Читать книгу Kelter Kriminial Report 1 – Kriminalroman - Nina P. - Страница 7

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Hatte Claas von Seefeldt die Prostituierte Lucy vergewaltigt oder nicht? Ich hatte bei unserem ersten Treffen so ein vages Gefühl, ließ mich aber lange Zeit einlullen.

Ich hab sonst niemanden!«, sagte mein Vater. »Tut mir leid! Ich brauche deine Hilfe.«

»Aber ich bin voll bis unters Dach!«, protestierte ich. »Ich weiß eh schon nicht mehr, wo mir der Kopf steht!«

»Tut mir leid!«, wiederholte er. »Ich kann den Fall nicht ablehnen. Heino ist zu wichtig für unsere Kanzlei!«

»Muss das zwingend seinen Sohn einschließen?«, fragte ich müde, aber natürlich war mir die Antwort klar. »Vergewaltigung!«, stöhnte ich. »Das sollte wohl eher ein Mann übernehmen!«

»Gerade nicht!«, widersprach mein Vater, und auch diese Antwort hatte ich erwartet.

Selbstverständlich konnte es Ein-druck auf die Richter machen, dass eine Frau die Verteidigung bei einer solchen Anklage übernahm: Eine Frau würde doch niemals einen schuldigen Vergewaltiger verteidigen! Ich selbst hatte dies jedoch nie getan und wollte es auch nicht.

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Heinos Sohn schuldig ist!«, sagte Papa. »Ich kenne ihn zwar kaum, aber das erscheint mir doch sehr abwegig! Der Typ kann sich jede Frau kaufen, die er will!«

Ich schnaubte.

»Wenn er auf Erniedrigung steht, bringt ihm sein Geld auch nichts!«

»Das Opfer ist eine Ex-Prostituierte! Die will sich bereichern! Und weil ihre Erpressung nicht fruchtet, fährt sie ihm jetzt an den Karren!«

Ich seufzte. Durchaus denkbar! Aber ich war auch niemand, der sich gern von Vorurteilen lenken ließ, wenngleich ich durchaus hatte lernen müssen, dass sie meistens eben doch zutrafen.

»Also!«, sagte Vater. »Fahr zu ihm!«

*

Claas von Seefeldt erwartete mich im kahlen Besprech-ungszimmer des Untersu-chungsgefängnisses. Er war sehr blass, und mit seinen dunklen Haaren wirkte sein Teint bleich.

Es gibt die Meinung, dass man Vergewaltiger und überhaupt Perverse auf einen Blick erkennen könne. Ich teile diese Ansicht. Und bei Claas dachte ich sofort: Ja! Er war‘s! Ich kann nicht so genau sagen, woran ich es festmachte. Es war das Gesamtpaket, denke ich. Die Gesichtszüge, die Körperhaltung, der Blick. Ja, vor allem in den Augen kann man es lesen. Claas hatte diese Augen: irgendwie lag ein unheimliches Flackern darin. Ich kann es anders nicht ausdrücken.

Er stand auf und gab mir die Hand. Seine Stimme überraschte mich. Sie war tief und wohlklingend.

»Sarah Wagenschmidt!«, stellte ich mich vor.

Sein Händedruck war fest und selbstbewusst.

»Ja, ich weiß! Sie sind die Tochter von Hajo, einem Freund meines Vaters! Danke, dass Sie den Fall übernehmen!«

Ich öffnete meine Aktentasche und holte die Ermittlungsunterlagen heraus.

»Dann schildern Sie die Sache doch einfach mal aus Ihrer Sicht!«

Selbstverständlich hatte ich mich zwischenzeitlich mit dem Fall vertraut gemacht. Am Vorabend war eine gewisse Lucy Bartek bei der Polizei erschienen und hatte Anzeige wegen Vergewaltigung gegen Claas von Seefeldt erstattet. Sie wies am gesamten Körper Verletzungen und Häma-tome auf. Die gynäkologische Unter-suchung ergab, dass sie eindeutig Geschlechtsverkehr gehabt hatte, ob nun freiwillig oder nicht, das war nicht festzustellen. Mit dem Beschul-digten habe sie seit Längerem verkehrt, dabei sei er von Mal zu Mal brutaler vorgegangen, bis es nun – beim letzten Treffen – zu einer Ver-gewaltigung gekommen sei. Sie hatte keine Vorstrafen, war aber mehrfach wegen Prostitution aufgegriffen worden.

»Ich kenn die Lucy… Frau Bartek… schon aus Schulzeiten«, sagte Claas. »Das heißt, sie besuchte die Haupt-schule neben dem Gymnasium, auf das ich ging. Sie und ihre Freundinnen lungerten ständig vor meiner Schule herum. Sie legten es drauf an, uns zu gefallen. Na ja, einige waren auch recht hübsch!«

»Hatten Sie eine Beziehung mit ihr?«

»Nein, weiß Gott nicht! Eigentlich war sie mir eher lästig. Ich war ziemlich froh, als sie aus meinem Umfeld verschwand!«

»Das war’s?«, fragte ich.

»Nein! Vor ein paar Wochen traf ich sie zufällig wieder. Sie erkannte mich sofort, tat, als seien wir alte Freunde!«

Er stockte, schien zu überlegen, wie er fortfahren sollte.

»Sie merkte wohl schnell, dass ich nichts mit ihr zu tun haben wollte. Dabei bettelte sie mich regelrecht an, mit ihr ins Bett zu gehen. Sie war auf meine Kohle scharf, das war allzu offensichtlich. Ich ließ sie einfach stehen!«

»Das scheint mir noch kein Grund, jemandem ein Verbrechen anzuhängen!«

»Natürlich nicht. Aber Lucy, die tickte nicht mehr richtig! Ich kann es mir selbst kaum erklären!«

Er raufte sich die Haare und vergrub das Gesicht in seinen Händen. Er wirkte wahrlich nicht wie ein reiches Söhnchen, das es gewohnt war, von Papi überall herausgehauen zu werden. Wie er da zusammengekauert vor mir hockte, erkannte ich einen Mann, dem absolut klar war, dass er sich in einer Notlage befand.

»Ich war das nicht!«, stöhnte er. »Ich weiß, Sie kennen mich nicht und können mich sicher noch nicht einschätzen, aber ich gebe Ihnen mein Wort, dass ich Lucy nicht vergewaltigt habe. Ich gebe aber auch zu, dass ich im Moment die allergrößte Lust verspüre, sie zu verprügeln!«

Ich blickte ihm in die rot geäderten Augen und versuchte, sie zu ergründen. Es war schwierig. Wenn er schuldig war, dann war er gleichzeitig ein sehr guter Schauspieler. Ein äußerst attraktiver Schauspieler zudem. Es war mir zu Beginn gar nicht aufgefallen, aber Claas von Seefeldt war ein ausgesprochen gut aussehender Mann. Ein Umstand, der mich eher gegen ihn einnahm.

Die attraktiven Menschen, die ich kannte, waren gleichermaßen und ohne Ausnahme alle arrogant und hochmütig. Ich wusste, dass das einen wunden Punkt bei mir berührte. Gut aussehende Männer und Frauen hatten mich –, die ich nicht übermäßig mit schönen Äußer-lichkeiten von der Natur bedacht war – immer wie Luft behandelt. Zwar hatte ich über die Jahre an Attraktivität gewonnen – ich war eine gewiefte Anwältin, der man den Erfolg absolut ansah – und die daraus gewonnene Selbstsicherheit machte mich durchaus hübsch. Doch noch immer musste ich häufig an meine Schulzeit denken, in der ich eine Außenseiterin gewesen war. In der ich gelitten hatte.

Claas erinnerte mich an diese Zeit, und ich musste mich zusammennehmen, ihn nicht deshalb vorzuverurteilen. Er konnte schließlich nichts dafür, dass er eine Augenweide war.

»Am einfachsten wäre es wohl, Frau Bartek eine gewisse Summe zu bieten«, sagte ich. »So, wie Sie sie be-

schreiben, ist sie gegen Zahlung eines Schweigegeldes sicherlich bereit, die Anzeige zurückzuziehen.«

Claas schüttelte den Kopf.

»Das kommt nicht infrage!«, sagte er fest. »Ich habe ihr nichts getan! Es darf nicht sein, dass sie damit durchkommt!«

»Vergewaltigungsprozesse sind schwer vorhersehbar«, sagte ich. »Es besteht immer die Gefahr, dass eine Frau mit einer Lüge durchkommt.«

Ich hasste mich dafür, so etwas zu sagen, aber leider Gottes entsprach es nun einmal der Wahrheit. Einer weinenden, schutzbedürftigen Frau nahmen gewisse Richter gern jede Lüge ab.

»Die Gerechtigkeit muss siegen!«, sagte Claas unbeirrt. »Ich glaube an die deutsche Justiz!«

Dass er die Zahlung eines Schweige-geldes ablehnte, wunderte mich. Es konnte an sich nur bedeuten, dass er unschuldig war. Warum sonst sollte er ein leichtes Herauskommen aus der Sache ausschlagen?

»Können die mich aus der U-Haft holen?«, fragte Claas.

»Ich versuche es«, versprach ich. »Es gibt keine Beweise, die für Ihre Schuld sprechen. Nur die Aussage Frau Barteks. Für eine Inhaftierung reicht das eigentlich nicht.«

Ich erhob mich. »Ich werde sehen, was ich tun kann. Ich melde mich in den nächsten Tagen!«

Er sprang auf und rieb sich das Gesicht, wo ein Bart zu sprießen begann. Müssen Sie wirklich schon gehen?«, fragte er, und es klang ir-

gendwie ängstlich. »Es… es ist so schrecklich hier!«

»Es ändert sich ja auch nicht, wenn wir jetzt noch gemeinsam eine Tasse Kaffee trinken!«

Er lächelte tatsächlich leicht.

»Sie haben wohl recht«, sagte er dann. »Danke übrigens, dass Sie den Fall angenommen haben.«

»Das ist mein Beruf.«

»Ja, aber einen potenziellen Verge-waltiger zu verteidigen ist sicher nicht leicht für eine Frau.«

»Auf Wiedersehen«, sagte ich und reichte ihm die Hand.

Diesmal war sein Griff weniger fest, fast weich.

*

Natürlich musste ich auch mit Lucy Bartek sprechen. Es war klar, dass sie mich hassen würde, egal ob sie eine Lügnerin war oder nicht. Um sie einschätzen zu können, musste ich sie jedoch unbedingt kennenlernen. War sie wirklich eine Betrügerin? Oder war Seefeldt ein Gewalttäter?

Je mehr ich darüber nachdachte, desto ausgeprägter pendelte das Gewicht auf unschuldig. Zum einen hatte ich keinerlei Anhaltspunkt in seinem Gebaren oder seinen Worten finden können, zum anderen sprach die Tatsache, dass er nicht bereit war, sich freizukaufen, eindeutig für seine Unschuld.

Lucy wohnte in einem schicken Neubau etwas abseits vom Kiez, eindeutig ein beliebter Wohnort für Prostituierte und Ex-Huren, die gutes Geld verdient hatten. Im Hausflur traf ich auf einen Anwohner, der mich missbilligend musterte. Offenbar jemand, der seine Nachbarinnen nicht sonderlich schätzte. Da ich wohl nicht dem gängigen Frauentypus seiner Nachbarschaft entsprach, grüßte er jedoch kurz, was ich freundlich erwiderte.

Lucy schien sofort zu ahnen, wer ich war, und machte Anstalten, mir die Tür vor der Nase zuzuschlagen.

»Jetzt geben Sie mir doch die Chance, Ihre Version zu erfahren!«, sagte ich eindringlich, und nach einem langen Zögern öffnete sie doch.

»Wie können Sie dieses Schwein nur verteidigen!«, sagte sie böse.

»Ich …«

Doch sie ließ mich gar nicht zu Wort kommen.

»Sehen Sie das hier?«, Sie riss sich ein Tuch vom Hals und zeigte die darunter verborgenen dunklen Würge-male. »Und hier!« Sie zog ihren Pullover hoch und entblößte ein nahezu schwarzes Hämatom, das sich über ihre gesamte Flanke erstreckte.

»Glauben Sie, das habe ich mir selbst zugefügt?«

»Um diese Frage zu beantworten, bin ich hier.«

Ich mochte Lucy nicht. Wie sie da stand und mir ihre Wunden zeigte, machte sie auf mich den Eindruck eines Racheengels, keinesfalls den einer geschändeten armen Seele. Ihre Wohnung war protzig und voller Statussymbole. Sie trug auffälligen Schmuck, und ihre Garderobe war – wenn sie auch ein wenig vulgär wirkte – sicherlich ausgesprochen teuer. Ja, Lucy Bartek war eine Frau, die Geld besaß und es gern ausgab. Und sie war bereit, dafür das einzige Kapital einzusetzen, das sie besaß: ihren Körper. Dennoch: das hieß noch nicht, dass sie log.

»Wie lange kennen Sie Herrn von Seefeldt?«

»Herrn von Seefeldt?«, äffte sie mich ätzend nach. »Ich kenne Claas seit Ewigkeiten! Seit der Schule. Eine Zeitlang hatten wir uns aus den Augen verloren, aber dann war er plötzlich wieder da. Leider!«

»Leider?«, hakte ich nach. »Er hatte doch gutes Geld! Und erzählen Sie mir nicht, dass Ihnen das egal ist!«

Ich hatte die Stimme erhoben. Ich wollte keinesfalls, dass sie mir wieder ins Wort fiel.

»Ja!«, sagte sie. »Geld hatte er! Aber leider mochte er es hart! Zu hart für mich! Ich hab ihm zigmal gesagt, dass er sich woanders ausleben soll. Aber er liebte es nun mal, mir wehzutun! Körperlich weh!«

»Inwiefern?«

»Inwiefern?« Sie lachte hässlich auf. »Er mochte es, wenn ich dalag und wimmerte. Wenn ich weinte und ihn anflehte aufzuhören!«

»Und trotzdem waren Sie offenbar bereit, ihn immer wieder zu empfangen?«, fragte ich. »Entschuldigen Sie! Wer soll Ihnen das glauben?«

Einen Moment wusste sie eindeutig nicht, was sie erwidern sollte. Sie blickte zu Boden, und verschwunden war der vor Hohn triefende, arrogante Blick.

»Er hat gut gezahlt«, sagte sie leise.

Und plötzlich flossen Tränen aus ihren Augen. Dieser rasche Wechsel hin zum armen Opfer ließ mich stutzig werden. Zu schnell war es gegangen. Doch sicher war ich beileibe nicht. Herrgott! Sie musste eine verdammt gute Schauspielerin sein, wenn das alles gelogen war. Ich traute es ihr jedoch durchaus zu.

»Auf Wiedersehen!« Ich drehte mich um.

»Sie glauben mir nicht«, stellte sie fest.

»Entscheidend ist, was die Richter glauben!«, sagte ich über die Schulter hinweg.

»Lassen Sie sich nicht von ihm manipulieren! Er ist sehr gut darin!« Damit schloss sie die Tür.

Im Foyer traf ich auf denselben Anwohner wie bei der Ankunft. Aus dem Bauch heraus fragte ich ihn, ob er Lucy Bartek kannte.

»Ist das die Blonde?«, fragte er. »Mit den großen Ohrringen? Aus dem zweiten Stock?«

Ich nickte.

»‘Ne Hure!«, sagte er. »Wie fast alle hier! Ich wäre ja längs ausgezogen, wenn…!«

»Hatte sie regelmäßig Besuch?«, unterbrach ich ihn. »Vielleicht von diesem Mann?« Ich zeigte ihm ein Foto von Claas, das er ausgiebig betrachtete.

»Kann ich nicht sagen«, erwiderte er. »Da war so’n Typ, der kam ziemlich oft. Bestimmt zweimal die Woche!«

»Könnte es denn der Mann vom Foto sein?«

»Keine Ahnung! Ich sehe nicht mehr so gut. Und der Kerl hatte im-

mer `ne Sonnenbrille auf!«

»Wenn Sie es müssten«, sagte ich eindringlich, »würden Sie eher Ja oder Nein sagen?«

»Nein.«

*

Dann tauchte eine Zeugin auf. Eine ehemalige Mitschülerin sagte aus, dass Claas und Lucy schon damals ein Verhältnis gehabt hatten. Sie war dabei über jeden Zweifel erhaben, hatte Lucy seit Jah-ren nicht mehr gesehen und war Presssprecherin eines großen Kon-zerns. Schwer vorstellbar, warum sie für Lucy lügen sollte.

Ich konfrontierte Seefeldt mit ihrer Aussage. Der fiel sichtlich in sich zusammen.

»Keine Ahnung!«, sagte er. »Wie kann man nur so lügen?« Er starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an. Angst lag darin. Panik.

»Die Frau hat an sich keinen Grund zu lügen!«, sagte ich.

»Ich hab sie mal abblitzen lassen«, sagte Claas. »Ich glaub, das hat sie mir nie verziehen:«

»Sie wollen mir im Ernst erzählen, dass diese Frau seit Jahren Rache-gefühle gegen Sie hegt und diese jetzt auslebt, nur weil Sie sie haben abblitzen lassen?«

»Es war nicht vor Jahren: Es war im Sommer. Ich hab sie auf einer Messe getroffen:«

Jetzt vergrub ich die Hände im Gesicht. Was für ein Fall! Wo nur war mein Instinkt geblieben? Das sichere Gespür, das mir in der Vergangenheit stets gesagt hatte, wer die Wahrheit und wer die Unwahrheit sprach. Warum ging es mir gerade jetzt verloren, wenn ich es am meisten benötigte? Irgendjemand in dieser verdammten Geschichte spielte falsch! Wer war es?

»Bitte!«, sagte Claas. »Sie müssen mir glauben! Ich bin kein Verge-waltiger! Ich schwöre es!«

Wieder diese aufgerissenen Augen mit der nackten Angst darin. Es wirkte eindeutig wie die Panik vor einer ungerechtfertigten Anklage, nicht vor einer Entlarvung.

»Bitte!«, flehte er erneut. »Bitte tun Sie alles!« Er klammerte sich an meine Hände.

*

Ich stellte ein paar Nachforschungen an und erfuhr, dass Claas von Seefeldt und die neue Zeugin sich tatsächlich auf einer Messe im August getroffen hatten. Das hatten etliche Personen gesehen. Was näher zwischen ihnen vorgefallen war, wusste natürlich niemand. Clarissa Meißner – so hieß die Frau – betonte, sie sei es gewesen, die ihn abgewiesen habe.

Auch im Schlaf hörten meine Ge-

danken nicht auf, um all das zu kreisen. Allerdings nahmen sie diese Nacht ein deutlich anderes Gesicht an. Weiche Lippen auf meinem Hals, sanfte Hände auf meinem Bauch, geflüsterte Zärt-lichkeiten in meinem Ohr.

Nein! sagte ich energisch zu mir. Das darf dir nicht passieren! Wenn du einmal einen freien Kopf gebrauchst, dann jetzt!

Es war jedoch schwierig, nicht im-

mer wieder an die süßen Träume der Nacht zu denken. Ich brauchte nur kurz in meiner Konzentration nachzulassen, dann schlichen sie sich ein. Als spürten sie meine plötzliche Schwäche.

»Wie läuft es denn?«, fragte mein Vater.

»Wenn ich das wüsste«, seufzte ich.

»Zähl die Punkte auf! Was spricht für ihn?«

»Er streitet es ziemlich überzeugend ab.«

»Weiter!«

»Er war nicht bereit, ein Schweige-geld zu zahlen!«

»Weiter!«

»Niemand hat ihn je in der Nähe von Lucy Bartek gesehen!«

»Weiter!«

»Eine Zeugin, die sich im Nach-hinein gemeldet hat, scheint Rache-gefühle zu hegen. Genau wie er es gesagt hat!«

»Und das angebliche Opfer?«

»Ist eine geldgierige Nutte!«

»Was spricht gegen ihn?«

Ich überlegte.

»Eigentlich nichts!«

»Na, also!«, sagte mein Vater.

Irgendwie befreit atmete ich aus. War es so einfach? Einmal Fakten ordnen, und schon kam die Klarheit? Ich wollte es gern glauben, aber irgendwie blieb ein Zweifel. Ich konnte ihn nicht beiseite schieben, aber ich spürte auch, dass der Zweifel mehr und mehr verblasste.

Nachts träumte ich erneut von ihm. Es war wunderschön, doch abermals schob ich es energisch von mir. Ich durfte mich nicht verlieben!

*

Und dann tauchte doch noch jemand auf, der Claas eindeutig im Haus von Lucy gesehen hatte. Und diesmal gab es keine Verbindung unter den Beteiligten.

Im Polizeiverhör brach Claas zu-

sammen und gestand, eine Beziehung mit Lucy gehabt zu haben.

»Wie konnten Sie mir das verschweigen?«, blaffte ich ihn erzürnt an. »Ist Ihnen nicht klar, wie tief Sie jetzt drinstecken?«

Er weinte. Nicht laut und jammernd, aber leise in seine Hände. Seine Schultern zuckten.

»Ich hatte solche Angst!«, stammelte er. »Es hätte mir doch niemand geglaubt, wenn ich zugegeben hätte, dass wir uns kennen!«

»Sie waren ihr Kunde?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nein. Wir hatten ein Verhältnis!«

Ich schnaubte.

»Ich habe ihr Geld gegeben!«, gab er dann zu. »Aber es war keine Be-

zahlung. Es war … ich weiß auch nicht … von irgendetwas musste sie ja leben!«

Ich konnte es nicht fassen. Die ganze Zeit über hatte er mich eiskalt angelogen. Ohne mit der Wimper zu zucken. Und nicht nur das! Er hatte fantastisch gelogen. So überzeugend, dass ich ihm geglaubt hatte. Wie hatte ich nur derart dämlich sein können! Am liebsten hätte ich mich geohrfeigt. Doch ich war nicht nur wütend. Tief in mir breitete sich eine grenzenlose Traurigkeit aus. Mein Hals schnürte sich zu.

»Sie verachten mich sicher dafür«, sagte Claas. »Und ich verstehe das.Auch ich kann mir nicht mehr wirklich in die Augen schauen. Aber ich… Ich hatte nie Zeit für eine Freundin… Und ich habe mich auch nie verliebt … Und Lucy … Für sie war es in Ordnung, wenn ich nur gelegentlich vorbei sah. Sie forderte nichts. Nur Geld – ab und an. Es war … es war alles so unproblematisch mit ihr. Und ich bin nur ein Mann! Manchmal brauche ich …«

»Sex«, beendete ich sein Gestammel.

»Ja«, sagte er leise.

Schweigen breitete sich aus. Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Sämtliches Vertrauen war zerstört. Auf immer.

»Dann wollte sie plötzlich immer mehr Geld«, sagte er tonlos. »Irgend-wie wurde sie mir langsam unsympathisch. Ich wollte es beenden. Und dann flippte sie aus. Sie erpresste mich. Sie sagte, sie würde sich selbst verletzen und behaupten, ich sei das gewesen …« Er brach ab.

Und gleich sagst du mir, wie anziehend du mich findest, und dass du auf dem Wege bist, dich in mich zu verlieben, nur damit ich dir wieder glaube, dachte ich zutiefst deprimiert. So wie du es unterschwellig schon die ganze Zweit tust, damit ich mich für dich einsetze.

Doch er sagte nichts dergleichen.

»Tut mir leid«, flüsterte er.

»Ich muss die Lage neu bedenken.« Damit ging ich.

*

Klingt für mich absolut überzeugend«, widersprach mein Vat-er mir rigoros.

»Aber er hat mich skrupellos angelogen!«, schimpfte ich.

»Er hat versucht, seine Haut zu retten. Das ist doch vollkommen verständlich. Solange man ihm keine Beziehung zum mutmaßlichen Opfer nachweisen konnte, war er einigermaßen auf der sicheren Seite! Jetzt sieht es weniger gut aus.«

»Trotzdem!«, sagte ich. »Ich fühle mich hintergangen und benutzt.«

»Das darfst du so nicht sehen. Es war ja wohl kaum persönlich.«

Ich seufzte. Diese ganze Sache würde mir noch graue Haare bringen.

»Denk dran«, sagte Vater. »Er hat das Schweigegeld abgelehnt. Das spricht absolut für ihn.«

Das stimmte. In meinen dunkelsten Stunden fragte ich mich jedoch, ob er dies nur getan hatte, damit ich ihm glaubte. Dann wieder verwarf ich diesen Gedanken als unlogisch.

Je mehr ich grübelte und mich schlaflos hin und her wälzte, desto mehr musste ich meinem Vater recht geben. Zwar war nicht von der Hand zu weisen, dass Claas mich auf das Schändlichste belogen hatte, aber mehr und mehr verstand ich nun seine Beweggründe. Und je mehr ich diese verstand, desto sicherer wurde ich, dass er unschuldig war. Ich blieb seine Anwältin, und wir gingen gemeinsam in die Verhandlung.

*

Es war ein langwieriger Prozess, der über Wochen andauerte. Mehrere Gutachter kamen zu Wort, etliche Zeugen wurden gehört. Am Ende konnte man Claas die Tat nicht nachweisen. Er wurde freigesprochen. Eine bleiche Lucy verließ den Saal.

»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll«, sagte Claas und drückte mich an sich. »Sie waren einfach toll!«

»Ich hab nur meinen Job gemacht«, wehrte ich ab.

Claas strahlte mich an. Mir wurde warm ums Herz.

»Nächsten Freitag müssen Sie mit mir essen gehen!«

»Gern!«, sagte ich.

Wir verabschiedeten uns, und er warf mir einen sehr langen Blick zu. Wieder wurde mir ganz heiß.

*

Hi, Sarah!« Hinter mir tauchte Franz, ein alter Studienfreund, auf, der ebenfalls Anwalt ge-

worden war. »Hab schon gehört, dass du gewonnen hast!«

Ich nickte lächelnd.

»War nicht ganz einfach, oder?«, fragte Franz.

»In der Tat nicht!«, stimmte ich zu.

»Erst sollten wir ja den Fall übernehmen!«

»Ihr?«, fragte ich. »Wieso habt ihr nicht?«

»Die Seefeldts wollten unbedingt eine Frau! Und die hatten wir nicht!«

Warum versetzte mir diese Aussage einen Stich? Weil es so geplant klang? So abgeklärt? Dabei war es logisch, sich in einem solchen Fall von einer Frau vertreten zu lassen. Das sah ich ja selbst ein.

»Und?«, fragte Franz. »Glaubst du, er ist unschuldig?«

»Ja!«, sagte ich. »Immerhin wollte er sich nicht auf ein Bestechungsgeld einlassen!«

»Das hat sie abgelehnt!«, sagte Franz.

»Wie bitte?«, fragte ich.

»Den Rat mit dem Schweigegeld habe ich ihm auch gegeben. Der Vater sagte, sie hätten es bereits versucht, aber sie habe kein Geld annehmen wollen. Von dem Moment an war ich mir übrigens sicher, dass er sie vergewaltigt hat!«

Ich erbleichte.

»Was ist los?«, fragte Franz.

»Nichts! Ich muss gehen!«

Abrupt wandte ich mich ab und lief zu meinem Wagen. Dort saß ich eine ziemlich lange Weile, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Heiß und kalt lief es mir den Rücken hinunter.

Er war es, hämmerte es in mir. Er war es. Und du hast es von Anfang an gewusst. Hast es in seinen Augen ge-

lesen! Wie konntest du dich nur derart ablenken lassen? Einwickeln lassen? Tränen rannen mir die Wangen hinunter. Ich schluchzte auf. Und ich hatte mich verliebt! In einen widerlichen Sadisten und Lügner verliebt! Hatte ihm jedes gottverfluchte Wort ge-

glaubt. Wie dumm ich war! Wie grenzenlos dämlich!

Eine Stunde saß ich in meinem Auto und grübelte. Dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen. O mein Gott…

*

Wie eine Wahnsinnige trat ich das Gaspedal durch. Ich fuhr wie der Henker. Durch den dichten Berufsverkehr brauchte ich eine Ewigkeit.

Ich kam zu spät. Lucy bekam kaum noch Luft, als sie mir die Tür öffnete. Ihr Gesicht war eine einzige Wunde. Es war grässlich.

»Es tut mir so leid!«, stammelte ich.

»Ich wollte noch weg!«, keuchte sie. »Aber da war er auch schon da!«

»Ich rufe die Polizei!«, sagte ich. »Ich sage für Sie aus!«

»Das brauchen Sie nicht! Hier!« Sie reichte mir ihr Handy. »Ich hab alles aufgenommen!«

Sie spielte die Aufnahme ab, und ich lernte endlich den echten Claas von Seefeldt kennen. Es war so widerlich, ich finde keine Worte da-

für. Er vergewaltigte Lucy unter Hohngelächter, während er immer wieder auf sie einschlug. Und er lachte auch über mich.

»Dieses kuhäugige Walross!«, kicherte er. »Ach, Lucy, du hättest sehen müssen, wie sie mich angehimmelt hat. Wie ein plumper kleiner Teenager. Es war zum Schreien!«

Tiefste Röte überzog meine Wangen.

»Hab sogar überlegt, mit ihr ins Bett zu gehen. Als kleines Danke-schön! Aber wie, bitte, hätte ich bei der einen Ständer kriegen sollen? Ach, Lucy, jetzt sind wir endlich wieder vereint. Jetzt machst du mir aber keine Dummheiten mehr!«

Es klatschte laut, und ich konnte mir vorstellen, was er tat.

»Das alles hat ihn so erregt!«, sagte Lucy. »Er ist abgegangen wie noch nie. »Ich hab gedacht, diesmal macht er mich kalt!«

»Jetzt machen wir ihn fertig!« Ich zeigte auf das Handy.

»Ja!«

Am Ende hat seine Arroganz Claas besiegt. Dass Lucy ihm eine Falle stellen könnte, darauf war er nicht gekommen. Mit Freuden sehe ich der Verhandlung entgegen. Ich habe gesehen, dass er wieder eine Anwältin hat. Aber auch das kann ihn diesmal nicht retten.

Kelter Kriminial Report 1 – Kriminalroman

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