Читать книгу Die Klerisei - Nikolai Semjonowitsch Leskow - Страница 5

Drittes Kapitel.

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Inhaltsverzeichnis

»Was,« sagte Achilla, »hätte ich von Rechts wegen damals tun sollen? Ich hätte dem Vater Propst zu Füßen fallen und ihm sagen sollen: so und so stehen die Dinge, nicht aus Bosheit, nicht aus Gehässigkeit hab' ich das gesagt, sondern einzig, um dem Vater Zacharia zu zeigen, daß ich zwar nichts von Logik verstehe, aber darum doch nicht dümmer bin als er. Aber der Stolz übermannte mich und hielt mich zurück. Ich ärgerte mich, daß er meinen Stab in den Schrank geschlossen hatte, und daß dann noch der Lehrer Warnawka Prepotenskij dazwischenkam. … Ach, ich sag' euch, so bös ich auch auf mich selbst bin, es ist nichts gegen die Wut, welche ich auf den Lehrer Warnawka habe! Ich will nicht ich sein, wenn ich sterbe, ohne zuvor mit diesem Sohn der Hostienbäckerin abgerechnet zu haben!«

»Das darfst du auch wieder nicht,« unterbrach Vater Zacharia den Achilla.

»Warum denn nicht? Gottlosigkeit duld' ich nicht! Da frage ich nicht nach der Person! Und die Sache macht sich ganz von selbst: ich fahr' ihm mit der Faust in den Schopf, schüttel' ihn tüchtig durch und laß ihn dann laufen. Jetzt geh und beschwer' dich, daß du von einer geistlichen Person wegen Gottlosigkeit durchgewalkt worden bist! … Der wird sich hüten! … Ach, du mein Gott! Was war nur in mich gefahren, daß ich auf diesen Taugenichts hören konnte, und wie ist's möglich, daß ich ihn bis heute mir noch nicht richtig vorgenommen habe! Den Küster Sergej hab' ich damals für sein Geschwätz über den Donner sofort verwichst; den Kommissar, den Kleinbürger Danilka, der sich in den letzten großen Fasten unterstand, auf offener Straße ein Ei zu essen, hab' ich unverzüglich vor versammeltem Volke nach Gebühr an den Ohren gezaust, – und diesen Lümmel laß ich immer noch frei herumlaufen, obgleich er mir das Ärgste angetan hat! Wäre er nicht gewesen, so würde es gar nicht zu diesem Zwist gekommen sein. Der Vater Propst hätte mir wegen meiner Äußerung über den Vater Zacharia gezürnt, aber nicht lange. Muß da dieser Warnawka kommen, und erbittert und gepeinigt, wie ich bin, laß ich mich von ihm aufhetzen! Er schwatzt mir vor: ›Diese Tuberozowsche Inschrift ist zu allem andern auch noch dumm!‹ Ich in meiner Pein, müßt ihr wissen, lechzte förmlich danach, auch dem Vater Sawelij was anzuhängen, und so fragte ich, was denn Dummes daran sei. Warnawka sagte: ›Dumm ist sie, weil die Tatsache, von der in ihr die Rede ist, gar nicht feststeht. Und nicht nur das, – sie ist überhaupt unglaubwürdig. Wer, sagt er, kann es denn bezeugen, daß der Stecken Aarons erblühte? Kann ein trockenes Stück Holz Blüten treiben?‹ Ich fiel ihm hier in die Rede und meinte: ›Bitte sehr, Warnawa Wasiljitsch, solche Reden darfst du nicht führen. Der allmächtige Willen Gottes ist stärker als die Ordnung der Natur.‹ … Aber weil diese unsere Unterhaltung bei der Akziseeinnehmersfrau, der Biziukina, stattfand, welche allerlei Flüssiges aufgetischt hatte, lauter gute Weine, – nichts als ho–ho–ho: Haut-Sauterne und Haut-Margaux, – so war ich, hol mich dieser und jener, schon ein bißchen benebelt, und der Warnawka redete sein gelehrtes Zeug in mich hinein. ›So war's ja auch – sagte er – dazumal mit dem Menetekel beim Gastmahl des Belsazar. Heut haben wir's als reinsten Schwindel erkannt. Wollt ihr, so mach ich's euch gleich mit einem Phosphorstreichhölzchen vor.‹ Ich war starr vor Entsetzen, er aber quasselte immer weiter: ›Und überhaupt, sagte er, es wimmelt da nur so von Widersprüchen.‹ Dann legte er los, wißt ihr, und redete und redete und widerlegte alles, und ich saß dabei und hörte zu. Und nun noch dieser Haut-Margaux! Ich war so schon gepeinigt genug, und fing am Ende selber an in freigeistigem Stil zu reden. Ja, sagte ich, wenn ich nicht sähe, was der Vater Sawelij für ein aufrechter Mann ist, denn ich weiß, er steht vor dem Altar und der Rauch seines Opfers steigt kerzengerade empor, wie beim Opfer Abels, ich möchte nur kein Kain sein, sonst könnte ich ihn schon … Versteht ihr wohl, so redete ich vom Vater Sawelij! Und diese Person, die Biziukina, meinte: ›Ja, versteht Ihr denn selber, was Ihr da schwatzt? Wißt Ihr überhaupt, was der Kain wert war? Was war denn – sagte sie – Euer Abel? Nichts weiter als ein kleines Schaf, ein Kriecher und Streber, eine Sklavennatur; Kain aber war ein stolzer Mann der Tat. So – sagte sie – hat ihn der englische Schriftsteller Biehron geschildert …‹ Und nun legte sie los … Na, von all dem Haut-Margaux schon so spiritualisiert, überkam mich plötzlich ein Gefühl, als müßte ich zum Kain werden und damit Punktum. Als ich auf dem Heimweg bis zum Hause des Vater Propst gelangt war, blieb ich vor seinen Fenstern stehen, stemmte, wie ein Offizier, die Arme in die Seiten und brüllte los: ›Ich Zar, ich Knecht, ich Wurm, ich Gott!‹ Grundgütiger Gott, wie entsetzlich ist mir jetzt die bloße Erinnerung an meine Schamlosigkeit! Als der Vater Propst mein Gemecker vernommen, sprang er aus dem Bette, trat im Hemde ans Fenster, stieß es auf und rief mit zorniger Stimme: ›Geh zu Bett, du wütiger Kain!‹ Ihr könnt mir's glauben, ich erbebte bei diesem Wort. Denn er hatte mich schon Kain genannt, da ich es doch erst werden wollte. Er hatte es vorausgesehen! Ach Gott, ach Gott! Ich konnte mich kaum nach Hause schleppen; meine ganze Widerspenstigkeit war hin, und bis auf den heutigen Tag kann ich seitdem nur trauern und stöhnen.«

War er in seiner Erzählung so weit gekommen, versank der Diakon gewöhnlich in Gedanken, seufzte, und fuhr nach einer Minute in melancholischem Tone fort:

»Und nun fliehen und fließen die Tage dahin, aber der Zorn des Vater Sawelij ist bis auf heute nicht von ihm gewichen. Ich ging zu ihm und klagte mich selber an; ich klagte mich an und tat Buße. Ich sprach: ›Vergebt mir, wie der Herr den Sündern vergibt‹ – aber ich erhielt nichts zur Antwort, als ›Geh.‹ Wohin? Wohin soll ich gehen, frage ich. Mit den Leuten da werde ich wirklich noch zum Kain … Ich weiß es, ich weiß es genau, nur er allein, nur der Vater Sawelij vermag mich in Subordination zu halten – und er … und er …«

Bei diesen Worten kamen dem Diakon die Tränen in die Augen und leise aufschluchzend schloß er seinen Bericht:

»Und er spielt ein so böses Spiel mit mir – er schweigt! Was ich auch sage, er schweigt! … Warum schweigst du?« schrie der Diakon plötzlich laut auf und fing nun wirklich an zu schluchzen. Dabei streckte er beide Arme in der Richtung aus, wo sich nach seiner Voraussetzung das Haus des Propstes befinden mußte. – »Meinst du, das wäre recht gehandelt? Ist es recht, wenn ich in meinem Amte als Diakon zu ihm trete und sage: ›Vater, segne mich‹ – und ich küsse dann seine Hand und fühle, daß sogar sie für mich eiskalt ist! Ist das recht? Am Pfingsttage, vor dem großen Gebet, kam ich, in Tränen zerfließend, zu ihm und bat ihn: segne mich … Aber er zeigte keine Rührung. ›Sei gesegnet,‹ sagte er. Was soll mir dieser Formenkram, wenn alles ohne Freundlichkeit geschieht!«

Der Diakon rechnete auf Trost und Unterstützung.

»Verdien' dir seine Freundlichkeit,« sagte ihm der Vater Zacharia, »verdiene sie dir ordentlich, und er wird dir verzeihen und wieder gut zu dir sein.«

»Wie soll ich sie mir denn verdienen, Vater Zacharia?«

»Durch musterhaftes Betragen.«

»Was nützt mir denn all mein Betragen, wenn er mich überhaupt nicht bemerkt? Glaubst du, es ließe mich kalt, ihn jetzt immer so bekümmert, immer so tief in Gedanken zu sehen? Gott im Himmel, sag' ich zu mir selbst, was mag ihn so beschäftigen? Am Ende gar quält er sich meinetwegen. … Mag er mir auch noch so sehr zürnen, er verstellt sich ja doch nur: ich weiß, daß er mich liebhat …«

Der Diakon wandte das Gesicht ab, schlug mit der rechten Faust gegen die linke Handfläche und brummte:

»Na, warte, du Hostienbäckerlümmel, das geht dir nicht so durch! Ich will in Wahrheit Kain und nicht der Diakon Achilla sein, wenn ich diesen Lehrer Warnawka nicht vor aller Augen zum Krüppel schlage!«

Aus dieser Drohung allein kann der Leser schon ersehen, daß einem gewissen, hier erwähnten Lehrer Warnawa Prepotenskij seitens des Diakons Achilla eine ernste Gefahr drohte, und diese Gefahr rückte immer näher und drohender heran, je stärker und quälender Achillas Sehnsucht nach dem verlorenen Paradiese wurde, die Sehnsucht nach dem eingebüßten Wohlwollen des Vaters Sawelij. Und endlich schlug die Stunde, da Warnawa Prepotenskij seinen Lohn aus der Hand Achillas empfangen sollte, das Ereignis, mit dem das große Stargoroder Drama beginnt, welches den Inhalt dieser Chronik bilden soll.

Um den Leser in das Verständnis dieses Dramas einzuführen, lassen wir vorderhand alle Schleichwege beiseite, auf denen Achilla, gleich einem amerikanischen Pfadfinder, seinem Feinde, dem Lehrer Warnawka, nachspürt. Versenken wir uns lieber in die Tiefen der inneren Welt der dramatischsten Person unserer Geschichte und treten in jene Welt, die bisher noch allen, welche sie aus der Nähe oder aus der Ferne betrachteten, unbekannt und unsichtbar geblieben ist: in das reinliche Häuschen des Vaters Tuberozow. Vielleicht, wenn wir im Innern dieses Hauses stehen, finden wir ein Mittel, auch in die Seele seines Herrn zu schauen, wie man in einen gläsernen Bienenstock schaut, wo die Biene ihre wundersame Wabe baut, aus Wachs, das vor dem Antlitz Gottes leuchten, und aus Honig, der den Menschen erfreuen soll. Aber seien wir vorsichtig und rücksichtsvoll: ziehen wir leichte Sandalen an, auf daß unserer Schritte Schall den sinnenden und betrübten Propst nicht störe. Setzen wir die Tarnkappe aus dem Märchen aufs Haupt, damit unser neugierig Antlitz den ernsten Blick des würdigen Greises nicht verwirre, und lauschen wir mit offenem Ohr auf alles, was wir von ihm zu hören bekommen.

Die Klerisei

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