Читать книгу Piv - und die Kapitänskiste - Nina Sahl - Страница 4

Kapitel 2

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„Ich kann bis um drei mit euch spielen. Danach muss ich meinem Vater helfen“, erklärt Magne, als die beiden Mädchen am nächsten Tag durch das Gartentor spaziert kommen.

„Spielst du immer noch?“, fragt Sabine und ist kurz davor, loszuprusten. Piv knufft ihr in die Seite, damit sie den Mund hält, doch es ist schon zu spät.

„Ja...“, murmelt Magne zögerlich. Plötzlich schaut er sehr unsicher drein. „Macht ihr das nicht?“

„Nein“, antwortet Sabine altklug und wirft sich ihre langen blonden Locken über die Schulter. „Wir nennen das zusammen rumhängen. Gespielt haben wir, als wir noch im Kindergarten waren. Stimmt’s Piv?“

Piv zuckt mit den Schultern und versucht, sich nicht einzumischen. Doch Magnes trauriger Gesichtsausdruck versetzt ihr einen Stich in der Magengrube.

„Wir essen heute in einem Restaurant, wir sind also sowieso erst heute Nachmittag wieder zu Hause“, sagt sie und schickt Magne ihr mildestes Lächeln. Er sieht es jedoch nicht, sondern schleicht mit gesenktem Kopf vor den beiden Mädchen in das Gasthaus.

„Wollt ihr `ne Limo?“, fragt er und schaut vorsichtig zu Sabine, als sie den Korridor betreten. Sabine nickt eifrig.

„Cola“, ruft sie fröhlich und folgt Magne durch die Eingangstür des Lokals. Piv, die dicht hinter ihr geht, bekommt beinahe die schwingende Tür an den Kopf, als sie über die Schwelle des Gasthauses tritt.

„Wo sind denn all die Menschen?“, fragt Sabine und hüpft behände auf einen Barhocker. Piv setzt sich neben sie und Magne verschwindet hinter der Bar, wo er drei Flaschen Cola aus dem Kühlschrank fischt. Er öffnet sie mit einem Flaschenöffner und stellt sie vor den Mädels auf dem Tresen ab.

„Die kommen später“, erklärt er und nimmt drei Strohhalme aus einem Becher neben dem Kassenautomaten. „Wir öffnen erst um 12. Dann kommen die ersten, um zu brunchen. Aber da ist es noch nicht voll. Die meisten kommen erst abends.“

Piv sieht sich in der Gaststube um, während Magne und Sabine sich unterhalten. Gemütlich ist es hier. An den holzgetäfelten Wänden hängen Malereien von großen Schiffen und auf den Tischen stehen Blumen in niedlichen Vasen. Es riecht nach Essen und Spülmittel.

„Was ist das?“, fragt Piv plötzlich. Sie hat eine Flasche entdeckt, die in einer Art Stativ auf dem Regal neben der Bar liegt.

Magnes und Sabines Augen folgen Pivs Zeigefinger.

„Das ist ein Buddelschiff“, erklärt Magnus. „Ein Gast hat es mal für uns gemacht. Es ist schon echt alt.“

„Ein Buddelschiff?“ Sabine rümpft verwundert die Nase. „Wie kann denn ein Schiff in einer Flasche sein?“, will sie wissen. „Das passt doch gar nicht durch den Flaschenhals!“

Magne klettert auf einen Hocker und nimmt vorsichtig die angestaubte Flasche vom Regal. Sie ist groß und schwer und hat – ganz richtig – ein Schiff im Bauch.

„Es gibt ganz viele davon“, erklärt er und stellt die Flasche vorsichtig auf den Tresen vor die erstaunten Gesichter der Mädchen. „Ich weiß, wie man die baut. Einmal habe ich meinem Opa dabei zugeschaut. Man schiebt das Boot einfach hinein, wenn die Masten nicht aufgerichtet sind. Und dann zieht man sie an einem Faden hoch. Dadurch richten sich die Masten auf und die Segel sind gesetzt.“

Sabines Finger gleiten neugierig über die staubige, glatte Flasche. Sie nimmt sie hoch und begutachtet das kleine Schiff, dessen Kiel in Sand und winzige Kieselsteine geleimt ist.

Plötzlich rutscht ihr die Flasche aus der Hand und landet mit einem lauten Knall auf dem Boden. Sie bricht direkt unter dem Flaschenhals entzwei und einer der Masten des Schiffes zersplittert.

„Oh nein!“, ruft Magne verzweifelt und eilt hinter dem Tresen hervor zu der zerbrochenen Flasche. Sabine und Piv springen von ihren Barhockern und knien sich zu ihm. Sie helfen ihm, die Glasscherben aufzulesen.

„Verzeih mir!“, fleht die unglückliche Sabine und legt den zerbrochenen Mast vorsichtig in Magnes Hand. „Das war keine Absicht!“

Gerade will sie eine weitere Scherbe vom Boden aufheben, als sie stutzt.

„Ui!“, ruft sie auf einmal und zieht eine winzige Papierrolle aus dem Rumpf des Schiffes. Das Papier ist vergilbt und gewellt und der Sand aus der Flasche knirscht zwischen Sabines Fingern und der kleinen Rolle.

Magne nimmt das Papier und rollt es langsam auf. Es ist nicht viel größer als eine Seite aus einem Buch.

„Wow!“, entfährt es ihm und plötzlich wird er so blass wie ein Gespenst. „Dann ist es also wahr...!“ Atemlos streift er über das spröde Papier, das in seinen Händen liegt.

Verwirrt sehen Sabine und Piv ihn an. Doch Magne steht auf, ohne sie zu beachten und legt das Papier auf den Tresen. Es ist eine alte Karte. Auf ihr verzeichnet sind Straßen, Wege und Sehenswürdigkeiten des Ortes, wie die Kirche, das Schloss, der Hafen und der Marktplatz. Und: Das Gasthaus.

„Was ist wahr, Magne?“, fragt Piv beinahe flüsternd. Als Magne den Kopf hebt, treffen sich ihre Blicke.

„Dass es einen heimlichen Schatz gibt!“, wispert er heiser.

„Alle im Ort kennen die Legende.“

„Wenn alle die Legende um den Schatz kennen, dann ist er wohl nicht so heimlich, oder?“, schnaubt Sabine verächtlich, aber Magne beachtet sie nicht.

„Also, das war so“, fährt er fort und sieht stattdessen zu Piv. „Es ist einmal ein Schiff unten vor dem Hafen gesunken. Ich kann euch gerne die Stelle zeigen, wenn ihr wollt. Alle an Bord sind ertrunken. Bis auf den Kapitän. Er wurde zusammen mit einer großen Kiste voller Gold an Land geschwemmt. Nachdem er gerettet worden war, hat er einen ganzen Monat lang hier bei uns im Gasthaus gewohnt.

„Was ist dann passiert?“, fragt Piv neugierig.

Magne zuckt mit den Schultern.

„Er ist gestorben“, antwortet er. Piv beugt sich über die Karte und versucht, die alten Schriftzeichen zu entziffern.

„Was ist aus seiner Kiste geworden?“, fragt sie weiter.

„Sie ist verschwunden“, flüstert er. Piv starrt ihn mit offenem Mund an. Sabine jedoch runzelt nur die Augenbrauen und lehnt sich leicht zurück.

„Was meinst du damit, sie ist verschwunden?“, fragt sie ihn dann. Magne zuckt nur mit den Schultern.

„Da bedeutet, dass sie weg ist! Verschwunden halt. Gestohlen, versteckt, vergraben. Was weiß ich. Verschwunden eben. Es war der Uropa meines Uropas, dem das damals Gasthaus gehört hat. Und als er eines Morgens nach dem Kapitän sehen wollte, war er tot. Er lag in seinem Bett, mausetot und mit einem Messer im Herzen. Und überall war Blut.

„Aber was ist mit der Kiste passiert?“, fragt Piv.

„Vielleicht hat der Mörder die Kiste mitgenommen?“, schlägt Sabine vor. Magne nickt.

„Das kann gut sein“, antwortet er. „Aber niemand weiß, was wirklich passiert ist. Die meisten glauben allerdings, dass der Kapitän die Kiste rechtzeitig verstecken konnte, bevor er ermordet wurde. Irgendwo hier in der Stadt.“

Sabine steht vom Fußboden auf und reckt sich.

„Das ist wirklich eine sonderbare Geschichte“, sagt sie und sieht durch die Fenster des Gasthauses auf die Straße. Die Sonne scheint und der Himmel ist sommerlich blau und klar.

„Ich finde es superspannend“, meint Magne. „Und da bin ich nicht der einzige. Besonders viele Erwachsene sind von der Legende fasziniert. Manchmal treffen sie sich hier im Lokal und schmieden Pläne, wo sie als nächstes nach dem Schatz suchen können.“

Die beiden Mädchen schauen Magne plötzlich mit verwunderten Blicken an.

„Aber das ist ein Geheimnis!“, erklärt er ihnen eilig. „Sie treffen sich im Hinterzimmer, damit niemand sie belauschen kann. So ist es schon immer gewesen, seit ich denken kann.“

„Wie aufregend!“, entfährt es Piv. „Wie ein Geheimclub?“

Magne lächelt und richtet sich leicht auf. Als er ihr antwortet, sieht er ihr direkt in die Augen.

„Kann man so sagen“, verkündet er. In seiner Stimme hört man ein kleines bisschen Stolz mitschwingen. „Sie heißen die Schatzbrüder und der Club existiert, seitdem der Käpitän damals gestorben und der Schatz verschwunden ist. Viele hier im Ort glauben, dass die Mitglieder der Schatzbrüder spinnen.“

„Aber wenn dieser Club so geheim ist, wieso weißt du denn davon?“ Misstrauisch neigt Sabine den Kopf zur Seite.

Beinahe verschreckt antwortet er ihr: „Das...das hab ich nur so gehört“, murmelt er und errötet bis hinunter zum Hals. „Von meinem Vater, glaube ich. Oder meinem Großvater. Ich weiß nicht mehr so genau.“

Piv betrachtet die Karte vor ihr auf dem Tresen sehr gründlich.

„Wer ist denn alles Mitglied in dem Geheimclub?“, fragt sie interessiert. Diese Geschichte imponiert ihr sehr.

„Keine Ahnung“, antwortet Magne und zuckt erneut mit den Schultern. „Sie kommen durch den Hintereingang, damit niemand sie kommen und gehen sieht. Aber ich habe einmal unseren Bäckermeister an der Hintertür getroffen. Vielleicht ist er dabei.“

„Oder vielleicht hat der Club auch einfach nur Kuchen bestellt“, meint Sabine munter, bevor sie sich noch tiefer über die alte Karte auf dem Tresen beugt.

„Man, ist das weit!“, murmelt sie und verfolgt die Namen der Straßen und die Punkte auf den Karten mit den Augen.

„Oststraße!“, ruft sie plötzlich. „Da liegt unser Sommerhaus! Es ist hier auf der Karte!“

„Und das Gasthaus“, ergänzt Magne. „Die liegen beide in einer Straße!“

Piv setzt sich wieder auf einen der hohen Barhocker und schlürft das letzte Schlückchen Cola durch ihren Strohhalm.

„Wann treffen sich die Schatzbrüder denn das nächste Mal?“, fragt sie und reicht Magne ihre leere Flasche. Wieder zuckt er nur mit den Schultern.

„Ich weiß nicht“, sagt er und stellt die Flasche in eine leere Kiste unter dem Tresen. „Sie treffen sich sehr unregelmäßig. Sie geben meinem Vater ein Zeichen, wann sie kommen, damit sie sich ungesehen hineinschleichen können. Aber ich weiß nicht, was für ein Zeichen das ist.“

Plötzlich dringt ein leichtes Knirschen aus dem Korridor in die Gaststube. Alle drei Kinder halten die Luft an. Die Tür zur Bar steht einen Spalt weit offen und ein Schatten bewegt sich auf der anderen Seite.

Piv erhascht einen flüchtigen Blick auf Sannes feuerrotes Haar.

„Sollen wir besser hoch in dein Zimmer gehen?“, fragt sie Magne und hüpft von ihrem Stuhl herunter. Sabine steht ebenfalls auf. Sie rollt die Karte wieder zusammen und umschließt sie fest.

„Pass auf!“, ruft Magne besorgt und streckt die Hand nach der Karte aus. Seine Fingerspitzen streifen Sabines Hand und er läuft hochrot an.

„Entspann dich!“, sagt Sabine nur und geht bestimmt auf die Tür zu. „Ist ja schließlich nicht aus Glas.“

Sie geht voran durch den Korridor und steigt die schmale Treppe zu Magnes Zimmer hinauf.

***

„Vielleicht ist das sogar die Karte des Kapitäns?“, fachsimpelt Sabine, als sie oben in Magnes Zimmer angekommen sind. Sie rollt auf Magnes Schreibtischstuhl quer durch das Zimmer zur Tür und schlägt sie mit einem Knall zu.

„Ich glaube auch, dass er sie gezeichnet hat“, sagt Magne. Etwas unsicher steht er mitten im Zimmer und schaut Sabine an. „Aber er hat nirgendwo ein Kreuz gesetzt.“

Piv nimmt Sabine die Karte aus der Hand und hält sie gegen das Licht. Gründlich betrachtet sie die Linien und Punkte. Die Karte sieht aus wie ein ganz normaler Stadtplan, den man benutzt, um sich in einem Ort zurechtzufinden. Einzig ihr Alter macht sie besonders sowie die Tatsache, dass sie wahrscheinlich von einem ermordeten Kapitän zur See gezeichnet wurde.

„Guckt mal!“, ruft sie plötzlich. „Hier steht was unter der Zeichnung des Gasthauses. Vielleicht ist das eine Spur!“ Aufgeregt deutet sie auf das vergilbte Papier. Am Ende der Oststraße ist ein Gebäude eingezeichnet, das dem Gasthaus von Magnes Familie sehr ähnlich sieht. Darunter schlängelt sich in schmalen Linien eine fast mikroskopisch kleine Schrift.

„Was steht denn da?“, fragt Magne. Er beugt sich vor, um besser sehen zu können. Sabine ist auch dichter herangerückt. Sie kneift die Augen zusammen und versucht, die winzigen Buchstaben zu entziffern.

Wenn die Weh zur Wissheit kommt, gilt sein Kissen reiter“, liest sie und runzelt die Stirn.

„Nee, was für ein Unsinn! Was ist das denn für ein schwachsinniger Hinweis!?“

Piv lässt die Karte sinken und reicht sie Magne. Doch er kann auch nicht lesen, was dort steht.

„Es ist einfach viel zu klein“, murmelt er. „Wartet mal.“ Er eilt zu seinem Schreibtisch und zieht eilig eine der Schubladen auf. Darin findet er eine Lupe, die er zur Vergrößerung über die Karte hält. Als er die Lupe und die Karte anhebt, scheint das Sonnenlicht von draußen durch das spröde Papier und Magne liest laut:

„Wer den Weg zur Weisheit kennt, gibt sein Wissen weiter.“

„Aha!“, sagt Sabine und wippt leicht mit dem Fuß. „Das macht wenigstens ein bisschen Sinn, obwohl es immer noch eine sonderbare Spur ist. Was ist so verkehrt daran, einfach ein dickes Kreuz und Pfeile einzuzeichnen und hier graben draufzuschreiben?“

Magne lässt die Lupe und die Karte wieder sinken und schaut zu Piv. Sie kaut gedankenversunken an einem ihrer Fingernägel, dass es nur so knackt.

„Wer den Weg zur Weisheit kennt...“, schmatzt sie. „Was auch immer das bedeuten soll.“

Plötzlich hören sie erneut einen knirschenden Laut vom Korridor. Diesmal ist das Knarren lauter und bewegt sich deutlich auf Magnes Zimmer zu.

Jemand drückt den Türgriff hinunter. Die Tür schwingt auf und ein großer, dunkelhaariger Mann steckt den Kopf ins Zimmer hinein.

„Hallo Magne“, begrüßt ihn der Mann lächelnd und wirkt sehr verblüfft, die beiden Mädchen bei Magne zu sehen. „Oh, hallo ihr zwei!“ Nun betritt er das Zimmer und geht zu Sabine, um ihr die Hand zu geben. „Ich heiße Kim“, sagt er, während Magne die Karte blitzschnell hinter seinem Rücken Piv zusteckt. Unbemerkt legt sie die Karte auf Magnes Bett und schiebt verstohlen ein Kopfkissen darüber, bevor Kim sich zu ihr umdrehen kann. „Ich bin Magnes Papa. Willkommen!“

Sabine stellt sich ihm höflich vor und Piv tut es ihr nach. Dann legt sich eine jähe Stille in Magnes Zimmer, durch die hindurch sich Piv, Sabine und Magne unruhige Blicke zuwerfen.

„Also, ich bin ja eigentlich nur hochgekommen, um ein bisschen Wäsche zu holen“, erklärt Kim und sieht sich in dem blitzblanken Zimmer seines Sohnes um. Der Wäschekorb steht in einer Ecke; er klemmt ihn sich unter den Arm und geht auf die Tür zu. „Ich wünsch’ euch viel Spaß, Kinder. Und wenn ihr auf irgendwas Bestimmtes Lust habt, nehmt euch einfach, ja? Alles klar? Ich werde nur schnell eine Maschine Wäsche anstellen und bin dann unten in der Bar, wenn ihr etwas braucht. Und Sanne läuft hier auch irgendwo herum. In der Küche, glaube ich.“

Lächelnd packt er den Wäschekorb mit beiden Händen und verlässt das Zimmer.

Als er die Tür schließt, greift Piv unter das Kopfkissen und zieht die Karte hervor.

„Der Weg zur Weisheit...“, murmelt sie nachdenklich. Und plötzlich trifft es sie wie der Blitz.

„Wer den Weg zur Weisheit kennt... Magne! Wo liegt eure Schule?“

Piv - und die Kapitänskiste

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