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Zellteilungen – nur begrenzt möglich

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Mit diesen bahnbrechenden Enthüllungen zu der Funktion der Telomere konnten die Forscher eine frühere, ebenso bedeutsame Erkenntnis von LEONARD HAYFLICK begründen. Der hatte nämlich schon 1965 mit der verbreiteten Auffassung aufgeräumt, dass sich unsere Zellen ewig weiter und weiter teilen würden. Wie bei den Einzellern halt. Nix da! Zumindest der allergrößte Teil unserer Körperzellen hat nur eine bestimmte Zahl von Teilungen im Köcher … bis sie sich zunächst nur noch ganz langsam, später aber gar nicht mehr teilen und schließlich den programmierten Zelltod einleiten. Nur Krebszellen ticken anders, leider. Sie können sich unendlich teilen. Unsere Stammzellen teilen sich ungleich länger als Körperzellen, aber auch sie altern. Die schleichende Impotenz der Zellen hängt also mit sich verkürzenden Telomeren zusammen.

Und nun beleuchte ich (Dominik) die gängige Auffassung, der Stein der Weisen – also die Alterungsursache – sei mit der Theorie der sich verkürzenden Telomere gefunden. Denn ob sie tatsächlich der Treiber für unseren Alterungsprozess sind, ist weiterhin Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion. Es muss immerhin auch festgestellt werden, dass in normalen Körperzellen die Telomerverkürzung von geringer Bedeutung ist, weil sich die ausdifferenzierten Körperzellen weniger teilen. Für den Ersatz alter Körperzellen sind hauptsächlich unsere Stammzellen verantwortlich, die wiederum eine Telomerase, also die selbständige Telomerverlängerung, zur Verfügung haben. Die Telomerase ist ein Enzym im Zellkern, das dafür sorgt, dass verkürzte Telomere in ihrer vollen Länge wiederhergestellt werden.Außerdem zeigte sich kürzlich, dass nicht die bloße Länge, sondern sehr wohl die Telomerstruktur entscheidend ist für die »Telomergesundheit«. Ein Team von Wissenschaftlern aus Sydney unter der Leitung von Dr. TONY CESARE (Head of the Genome Integrity Unit, Children Medical Research Institute) hat 2018 entdeckt, dass die Schleifenbildung der Telomere der entscheidende Faktor ist, der das Ende der Chromosomen schützt. Im nächsten Schritt muss nun geklärt werden, ob die Gesundheit des Menschen mit seiner Telomergesundheit wirklich zusammenhängt. Aktuelle Forschungsergebnisse wie das aus Sydney legen nahe, dass es um mehr geht, als um die Messung der Telomerlänge. Es ist immer noch nicht restlos geklärt, ob die Telomerverkürzung die Ursache oder nur ein Symptom des Alterns ist.

Spannend bleibt allerdings, dass die Länge der Telomere bei der Geburt offenbar sehr unterschiedlich sein kann. Die einen haben also genetisch ein längeres Zellleben programmiert, die anderen ein kürzeres. Aber auch Umweltfaktoren, Lebensstil und vor allem Stress haben direkte Auswirkungen auf die Länge oder eben die Kürze der Telomere. So untersuchte ELIZABETH BLACKBURN von der University of California die Telomerlängen von zwei Gruppen von Müttern. Die eine Gruppe zog gesunde Kinder auf, die andere Gruppe musste sich ihren chronisch kranken Kindern widmen. Eindeutig wies die Gruppe der dauergestressten Mütter kranker Kinder viel kürzere Telomere auf als die der weniger belasteten Mütter – obwohl sie gleich alt waren. Auf dieser Erkenntnis bauten die Wissenschaftlerinnen des BLACKBURN-Teams eine Theorie der Hoffnung auf, die sich mittlerweile vielfach nachweisen ließ: Die Telomerlänge lässt sich durchaus beeinflussen – von uns selbst nämlich! Der Lebensstil macht’s möglich.

Kurz vor Weihnachten 1984 hielt sie – gemeinsam mit ihrer Kollegin CAROL GREIDER – endlich den Nachweis der Telomerase in Händen. Eine Weltsensation! Das war 2009 den Nobelpreis wert. Denn das Team um ELIZABETH BLACKBURN legte nicht nur den physischen Einfluss auf die Telomerlänge offen, sondern entdeckte auch das »Jungbrunnenenzym« Telomerase. Ausgerechnet die unscheinbaren Einzeller mit Namen »Tetrahymena« (oder auch Wimpertierchen genannt) waren die willfährigen Gefährten dieser Entdeckung. Wie alle Einzeller teilen und teilen und teilen sie sich – unendlich. Wenn sie nicht gefressen werden oder an anderen Schrecklichkeiten zugrunde gehen. Das haben wir ja bereits gelernt.

Die Besonderheit der Wimpertierchen-DNA: Deren Telomere verkürzen sich nicht – was sie dem Enzym Telomerase zu verdanken haben. Dieses sorgt unermüdlich dafür, dass bei Teilungen verlorengegangene Basen hübsch ordentlich ersetzt und die Kapsellänge konstant gehalten wird. Von dieser Telomerase haben Wimpertierchen (im Verhältnis natürlich) viel mehr als wir. Ersetzt man bei ihnen die Telomerase durch eine inaktivierte Variante, verkürzen die Telomere sich bei jeder Zellteilung, bis die Zellen irgendwann ihre Teilungen einfach einstellen … und zugrunde gehen.

So konnte auch nachgewiesen werden, dass Menschen mit einer genetisch bedingten höheren Telomerase-Produktion deutlich weniger altersbedingte Krankheiten erleiden wie Alzheimer oder Herzinfarkt – aber sehr viel krebsanfälliger sind. Das ist die Schattenseite des Jungbrunnenenzyms: Es ist der »Sprit«, der die aggressive Teilung der Krebszellen befeuert. Was allerdings die Pharmaindustrie und Biotech-Start-ups nicht davon abhält, an Telomerase-Medikamenten zu forschen, um die Telomerlänge zu stabilisieren und damit den Alterungsprozess zu verlangsamen. Das bedeutet natürlich auch: Da muss und wird noch sehr viel Forschung laufen – gegen die Krebsgefahr! Denn umgekehrt könnte man die Telomeraseaktivität in Krebsgeschwüren hemmen, was das Tumorwachstum blockieren würde.

Eine Frage drängt sich jetzt natürlich auf: Was passiert denn mit unseren Organen und Geweben – wenn immer mehr Zellen den programmierten Zelltod sterben? Dann ist es doch eigentlich ein Wunder, dass wir bis zu 120 Jahre alt werden können!?

Mit der Antwort auf diese Frage machen wir später ein ganz großes Fass auf – das der Stammzellen. Die sitzen sozusagen in Erste-Hilfe-Nischen überall im Körper herum: Im Dünndarm, im Knochenmark, in den Gefäßwänden, in der Leber und in den Haarfollikeln, also überall dort, wo Zellen schnell und zuverlässig neu gebildet werden müssen. Die Fähigkeit dieser adulten Stammzellen (also derjenigen Stammzellen, die anders als die embryonalen Stammzellen noch nach der Geburt vorhanden sind), abgestorbene Zellen neu zu bilden, lädt natürlich zu großartigen Fantasien ein, Alterungsprozesse zu verlangsamen oder gar zu stoppen. Dazu ab > mehr.

So, zurück zu den über 300 Theorien zu der Frage, woran es denn nun liegen mag, dass wir alle sterblich sind – innerhalb der Spanne von allerhöchstens 120 Jahren. Mögen Sie wirklich noch mehr dazu erfahren? Über das »Entzündungsaltern« zum Beispiel, für das die verkürzten Telomere genauso verantwortlich gemacht werden wie ein mit den Jahren überreagierendes Immunsystem? Über die damit verbundene »Immunalterung« vielleicht, die besagt, dass die im Laufe der Jahre erworbene Immunabwehr langsam, aber sicher abnimmt?

Oder wie wäre es mit der »Hormontheorie« des Alterns? Die Hormonproduktion lässt nach, die Rezeptoren für diese Hormone an den Zielorganen funktionieren nicht mehr richtig, die Organe schrumpfen (besonders schöne Vorstellung, oder?) – und das Wachstumshormon sagt leise Servus …

Na, und dann ist natürlich alles rund um das Thema Genregulation und Altern zu diskutieren. Liegt im Anstieg der Mutationshäufigkeit vielleicht der wichtigste Schlüssel für das Verständnis des Hormonschwunds, der Immunproteine und der Telomeraseaktivität?

Schließlich noch die Epigenetik! Das Helmholtz Zentrum München beispielsweise fand heraus, dass junge Zellen der Lunge sehr synchron arbeiten – ältere Zellen sind da weniger diszipliniert, manche sind sehr aktiv, andere trödeln und schränken die Lungenfunktion ein. Das scheint nicht an Veränderungen innerhalb der DNA zu liegen, also etwa Mutationen als Auslöser zu haben. Der Grund dafür ist in sogenannten epigenetischen Ursachen zu finden: Steuerungsfaktoren um die DNA herum entwickeln im Laufe der Zeit offenbar ein gewisses Eigenleben …

Möchten Sie auch hier noch ein bisschen tiefer gehen? Wir meinen: Es reicht erst einmal. Zweierlei dürfte Ihnen im Laufe dieses Kapitels sicherlich nicht entgangen sein. Zum einen: Die Natur hat viele, viele todsichere Mechanismen kreiert, die uns garantiert zu sterblichen Wesen machen. Zweitens: Wie die vielen verschiedenen Kaskaden des Verfalls ineinandergreifen, sich verstärken, blockieren, dem einen vielleicht noch ein paar schöne Jahre verschaffen, dem anderen aber einen frühen Tod bescheren, ist noch überhaupt nicht geklärt. Klar ist nur: Die Sache mit dem Altern ist enorm komplex – und damit enorm spannend. Je mehr wir die einzelnen Zusammenhänge des Verfalls verstehen, umso mehr wächst die Sehnsucht danach, dann doch eine Art roten Faden zu spinnen, an dem wir uns mehr und mehr orientieren können, um zu verstehen: Was ist hier Henne und was ist Ei in diesem unerbittlichen Prozess des Verfalls? Wenn wir davon mehr verstehen, dann eröffnet sich auch die eine oder andere Chance, für jeden von uns ein wenig verlängernd am Rad der Zeit zu drehen. Und genau an diesem roten Faden wollen wir im Folgenden spinnen.

Gibt es nun doch noch etwas zu sagen, am Ende dieses, sagen wir, existentiellen Kapitels? Wie wäre es mit der Weisheit von einem, der im zweiten Jahrhundert nach Christus lebte und es immerhin bis zum römischen Kaiser und auf ein Alter von 58 Jahren brachte? »Verachte nicht den Tod, sondern befreunde dich mit ihm, da auch er eines von den Dingen ist, die die Natur will.« (MARC AUREL)

Altern wird heilbar

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