesicht herum. Jemand näherte sich ihm, war dem Hund gefolgt und fand den Elfenkönig. In der fortgeschrittenen Dämmerung sah Yareth nur eine dunkle Gestalt sich nähern, lautlos. Er roch Baumharz und eine melodisch-männliche Stimme redete in der Gemeinsprache mit elfischen Akzent: "Was hast du da gefunden, Bo?"

Der Hund antwortete ihm mit einem kurzen Beller und wedelte aufgeregt mit der Rute.

"Hilf mir", stammelte Yareth, denn der Mann, der sich nun über ihn beugte, war ein elfischer Jägersmann.

Ein schriller Vogellaut drang aus dem Mund des unbekannten Elfen und rief zwei weitere Jäger herbei. Gemeinsam trugen sie den verwundeten Elfen aus dem Wald, über die Weiden und abgeernteten Äcker zu ihren ärmlichen Behausungen am Rand eines Holzfällerdorfes mit Namen Agentia. Dort kümmerten sich die Elfenfrauen um den Verletzten.

Der Tag war angebrochen, als Yareth aus seinem Fieberschlaf erwachte. Eine unerwartete Hitze brodelte in seinen Adern, aber er spürte keine Schmerzen. Sie hatten unter seinen Nacken eine Kopfstütze gebastelt, da er seine Dornenkrone noch trug.

"Bleibt liegen, Herr", sprach ihn eine nichtssagende Elfin in der Gemeinsprache an. "Ihr habt hohes Fieber bekommen und eure Schulterwunde hat sich entzündet. Was hat euch da nur erwischt?"

"Ein Vampir", gestand Yareth und kämpfte sich in eine sitzende Position hoch.

Da ging die Tür der Hütte auf und der Jäger, der ihn in der Nacht gefunden hatte, trat ein. "Ich bin Ereth und das ist meine Frau Beriel. Wie fühlt ihr euch, Herr?" Beriel verriet ihrem Mann, dass ein Vampir für die Wunden verantwortlich sei.

Der Elfenkönig wunderte sich, dass diese assimilierten Elfen kein Elfisch sprachen, fragte aber nicht nach dem Grund. Er konnte es sich denken, vermutlich hatten sie es nie richtig gelernt, während sie in den Siedlungen der Menschen aufgewachsen waren. "Ich danke euch beiden", meinte Yareth. "Aber ich muss aufbrechen." Zitternd kämpfte er sich auf die Füße und strauchelte aufs Lager zurück, als ihn ein Schwindel überkam.

Beriel eilte herbei, wollte ihn auf die Decke zurückdrücken, als ein weiterer Elf in die Hütte gerannt kam. "Fünf schwarze Reiter sind im Dorf aufgetaucht", rief er aufgeregt.

Der Dornenkönig wusste wer diese Reiter waren und dass sie ihn weiterhin suchten mussten. "Helft mir auf!" Ereth und Beriel stützten Yareth von beiden Seiten und gingen mit ihm nach Draußen. Allmählich gewöhnte er sich an die schwächende Hitze in seinem Inneren und näherte sich soweit ungesehen der sonderbaren Szenerie auf dem kleinen Marktplatz des Holzfällerdorfes Agentia.

Dort waren die Menschen zusammen gelaufen und bestaunten argwöhnisch die edel gekleideten Männer auf ihren schwarzen Rösser. Fünf hübsche Männer in Schwarz, mit bleicher Haut und ernsten Gesichtern, die sich ähnlich sahen wie Brüder. Bis auf ihren Anführer, er trug als einziger keinen gestutzten Schnauzbart über der blassen Oberlippe und sein langes Haar wurde im Nacken von einer Silberspange zusammen gehalten, die anderen vier hatten kurzes lockiges Haar. Es waren die Vampire, die seinen Elfentrupp am Vortag überfallen hatten.

"Wir suchen einen Mann", sprach Vyctor de Crux mit dumpfer Stimme. "Ein auffälliger Elf mit einer Dornenkrone auf dem weißblonden Haar. Er dürfte verletzt sein."

"Hier ist niemand auf den eure Beschreibung passt", meinte der Droste von Agentia, ein älterer Herr mit wohlgenährter Statur.

Vyctor blickte über die Köpfe der Menschen hinweg und entdeckte am Rand ärmliche Elfen stehen, die sich neugierig dem Menschenauflauf genähert hatten. "Ihr Elfen da hinten", rief er ihnen zu, "habt ihr vielleicht den Mann gesehen, den ich suche?"

Die angesprochenen Elfen, darunter auch einer der Jäger, die Yareth ins Dorf getragen hatten, schüttelten die Köpfe und zwei verschwanden, eilten zu ihren Behausungen zurück.

Sie lügen, dachte Vyctor und gab seinen Gefährten ein Handzeichen. Im nächsten Augenblick stürmten die vier Reiter in die Menschenmenge und zerrten sich vier Opfer heraus. Panisch wichen die Dorfbewohner vor ihnen zurück, einige rannten verängstigt in ihre Häuser und verschlossen die Türen. Der Droste und einige der tapfersten Holzfäller blieben auf dem Marktplatz zurück. Die Vampire hielten ihre wimmernden Opfer in den klauenbewährten Armen und hatten ihre langen Fangzähne entblößt.

"Bitte, meine Herren", bettelte der Droste, "seht ab davon, diesen unschuldigen Menschen ein Leid anzutun. Wenn dieser Elf hierher gelangte, dann finden wir ihn und er ist euer. Doch schont diese Männer."

Der Meister der Vampire hatte sich gelangweilt auf den Sattelsporn gelehnt und blickte kalt auf den Droste herab. Vyctor de Crux hob nur kurz die Hand, dann rissen Rhys, Rygan, Lloyd und Kyle ihren Opfern die Kehlen auf und saugten ihnen genüsslich das Blut aus. Leise Flüche und ängstliche Schreie kommentierten die Dorfbewohner und eilig rannte ein junger Mann an die Seite des Droste. Als die blutleeren Leichen zu Boden fielen, hatte man den Dornenkönig bereits verraten.

Yareth, der alles aus seinem Versteck heraus beobachtet hatte, nutzte die Hüttenwände als Deckung und zog sich zum Dorfrand zurück.

"In eurem Zustand könnt ihr nicht vor ihnen davonlaufen", raunte Ereth besorgt.

"Aber ich bringe das ganze Dorf mit meiner Anwesenheit in Gefahr", entgegnete der Elfenkönig und nahm seinen gesäuberten Mantel entgegen, den ihm Beriel gebracht hatte.

"Was wollen diese Vampire von euch, ihr seid doch ein Locthar? Wieso jagen diese Blutsauger Elfen?" wollte Ereth wissen und gab Yareth seinen besten Dolch. "Leider besitze ich kein Schwert."

"Danke, Ereth. Ich weiß nicht, warum diese schwarzen Männer mich jagen." Yareth überlegte kurz und reichte dem Jägersmann seinen Mantel. "Könnt ihr für eine Ablenkung sorgen?"

Ereth nickte und zog sich den edlen Mantel über. Damit sein dunkles Haar und das Fehlen der Krone ihn nicht verrieten, stülpte er die Kapuze über den Kopf und verabschiedete sich von dem Elfenkönig. Dann rannte er in die Gegenrichtung, aus Agentia hinaus und über ein freies Feld.

"Da ist er!" schrien aufgebracht einige Männer und Frauen und zeigten auf die davoneilende Gestalt im moosgrünen Kapuzenmantel. Vyctor schickte ihm seine vier Reiter hinterher, er selbst blieb zurück.

Yareth streifte sich einen seiner kostbaren Edelsteinringe vom Finger und reichte ihn Beriel. "Ich danke euch für eure Hilfe." Dann rannte auch er so schnell er konnte, jeden Baum und Strauch unterwegs als Deckung nutzend, vom Dorf fort.

Ereth erreichte ein kleines Waldstück, bevor ihn die vier Vampire auf den rotäugigen Rappen einholen konnten. Erst mal im Wald, würde er ihnen entkommen können. Hier kannte er sich aus und konnte sich regelrecht unsichtbar machen. Der Elf kletterte auf einen der Bäume und wartete, dass die Verfolger auftauchen würden.

Aber das taten sie nicht. Kurz vor dem Waldstück zügelten sie ihre Rösser und ritten dann wieder nach Agentia zurück.

Neben Beriel blieb ein schwarzes Pferd stehen. Die Elfin reagierte zu langsam, Vyctor packte sie an ihrem Kleidkragen und glitt aus dem Sattel.

Der schwarzgekleidete Vampir zerrte die verängstigte Frau dicht an sich heran und fauchte kalt: "Du hast dem Dornenkönig geholfen. Wo ist er?" Er legte seine bleiche Hand mit den langen schwarzen Fingernägeln um die Stirn der zitternden Elfin und holte sich seine Antworten direkt aus ihrem Gedächtnis heraus. Ein triumphales Lächeln legte sich auf seine breiten Lippen, als er in die Richtung sah, in der Yareth verschwunden war.

Beriel verlor das Bewusstsein und er ließ sie los. Der Ring kullerte aus ihrer Hand, Vyctor hob ihn auf und steckte ihn ein. Dann schwang er sich zurück in seinen Sattel und ritt seinen Gefährten entgegen, die er mit einem telepathischen Befehl zu sich gerufen hatte. Beriel wurde von ihren Leuten gefunden und in ihre Hütte getragen, wo ihr Mann Ereth sie einige Stunden später vorfinden würde. Doch aus ihrer Ohnmacht würde sie vorerst nicht mehr erwachen.

Schon bald bemerkte der Elfenkönig, dass seine List viel zu früh durchschaut worden war und ihm die schwarzen Reiter dicht auf den Fersen waren. Er lief durch den Wald, so schnell ihn die zitternden Beine trugen. Durch das Fieber in seinem Körper ließ ihn die eigene Wahrnehmung im Stich. Immer wieder wechselte er im Fehlglauben die Richtung, stolperte durch das Dickicht. Dabei waren es seine eigenen Schritte und nicht das Heranpreschen seiner Verfolger, die er zu hören glaubte. So bemerkte er auch nicht den dunklen Schatten am Himmel, der seinem Weg folgte und die Vampire auf seine Spur führte.

Yareth rannte schon zwei Stunden durch die Wildnis. Fieberschweiß durchnässte seine zerrissene Kleidung, brannte ihm in den eisblauen Augen. Er hatte sich verirrt. Der Wald wurde lichter und mehr Nadelbäume wuchsen in wilder Ordnung vor ihm auf. Schließlich war der Wald zu Ende und eine offene steinbewachsene Steppe breitete sich vor dem Elfenkönig aus. Am Horizont ragte das hohe Massiv der Kristallberge vor ihm auf.

Zwei schwarze Reiter erwarteten ihn bereits und zwei weitere drängten den Dornenkönig auf die freie Ebene. Erschöpft ergab sich Yareth seinen Jägern.

Kyle ritt an Yareth heran und stieß ihn mit dem Stiefel zu Boden. Der Elfenkönig blieb liegen, die vier Reiter umkreisten ihn triumphierend. Endlich beendeten sie ihre Umrundungen, hielten ihre Rösser an, als die riesige Fledermaus zwischen ihnen landete und sich zurück in den Mann verwandelte.

Seiner Beute sicher lächelte Vyctor auf Yareth hinunter. "Da ist uns ein netter Fisch ins Netz gegangen, meine Freunde", knurrte der Obervampir.

"Wer bist du? Warum verfolgst du mich?" wollte der Elfenkönig wissen.

"Ich bin Vyctor de Crux", antwortete Vyctor. "Ich bin kein gewöhnlicher Vampir, musst du wissen. Ich spüre dein magisches Blut, Dornenkönig. Danach giert es mich, denn ich bin ein Energievampir." Ein schauerliches Lachen erklang und der Vampir griff dem Elf an die Kehle und zog ihn auf die Beine.

Obgleich Vyctor nur durchschnittlich groß war, hing der zweimetergroße Elfenkönig wie ein Stück Elend in seinem Griff. Dicht kam der mit Fangzähnen bestückte Mund ihm nahe, küsste ihn und entzog ihm einen winzigen Teil seines Alten Blutes. Der Vampir ächzte und der Dornenkönig wimmerte. Er ließ schnell von ihm ab.

"Du bist geschwächt und doch stark genug mir zu widerstehen", knurrte Vyctor ungehalten. "Auch wenn es etwas länger dauern wird, ich nehme mir deine Macht." Er ließ den Elf los und befahl seinen Männern, die Beute in die Berge zu schaffen. Dann verwandelte er sich mit einem grollenden Lachen in eine graubleiche Fledermaus und erhob sich in den Mittagshimmel.

Rygan - sein Meister hatte ihm die Hand nachwachsen lassen und die Wunden geheilt - stieg herab, band dem Elfenkönig die Hände vor dem Leib zusammen und meinte hasserfüllt: "Es wird mir eine Freude sein, dich lange leiden zu sehen, Dornenkönig."

Kyle ritt voraus, die anderen folgten. Rygan führte den Gefangenen am langen Seil hinter sich her. Zunächst gingen die rotäugigen Rösser im leichten Trab und Yareth konnte gerade so noch das Tempo halten. Aber dann stolperte er, fiel hin und wurde erbarmungslos von den Reitern hinter her geschleift.

Daryl lenkte ihr Pferd nach Norden, versuchte die Spuren der vier Reiter wiederzufinden. Doch als die Nacht hereinbrach verlor sie sie völlig in der Dunkelheit. Als ihr der Duft von Rauch in die Nase stieg, band sie ihr Pferd an einem Baum und näherte sich zu Fuß dem Lagerfeuer. Sie glaubte nicht daran, dass die Vampire sich ein Nachtlager im Wald errichtet hatten, wollte ihm jedoch trotzdem nachgehen. Wenn sie großes Glück hatte, könnte ihr geliebter Herrscher ein Feuer entfacht haben, weil ihm die Flucht aus den Klauen der Fledermaus geglückt war.

Die Elfin verschmolz mit den Schatten und kein einziger Zweig knackte unter ihren Sohlen und kein Laub raschelte. Trotzdem fand sie das Lagerfeuer verlassen vor. Ein braunes Pferd stand angebunden, der Sattel lag über einem gefallenen Baumstamm. Daneben Satteltaschen und ein altes Bastardschwert lehnte daran. Über dem Feuer briet ein magerer Hase und drohte zu verbrennen, wenn ihn niemand auf die andere Seite drehte.

Schon wollte sich die Elfin zurückziehen, als neben ihr ein Mann auftauchte und sein silbern glänzendes Schwert stoßbereit gegen ihre Brust drückte. "Keine Bewegung, Hand weg von der Waffe", knurrte eine grabeskalte, doch noch sehr junge Männerstimme.

Daryl hob die Hände und machte deutlich, dass sie ihn nicht angreifen würde. "Ich bin Hauptmann Daryl aus Ban-Caervael. Ich jage fünf Vampire, die uns vor einigen Stunden überfallen haben. Sie haben unseren Locthar entführt", klärte sie den Unbekannten in der Gemeinsprache auf.

"Aeén esseáth Aentawardhe?" fragte der Mann auf elfisch und blieb unerkannt im Schatten stehen. "Cáemm vort!" Das Silberschwert hatte er noch nicht von ihrer Brust genommen, zeigte nun aber damit zum Lager.

Daryl schritt voran, der Unbekannte folgte ihr und offenbarte sich der Elfin erst im Feuerschein, als er den Spieß drehte. Sie war überrascht, einen so jungen Krieger vor sich zu sehen. Er war so groß wie sie selbst. Für sein Alter - sie schätzte ihn auf etwa sechzehn Menschenjahre - somit sehr groß und kräftig. Er trug eine abgetragene Lederrüstung, die ihre besten Tage schon hinter sich hatte und schob das markante Schwert in die Lederscheide auf seinem Rücken zurück. Auf seiner Brust baumelte ein auffälliges Amulett in Form eines Wolfes, der den Mond anheulte. Seine Haut wirkte transparent und so weiß wie das nackenlange Haar, dass ein hübsches, aber sehr ernstes Gesicht umrahmte. Der Mund war breit, die Lippen voll, die Nase sicher schon einmal gebrochen und fahlgelbe Augen mit geschlitzten Pupillen blickten sie überlegen an.

"Aeén esseáth Eens'gwyn?" fragte die Hauptmann.

Der weiße Junge nickte. "Ja, ich bin ein Eiswolf. Mein Name ist Razer von Ravenna. Ich glaube wir verfolgen die gleichen Vampire. Setz dich doch, Daryl aus Ban-Caervael. Ich teile gerne den mageren Hasen mit dir, auch wenn wir beide davon nicht richtig satt werden." Der junge Eisexorzist setzte sich zurück ans Feuer und prüfte die Garzeit des Abendessens.

"Danke, Razer. Ich hole nur mein Pferd, dann stifte ich selbst etwas von meinem Proviant." Die Elfin verschwand und tauchte kurze Zeit später mit ihrem Reittier auf, band es neben das Pferd des Eisexorzisten und sattelte es ab. Bald saßen sie beisammen, aßen aus ihren Vorräten und erzählten ihre Geschichten.

"Es ist nun über einen Monat her, da fand ich vor Skoza die blutleeren Leichen einer ganzen Händlerfamilie", erzählte der weißhaarige Jüngling. "Ich habe mir geschworen diese Bestien zur Strecke zu bringen, seit dem folge ich ihnen und sie hinterließen mir immer eine Spur von Toten. Doch bisher konnte ich sie nie einholen."

"Für gewöhnlich töten Vampire keine Elfen, doch diese taten es. Und warum entführten sie meinen König?" Eigentlich glaubte Daryl nicht, dass der Junge ihr einen Grund nennen konnte.

"Unter ihnen befindet sich ein besonderes Exemplar von einem Vampir", gestand Razer. "Ich fand auch die Leiche eines Zauberers, der hatte sein Blut noch, aber etwas anderes hatte das Monster ihm geraubt: seine magische Energie."

Kurz huschte blankes Entsetzen über die hübschen Züge der Elfin. "Dann müssen wir sie um jeden Preis schnellsten einholen. Mein Locthar-" Daryl brach mitten im Satz ab und schwieg.

In den unterirdischen Hallen von Ban-Caervael soll ein uralter, mächtiger König über die Waldelfen herrschen, erinnerte sich Razer an seine Studien, die ihm sein Lehrer Caladir aufgezwungen hatte. Er hatte den Spitznamen Dornenkönig, weil er eine magische Dornenkrone trug. Er soll ein Aensidhe vom Alten Blute sein, über eintausend Jahre alt und somit ein besonders leckeres Fressen für einen Energievampir. Jetzt konnte der Eiswolf das Entsetzen bei der Elfin verstehen. "Wir sollten einige Stunden schlafen, bei Sonnenaufgang dürften wir ihre Spur wiederfinden."

Daryl nickte und hüllte sich tiefer in ihren Mantel. Sie versuchte alle wirren Gedanken bezüglich der Vampire zu verdrängen und versuchte zu schlafen.

Eisexorzist Razer und Elfenhauptmann Daryl brachen sehr früh auf und gelangten kurz nach Mittag zu dem Holzfällerdorf Agentia, das die Vampire am Morgen aufgesucht hatten.

Ereth, inzwischen heimgekehrt, war bestürzt über seine bewusstlose Frau, wollte den beiden aber doch helfen. Leider konnten die seiner Gemahlin nicht helfen.

Die Hauptmann war erfreut zu hören, dass Yareth die Flucht gelungen war, sorgte sich aber seiner Verletzungen wegen und dass die fünf schwarzen Reiter seine Spur aufgenommen hatten. Die armen Elfen des Dorfes wiesen ihnen die Richtung, in der Yareth und die Vampire verschwunden waren. Razer und Daryl nahmen auch sofort die Verfolgung auf.

Die schwarzen Rösser hinterließen eine deutliche Spur, der sie durch ein Waldstück folgen konnten. Nach einem scharfen Ritt von drei Stunden gelangten sie hindurch, auf eine trockene Steppe. Auf ihr wurden die Spuren magerer und sonderbarer. Inzwischen stand fest, dass die schwarzen Reiter den Elfenkönig eingeholt und sogar gefangen hatten. Schließlich stießen sie sogar auf eine eindeutige Spur, die bewies, dass die Reiter eine Zeit lang einen Körper hinter sich her geschleift hatten.

Daryl trieb ihr Pferd zum Galopp, der junge Eisexorzist folgte ihr kommentarlos. Sie ritten den Bergen entgegen, dort auf den blanken Felsen konnte sich jedoch die Spur der Vampire schnell verlieren.

Die Kleidung aus Naturfasern und weichem Leder hatte dem steinigen Boden nichts entgegen zu bringen und zerschliss, hing in Fetzen vom zerschundenen, schwitzenden Leib des Elfenkönigs. Unzählig blutende Abschürfungen zierten ihn und er hatte das Bewusstsein verloren, bevor Rygan Erbarmen mit ihm hatte und anhielt.

Sie führten das Pferd ihres Anführers mit sich und luden nun ihren Gefangenen darauf. Wie einen Sack legten sie ihn über den Sattel und banden ihn darauf fest. Dann galoppierten sie auf die Berge zu, folgten dem bleichen Schatten, der über ihnen am Himmel flog.

Am späten Nachmittag hatten sie die Berge erreicht und Vyctor fand in einer kleinen Schlucht mit schmalem Durchgang einen beschaulichen Ort, der ihm für seine Ansprüche genügte.

Die Klafter war gerade so breit, dass ein einzelner Reiter hindurch passte. Dahinter lag ein kleines Tal mit einer trinkbaren Quelle, um die drei große Ahornbäume sich allmählich herbstlich rot färbten. Der Grund war mit trockenem Gras bedeckt und eine Handvoll Kaninchen hoppelten in ihre unterirdischen Gänge, als die vier Reiter mit ihrem Gefangenen dort auftauchten.

Vyctor erhob sich von seinem Stein, auf dem er sich wartend ausgeruht hatte, als seine Kameraden im Tal ankamen. Rygan zerrte den Elfenkönig vom Pferd und warf ihm seinem Boss vor die Füße. "Er konnte unser Tempo nicht halten", kommentierte der Edelmann das schändliche Aussehen des Gefangenen.

"Geh mir aus den Augen", knurrte Vyctor de Crux, band das Seil los und untersuchte den Dornenkönig. Wenn ihm der Elf wegstarb, war seine mächtige Magie, die in seinen uralten Adern floss, verloren. Er lebte noch, war aber bewusstlos.

Kyle kam mit einem vollgefüllten Wasserschlauch herbei und begann die Wunden vom Dreck und Blut zu befreien. Der Geruch des magischen Elfenblutes jagte dem einfachen Vampir einen Brechreiz in die Kehle und er war froh, als er sich zurückziehen konnte. Er ließ einen zweiten Wasserschlauch da.

Vyctor zog ihm die zerfetzte Jacke vom Körper und riss das dünne Hemd darunter in Streifen, um damit die Haut zu reinigen. Die meisten Wunden waren oberflächlich, bemerkte der Obervampir, nur die tiefen Wunden an den Schultern, die von seinen Klauen her stammten, hatten sich entzündet und verursachten das Fieber. Er wusste, dass seine Fußkrallen, wenn er sich in eine Fledermaus wandelte, mit einem giftigen Sekret versehen waren, das die meisten seiner Opfer in kurzer Zeit töten konnte.

"Das alles hättest du dir ersparen können", flüsterte Vyctor mehr zu sich selbst, "wenn du nicht versucht hättest vor mir zu entkommen. Aber mir ist noch niemand entwischt. Auch du nicht, Dornenkönig. Und du wirst mich sehr mächtig machen, durch dein Altes Blut." Er legte seinem Opfer die Hände auf die entzündeten Wunden und sog ihm das Gift aus dem Körper, dabei spürte er bereits einen Vorgeschmack dessen, was ihn noch erwartete. "Aber du darfst mir nicht wegsterben."

Die tiefen Wunden begannen sich langsam zu schließen, das Fieber wich aus dem geschundenen Körper und Yareth kam zu sich. Er blickte in das kalte Gesicht seines Peinigers, war aber noch zu schwach sich zu rühren.

Zufrieden erhob sich der Energievampir und befahl Kyle und Rhys den Elfenkönig auf einen Stein zu legen, der wie ein Altar geformt war. An Kopf- und Fußende schlugen sie lange, dicke Nägel hinein und banden Arme und Füße ihres Gefangenen mit besonderen magischen Ketten daran fest. Ein weiteres Mal würde Yareth nicht entkommen können. Dann warteten die Männer auf die Nacht.

Rygan gesellte sich zu dem Altarstein, auf dem Yareth vor sich hin döste. Seine Haut war wieder makellos, er hatte die oberflächlichen Abschürfungen mit seiner erstarkten Magie geheilt. Der Vampir rieb sich das Gelenk, wo Yareth ihm die Hand abgehakt hatte, und stocherte mit den Fingern in der Luft herum. "Kannst du auch Glieder nachwachsen lassen, wie mein Meister es kann?"

Der Elf schwieg, da er selbst keine Antwort auf die Frage kannte.

"Du bist groß, hellhäutig und weißblond, aber sonst ist an dir nichts besonderes dran", stocherte Rygan ungehalten weiter. "Nur ein alter Elf mit einer komischen Krone."

"Würde ich hier nicht gefesselt liegen", entgegnete Yareth trocken, "würdest du freiwillig im Dreck vor mir kriechen."

Rygan lachte auf und stupste mit dem Finger auf die Brust des Gefangenen. "Du liegst aber nun mal hier."

"Aber nicht ganz wehrlos", erwiderte Yareth und aus seiner Krone löste sich ein Dorn und bohrte sich in den Arm des Vampirs.

An der Einstichstelle breitete sich rasend schnell ein glutschwarzes Feuer aus, Rygan schrie vor Todesschmerz auf. Seine drei Kameraden eilten herbei, wussten aber nicht, wie sie ihrem zu verbrennen drohenden Freund helfen konnten. Nur Vyctor reagierte geistesgegenwärtig, ergriff seinen Dolch und hackte ihm den Arm durch, bevor das Feuer sich über die Schulter auf den ganzen Körper ausbreiten konnte. Von dem abgetrennten Arm blieb nur ein Häufchen Asche übrig. Während Rygan gleichermaßen wimmerte und fluchte. "Seine Dornenkrone war's", brüllte Rygan, "nimm sie ihm weg. Vernichte sie, Vyctor!"

"Schafft ihn mir aus den Augen", fauchte der Obervampir zurück, "und stopft ihm das Maul!"

Kyle und Rhys zerrten den jammernden Kameraden auf die andere Seite der Quelle und stopften ihm einen Stofffetzen in den Mund, allmählich kam Rygan zur Ruhe.

Lloyd blieb neben seinem Boss stehen. "Seit vorsichtig, Meister."

"Es ist an der Zeit", raunte Vyctor de Crux und trat an den gefesselten Elfenkönig heran.

Yareth zerrte an seinen Ketten, versuchte Magie auf sie wirken zu lassen, aber seine Energie verpuffte in kleinen Blitzen.

Der Energievampir drückte seine rechte Hand auf die Brust seines Opfers, dort wo das Herz saß. Seine andere Hand umschloss den Kopf und die Finger legten sich zwischen die Dornen, ohne dass sie schadeten. Vyctor musste die Krone am Kopf des Elfenkönigs belassen, da ein Teil seiner Zaubermacht von ihr ausging, wenn er die gesamte magische Energie des Elfen absorbieren wollte. Nun, da er sein Opfer unter seinen Klauenhänden fixiert hatte, beugte er sich hinab und küsste Yareth. Doch es war ein Kuss des leidenschaftlichen Todes. Indem der Vampir die Magie aus dem Blut heraussog, wie ein Ertrinkender, der nach dem rettenden Sauerstoff japste, während er immer noch unter Wasser weilte. Es war ein unerwarteter Kraftakt für den Vampir und er brauchte etliche Minuten, bis er die erste Blockade überwunden hatte und an das kostbare Alte Blut gelangte.

Yareth wand sich unter Schmerzen, als die Klauenhand am Herzen ihm die Brust aufriss. Rippen brachen und Herzblut quoll zwischen den Fingern hervor. In seinem Inneren platzen die schwächeren Blutgefäße und die Dornen der Krone drückten immer tiefer in seinen Schädel hinein. Schon nässte auch hier Elfenblut die langen Klauen des Vampirs. Und Vyctor stieß seine Zunge tief in den Rachen hinab, löste mit seinem giftigen Speichel die magische Essenz aus dem Fleisch und Blut des Elfenkönigs.

Die Sonne neigte sich längst dem Horizont entgegen und legte das kleine beschauliche Tal in weite Schatten. Gespannt beobachteten Rhys, Kyle, Lloyd und Rygan ihren Meister und bemerkten nicht, wie sich zwei Gestalten die schmale Klafter entlang schlichen und in das Tal gelangten.

Nur die Höllenrösser wurden auf die beiden aufmerksam und warnten ihre blutsaugenden Herren rechtzeitig mit einem bösartigen schrillen Wiehern und Hufgescharre.

Hauptmann Daryl hielt ihr Schwert und einen Dolch in den Händen und stürmte den Vampiren entgegen. Dicht auf folgte ein grimmig dreinblickender junger Eisexorzist, bedrohlich sein Silberschwert schwingen, das er zuvor mit einem für Untote schädliches Gift eingefettet hatte.

Elfin und Eiswolf rannten auseinander, auch die Vampire teilten sich. Rhys stürzte auf den weißhaarigen Jungen zu, während sich Kyle und Lloyd der Elfenhauptmann annahm. In ihren Klauenhänden hielten sie Dolche und ihre jaulenden Mäuler waren mit fingerlangen Eckzähnen bestückt.

Razer duckte sich unter den nach ihm greifenden Klauenhänden und zog Rhys sein Silberschwert über den Bauch. Aus dem Jaulen wurde ein todgeweihter Schrei und der Vampir sank auf die Knie, Gift und Silber wirkten sofort. Razer schwang herum und schlug dem schwarzgekleideten Untoten den Kopf ab. Der Vampir starb und verbrannte in Sekundenschnelle zu Asche.

Geschickt tänzelte Daryl zwischen ihren geifernden Angreifern hin und her, sorgsam bedacht, ihre Deckung nicht zu verlieren. Kyle duckte sich unter ihrem zustechenden Dolch hinweg und riss der Elfin mit seinen Klauen die Hose und die Haut darunter auf. Dafür rammte sie ihm die ellenlange Klinge in die Kehle. Lloyd attackierte sie von der Gegenseite und sie versuchte ihn mit ihrem Schwert abzuwehren.

Kyle taumelte zurück, zog sich den Dolch aus dem Hals und hörte hinter sich einen Kampfschrei. Als er sich umdrehte, stieß sich der junge Eisexorzist gerade von einem Felsbrocken ab und kam mit herab sausendem Schwert auf ihn herabgesprungen. Kyle warf den Dolch nach dem Jungen, der die Klinge mit seiner nietenverstärkten Armmanschette jedoch ablenkte. Dann drang das Silberschwert mit voller Wucht von oben herab und teilte den Oberkörper fast völlig durch. Das Herz des Vampirs wurde zerschnitten, er starb schreiend und verbrannte sofort.

Daryl gelang ein harter Tritt gegen den Unterleib ihres Gegners, der Lloyd aus dem Gleichgewicht brachte. Die Elfin setzte sofort nach und zog die Klinge von links über die Brust, machte einen Ausfallschritt nach vorn. Die Schwertklinge folgte von rechts und durchtrennte den Hals des Vampirs. Er starb stumm. Während sein Körper zu Boden sackte, verbrannte er.

Übrig blieb der einarmige Rygan, der sich aufgerappelt hatte und seinen Meister vor den beiden Eindringlingen warnen wollte. Doch Vyctor klebte regelrecht an dem Elfenkönig und war mit seiner Energieentnahme beschäftigt. Er reagierte nicht auf seinen Gefährten.

Razer und Daryl umrundeten die Quelle und der Tod des vierten gewöhnlichen Vampiredelmanns war beschlossene Sache. Die Silberklinge des weißhaarigen Eisexorzisten stieß in Rygans Herz und tötete ihn ohne großes Federlesen. Auch er verbrannte unverzüglich zu Asche.

Gemeinsam stürmten sie nun auf den letzten verbliebenen Feind zu, die Schwerter stoßbereit in den Händen. Die silberne Klinge sauste auf den vorgebeugten Rücken herab, fand aber nicht sein Ziel, da sich Vyctor de Crux herumdrehte. Eine heftige Energiewelle wurde dem weißhaarigen Jüngling entgegen geworfen. Noch im Sprung getroffen, wurde Razer in die Gegenrichtung geschleudert.

"Er darf sich nicht verwandeln!" schrie der Eiswolf, rappelte sich auf die Beine und ging sofort wieder auf den Obervampir los.

Daryl hatte einen entsetzten Blick auf ihren König werfen können und sprang Vyctor mit verzweifelter Wut an. Ihr Schwert drang seitlich in den Leib und machte ihren Gegner nur wütender. Der ergriff die Elfin und ließ durch ihren trainierten Körper eine weitere magische Abwehrwelle laufen, die Daryl schmerzvoll durchrüttelte. Erleichternde Schreie entwichen ihrer Kehle und sie versuchte einen zweiten Hieb mit ihrer Waffe. Das Schwert zog über die Brust, schnitt die edle schwarze Jacke, Hemd und die Haut darunter auf. Verzweifelt krallte sie sich mit ihrer freien Hand in den Jackenärmel. Auch Vyctor hatte sie noch nicht losgelassen.

Razer hatte inzwischen den Vampir erreicht und versuchte in seinen Rücken zu gelangen, da die Elfin an ihm hing. Eine dritte Energiewelle fauchte blauglühend aus den hassgeweiteten Augen Vyctor de Crux. Bevor sie den Eisexorzist erreichte, konnte der mit seiner Hand noch ein Thaán-Zeichen weben, das ein blauweißes Schutzschild um ihn legte und rechtzeitig die vernichtende Welle abwehren konnte. Diese Aktion hatte den jungen Eiswolf in seinem Lauf kaum aufgehalten. Er erreichte Vyctor, stieß seine Silberklinge in die Brust des Energievampirs und traf sein schwarzes Herz.

Das magische Schwert loslassend, zerrte Razer die Elfin von dem tödlich getroffen Vampir fort. Ein unsagbares Brüllen, gleich einem Donner, drang aus dem Maul. Vyctor entlud sich. Sein Körper begann von innen heraus zu leuchten, durch seine Poren schossen gelbe Strahlen. Aus seinem Jaulen wurde ein überlauter Todesschrei, bevor er regelrecht explodierte. Razer hatte sich schützend über die Elfin geworfen, als der Energievampir auseinander riss und kleinste Fleisch-, Knochen- und Stoffstückchen über die Gegend verteilte. Sie wurden alle zu Asche, bevor sie die Erde erreichten. Mit ihm waren auch die fünf schwarzen Höllenrösser vergangen. Ihre verfluchten untoten Körper lösten sich ebenfalls in dem Moment auf, in dem ihr Meister starb.

Der junge Eisexorzist erhob sich und half Daryl auf die Beine. Sie fühlte sich von der Energiewelle, die ihren Körper durchlaufen hatte, noch völlig geschwächt, eilte trotzdem zu dem altargleichen Felsbrocken, auf dem ihr König lag. Yareth war nur noch ein Schatten seiner selbst, ausgezerrt, totenblass und ohne jegliche Regung. Die linke Brustseite war aufgerissen, Rippen stachen entblößt hervor. Sein Blut begann zu trocknen, er schien nicht mal mehr zu atmen. Die Hauptmann brach weinend über ihm zusammen. Razer stand unsicher daneben, als sein Wolfsmedaillon heftig zu vibrieren begann.

Am Kopfende erschien eine weißliche Lichtkugel, die zu einer sonderbaren Gestalt wurde. Der Kopf und die Arme waren die eines riesigen Adlers, während der Rest die Gestalt eines nackten Mannes hatte. Therein blickte kurz zu dem erstaunten Eiswolf hinüber und legte dann seine Schwingen gesäumten Hände auf Yareths Gesicht. Ein warmes Licht schmolz hervor und Razer zog die Elfin fort. Der Luftgott machte sich ans Werk, seinen Schützling ins Leben zurückzuholen.

"Wer ist das? Was tut er da?" fragte Daryl leise.

"Wir werden es erfahren", raunte der Eiswolf und beobachtete fasziniert, wie sich die tiefe Brustwunde schloss und auch alle anderen Wunden heilten, der Körper des Elfenkönigs wieder mit Leben und elegante Stärke genährt wurde - zurückfand zu dem, der er sonst war.

Therein verschwand so unerwartet, wie er aufgetaucht war. Die Nacht war angebrochen, Razer näherte sich dem Dornenkönig. "Er schläft", stellte er fest, "wir sollten die Nacht hier verbringen."

Daryl willigte ein, blieb an der Seite ihres Herrschers, während der Eisexorzist ihre Pferde holte. Kurz darauf war ein Feuer entfacht und sich in Decken gehüllt. Schweigend grübelnd über das Erlebte nachgesinnt, verspürte keiner der Kämpfer Hunger. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach und Daryl ließ nicht den Blick von Yareth. Irgendwann lehnten die beiden müde zurück und dösten doch noch ein.

Mit dem ersten Licht des Morgens erwachte der Elfenkönig, setzte sich auf und hüllte sich frierend in die Wolldecke, die man über seinen halbnackten Leib gelegt hatte. Er betrachtete verwundert seine Hauptmann und den weißhaarigen Mann. Dieser erwachte, spürte wohl den kritischen Blick auf sich und erhob sich, um gleich darauf ehrfürchtig vor dem König niederzuknien.

"Hast du mich gerettet?" wollte Yareth wissen und bat den Krieger aufzustehen. Er blickte in katzenhafte, hellgelbe Augen. "Du bist ein Eisexorzist?"

"Ja, ich bin Razer von Ravenna, hoher Locthar", gestand der Weißhaarige.

Razer? In Yareth entstand das Bild eines fünfjährigen kräftigen Jungen mit roten Haaren und er versuchte ihn in seinem Gegenüber wiederzuerkennen. Das Alter könnte stimmen, dachte der Elf, schwieg aber. "Ich danke dir, Razer. Begleite mich nach Ban-Caervael, um dich fürstlich entlohnen zu können, denn du hast mein Leben gerettet."

"Eigentlich habe ich nur die Vampire getötet, hinter denen ich eh schon einige Zeit her war", entgegnete der Eiswolf. "Euer Leben rettete ein anderer, ein sonderbares Wesen - halb Mensch, halb Adler. Und auch Daryl verdient euren Dank."

"Dieses Wesen war mein Gott", gestand Yareth leise, "es war Therein alfirin Vala aen Ledinrim." Die Hauptmann war aufgewacht, hatte sich neben Razer gestellt. "Wir sollten aufbrechen", forderte der Elfenkönig nun.

Der Eisexorzist lieh dem König seinen Mantel, der ihm weit, aber zu kurz um den schlanken Leib baumelte. Yareth ritt Daryls Pferd, während sie mit Razer dessen Pferd teilte. So ritten sie den Weg zurück - aus dem Gebirge hinaus, über die Steppe und durch den Wald auf das Holzfällerdorf Agentia zu. Dort warteten bereits Navareth und zwei Dutzend Waldelfenkrieger auf ihren König.

Yareth erfuhr von der in einem verfluchten Schlaf liegenden Beriel und erlöste sie daraus. Ereth war ihm sehr dankbar und er konnte mit seinen Dankesbekundungen kaum aufhören, als der Elfenkönig ihm und den armen Elfen dieses Dorfes noch einige wertvolle Ringe und Münzen da ließ. "Lasst sie euch nicht von den Dhreûne wieder abnehmen!"

Dann ritten die schwer gerüsteten Aentawardhe, ihr König und der junge Eisexorzist nach Osten, kehrten nach vier Tagen in die unterirdischen Hallen Ban-Caervael zurück.

Caelen führte den jungen Eiswolf in die privaten Gemächer seines Herrn und ließ die beiden Männer allein. Razer ging auf ein Knie und senkte ehrfürchtig das weiße Haupt vor dem hochgewachsenen, edlen Elfenkönig, der ein silbergewirktes helles Gewand mit weiten Ärmeln und tiefem Ausschnitt trug. Sein seidig langes, weißblondes Haar fiel offen unter der goldroten Dornenkrone über den Rücken. Diesmal hatte Yareth auf jedweden Schmuck und Zierrat verzichtet.

Der Elf blieb etwas auf Distanz, bat den Eisexorzist sich zu erheben. Eine Weile betrachtete er den weißhaarigen Krieger mit seiner transparenten Haut und in seiner abgewetzten Rüstung. Bist du der, den ich vermute? Wir haben uns beide sehr verändert in den letzten elf Jahren, seit uns Caladir getrennt hat! Laut sprach er aus: "Warst du je im Dorf Rosenwasser in Doriath?"

"Die ersten fünf Jahre brachte ich dort zu", offenbarte Razer verwundert.

Yareth griff sich an den Hinterkopf und zog die Dornenkrone vom Haupt. Vor den Augen des einstigen Freundes ging eine Verwandlung vonstatten. Der edle Elfenkönig wandelte sich in einen jungen Mann, dessen Haut inzwischen zu dreiviertel mit olivgrünen Schuppen bedeckt war. Unter dem weiten Rockgewand blickten zwei geschuppte Füße hervor, an denen lang-gebogene Krallennägel gelb hervorstachen. Der rechte Arm, die Schulter und das Gesicht waren noch weitgehend unbedeckt. Nur ein hässliches dunkles Mal verunstaltete das hübsche Elfengesicht unterhalb des linken Auges, das sich mit der Echsenhaut am Hals verband. Der entstellte Elf wartete, hoffte auf eine wiedererkennende Reaktion des Gegenübers.

"Yareth", flüsterte Razer ergriffen. "Vor zwei Jahren kam ich nach Rosenwasser. Deine Mutter sagte mir, du seist tot."

Meine Mutter lebt noch! Es wundert mich nicht, dachte Yareth bitter, dass sie mich für tot erklärt hat. "Der vergessene Gott gab mir eine neue Existenz, hier in Ban-Caervael."

Razer schritt auf seinen verloren geglaubten Freund zu und schloss ihn in die Arme. Yareth klammerte sich an den jungen Eisexorzist und einige Tränen flossen erleichtert aus seinen hellblauen Augen.

Sie hatten sich viel zu erzählen, wie sie zu dem wurden, dass sie heute waren. Viele Stunden saßen sie beisammen, schwelgten in Erinnerungen und offenbarten ihre Erfahrungen. Caladir hatte Razer einer zweiten Kräuterprobe unterzogen, die fast seinen Tod bedeutet hätte. Doch er war daraus als weißhaariger Eisexorzist mit pigmentloser Haut auferstanden. Ein mit Giften und Magie veränderter Mutant, erschaffen, um die Welt und ihre Menschen vor den Ungeheuern zu befreien, die ihnen schaden wollten. Razer war bestürzt zu sehen, dass sein Elfenfreund immer mehr zu einem Echsenwesen wurde, wenn er die Dornenkrone abnahm und er wollte sich aufmachen, nach einer Lösung zu suchen. Schon als kleiner Junge hatte er Yareth versprochen, ihm zu helfen, sich von der Schuppenhaut zu befreien, dieses Versprechen erneuerte er nun wieder.

Der Eiswolf Razer blieb noch einige Tage in Ban-Caervael. Aber beide Freunde wussten, dass sie inzwischen in ein Leben hineingedrängt worden waren, das ihnen auf Dauer keine gemeinsame Kameradschaft ermöglichen würde. Jeder musste seines Weges gehen und seiner Bestimmung folgen.

Yareth herrschte als Dornenkönig über ein untergehendes Waldelfenvolk, während Razer seiner Vorsehung als Eisexorzist nachkommen musste.

Sie würden sich gelegentlich als Freunde wiedertreffen, mehr aber stand ihnen nicht zu. Dies wussten beide Männer und nahmen mit traurigen Herzen voneinander Abschied.

"Ich finde einen Weg, diesen Vran-Fluch von dir zu nehmen, mein Freund", meinte Razer und ritt aus den hohen Toren Ban-Caervael.

"Was meint er damit?" wollte Daryl von ihrem Dornenkönig wissen.

"Vielleicht erzähle ich es dir irgendwann einmal", gestand ihr Yareth und sein edelsteinbesetztes Gewand klirrte leise, als sich der Elfenkönig schwermütig umdrehte und der Eiswolf zwischen den dichtstehenden Baumriesen verschwunden war. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder, Razer - und du hast dann die Lösung für mein Problem gefunden.

Die Legende der Eiswölfe

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