Читать книгу Überleben im Sturm - Nikki Girvan - Страница 16

Оглавление

Ob wir ihn überzeugen konnten, ins Wasser zu springen?

Ein Blick auf die gewaltigen Wellenberge und zum verängstigten Segler der„Vestavind II“ sagte mir, dass diese Option wohl ausfiel. Nein, wenn wir den Mann vom Boot holen wollten, blieb uns nur ein Weg.

Wir mussten hart ran an die Jacht, den Mann packen und zu uns an Bord ziehen.

Die beiden Schiffe in direkten Kontakt zu bringen, war riskant, keine Frage, und könnte auch unseren Seenotkreuzer in Bedrängnis bringen. Schäden waren jedenfalls nicht auszuschließen. Dazu kam die Gefahr für meine Crew.

Aber nur so konnten wir das Leben des Skippers retten.

Ich musste mich entscheiden. Die Boote kollidieren zu lassen, war der letzte Ausweg. Doch wenn ich diesen Weg wählen würde, mussten meine Ansagen unmissverständlich klar sein. Falls der Skipper ins Wasser fiel, rechnete ich mir nur geringe Chancen aus, ihn zu bergen.

Der Gedanke kreiste in meinem Kopf, als ich unser Schiff in einen vierten Anlauf steuerte. Ich konnte sehen, wie einer meiner Leute dem Segler wild gestikulierte und anzeigte, dass wir einen neuen Versuch unternahmen. Die Schleppleine wurde wieder zum Heck geführt, und exakt in dem Augenblick, als ich unseren Kreuzer längsseits brachte, ging sie über.

Jetzt pack endlich zu!

Irgendwie war die Botschaft dieses Mal angekommen.

Ich hätte klatschen können vor Freude, als ich sah, dass der Mann aus dem Cockpit kletterte, die Trosse griff und sie schnell irgendwo am Heck der Jacht belegte, möglicherweise an einer Winsch, bevor er sich ins Cockpit zurückzog.

Ehrlich gesagt kam mir sein Knoten wenig vertrauenerweckend vor, aber das war nun unsere beste Chance. Langsam brachte ich die Trosse auf Spannung und begann, die Jacht zu ziehen, mit dem Heck voran.

Bitte halt … dachte ich.

Langsam, aber sicher spürte ich das beruhigende Gewicht des Schiffs im Schlepp.

Es klappt!

Das Steuerrad fest in den Händen, gab ich langsame Fahrt voraus, ganz sachte, ganz vorsichtig. Jeder Zentimeter, den ich im Kielwasser ließ, brachte die Jacht und unseren Kreuzer weiter aus der Gefahrenzone der Brandung über dem Flach.

Weg von dem verdammten Riff.

Während wir uns in Bewegung setzten, rasten meine Gedanken schon weiter. Das Boot hatten wir also am Haken, aber wie weiter? Sobald wir in sicherer Entfernung zum Riff waren, mussten wir die Leine richtig belegen – und zwar am Bug der Jacht, wenn wir sie sicher über größere Distanz schleppen wollten. Und dann?

Wo sollten wir das Boot hinbringen?

Zurück nach Islay waren es vierzig Meilen. Allein hatten wir mehr als zwei Stunden gebraucht. Mit einem Schiff im Schlepp kamen wir nur im Schneckentempo voran, und unter den jetzt herrschenden Wetterbedingungen würden wir es garantiert nicht zurück zum Stützpunkt schaffen, ohne dass weitere Probleme auftraten. Dann hatte ich eine Idee.

Die Insel Tiree.

Tiree war die westlichste Insel der Inneren Hebriden. Sie war relativ klein – vielleicht zwölf Meilen lang und drei Meilen breit – und sehr flach.

Hinter der Insel konnten wir Schutz finden.

Dafür würden wir zwar auf Kurs Nord gehen müssen, aber wenn wir hinten um die Insel herumfuhren, wo die See ruhiger war, konnten wir mit dem Seenotkreuzer längsseits an die Jacht gehen und den Skipper an Bord holen. Was bedeutete, dass wir sein Boot aufgeben und nicht den ganzen Weg zurück nach Islay schleppen würden.

Schließlich war die Jacht ja versichert.

Wenn wir es mit den Booten von Verunglückten zu tun hatten, ging es häufig auch um die Lebensgrundlage dieser Menschen, bei Fischern zum Beispiel. Konnte uns also durchaus passieren, dass sie sich weigerten, ihr Schiff aufzugeben.

Doch ein Menschenleben war mehr wert als jedes Boot.

Plötzlich wurde ich aus meinen Gedanken gerissen: Das Gewicht der geschleppten Jacht war weg.

Ich musste gar nicht erst hinsehen, um zu wissen, was passiert war. Die Schleppleine hatte sich gelöst und war schon von der Jacht ins Meer gefallen. Und wir hatten gerade erst ein paar Minuten geschafft.

Ich möchte die Worte an dieser Stelle nicht wiederholen, die vom Deck des Rettungskreuzers bis ins Ruderhaus zu hören waren. Sagen wir es so: Jugendfrei waren diese Flüche nicht.

Im ersten Augenblick fühlte es sich an wie das totale Desaster, doch ich erkannte schnell, was wir bereits erreicht hatten. Ja, wir hatten die Jacht wieder verloren, aber in der kurzen Zeit, in der wir sie am Haken hatten, war es uns gelungen, sie so weit von Brandung und Untiefen wegzuziehen, dass sie jetzt nicht mehr auf das Riff getrieben werden würde. Der Segler würde an dem Outer Hurricane Rock vorbei auf die offene See hinaustreiben. Er war nicht mehr unmittelbar in Gefahr.

In diesem Moment war mir klar, dass wir sein Leben gerettet hatten.

Damit bestand auch keine Notwendigkeit mehr, sein Schiff zu rammen, um ihn aus seinem Cockpit zu zerren. Zum Feiern war es dennoch zu früh. Der Seegang nahm weiter zu, und auch auf dem offenen Wasser drohten Gefahren. Wir mussten versuchen, die Jacht wieder einzufangen.


Die Crew formierte sich erneut auf dem Achterdeck. Sie war jetzt perfekt eingespielt. Sobald die Schlepptrosse wieder einsatzbereit war, steuerte ich mit Schwung auf die Jacht zu, um meine Leute so dicht wie möglich an den Havaristen heran zu bekommen. Doch genau in dem Augenblick, als wir längsseits kamen, baute sich ein fünf Meter hoher Brecher neben uns auf. Einen Sekundenbruchteil später rauschte das Wasser über Deck.

„Woah“, hörte ich Duncan japsen. Er hatte im Durchgang zum Ruderhaus gestanden und war von der Wucht des Aufpralls überrascht worden.

Ich klammerte mich an das Steuerrad, während wir von den Wassermassen hin und her geschleudert wurden. In dem Durcheinander sah ich gerade noch, wie die Jacht einen Schubs in unsere Richtung bekam, und mir blieb vor Schreck die Luft weg.

Das geht doch sch…

Rrrummmms.

Bevor ich noch eine Chance hatte zu reagieren, krachte das Heck des Seenotkreuzers in den Bug der Jacht. Die Schockwellen der Kollision waren auf beiden Schiffen zu spüren – und dennoch präsentierte sie uns eine unerwartete Gelegenheit. Kreuzer und Jacht lagen jetzt direkt nebeneinander. David nutzte den Moment und drückte dem verdutzten Skipper die Schleppleine buchstäblich in die Hände. Und zu meinem großen Erstaunen schaffte der Mann es tatsächlich, die Trosse festzuhalten.

Wir waren wieder im Geschäft.

Ohne die Angst, im nächsten Moment auf die Untiefe und in die Brandungswellen gezogen zu werden, gelang es meiner Mannschaft, dem Skipper zu zeigen, wo er die Trosse für einen sicheren Schlepp festmachen musste. Tatsächlich schaffte er es dieses Mal, die Leine so zu belegen, dass sie sich nicht mehr lösen würde. Es war wie ein Schimmer der Hoffnung nach den vielen unerwarteten Hindernissen.

Radar verloren. Seekranke Crew. Sprachbarriere. Gefährliche Brandung.

Endlich, so fühlte es sich an, lief etwas zu unseren Gunsten. Es war jetzt halb sechs am Morgen, und bislang hatten wir die Jacht gerade einmal ein paar Hundert Meter schleppen können. Zugegeben, das waren entscheidende, lebensrettende Meter gewesen, aber es gab noch viel zu tun.

Ich begann zu ziehen, doch als ich mich gerade an dem Gedanken freute, wie sehr sich unsere Lage verbessert hatte, riss die Schleppverbindung wieder ab.

Es war wirklich zum Verzweifeln.

Wir hatten jetzt alle vier guten Wurfleinen eingesetzt. Ich sah, wie die Jacht langsam von uns wegdriftete. Ich wusste nun, dass wir keine weiteren Optionen mehr hatten.

Ich rief die Küstenwache über Funk an und erklärte unser Problem. „Belfast Küstenwache, hier ist der Seenotkreuzer von Islay“, sagte ich. „Unterstützung erbeten.“

„Unterstützung ist auf dem Weg“, bestätigte die Küstenwache sofort.

Was wir nicht wussten: Während wir damit beschäftigt waren, eine Schleppverbindung zu der Jacht herzustellen, hatte ein Pipeline-Verleger mit dem Namen „Deep Energy“ unsere Kommunikation auf dem Notrufkanal verfolgt und Hilfe angeboten.

„Bitte auf Stand-by bleiben, bis ‚Deep Energy‘ vor Ort ist“, hieß es von der Küstenwache.

Das große Schiff war zwar noch ein paar Stunden entfernt, aber weil wir den Skipper und seine Jacht aus der Gefahrenzone gebracht hatten, war klar, dass ihm erst mal wenig passieren konnte. Nun konnten wir einfach warten und uns bereithalten für den Fall, dass sich die Lage verschlechterte.

Während wir unsere Position hielten, informierte uns die Küstenwache, dass inzwischen auch der RNLI-Kreuzer der Station Barra angefordert worden war. Die Crew war auf dem Weg, um uns abzulösen. „Ihr seid schon lange draußen“, sagte die Küstenwache. „Das Boot aus Barra kommt und übernimmt.“

Musik in meinen Ohren. Denn die Jacht in den Hafen zu schleppen, würde noch eine langwierige und heikle Aufgabe werden. Meine Mannschaft hatte sich großartig geschlagen, aber nach mehr als sechs Stunden im Schneeregen, und das bei Böen in Orkanstärke, waren alle erschöpft.

Schon aus Gründen der Sicherheit war es also eine gute Idee, dass die Crews aus Barra und der „Deep Energy“ den Job zu Ende brachten. Wobei wir uns immer noch nicht zurücklehnen und entspannen konnten. Denn allein eine Position zu halten, war kein einfaches Unterfangen unter diesen Umständen. Wir rollten grässlich in den Wellen und mussten ständig aufpassen, woher der nächste Brecher kam und was er anrichten würde.

Gegen 11.00 Uhr, also vier Stunden, nachdem wir Unterstützung angefordert hatten, kam das große Schiff in Sicht. Es war tatsächlich die „Deep Energy“, und sie hatte Begleitung mitgebracht. Der Helikopter „Rescue 100“ hatte in Prestwick aufgetankt, um wieder zu uns rauszufliegen. Auch der Rettungskreuzer aus Barra hatte es fast geschafft, obwohl er sich gegen Wind von vorn durchboxen musste.

Unsere Verstärkung war da.

Der Wind heulte immer noch mit Sturmstärke, acht Beaufort waren es bestimmt. Trotz ihrer Größe war die „Deep Energy“ nicht immun gegen die chaotischen Bewegungen des Seegangs. Es war beeindruckend zu sehen, wie der Sturm auch diese Gigantin durchschüttelte. Mit großem Geschick schob der Kapitän sein 195 Meter langes Schiff so vor die havarierte Jacht und unser Boot, dass sich die Bedingungen für uns radikal änderten. Hinter dem Rumpf waren wir plötzlich vor dem Sturm geschützt, wir lagen im Windschatten.

Wir hatten unseren eigenen Wellenbrecher.

Es fühlte sich an wie ein ganz anderer Tag. Die Wellen verschwanden, die Wasseroberfläche schien fast schon friedlich, und unser Boot hörte sofort auf zu schwanken. Wir hätten sofort die Heimreise antreten können, aber wir wollten uns auch nach zwölf Stunden auf See weiter bereithalten, falls unser Einsatz doch noch gebraucht werden sollte.

Jetzt wollten wir die Sache auch zu einem guten Ende bringen.

Als die frischen Leute den Rettungseinsatz übernahmen, stellte sich heraus, dass einer der Leute von der „Deep Energy“ ebenfalls ein ehrenamtlicher Retter der RNLI war, von der Station Buckie am Moray Firth an der Ostküste Schottlands. Er kannte die Abläufe bestens und koordinierte die Bergung des Seglers. Auf der windgeschützten Backbordseite der „Deep Energy“ wurde eine Jakobsleiter herabgelassen, dann half man dem Skipper aus Russland an Bord.

Erstaunlich, wie schnell das jetzt alles funktionierte. Nur zwei Minuten nachdem die Verstärkung angerückt war, war der verunglückte Segler in Sicherheit. Nur seine Jacht driftete hinaus auf die offene See.

Als unsere Ablösung war der Seenotkreuzer aus Barra nun dafür zuständig, die Jacht einzufangen. Es brauchte nur wenige gescheiterte Versuche, um festzustellen, dass eine Bergung viel zu riskant war. Der Vormann aus Barra traf die Entscheidung, dass er für ein Sportboot niemanden aus seiner Crew gefährden wollte.

Der Skipper war in Sicherheit. Er wurde just in diesem Augenblick mit einer Rettungsschlinge von der „Deep Energy“ zum Hubschrauber hochgehievt.

Unser Einsatz war zwar vorbei, doch unsere Reise noch lange nicht. Bevor wir uns auf den Weg zurück nach Islay machten, funkte ich noch einmal die Kollegen von Barra an.

„Wir machen uns auf die Rückfahrt“, sagte ich.

„Oh Gott“, erwiderte einer aus der Crew.

„Dann passt bloß auf euch auf!“

„Wem sagst du das“, gab ich zurück.

Stundenlang hatte uns das Wetter vor sich hergeschoben und uns herumgeboxt. Wir waren grob sechzig Meilen von unserem Stützpunkt entfernt. Kaum waren wir aus dem Windschatten der „Deep Energy“ herausgekommen, ging die wilde Achterbahnfahrt wieder los. Bei diesen Windverhältnissen und der schweren See konnten wir nicht einfach auf direkter Route nach Hause, so viel war mir klar. Wir brauchten einen Kurs, der uns ein wenig mehr Schutz gab, sonst würden wir wieder durchgeschüttelt, wie die Münzen in einer Sammelbüchse. Dafür fehlte uns nun die Energie.

„Wir fahren rüber nach Tiree und dann in Lee der Insel weiter“, sagte ich zu Thomas. „Von da aus ist es nur ein kurzer Sprung rüber nach Mull. Und dann bleiben wir auf der Rückseite von Jura.“

„Okay“, bestätigte Thomas.

Die Route war zwar deutlich länger, aber ich wusste, dass wir so am Ende sogar schneller im Hafen sein würden.

„Lass uns nach Hause fahren“, sagte ich.


Es wurde zwanzig nach acht am Abend, als wir endlich wieder an Land gingen. 18 Stunden waren vergangen. Während der gesamten Fahrt gab es keine Zeit, um durchzuatmen. Eine Pause zu machen.

Wir waren in jeder Hinsicht vollkommen erledigt.

Normalerweise saßen wir nach einem Einsatz noch eine Weile zusammen und quatschten. Dieses Mal blieb es still. Alle waren schlicht zu mitgenommen. Selbst die ersten Schritte auf festem Boden kamen uns komisch vor.

„Ich weiß nicht mehr, was echt ist“, sagte Duncan, als wir vom Seenotkreuzer auf die Pier stiegen, „die schwankende Welt oder die feste.“

In der Station herrschte Trubel. Die Presse hatte Wind von unserem Einsatz bekommen. Reporter wollten die Videos sehen, die wir an Bord aufgenommen hatten. Ich hatte volles Verständnis für ihr Interesse, aber bitte: ohne mich.

„Ich gehe jetzt ins Bett“, verkündete ich.

Der russische Skipper überstand die Havarie seiner Jacht unverletzt. Fischer bargen die „Vestavind II“am Tag darauf, als sich das Wetter ein wenig beruhigt hatte. Vormann MacLellan wurde mit der Verdienstmedaille der RNLI ausgezeichnet, und alle Mitglieder seiner Crew erhielten gerahmte Dankesbriefe. Zur Zeremonie im Gemeindesaal des Inselhauptdorfs Bowmore erschienen 120 Menschen. Angesichts von gerade einmal 3000 Einwohnern auf Islay eine stolze Zahl.

Überleben im Sturm

Подняться наверх