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DAVID MACLELLAN, Islay, 16. Februar 2016 VOR DEN KLIPPEN VON SKERRYVORE

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Der Pager weckte mich kurz nach Mitternacht. Ich sprang aus dem Bett und zog mich sofort an. Als ich vor die Haustür trat, merkte ich, wie übel das Wetter war. Eine harte Böe hätte mich beinahe von den Füßen geholt.

Oha, dachte ich.

Es war wirklich schlimm. Der Wind brauste in voller Sturmstärke, und der Regen schlug mir wütend ins Gesicht. Mit eingezogenem Kopf rannte ich zu meinem Auto und fuhr zur Station unseres Rettungskreuzers.

Noch bevor ich irgendwelche Details wusste, machte ich mir Sorgen um das Schiff in Seenot und um seine Crew. Das war nicht die Sorte Wetter, die man mit Problemen auf See erleben möchte. Mir blieb erst einmal nur zu hoffen, dass es sich bei dem Notruf um ein Versehen handelte.

Dass es nur ein Fehlalarm war.

War es aber nicht. Als ich fünf Minuten später an der Station ankam, war die Anforderung nicht aufgehoben. Der Kreuzer sollte sofort raus.

An der Station traf ich meinen Vater, Victor MacLellan, stellvertretender Einsatzleiter des RNLI-Stützpunkts Islay. Als er mir die Lage schilderte, mochte ich es kaum glauben.

„Skerryvore“, sagte er, „eine Jacht sitzt auf Grund vor Skerryvore.“

„Du machst doch Witze“, sagte ich. „Da ist jetzt nicht wirklich eine Jacht draußen am Riff? Zu dieser Jahreszeit?“

Und mitten in der Nacht.

„Offenbar doch“, erwiderte er.

Das war in der Tat verblüffend. Februar war nicht unbedingt die beste Zeit für einen Ausflug mit der Jacht. Und dann nach Skerryvore. Das lag nämlich vierzig Meilen westlich von Islay. Ein einsamer Leuchtturm auf einem einsamen Felsen. Und nichts drum herum meilenweit.

Das ergab doch alles keinen Sinn.


Wer wie ich auf einer Insel aufwächst und lebt, die von zig anderen Inseln umgeben ist, der hat mit der See zu tun. Im Winter waren wir oft vom Festland abgeschnitten, wenn die Fähre nicht mehr fuhr. Aber das gehörte bei uns zum Alltag.

Islay und die Nachbarinseln der Hebriden, wie zum Beispiel Barra ganz im Norden, hatten keine Einkaufsstraßen oder gar Shopping-Zentren. Die Leute bewirtschafteten „Crofts“, kleine Bauernhöfe, und sie schickten ihre Kühe und Schafe auf das gemeinsame Weideland in den Hügeln. Die meisten betrieben also Viehwirtschaft, manche bauten außerdem Obst und Gemüse an oder verdienten sich im Tourismus Geld dazu.

Aber selbst die „Crofter“ besaßen Boote. Damit sie rausfahren konnten, um Hummer zu fangen, den sie auf dem Markt verkauften. Oder sie fingen Fisch für den eigenen Bedarf. Sie salzten ihn und hingen ihn zum Trocknen auf. Alles, um unter den bescheidenen Umständen des Insellebens über die Runden zu kommen.

Meine Familie hatte zwar keinen Hof, aber auch meine Eltern waren ständig mit Booten auf See. Schon als Grundschüler fuhr ich mit raus. Ein Leben auf den Wellen bedeutete für die Insulaner fast schon zwangsläufig, dass sie in irgendeiner Weise in die Arbeit der RNLI involviert waren. Mein Vater schloss sich den Seenotrettern 1969 an, wie viele unserer Verwandten vor ihm und viele nach ihm.

Mich eingeschlossen.

Ich wurde 1990 Mitglied der Crew auf Islay. In den Jahren danach heiratete ich, und wir bekamen Nachwuchs. Für meine Frau und die Kinder gehörte es zum Alltag, dass mein Pager piepte und ich losmusste, egal welche Bedingungen gerade auf See herrschten. Meine Töchter, Katie und Elidh, setzten sich sogar vor den Computer und verfolgten per AIS-Tracker, wohin der Rettungskreuzer fuhr. Stundenlang saßen sie vor dem Monitor und schauten zu. Auch das gehörte wohl zu den Besonderheiten des Insellebens.

Zu einem RNLI-Team zu gehören, das über eine Region wachte, in der so viele Menschen ihren Unterhalt auf See verdienten, bedeutete auch, dass wir oft zum Einsatz ausrückten. Und dass unsere Einsätze häufig unter harten Bedingungen abliefen, vor allem im Winter.

Westlich von Islay liegt die offene See, wo die großen Krabbenfänger operieren. Von hier bis nach Amerika gibt es sonst gar nichts mehr – hier bist du der See und ihren launenhaften Gewalten ausgesetzt. In schwerem Wetter werden wir regelmäßig alarmiert, weil die großen Trawler Hilfe brauchen. Dann schleppen wir Fischereifahrzeuge von bis zu 160 Tonnen mit unserem 45-Tonnen-Seenotkreuzer, und es kann schon mal zwölf Stunden dauern, bis wir wieder im Hafen einlaufen.

Jachten kamen normalerweise erst im Sommer. In unmittelbarer Nähe von Islay gibt es zwar keine Marinas oder auch nur Schwimmstege für Segler. Weiter nördlich, rund um das Hafenstädtchen Oban, oder südöstlich von uns, im Firth of Clyde, sieht das anders aus. Selbst in gutem Wetter geraten manche Freizeitskipper in Not. Wenn sie beispielsweise in einer der vielen Buchten ankern und dann nachts der Wind dreht. Ihr Anker verliert den Halt, die Boote gehen auf Drift und laufen auf Grund.


Dass wir mitten im Winter alarmiert werden, um eine Jacht zu bergen, liegt allerdings weit außerhalb der Norm. Und dann auch noch auf einem abgelegenen und gefährlichen Riff wie Skerryvore.

Das würde eine harte Nacht werden.

Als hauptberuflicher Vormann eines RNLI-Seenotkreuzers musste ich vor jedem Auslaufen meine Crew zusammenstellen. In der Regel fuhren wir unsere All-Wetter-Boote der Severn-Klasse mit einer Besatzung von sieben. Die brauchten wir auch, vor allem wenn wir das Beiboot aussetzen mussten, das mit zwei Leuten bemannt wurde. Dann blieb noch eine Crew von fünf auf dem großen Kreuzer. Wenn es ein Sucheinsatz war, konnte man gar nicht genug Augen haben, um einen Verunglückten zu finden.

Heute Nacht waren allerdings nur fünf Leute erschienen, mich eingeschlossen. Unser Mechaniker David McArthur, Navigator Thomas Coope sowie die Ehrenamtlichen Duncan McGillivray und Peter Thompson. Alle hatten schon ihre Montur an und waren einsatzbereit.

Sieben Leute wäre besser gewesen. Aber nun mussten eben fünf Mann reichen.

„Dann mal los“, sagte ich.

Die Zeit drängte. Wie immer.

Wir liefen zu unserem Seenotkreuzer „Helmut Schroder of Dunlossit“ und stiegen an Bord. Jedes Crewmitglied ging sofort auf Position.

„Wird eine ungemütliche Reise heute Nacht“, sagte ich, als wir die Maschine anließen. „Schnallt euch an.“

Wenn der Wind so hart blies, konnten wir schnell vom Kurs abkommen. Wir mussten also einen Mann abstellen, der permanent unsere Position überprüfte. Ich wandte mich an Thomas.

„Du bleibst heute besser an der Navigation“, sagte ich.

„Okay“, erwiderte er.

„Wenn dir etwas auffällt, sag gleich Bescheid“, fügte ich hinzu. Er nickte.

Als wir aus dem Hafen waren und mit Kurs auf Skerryvore Geschwindigkeit aufnahmen, meldete sich die Station der Küstenwache in Belfast. Sie bestätigte die geschätzte Position der Jacht und lieferte ein paar weitere Details.

Der Segler, der den Notruf abgesetzt hatte, war allein an Bord.

Bei dem Gedanken erschauderte ich. Selbst eine komplette Crew hatte in einer solchen Notlage auf einem tückischen Riff alle Hände voll zu tun. Wie sollte da ein Mann allein zurechtkommen?

Eigentlich unmöglich.

Es stellte sich heraus, dass auch der RNLI-Stützpunkt auf Barra den Alarm erhalten hatte, doch das Boot war gar nicht erst ausgelaufen. Skerryvore lag zwar genau in der Mitte – vierzig Meilen war es von ihrer Station, vierzig Meilen von unserer. Aber weil wir den Wind im Rücken hatten, würden wir viel schneller am Einsatzort sein. Deshalb hatte unser Pager Alarm geschlagen.

Das Schiff in Not war eine fünfzehn Meter lange Jacht mit dem Namen „Vestavind II“. Bis zu der im Notruf übermittelten Position würden wir unter diesen ungünstigen Wetterbedingungen etwa zwei Stunden benötigen. Je weiter wir auf die offene See rauskamen, desto mehr nahmen Wind und Seegang zu. Nach einer halben Stunde hatten wir Wellen vor dem Bug, die sich vier bis sechs Meter hoch auftürmten. Schneeregen erschwerte die Sicht. Wir waren gerade erst losgefahren, doch schon jetzt war es ein ex-trem anspruchsvoller Einsatz.

Ich stand am Ruder und suchte den besten Weg durch die Wellen, als Thomas sich vom Platz des Navigators über die Gegensprechanlage meldete: „David, wir haben ein Problem.“

„Was ist los?“, fragte ich.

„Unser Radar hat sich gerade verabschiedet“, sagte er.

Ich spürte, wie sich mein Magen verkrampfte.

Oh mein Gott …

Es war der denkbar schlechteste Moment für einen Ausfall unserer Technik: mitten in der Nacht, und das richtig harte Wetter lag noch vor uns. Wir waren auf dem Weg in ein Seegebiet mit gefährlichen Untiefen.

„Check mal die Sicherung“, sagte ich, in der Hoffnung, dass die Panne nur von vorübergehender Natur war.

„Nichts“, gab Thomas zurück. „Das Ding ist tot.“

Mit einem Blick auf die Instrumente überzeugte ich mich selbst noch einmal und musste einsehen, dass er leider recht hatte. Nach nur dreißig Minuten eines Einsatzes, der wahrscheinlich etliche Stunden dauern würde, hatten wir keinen Radar mehr.

Draußen war es pechschwarz, und der Wind brüllte mit Sturmstärke 11. Wir würden uns allein auf Thomas’ Fähigkeiten als Navigator verlassen müssen, wenn wir die Jacht finden wollten. Und auf unsere Augen und Ohren.

Unser Seenotkreuzer wurde von einem nun acht Meter hohen Seegang hin und her geworfen. Gischt und Regen nahmen mir die Sicht. Von flüchtigen Blicken auf das ferne Feuer des Leuchtturms Dubh Artach einmal abgesehen, konnte ich eigentlich überhaupt nichts sehen. Mit den Angaben, die Thomas mir zurief, und diesem fixen Licht musste ich zurechtkommen. Es war ein Kampf, das Boot auf Kurs zu halten.

Leider blieb der Verlust des Radars nicht unser einziges Problem.

„Ein paar unserer Leute sind seekrank“, meldete David.

Eingeschlossen im Ruderhaus und von den Wellen auf und ab geschleudert wie in einer Achterbahn, ohne Blick auf den Horizont, um dem Gleichgewichtssinn Orientierung zu geben, hatten sie sich ihrem Schicksal ergeben und kotzten in einen Eimer. Ich wusste, wie dringend das Bedürfnis war, die Tür hinten aufzureißen und frische Luft reinzulassen. Aber so wie die Wellen über unserem Boot zusammenschlugen und das Wasser über das Deck rauschte, war das leider unmöglich. Wasser im Schiff? Das wollten wir unter diesen Umständen wirklich nicht riskieren.

„Okay“, antwortete ich. „Guck einfach ab und zu nach ihnen, bis sie damit durch sind. Und pass auf, dass die Tür auf jeden Fall geschlossen bleibt.“

So war das auf See: Man wusste nie, was auf einen zukam.

Jetzt hatten wir nur noch drei Paar Augen. Umso wichtiger, dass meine letzten beiden Leute nicht den Kopf verloren. Bei den Bedingungen, die wir gerade erlebten, war ich nicht besonders überrascht, dass ein Teil der Crew seekrank wurde. Aber das würde schnell wieder vorbei sein. Als es mir das erste Mal passierte, arbeitete ich noch auf einem Fischerboot; das war kurz bevor ich als Freiwilliger zur RNLI ging. In den ersten beiden Wochen war mir dauernd übel, und der Skipper prophezeite: „Das wird nix mit dir. Du schaffst das nie.“

Ich schaffte es aber doch.

Weil es keinen anderen Weg gab. Diese Zwangsläufigkeit hat mir über den Berg geholfen. Ich wusste, dass für meine Crew dasselbe galt. Es war nicht das erste Mal, dass sie auf dem Weg zum Einsatz seekrank geworden waren. Ihr Pflichtgefühl würde schon dafür sorgen, dass sie schnell damit klarkamen. Sie hatten einen Job zu erledigen.


Auf unserem Weg nach Skerryvore steuerte ich mit äußerster Konzentration. Immer mit Blick auf das Wetter, auf den Seegang, damit ich wusste, was auf uns zukam. Ohne Radar als Navigationshilfe war es noch einmal wichtiger, absolut wachsam zu sein.

Wie ich es vorhergesehen hatte, erholte sich die Crew recht fix von ihrer Seekrankheit. Als wir gegen vier Uhr morgens das Riff erreichten, waren alle wieder auf dem Damm. Ich stoppte den Seenotkreuzer und schaltete unseren großen Suchscheinwerfer ein. Ohne Fahrt im Schiff bekamen wir die Gewalten des Sturms noch heftiger zu spüren. Wir rollten wild in der mächtigen Dünung. Voraus konnte ich deutlich den Leuchtturm von Skerryvore sehen. Aber keine Jacht, nichts.

Wo war der Segler?

Komplett überrascht, dass wir ihn nicht gleich fanden, war ich nicht. Nachdem ich gesehen hatte, wie unser großer Kreuzer von den Wellen hin und her geworfen wurde, ahnte ich schon, dass eine fünfzehn Meter lange Jacht, die hier auf Grund gelaufen war, kaum noch auf der Position sein dürfte, die sie gemeldet hatte. Doch bevor wir entschieden, was als Nächstes zu tun war, musste ich sichergehen, dass ich nichts übersehen hatte.

„Könnt ihr was erkennen?“, fragte ich meine Crew.

„Gar nichts“, kam zurück.

Er ist weg. Skerryvore hat ihn sich geholt, dachte ich.

Ich griff zum Funkgerät und nahm Kontakt zur Küstenwache auf.

„Wir sind jetzt an der geschätzten Position. Die Jacht ist nicht zu sehen“, gab ich durch.

„Verstanden“, erwiderte die Küstenwache. ‚„Rescue 100‘ ist in der Luft und sucht das Gebiet ab.“

„Rescue 100“ war der Hubschrauber der Küstenwache in Belfast. Während wir auf Stand-by blieben, flog der Pilot systematisch sein Suchmuster ab, um zu sehen, ob die Jacht noch in der Nähe zu finden war. Gut möglich, dass es den Segler längst weit abgetrieben hatte.

Wenn er nicht schon gekentert war.

Trotz Unterstützung aus der Luft rechneten wir nicht mit guten Nachrichten. Dann knisterte es im Funkgerät, und die Küstenwache meldete sich wieder.

„Wir haben die Jacht gefunden“, sagte der Mann am anderen Ende. „‚Rescue 100‘ ist an der neuen Position auf Stand-by.“

Gott sei Dank, dachte ich.

„Können Sie die neue Position bestätigen?“, fragte ich. Die Küstenwache sagte die neuen Koordinaten durch, und Thomas schrieb mit.

„Wir fahren jetzt hin“, sagte ich.

In der Zeit, die wir benötigten, um die ursprüngliche Position des Seglers zu erreichen, war die Jacht fünf Meilen weiter nach Norden getrieben. Sie war jetzt nicht weit von den Untiefen des Outer Hurricane Rock entfernt, wo tückische Strömungen für besonders turbulente Verhältnisse sorgen.

Es gab eine weitere Hürde: Man informierte uns, dass der Skipper aus Russland stammte. „Er spricht kein Wort Englisch“, berichtete die Küstenwache. „Wir schalten jetzt einen Übersetzer ein.“

„Verstanden, danke“, erwiderte ich.

Die Auskunft bereitete mir Sorgen. Mir war klar, dass uns dieser Umweg über einen Übersetzer wertvolle Zeit kosten würde. Wir mussten jedes Mal warten, bis unsere Ansagen ins Russische übertragen wurden. Und dann noch einmal warten, bis wir die Antwort des Skippers bekamen.

Das war Zeit, die wir möglicherweise nicht hatten.

Wenn wir überhaupt noch eine Chance haben wollten, dem Mann zu helfen, dann mussten wir da jetzt so schnell wie möglich hinkommen.


Trotz der Information über die unglückliche Sprachbarriere hatte uns die Nachricht, dass der Segler und seine Jacht gefunden waren, einen Schub Hoffnung gegeben. Mit „Rescue 100“ als Lotsen hoch über uns steuerten wir mit voller Kraft die neue Position an. Es war ein wilder Ritt über die Kämme der Brecher und durch die tiefen Täler dahinter. Zum Glück dauerte es nicht lange, bis die Jacht in Sicht kam. Sie lag quer zur See und rollte erbärmlich mit jeder Welle, die unter ihr durchlief. Ich konnte außerdem erkennen, dass der Rumpf an den Stellen, wo er über die Felsen des Riffs gegangen war, schon beschädigt war.

Gut sah das nicht aus.

Als wir näher kamen, konnten wir auch den Skipper in seinem kleinen Cockpit sehen. Er kämpfte mit dem Ruder. Er wirkte absolut fertig, nach der vermutlich ungemütlichsten Nacht seines Lebens.

Auch der Helikopter hatte seine Mühe. Der Pilot kämpfte mit dem Sturm, bei seinem Versuch, die Position über der Jacht zu halten, wurde er wild durchgeschüttelt. Sein Sprit ging langsam zur Neige.

„‚Rescue 100‘ zieht ab“, gab die Küstenwache durch. „Er muss zum Stützpunkt zurück, um aufzutanken.“

Meine erste Einschätzung der Lage versetzte mir einen zusätzlichen Adrenalinstoß: Die Jacht war in extremer Gefahr. Nördlich konnte ich schon die Brecher des Riffs sehen. Am Outer Hurricane Rock kochte die See. Wenn der Segler da noch näher antrieb, konnten wir nichts mehr für ihn tun.

Es gab keinen anderen Ausweg: Wir mussten eine Schleppverbindung herstellen und ihn da rausholen. Und zwar sofort.

„Wir müssen eine Leine zu ihm rüberkriegen“, sagte ich.

Die Crew machte sich ans Werk und bereitete das Manöver vor. Wenn wir jetzt den Skipper überzeugen konnten, sein Cockpit für einen Moment zu verlassen, um die Leine anzunehmen und an Bord zu belegen, konnten wir ihn aus der unmittelbaren Gefahr befreien. Meine Leute kämpften sich gegen den eisigen Regen auf dem Achterschiff vor. Von Hand zu Hand wanderte die Schlepptrosse bis zum Heck, bis sie auf Position waren, die Leine zu übergeben.

Über UKW-Funk und den Übersetzer der Küstenwache teilten wir dem Segler mit, was wir vorhatten. Gleichzeitig versuchte meine Crew, dem Mann mit Handzeichen zu signalisieren, wie unser Plan aussah.

„Fang die Leine“, brüllte David gegen den Wind und zeigte auf die Trosse in seiner Hand. Ich brachte den Seenotkreuzer so nah wie möglich an die Jacht heran. Thomas versuchte, die Leine zu übergeben. Aber der Skipper kam ihm nicht entgegen, sondern blieb in seinem Cockpit sitzen.

Ohne jemanden, der die Trosse am anderen Ende packte, platschte sie nutzlos in die See. David und die anderen holten sie schnell wieder ein, während ich das Boot wieder in Position brachte, für einen zweiten Anlauf.

Wir brauchten etwa fünf Minuten, bis wir uns organisiert hatten. Nächster Versuch – mit demselben Resultat. Der Skipper bewegte sich nicht.

Seine Jacht rollte schwer in den Wellen, rauf ging es und runter. Rauf und wieder runter. Wahrscheinlich war er vor Angst wie gelähmt. Aber er musste sich überwinden. Ohne Leinenverbindung würde er weiter in Richtung Riff driften.

Jeder gescheiterte Versuch machte unseren Job noch schwerer. Je nasser die Trosse wurde, desto mehr Gewicht hatten wir an Bord zu wuchten und zu werfen. Aber keinen Augenblick dachten wir daran, das Vorhaben aufzugeben. Jedes Mal dachten wir: Dann eben noch mal. Und noch mal.

Während wir uns für den nächsten Anlauf sortierten, erklärte der Übersetzer dem Skipper ein weiteres Mal, wie wir vorgehen wollten – und was er dazu beitragen musste. Aber die Botschaft schien leider nicht anzukommen. Wenn die Kommunikation immer wieder statt weniger Sekunden mehrere Minuten brauchte, gingen uns wertvolle Versuche verloren. Ich wartete einen Moment ab, in dem die Konstellation von Wellen und den beiden Schiffen günstig war. Als alles passte, funkte ich die Küstenwache an und gab das Zeichen: Los geht’s! Vorsichtig brachte ich den Kreuzer längsseits neben die Jacht. Ich hielt den Atem an, als ob ich den Skipper per Gedankenübertragung dazu bringen konnte, aus seinem geschützten Cockpit zu steigen und nach der Leine zu greifen.

Aber sie fiel einfach wieder auf Deck. Und er rührte sich nicht.

Los jetzt, dachte ich.

Er hatte noch Zeit, sich die Leine zu schnappen.

Nichts passierte. Der Wind fegte die schwere Trosse von Deck und zurück in die See. Zurück auf Anfang. Meine Crew machte sich wieder an die Arbeit, und ich schüttelte den Kopf. Der Verzug in der Kommunikation raubte uns jedes Mal kostbare Sekunden, die wir brauchten, um das Manöver zum Erfolg zu bringen.

Uns lief die Zeit davon.

Nervös blickte ich nach Norden. Wir kamen den tückischen Brandungswellen über den Untiefen immer näher. Auch unser Rettungskreuzer taumelte hart im stürmischen Seegang. Schon eine gefühlte Ewigkeit versuchten wir, eine Schleppverbindung herzustellen. Die Jacht trieb unaufhaltsam auf das Riff des Outer Hurricane Rock zu. Mir blieb nichts anderes übrig, als auch das Worst-Case-Szenario durchzugehen. Wenn wir die Jacht auf ihrem Weg in Richtung Klippen nicht stoppen konnten, mussten wir eben den Skipper abbergen.

Überleben im Sturm

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