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WAS IST POLITISCHER ISLAM?
ОглавлениеIm Kern ist der Islamismus antiwestlich und verspricht ein Gegenmodell zur aktuellen Weltordnung, zu Säkularismus und Demokratie. Die Kritik an der vom Westen dominierten Weltordnung vereinfacht es legalistisch operierenden islamistischen Organisationen, mit Teilen der antiwestlich ausgerichteten Linken zusammenzuarbeiten. Die Ideologie des Islamismus baut, vereinfacht gesagt, auf folgenden Prämissen auf:
• Einteilung der Welt in „Gläubige“ und „Ungläubige“ — in Muslime und Nicht-Muslime,
• Imagination einer idealisierten weltweiten islamischen Gemeinschaft (Umma),
•Überlegenheit des Islam gegenüber allen anderen Religionen/Weltanschauungen und Gesellschaftsvorstellungen,
• Ablehnung von liberaler Demokratie, allgemeinen Menschenrechten sowie der Trennung von Religion und Staat,
• Gleichwertigkeit von Männern und Frauen vor Gott, aber unterschiedliche Rechte und Pflichten im Diesseits,
• Opferrolle der Muslime als weltweit angegriffener Gemeinschaft.
Die Prämissen der Ideologie werden von den unterschiedlichsten islamistischen Gruppen in verschiedener Gewichtung geteilt und sind mit einer antimodernen und antiaufklärerischen Grundeinstellung verbunden, zu der auch Verschwörungstheorien gehören.
Der Islamismus kann als islamischer Puritanismus17 beschrieben werden. Er sieht in der islamischen Überlieferung von Koran, Sunna (Sammlung der Mohammed zugeschriebenen Aussprüche und Handlungen) und Prophetenbiografie (Sira) die verbindliche Grundlage für soziale Normen, die allesamt als gleichermaßen wichtig und notwendig betrachtet werden. Um in diesem Sinne ein guter Muslim, eine gute Muslimin zu sein, reicht es nicht, die traditionellen fünf Säulen des Islam zu beachten (Glaubensbekenntnis, Pflichtgebete, Almosengabe, Fasten, Pilgerfahrt), vielmehr sind alle Regeln des allgemeinen und alltäglichen Verhaltens zu befolgen. Dazu zählen etwa das Alkoholverbot, Speisevorschriften, Kleidervorschriften, Regeln für den Umgang mit Andersgläubigen, Regeln für den Umgang der Geschlechter und diverse sexuelle Restriktionen.
Diese Sichtweise will das Leben des einzelnen Menschen bis in Details hinein von religiösen, also sakralisierten Vorschriften bestimmt wissen. Diesen Vorschriften kommt dabei der gleiche Rang zu wie rituellen Vorschriften und Regeln.18 Der Ägyptologe und Kulturwissenschaftler Jan Assmann hat hierfür – wie auch für puritanische Bewegungen anderer Religionen – den Begriff „totale Religion“ eingeführt.19 Der französische Staatsrat Thierry Tuot hat das Phänomen Islamismus auf den Punkt gebracht: Islamismus sei das „öffentliche Einfordern von sozialen Verhaltensweisen, die als göttliche Gebote präsentiert werden und in den öffentlichen und politischen Raum eindringen“.20 Für viele Muslime scheint es das klar strukturierte Korsett sozialer Normen, klarer Regeln des Erlaubten und Verbotenen21 zu sein, das die Attraktivität des Puritanismus ausmacht. Er ersetzt jegliche individuelle Verantwortung sowie eigenständige Auseinandersetzung mit dem Islam. Das gute und richtige Leben, das gleichzeitig das Heil im Jenseits garantiert, besteht dann einzig in der Einhaltung eines Regelwerks.