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2.2 Logische Prinzipien und logische Gesetze

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Im folgenden Unterkapitel soll es in einer kleinen Fallstudie um denkbare Begründungen für einige Sätze gehen, die traditionell als Prinzipien der Logik gelten: (1) der Nichtwiderspruchssatz, (2) das (sogenannte) Gesetz der doppelten Negation und (3) der Satz vom ausgeschlossenen Dritten. Dieses Unterkapitel ist nicht leicht, denn es geht um Grundsätzliches. Es ist gut, es sehr langsam zu lesen.

Der Satz vom Nichtwiderspruch

Es könnte passieren, dass ein Sprecher S sagt: „Es ist einfach nicht so, dass Peter groß ist und auch nicht groß ist.“ Zugegeben, die Situation wird etwas ungewöhnlich sein. Vielleicht ist Peter von irgendwo geflohen und musste dafür sowohl einen Schlüssel von einem 2,50 m hoch angebrachten Brett holen wie auch in einen winzigen Tunnel kriechen. Wohin auch immer diese Feststellung führt (vielleicht zu: „Er hatte einen Komplizen“) – S wollte nicht sagen: Es ist unmöglich, dass Peter in einer Hinsicht groß und in einer anderen Hinsicht nicht groß ist. Das kommt vor. Im Vergleich zu einem Atom ist er groß, im Vergleich zur Milchstraße nicht. Nein, S wollte das Wort „groß“ beide Male in derselben Hinsicht gebrauchen. Und S wollte etwas sagen, von dem klar ist, dass das so ist. Unterkapitel 2.1 legt einen Verdacht nahe, warum: S hat einen logisch wahren Satz geäußert. Nicht nur die von ihm gemachte Aussage, sondern jede Aussage derselben Form ist wahr. Kurz (mit „nicht:“ als Abkürzung für „Es ist nicht der Fall, dass…“):

Definition

Nichtwiderspruchssatz

Jede Aussage der Gestalt nicht: (A und nicht: A)̚ ist logisch wahr.

Die ungewöhnlichen Winkelklammern sind grafische Elemente zur Abgrenzung einer Gestaltangabe. Sie werden in Kapitel 3 und Unterkapitel 5.2 genauer erklärt. Runde Klammern dienen hier auf offensichtliche Weise zur Gliederung.

Angenommen, G, einem Freund von S, leuchtet der Nichtwiderspruchssatz nicht ein. Das ist überraschend, aber denkbar. Kann S dafür argumentieren, dass der Satz wahr ist? Ja, zum Beispiel so, sehr kleinschrittig und in Zeitlupe:

[1] Angenommen, nicht: (A und nicht: A)̚ sei falsch.

[2] Dann ist A und nicht: A̚ wahr.

[3] Dann ist (vgl. [2]) A wahr und nicht: A̚ auch.

[4] Weil nicht: A̚ wahr ist (vgl. [3]), ist A falsch.

[5] Also ist A dann sowohl wahr (vgl. [3]) als auch falsch (vgl. [4]).

[6] A kann aber nicht sowohl wahr als auch falsch sein.

[7] Also ist nicht: (A und nicht: A)̚ wahr.

Dieses Argument ist zwar nicht schlecht. Aber G könnte doch an fast jeder Stelle nachfragen, so dass sich der folgende Dialog entspinnt:

ein indirekter Beweis

G: Was ist das überhaupt für ein seltsames Argument?

S: Das ist ein indirekter Beweis. Ich nehme in Zeile1 an, dass das, was ich beweisen will, falsch ist. Ich zeige dann, dass diese Annahme zu einem Widerspruch führt, nämlich zum Widerspruch zwischen den Zeilen 5 und 6. Und ich schließe daraus in Zeile7, dass das Beweisziel wahr ist. Meine erste Voraussetzung ist, dass indirekte Beweise gute Beweise sind.

G: Wie kommst du von Zeile2 auf Zeile 3?

S: Das ist meine zweite Voraussetzung. Die Und-Verbindung A und B̚ ist wahr, wenn A wahr ist und B wahr ist.

G: Wie kommst du von Zeile1 auf Zeile 2?

S: Wenn nicht: B̚ falsch ist, dann ist B wahr. Das ist meine dritte Voraussetzung. Und für B setze ich (A und nicht: A)̚ ein.

G: Und in Zeile 4 setzt du voraus, dass A falsch ist, wenn nicht:A̚ wahr ist? Und in Zeile 6, dass A nicht zugleich wahr und falsch sein kann?

S: Ja. Das sind meine vierte und fünfte Voraussetzung.

G: Wo nimmst du das alles her?

S könnte darauf hinweisen, dass Voraussetzung 3 und Voraussetzung 4 gerechtfertigt sind, wenn man das folgende Prinzip NEG annimmt:

Negationsprinzip NEG

NEG1 Genau dann, wenn nicht: A̚ nicht wahr ist, ist A wahr.

NEG2 Genau dann, wenn nicht: A̚ wahr ist, ist A nicht wahr.

NEG3 Genau dann, wenn A nicht wahr ist, ist A falsch.

gdw

NEG ist eigentlich ein ganzes Paket von Prinzipien. Die Wendung „genau dann, wenn“ darin macht die Formulierung des Prinzips sehr kompakt. Man benutzt sie nämlich für ein „wenn …, dann …“ in beiden Richtungen. Sie ist so wichtig, dass sie mit dem Kürzel „gdw“ abgekürzt wird. Man kann eine „genau dann, wenn“-Aussage immer sowohl von rechts nach links als auch von links nach rechts lesen. So besteht allein NEG1 eigentlich aus den folgenden zwei Sätzen:

NEG1 ausgepackt

Wenn nicht: A̚ nicht wahr ist, dann ist A wahr.

Wenn A wahr ist, dann ist nicht: A̚ nicht wahr.

Schaut man sehr genau hin, so sieht man: Die Rechtfertigung für die dritte Voraussetzung von S folgt aus NEG1 und NEG3; und die Rechtfertigung für die vierte Voraussetzung folgt aus NEG2 und NEG3 (vgl. Anhang 1 am Ende dieses Buchs). Die fünfte Voraussetzung schließlich, die S macht, ist:

Definition

Konsistenzprinzip

Keine Aussage ist sowohl wahr als auch falsch. Was auch immer überhaupt einen Wahrheitswert haben kann, kann höchstens einen Wahrheitswert auf einmal haben.

Wahrheitswerte

Erläuterungen:

– Als Wahrheitswerte kommen (bis Kapitel 8) nurWAHR und FALSCH in Frage. Auch FALSCH ist ein Wahrheitswert. Die Behauptung, eine Aussage habe einen Wahrheitswert, ist nicht dasselbe wie die Behauptung, sie sei wahr.

– Was „wahr“ und „falsch“ heißt, ist nicht leicht zu sagen, soll aber hier weiter keine Rolle spielen.

Was, wenn G indirekte Beweise fischig vorkommen? Wenn G das Prinzip NEG nicht gefällt? Oder wenn G nicht an das Konsistenzprinzip glauben will? Dann kann S nichts weiter tun. In Kapitel8 wird sich zeigen, dass G in diesem Fall in guter Gesellschaft von Logikern wäre, deren fachliche Kompetenz über jeden Zweifel erhaben ist. Nirgends ist fester Grund zu sehen, aber doch immerhin der folgende Zusammenhang: Akzeptiert man das Konsistenzprinzip und das Negationsprinzip NEG, so ist man auch auf den Nichtwiderspruchssatz festgelegt.

Gesetz der doppelten Negation

Kommen wir kurz zum zweiten Beispiel! Das sogenannte Gesetz der doppelten Negation lässt sich formulieren wie folgt:

Definition

Doppelte Negation

A ist wahr gdw nicht: nicht: A̚ wahr ist.

Akzeptiert man das Negationsprinzip NEG, so ist man auf das Gesetz der doppelten Negation festgelegt (vgl. Anhang 1 am Ende dieses Buches).

Satz vom ausgeschlossenen Dritten

Schließlich zum dritten Beispiel! Mit denselben Abkürzungen wie für den Nichtwiderspruchssatz kann man auch den Satz vom ausgeschlossenen Dritten formulieren, und zwar so:

Definition

Satz vom ausgeschlossenen Dritten

Jede Aussage der Form A oder nicht: A̚ ist logisch wahr.

inklusives und exklusives „oder“

Hier ist zunächst zu beachten, dass das Wort „oder“ mehrdeutig ist. Man unterscheidet zwei Sorten „oder“:

– das inklusive „oder“ (Alternation, auch: Adjunktion): Die Oder-Verbindung ist wahr, wenn mindestens einer der beiden damit verbundenen Sätze wahr ist, evtl. sind aber auch beide wahr; gesprochen „oder“.

– das exklusive „oder“ (Disjunktion): Die Oder-Verbindung ist wahr, wenn einer der beiden damit verbundenen Sätze wahr ist, aber nicht, wenn beide es sind; gesprochen: „entweder … oder“.

Manchmal findet man in der Literatur die Worte „Alternation“ und „Disjunktion“ genau umgekehrt gebraucht. Man muss also genau hinschauen, was wohl gemeint sein wird.

Ist in der gegebenen Formulierung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten das „oder“ exklusiv oder inklusiv zu verstehen? Die Antwort ist: Das ist ausnahmsweise egal, wenn der Nichtwiderspruchssatz gilt. Denn A und nicht: A̚ können laut Nichtwiderspruchssatz ohnehin nicht zusammen wahr sein. Auch der Satz vom ausgeschlossenen Dritten ist, wie der Nichtwiderspruchssatz, eine Aussage über Aussagen, die alle dieselbe interessante Binnenstruktur haben.

Könnte S gegenüber G für den Satz vom ausgeschlossenen Dritten argumentieren? Ja, zum Beispiel so:

„Angenommen, A oder nicht:A̚ sei falsch. Dann ist weder A wahr noch nicht:A̚ wahr. Es ist in diesem Fall sowohl nicht:A̚ als auch nicht: nicht: A̚ wahr, d.h. wegen doppelter Negation: sowohl nicht:A̚ als auch A. Das widerspricht dem Nichtwiderspruchssatz. Also ist A oder nicht:A̚ wahr.“

Auch das ist ein voraussetzungsreiches Argument. Wieder ist es ein indirekter Beweis. S verlässt sich wieder auf die doppelte Negation und damit auf das Prinzip NEG. S verlässt sich auf den Nichtwiderspruchssatz und damit auf alle seine Voraussetzungen, vor allem das Konsistenzprinzip. Und schließlich verlässt S sich gleich zu Beginn (in Verbindung mit NEG) auf das folgende Prinzip: Wenn weder A noch B wahr ist, dann ist A falsch und B auch. Dieses Prinzip trägt zwar sogar einen Namen, nämlich „De Morgan“, aber G könnte es wieder bezweifeln.

Bivalenzprinzip

Der Satz vom Nichtwiderspruch hängt eng mit dem Konsistenzprinzip zusammen. Entsprechend gibt es ein Prinzip über die Wahrheit und Falschheit von Aussagen, das eng mit dem Satz vom ausgeschlossenen Dritten zusammenhängt:

Definition

Das Bivalenzprinzip

Jede Aussage hat mindestens einen der Wahrheitswerte WAHR, FALSCH; keine Aussage bleibt wahrheitswertlos.

Bivalenzprinzip und Satz vom ausgeschlossenen Dritten sind nicht dasselbe. Konsistenz- und Bivalenzprinzip sind Aussagen über Aussagen egal welcher Binnenstruktur. Nichtwiderspruchssatz und Satz vom ausgeschlossenen Dritten sind Aussagen über Aussagen einer ganz bestimmten Gestalt.

Überraschenderweise gehört der Satz vom ausgeschlossenen Dritten zu den ziemlich umstrittenen Kandidaten für ein logisches Gesetz. Er ist viel umstrittener ist als der Satz vom Nichtwiderspruch und das Konsistenzprinzip. Und das Bivalenzprinzip ist noch umstrittener als der Satz vom ausgeschlossenen Dritten.

Seeschlachtproblem

Kurioserweise hat schon Aristoteles Zweifel am Bivalenzprinzip gesät. In Kapitel 9 seiner kleinen Schrift De interpretatione (58) diskutiert er nämlich das folgende Satzpaar:

„Es wird morgen zu einer Seeschlacht kommen.“

„Es wird morgen nicht zu einer Seeschlacht kommen.“

Man kann sich fragen: Ist die Wirklichkeit heute schon so weit gediehen, dass auch nur einer der beiden Sätze schon wahr ist? Das Problem ist bis heute umstritten.

Keine ehernen Gesetze!

Dieses Kapitel sollte gleich zu Beginn verunsichern: Immer wieder Voraussetzungen! Sollten denn nicht logische Gesetze voraussetzungslos wahr sein? Nein. Zu derlei Zauberei ist die Logik nicht fähig. Der große Logiker und Metaphysiker Arthur Prior hat den Logiker einmal treffend mit einem Rechtsanwalt verglichen, der nur die Aufgabe hat, seinem Mandanten klarzumachen, was die Folgen einer bestimmten Entscheidung wären und welche Alternativen er hat (22, S. 59). Logik kann nur verhindern, dass man Zusammenhängendes für unzusammenhängend hält und Unzusammenhängendes für zusammenhängend, wenn man sich schon auf einige Regeln geeinigt hat.

Fragen und Übungen

1) Schlagen Sie die folgenden Stellen nach und versuchen Sie, einen ersten Eindruck von den Texten zu bekommen:

[1] 104, IV 3, 1005b19–23 (klassische Formulierung des Nichtwiderspuchssatzes);

[2] 104, IV 7, 1011b23–25 (klassische Formulierung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten);

[3] 104, IV 7, 1011b26–28; 122 (klassische Formulierungen der so genannten Korrespondenztheorie der Wahrheit);

[4] 58, Kap. 9 (Seeschlachtproblem).

2) Schlagen Sie die folgenden Stellen nach:

(1) 134, S. 287, Zeile 6–24 (Teil1, Buch 2, Abschnitt 1, Kap. 2, Anmerkung 3 zu C);

(2) 135, S. 10, Zeile 12–19 (am Beginn der Vorrede zum Wachstum der Rose). Lässt sich hieraus etwas über die Ansicht von G.W.F. Hegel zum Nichtwiderspruchssatz erfahren?

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