Читать книгу Vertragt Euch! - Nicole Wilde - Страница 12
ОглавлениеKörpersprache und subtile Signale
Duke der Dalmatiner hat im Garten einen Knochen ausgegraben. Jetzt liegt er auf dem Wohnzimmerteppich und genießt die gut gereifte Belohnung, als Daisy der Yorkshire sich nähert.
„Hey!“ warnt Duke. „Bleib weg, Das ist mein Knochen!“
„Dein Knochen? Das glaube ich wohl eher nicht!“ gibt Daisy zurück, während sie weiter näherkommt.
„Hast du mich gerade nicht verstanden?“ sagt Duke, senkt seinen Kopf über den Knochen und erhebt seine Stimme. „Wer’s findet, darf’s behalten!“
„Du wirst gleich derjenige sein, der einen Haufen Ärger bekommt, wenn du nicht teilst“, knurrt Daisy und rückt an, um sich die leckere Beute zu schnappen.
Diese Art von Konversation findet zwischen Hunden andauernd statt. Obwohl sie nicht unsere Sprache sprechen, kommunizieren sie genauso mittels Körpersprache und Lauten. Wenn wir zu beobachten lernen und ihre Sprache verstehen, können wir besser erkennen, wann unsere Hunde beginnen, angespannt zu sein – und können einschreiten, ehe Reibereien in Kämpfe ausarten.
Hunde sind im Erkennen ihrer Körpersprache untereinander ziemlich gut, wir Menschen allerdings übersehen oft deren Feinheiten. Ein prima Weg zum fließenden Beherrschen der Hunde-Körpersprache ist das Aufzeichnen als Video, während Ihre Hunde spielen oder anderweitig miteinander in Interaktion sind. Wenn Sie das Material nochmals anschauen – idealerweise in Zeitlupe, aber Normalgeschwindigkeit wird es auch tun – versuchen Sie, die Signale zu erkennen, die in diesem Kapitel beschrieben werden. Achten Sie auf diese auch im täglichen Leben. Der erste Schritt dahin, das Verhalten Ihrer Hunde kontrollieren zu können, ist, sich des ständigen stillen Dialogs zwischen ihnen bewusst zu werden.
Die nachfolgend beschriebenen Ausdrücke von Körpersprache und Vokalisation zeigen Angst, Aggression, Stress oder eine Bedrohung. Obwohl man jeden für sich sehen kann, sollten sie als Teil des Ganzen ausgewertet werden und immer im Kontext der jeweiligen Situation.
Wichtig ist, dass Sie die Normalstellungen der Ohren und des Schwanzes – der Rute – Ihres Hundes kennen, damit Sie feststellen können, wenn sich etwas verändert hat. Bei Hunden mit Stehohren wie Deutschem Schäferhund oder Spitz ist es einfacher, die feinen Veränderungen der Ohrpositionen zu erkennen, als bei Schlappohr-Hunden wie Retrievern oder Spaniels. Aber grundsätzlich sind flach angelegte Ohren ein Zeichen von Angst oder Unterwerfung, während nach vorn gestellte Ohren intensive Aufmerksamkeit, Dominanz oder Aggression anzeigen. Natürlich gibt es viele Positionen, die irgendwo dazwischen liegen. Mein erster Deutscher Schäferhund, die Hündin Soko, legte ein Ohr leicht nach hinten und zur Seite, wenn sie beunruhigt war. Weil ich sie so genau kannte, konnte ich das beobachten und, falls nötig, entsprechend handeln. Es ist wichtig, dass Sie derart feine Veränderungen in den Ohrpositionen Ihres eigenen Hundes wahrnehmen.
Die normale Rutenstellung Ihres Hundes sollte ebenfalls festgehalten werden. Manche Hunde wie Akitas oder andere Spitz-Rassen haben eine über dem Rücken eingerollte Rute, während die von Greyhounds und anderen Windhunden viel tiefer hängt und sogar dann eingezogen wirken kann, wenn der Hund vollkommen entspannt ist. Eine Rute, die tiefer gehalten wird als sonst oder eingezogen wird, kann grundsätzlich Ängstlichkeit, Furcht oder Unterwerfung anzeigen. Nervöse Hunde wedeln oft in niedrigen, kleinen engen Bögen. Eine Rute, die hoch gehalten wird, insbesondere eine, mit der steif gewedelt wird wie eine Fahne, sei es unter Einbeziehung der ganzen Rute oder auch nur der Spitze, kann ein Zeichen für Vertrauen, Dominanz oder Aggression sein. Es ist wichtig zu wissen, dass die Körpersprache von Hunden mit kupierten Ohren oder Ruten für andere Hunde und den Menschen schwieriger zu lesen ist.
Beachten Sie den eingezogenen Schwanz, die zurückgelegten Ohren und den geduckten Körper.
Nochmals, Veränderungen der Positionen von Ohren und Rute können sehr fein sein. Die Ohren eines besorgten Hundes müssen nicht ganz flach am Kopf liegen. Ein einzelnes Ohr könnte nach hinten geklappt sein oder beide gehen etwas zurück. Die Rute eines verängstigten Hundes braucht nicht komplett eingezogen zu sein, kann jedoch tiefer gehalten werden als üblich. Denken Sie auch daran, dass man Körpersprache immer im Zusammenhang lesen muss. Zum Beispiel könnte die Rute hoch gehalten werden und mit ihr während des Spielens steif gewedelt werden, aber dasselbe würde auch während einer angespannten Begrüßung eines anderen Hundes zur Schau gestellt werden. Selbst wenn Sie den Kontext kennen, werden die Dinge nicht immer klar ausgesprochen. Beispielsweise kann das Ohr eines Hundes flach am Kopf angelegt sein, während er einen anderen Hund anknurrt. In diesem Fall zeigt der Hund eine widersprüchliche Körpersprache, weil er versucht, dem anderen Hund Angst einzujagen, während er selbst wegen der Begegnung nervös ist.
Das Aufstellen der Haare – Piloerektion
Das Aufstellen der Nackenhaare, mit Fachbegriff Piloerektion genannt, wird oft als sicheres Zeichen für Aggression fehlinterpretiert. Es stimmt zwar, dass das Haareaufstellen oft mit einer Demonstration von Aggression einhergeht, es kann aber auch ein Ausdruck von Aufregung und Angst sein. Wenn Hunde sich fürchten, stellen sie vielleicht ihre Nackenhaare, um sich selbst größer und einschüchternder erscheinen zu lassen. Wie der bekannte Ethologe und Autor Dr. Roger Abrantes sagt: „Der angsterfüllte, unterwürfige und überraschte Hund mag seine Nackenhaare stellen, um den Gegner zu ängstigen. Falls er damit Erfolg hat, seinen Gegner für einen Moment zögern zu lassen, wird er eine bessere Chance haben, seinen Rückzug vorzubereiten oder zu fliehen.“ Weiterhin wird das Aufstellen der Haare auch im Spiel beobachtet, denn es ist ganz einfach eine Körperfunktion bei Erregung. Wenn Sie bei Ihren Hunden das Aufstellen der Haare beobachten, sehen Sie es als emotionale Erregung an und achten Sie darauf, es im Gesamtkontext der Umstände zu diesem Zeitpunkt zu interpretieren.
Mojo hält seinen Schwanz hoch und stellt die Nacken – und Rückenhaare, während er auf einen anderen Hund trifft.
Lefzenlecken, Gähnen, Abwenden, Kratzen, Schnüffeln
Manches an der Körpersprache der Hunde ist sehr subtil, aber wenn Sie lernen, darauf zu achten, werden Sie dies bald nicht nur bei Ihren Hunden, sondern auch bei anderen Hunden bemerken. Es gibt einen speziellen Komplex an Signalen, der von Wolfs-Ethologen lange als cut off signals, Abschaltsignale, bezeichnet worden ist. Viele moderne Hundeverhaltensexperten nennen diese Beschwichtigungssignale. Die Zurschaustellung dieser Signale (im Ethologen-Fachjargon spricht man von einem „Display“ als Bezeichnung für eine Signaleinheit mit Bedeutungseinheit, Anm. d. dt. Verlages) wird oft beobachtet, wenn ein Hund gestresst, nervös oder ängstlich ist. Einem anderen Hund können sie zu verstehen geben, dass derjenige, der diese Signale aussendet, keine Bedrohung darstellt.
Das Lefzenlecken kommt aus verschiedenen Gründen vor. Lassen Sie eine leckere Belohnung vor Ihrem Hund baumeln und dies wird höchstwahrscheinlich ein Lefzenlecken, begleitet von einem glücklichen Leuchten in den Augen, zur Folge haben. Aber das Lefzenlecken ist auch ein verbreitetes Zeichen dafür, dass der Hund besorgt ist, was seine Umgebung anbelangt. Diese Art des Lefzenleckens ist eher eine rasche, züngelnde Bewegung, bei der die Zunge herausschnellt und entweder die Ober – oder Unterlippe kurz berührt, um wieder zu verschwinden. Es wiederholt sich oftmals, ein kurzes Züngeln nach dem anderen. Schauen Sie sich einmal um, wenn Sie das nächste Mal im Wartezimmer Ihres Tierarztes sind. Sie werden wahrscheinlich viele nervöse Hunde sehen, die mit Lefzenlecken beschäftigt sind.
Lefzenlecken, Kopf und Blick abgewandt.
Wer schaut in die furchterregende Kamera? Keiner! Ein Welpe gähnt noch dazu.
Das Gähnen ist ein weiteres Signal, das aus mehreren Gründen vorkommt, aber es ist auch ein verbreitetes Signal für Stress – und eines, das man leicht bemerkt. Haben Sie schon einmal gesehen, wie ein kleines Mädchen einen Hund umarmt? Das Kind strahlt über das ganze Gesicht, während seine Arme den haarigen Freund umschließen. Der Hund selbst mag nun, wie so viele, das Umarmtwerden nicht wirklich genießen. Daher gähnt er und zeigt gleichzeitig ein weiteres Signal für Stress, indem er sich abwendet. Das Abwenden kann nur den Kopf oder auch den gesamten Körper umfassen. Betrachten wir es einmal so: Wenn etwas, das Sie beunruhigt, genau vor Ihnen wäre – würden Sie dem direkt ins Auge sehen wollen oder würden Sie sich abwenden? Das Gleiche gilt dafür, ob das beängstigende Ding Sie anschaut oder von Ihnen abgewandt ist. Falls ein riesiger Grizzly auf Ihrer Veranda erschiene – wäre es Ihnen lieber, er würde Sie direkt anschauen, oder er hätte sich zur Seite gewendet? Wenn zwei Hunde sich aus ihrer Interaktion ab – und einer möglichen Konfrontation zuwenden, beobachten Sie womöglich, wie ein Hund einlenkt, indem er seinen Kopf abwendet und ein weiteres Beschwichtigungssignal zeigt, indem er den Blick abwendet.
Dieser Blick bedeutet nicht „Freut mich, dich zu sehen!“
Kratzen und Schnüffeln sind zwei weitere verbreitete Beschwichtigungssignale. In dem Moment, wo es im Spiel zwischen Hunden rau zuzugehen beginnt, könnte einer von beiden den Eindruck erwecken, als habe er plötzlich etwas Faszinierendes auf dem Boden entdeckt: „Wow! Was ist das? Auszeit!“ In Wirklichkeit nutzt er die vorgetäuschte Schnüffeluntersuchung als Möglichkeit, eine Pause in der Aktion zu schaffen, um den anderen Hund zu beruhigen. Genauso könnte es einen Hund plötzliches irgendwo jucken, wo vorher nichts gewesen war. Bei meinen beiden früheren Hunden, Soko und Mojo, war dieses Schauspiel zwischen den beiden oft vorhersehbar. Wenn das Spiel sich zu einem Punkt hochgeschaukelt hatte, an dem die Grobheit für Soko besorgniserregend wurde, konnte ich tatsächlich im Geist herunterzählen „3-2-1 …“ bis sie ein plötzliches Jucken verspürte – und indem sie sich am Hinterteil kratzte, wandte sie sich wirkungsvoll von Mojo ab und verlangte eine Auszeit, während derer sich beide Hunde beruhigten.
Dies ist einer der wichtigsten Bestandteile der Hundekörpersprache, von dem Sie je hören werden, und einer, den viele Hundebesitzer übersehen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie oft ich in Häuser zu Situationen gerufen wurden, in der die Besitzer glaubten, ein Hund würde immer zu streiten beginnen, während in Wahrheit der andere Hund ihn heftig angestarrt und der mutmaßliche Angreifer darauf lediglich reagiert hatte. Ich bin in New York aufgewachsen, oft mit der Subway gefahren und kann Ihnen mit Sicherheit sagen, dass sowohl in der New Yorker Subway als auch zwischen Hunden nichts über ein fixes Anstarren geht.
Ein angespannter Moment. Beachten Sie das Einfrieren, Anstarren und die nach vorne gerichteten Ohren beim rechten Hund, wohingegen beim Hund links die Ohren zurückgelegt sind und er nicht so heftig starrt wie der andere. Gespannte Leinen, wie sie hier zu sehen sind, sollten beim Aufeinandertreffen von Hunden vermieden werden, denn sie können weitere Spannung erzeugen.
Fixes Anstarren – das „böse Auge“, wie manche meiner Kunden es auch nennen – ist schlicht und ergreifend eine Drohung. Diese wird von anderen Hunden sofort wahrgenommen. Der konzentrierte, unbewegte Blick wird oftmals begleitet von einer vollkommenen Unbeweglichkeit des Körpers. Als Trainer würde ich lieber einem Hund begegnen, der auf mich zustürzt und anbellt, als einem, der stocksteif dasteht, den Kopf leicht senkt und starrt. Während der erste Hund sicherlich kein angenehmer Zeitgenosse ist, verschwendet er aber seine Energie damit, jede Menge Krach zu machen in der Absicht, mich wegzuscheuchen. Der zweite Hund spart seine Kräfte. Wehe, wenn er explodiert: geben Sie gut auf sich Acht!
Anstarren kann man auch beobachten, wenn ein Hund etwas in seinem Besitz hat, das er nicht teilen möchte, wie im Beispiel von Daisy und Duke. Der Kopf wird höchstwahrscheinlich gesenkt sein, entweder leicht oder vollständig über dem Objekt, und das Starren kann durch ein Knurren begleitet werden. Das Anstarren kann in einer Vielzahl von Umständen vorkommen. Sagen wir einmal, einer Ihrer Hunde sitzt mit Ihnen auf dem Sofa und der andere nähert sich in der Hoffnung auf ein paar Streicheleinheiten. Der Hund auf dem Sofa könnte ein flüchtiges Anstarren zeigen, das von Ihnen unbemerkt bleibt, insbesondere, wenn er in diesem Moment von Ihnen abgewandt ist. Wenn der andere Hund mit Schnappen oder Knurren reagiert, mag es so scheinen, als würde der andere Hund herkommen und einen Streit anfangen, während in Wirklichkeit der Hund neben Ihnen der Impulsgeber war.
Beobachten Sie Ihre Hunde sorgfältig. Wenn es eine Situation gibt, die typisch dafür ist, Spannung unter ihnen zu verursachen, beobachten Sie die Augen. Starrt einer den anderen heftig an? Falls dies der Fall ist, könnte das Ihr Schlüssel sein und der Moment zum Eingreifen, ehe die Dinge eskalieren.
Eine andere Mimik, nach der man Ausschau halten sollte, ist das sogenannte Walauge. Dabei wird deutlich mehr vom Weißen des Auges sichtbar als normalerweise. Das Walauge kann beobachtet werden, wenn ein Hund sich vom anderen in Furcht abwendet, aber ein Auge auf die Bedrohung haben möchte. Auch kann man es beobachten, wenn ein Hund seinen Kopf zu etwas hinuntergesenkt hat, was er bewacht, aber ein Auge auf einen sich nähernden Hund behält. Kurz gesagt, ein Hund mit Walauge ist gestresst.
Wie bereits gesagt, wird das Anstarren manchmal von einer vollständigen Bewegungslosigkeit des Körpers begleitet. Dieses sogenannte Einfrieren kann allerdings auch ohne Anstarren beobachtet werden. Wenn ein Hund einfriert, erlaubt ihm dieser eine Sekundenbruchteil, die Situation, mit der er konfrontiert ist, einzuschätzen. Vielleicht haben Sie so etwas schon einmal gesehen, als sich einem Hund ein ihm unbekannter Hund angenähert hat. Einer oder beide Hunde haben vielleicht plötzlich aufgehört, mit dem Schwanz zu wedeln. Die Schnauze, die bei vielen Hunden im Normalfall in einem hechelnden „Grinsen“ geöffnet ist, schließt sich und mag angespannt erscheinen. Es kann auch vorkommen, dass die Augenpartie angespannt ist und sich bei manchen Hunden senkrechte Falten zwischen den Augen zeigen. Bei dieser Art der Körpersprache können Sie die Anspannung, die in Wellen von den Hunden ausgeht, geradezu spüren. Es kann sein, dass nach dem Einfrieren, insbesondere, falls es von Anstarren begleitet wird, ein Hund sich als Nächstes auf einen anderen stürzt. Allerdings ist es in vielen Fällen, in denen sich Hunde begegnen, so, dass ein sehr kurzes Einfrieren von einer Vorderkörpertiefstellung (Play Bow) gefolgt wird, mit der ein Hund zeigt, dass er keine Bedrohung darstellt – und an dieser Stelle entspannen sich beide Hunde.
Nochmals: Ein Einfrieren ist nicht in jedem Fall ein Zeichen dafür, dass ein Kampf folgt. Zusätzlich zum „Herumblödeln“ und Zeigen einer Vorderkörpertiefstellung zum Durchbrechen der Spannung kann es sein, dass ein Hund einfriert, sobald er eine Bedrohung entdeckt, und sich dann fürs Wegrennen entscheidet. Oder, falls der Hund für sich bestimmt hat, dass es da nichts gibt, worum er sich sorgen müsste, könnte dem Einfrieren eine Entspannung des Körpers folgen und alles wie gehabt weiterlaufen. Am häufigsten folgen dem Einfrieren Verhaltensweisen wie Kämpfen, Fliehen, Herumblödeln, sowie das Zurückkehren in einen entspannten Zustand.
Knurren ist etwas Gutes. Ja, Sie haben richtig gelesen! Natürlich würden wir es vorziehen, wenn unsere Hunde uns nicht anknurren, weder einen anderen Hund noch sonst jemanden. Aber ein Knurren ist das Frühwarnsystem des Hundes. Es ist seine Art, einen anderen Hund oder eine Person wissen zu lassen, dass ihm etwas nicht passt. Um ein Menschenbeispiel zu verwenden: Stellen Sie sich vor, Sie stehen in der Kassenschlange beim Supermarkt. Ein anderer Kunde steht sehr dicht hinter Ihnen. Sie fühlen sich unwohl. Die Person rückt näher heran, dringt weiter in Ihren Wohlfühlabstand ein. Was würden Sie tun? Vielleicht versuchen Sie, etwas nach vorne zu gehen, aber wenn jemand vor Ihnen steht, wäre diese Option recht eingeschränkt. Wenn der Eindringling sich näher heranbewegt, bis Sie seinen Atem spüren können und irgendwann quasi an Sie gepresst wäre, wären Sie gezwungen, sich umzudrehen und (angenommen, Sie wählen die nette Variante) Sie müssten so etwas sagen wie „Entschuldigen Sie mal!“ Die Person würde dann hoffentlich merken, was sie da tut, sich entschuldigen und zurückweichen. Wenn dem nicht so wäre, würden Sie sich wahrscheinlich noch mehr aufregen und am Ende Ihre Stimme erheben, um Ihren Standpunkt noch mehr zu verdeutlichen.
Im vorangegangenen Beispiel war Ihre Warnung mit Worten das Pendant zum Knurren eines Hundes. Jetzt stellen Sie sich dieselbe Situation vor, aber Sie könnten nicht sprechen. In der Schlange stehend, sich unwohl fühlend, was würden Sie tun? Klar, Sie könnten einfach weggehen, aber wenn Sie sich entscheiden zu bleiben, müssten Sie auf eine körperliche Handlung zurückgreifen. Sie könnten sich umdrehen und eine Hand auf die Brust der Person legen, um sie sanft wegzuschieben oder eine stärkere körperliche Annäherung unternehmen. Natürlich wird die Person es nicht schätzen, dass sie angefasst oder geschubst wird, und die Situation könnte eskalieren. Sehen Sie jetzt, wieso Knurren etwas Gutes ist? Ein Knurren ist die Art des Hundes, auszudrücken „Ich mag nicht, was du tust. Hör auf und lass das sofort!“ In der Unterhaltung zwischen Duke und Daisy, als er sie zuerst freundlich gebeten hat, von seinem Knochen wegzugehen, hat er geknurrt. Als sie weiter darauf bestand, näher zu kommen, und er „seine Stimme erhob“, wurde das Knurren lauter und nahm eine tiefere Klangfärbung an, was anzeigte, dass die Spannung angestiegen war und die Situation ernst wurde.
Mit Knurren können Hunde vokalisieren, wie sie sich fühlen. Falls die Möglichkeit, diese Warnung zu nutzen, wegfällt, weil der Hund fürs Knurren bestraft worden ist – was bleibt ihm da noch? Wie kann er sein Unbehagen zum Ausdruck bringen? Genau wie im Supermarkt bliebe keine andere Möglichkeit, als auf körperliche Maßnahmen zurückzugreifen, um auf die Notlage aufmerksam zu machen. Einen Hund fürs Knurren zu bestrafen ist eine extrem schlechte Idee! Als Verhaltensexpertin habe ich zahllose Hunde gesehen, die ohne Vorwarnung zubissen, weil sie beim Knurren mit der Stimme gemaßregelt oder körperlich bestraft wurden. Wenn Ihr Hund knurrt, sei es bei Ihnen oder einem anderen Hund, nehmen Sie die Spannung aus der Situation – und kommen dann wieder zusammen, um zu überlegen, wie man das Problem lösen könnte. Natürlich werden Ihre Hunde im Idealfall keine Veranlassung haben, sich gegenseitig oder irgendjemanden anzuknurren. Doch indem Sie Knurren als Kommunikationsmittel ansehen anstatt als etwas, das bestraft werden müsste, zeigen Sie Verständnis und Wertschätzung für die Gefühle Ihres Hundes. Dadurch können Sie die Situation richtig einschätzen und angemessen handeln. Denken Sie daran: Knurren ist nicht dazu da, um Gewalt hervorzurufen, sondern um diese zu verhindern.
Offensives Zähneblecken und Unterwürfigkeitsgrinsen
Haben Sie jemals eine Naturdoku gesehen, bei der zwei Wölfe aufeinandertreffen und die Kamera das Gesicht eines Wolfes in Großaufnahme zeigt? Plötzlich scheint es, als ob der gesamte Bildschirm nur aus Zähnen bestünde! Die obere Lefze des Wolfes ist zurückgezogen, als wollte er dem anderen Wolf sagen „Siehst du meine perlweißen Zähne? Beachte die zwei langen, spitzen da. Sie könnten in deinem Nacken stecken, wenn du noch einen Schritt weiter gehst!“ Dieses spektakuläre Detail der Körpersprache nennt man offensives Zähneblecken und es ist bei Hunden ebenso zu beobachten. Wenn es vollständig zur Schau gestellt wird, dann ist die obere Lefze so weit zurückgezogen, dass die Schnauze faltig wird. Die beiden Fangzähne – diese langen, gebogenen, mit denen es zur Sache geht – werden voll zur Schau gestellt, gemeinsam mit der oberen dazwischen liegenden Reihe an Zähnen. Der Kiefer kann geschlossen oder geöffnet sein. Die Zungenspitze mag dabei schnell hinein und hinausschnellen, was man nicht mit dem zuvor genannten Lefzenschlecken verwechseln sollte, mit welchem er einem anderen Hund mitteilt, „Ich bin keine Bedrohung.“ Dieses Tier zeigt ganz bestimmt eine bedrohliche Haltung! Manchmal zieht ein Hund seine Lefzen hoch, ohne in das komplette offensive Zähneblecken überzugehen. Und manche Hunde heben nur eine Ecke der oberen Lefze, was ich – ich kann nicht anders – als „die Elvis-Oberlippe“ bezeichne.
Ein offensives Zähneblecken sollte nie mit einem Unterwürfigkeitsgrinsen verwechselt werden. Beim offensiven Zähneblecken ist die obere Lefze gerade hochgezogen und die Mundwinkel sind nach vorne geschoben, um ein C zu formen. Bei einem Unterwürfigkeitsgrinsen werden zwar die Vorderzähne gezeigt, aber die Mundwinkel sind straff nach hinten gezogen und mehrere Backenzähne können sichtbar sein. Manche Hunde grinsen, wenn sie sich ambivalent oder sogar glücklich fühlen, und vielen hat man beigebracht, es auf Kommando vorzuführen. Manche zeigen es, wenn sie gemaßregelt wurden, nervös sind oder sich bedroht fühlen. Vor einiger Zeit gingen Videos mit Hunden, die „lachen“, im Internet viral. Tatsächlich waren diese Hunde von ihren Besitzern mit Sätzen wie „Was hast du angestellt?“ ausgeschimpft worden und haben alles andere als gelächelt, sondern ein Unterwürfigkeitsgrinsen gezeigt. Da das Unterwürfigkeitsgrinsen nicht so häufig gezeigt wird, wird es manchmal als Bedrohung aufgefasst. Glücklicherweise erkennen Hunde den Unterschied zwischen einem offensiven Zähneblecken und einem Unterwürfigkeitsgrinsen bei anderen Hunden. Für uns Menschen ist es wichtig, dass wir diesen Teil der Körpersprache im Zusammenhang mit anderen Signalen bewerten, die der Hund zeigt, damit wir ihn richtig einschätzen können.
Offensives Zähneblecken.
Unterwürfigkeitsgrinsen.
Bodhi (links) zeigt widersprüchliche Körpersprache. Obwohl er die Zähne zeigt, hat er den Körper abgewendet, eine Pfote erhoben und die Ohren nach hinten gelegt. Sierra sieht jedenfalls nicht aus, als würde sie streiten.
Bekäme ich jedes Mal einen Dollar, wenn ich jemanden sagen höre: „Er wollte mich beißen, aber ich konnte meine Hand gerade noch wegziehen!“, würde ich am Strand von Tahiti sitzen und schreiben. Hunde sind schneller als Menschen. Wenn ein Hund beißen will, dann beißt er. Ein Luftschnapper, bei dem der Hund anscheinend in die Luft beißt, anstatt zuzubeißen, ist eine klare Bedrohung. Der Hund sagt „Die Leere hättest Du sein können. Wenn Du so weiter machst, dann wirst es Du sein!“ Hunde schnappen auch während des Spiels in die Luft, aber wo es Spannungen zwischen Hunde gibt, achten Sie auf dieses vielsagende Bisschen an Körpersprache.
Obwohl ein Biss eher eine Aktion als ein Teil der Körpersprache ist (und wahrlich keine unterschwellige), muss man darüber reden. Der Schweregrad reicht durch das ganze Beiß-Spektrum von einem Hund, der rasch vorschnellt und das Fell des anderen kaum streift (im Grunde nur eine Warnung) bis hin zu dem Hund, der einen anderen packt und im Versuch, diesen umzubringen, am Nacken schüttelt. Die meisten Bisse sind irgendwo zwischen diesen beiden Extremen einzuordnen. Wie groß der Schaden ist, hängt nicht nur von der Bissintensität ab, sondern auch von der Größe und Stärke der beteiligten Hunde; ein ernsthafter Biss von einem Chihuahua wird wahrscheinlich nicht so viel Schaden anrichten wie der von einer Bullrasse oder einem Mastiff.
Die meisten Konflikte unter Hunden sind laut und erscheinen heftig, aber tatsächlich entsteht dabei kein körperlicher Schaden. Besonders zwei Rüden können klingen, als ob sie in eine Kneipenschlägerei verwickelt wären! Jede Menge Gebell und Knurren sind am Start und auch Luftschnappen kann dabei sein. Das alles klingt furchterregend, aber meistens ist diese Art von Geplänkel oft mehr Getöse als sonst etwas und es resultieren keine körperlichen Verletzungen daraus.
Bei Hundezankereien gibt es oft minimale Schäden bei einem oder beiden Hunden in Form von Kratzern oder kleinen Rissen, verursacht von Zähnen, die die Haut erwischt haben. Ohren und besonders die Schnauze sind anfällig für kleine Blutungen, was erschreckend aussehen kann. Es kann wechselweise zu kleinen Warnbissen kommen, die die Haut tatsächlich gar nicht durchdringen. In beiden Szenarien wollen die beteiligten Hunde keinen ernsthaften Schaden anrichten.
Wenn wir auf der Skala weitergehen, kommen wir zu Bissen, die absichtlich durch die Haut dringen. Diese können von sehr oberflächlichen Bissen bis hin zu tiefen Punktutationswunden reichen. Je ernstgemeinter ein Biss, desto tiefer dringen die Zähne in den Körper. Die Schwere von Punktuationswunden kann man anhand ihrer Tiefe, Menge und Anordnung am Körper beurteilen. Am unteren Ende der Skala liegt ein einziger, oberflächlicher Biss. Zum Beispiel wenn ein Hund herangeschossen kommt, zubeißt und wieder davonschießt oder der andere Hund wegrennt. An deutlicheren Punktuationswunden ist schätzungsweise die halbe Länge eines Hundezahns involviert. Am oberen Ende wären dann mehrfache Punktuationswunden, in die der Hund seine Zähne bis zum Anschlag versenkt hat. Wenn das Opfer sich wegzieht, kann es auch zu Risswunden kommen.
Bei einem extremen Angriff klammert ein Hund seine Zähne um das Genick des anderen Hundes und schüttelt dann seinen Kopf hin und her. Möglicherweise haben Sie Ihren Hund schon einmal dabei beobachtet, wie er dies mit einem Stoffspielzeug tut. In diesem Zusammenhang geht es ums Spielen, doch dieselbe Bewegung nutzen viele Tiere dazu, ihre Beute zu töten. Einmal hatte ich eine Kundin im Training, die mir berichtete, dass ihr größerer den kleineren Hund am Genick gepackt und geschüttelt habe. Sie fragte sich, ob dieser den Hund mit einem seiner Stoffspielzeuge verwechselt hätte. Nein! Der Hund hatte versucht, den kleineren Hund ernsthaft zu verletzen oder gar zu töten.
Wenn Ihre Hunde kämpfen, trennen Sie sie und untersuchen Sie jeden Hund sorgfältig. Man kann Bisse und kleine Wunden leicht übersehen, besonders, wenn Ihre Hunde dichtes oder langes Fell haben. Alle Wunden sollte sich ein Tierarzt anschauen, denn auch bei oberflächlichen Wunden kann es zu Komplikationen wie einer Infektion kommen. Über Punktuationswunden können Bakterien in den Körper eindringen, deshalb müssen sie ordentlich gesäubert werden. Lässt man sie unbehandelt, können Bakterien Abszesse oder eine Gewebeinfektion verursachen, die sich in der Umgebung ausbreiten kann. Punktuationswunden können auch Schaden anrichten, wenn sie durch Muskeln oder Weichteile gehen. Ein Biss, der den Brustkorb durchdringt, kann einen Lungenkollaps verursachen. Selbst ohne sichtbare äußere Schäden sind innere Verletzungen möglich, besonders, falls ein Hund gepackt und ernsthaft geschüttelt worden ist.
Hoffentlich ist die Situation zwischen Ihren Hunden nicht so schlimm. Aber wenn sie kämpfen, ist es wichtig, den Ernst der Lage abzuschätzen – und man muss sich bewusst sein, dass Aggression dazu tendiert, mit der Zeit zu eskalieren. Auch wenn ein Hund jetzt gerade oberflächliche, einzelne Bisse anbringt, könnten diese Verletzungen heftiger werden, einschließlich mehrfacher tiefer Wunden. Umso mehr ein Grund, die Hilfe eines professionellen Verhaltensexperten in Anspruch zu nehmen.