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HÖLLENFEUER

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Die Sonne brennt mir in den Augen. Ich starre aus dem Autofenster hinauf in einen wolkenlosen Himmel. Das endlose Blau, das sich über all das spannt, was gerade hier unten passiert, ist grotesk. Der Gegensatz könnte nicht schärfer sein. Dunkle Stunden in gleißendem Sommerlicht. Dieser Himmel über uns ist nicht mehr freundlich, er ist voller Gefahr.

»Seht ihr Flugzeuge?«, fragt mein Vater, »seht ihr welche?«

Ich sitze auf dem Rücksitz eines großen, kaputten Geländewagens, in dem es trotz Motorenlärm unheimlich still ist. Selbst das Radio gibt keinen Ton mehr von sich. Wenn ich nicht in den Himmel starre, sehe ich das angespannte Gesicht meines Vaters im Rückspiegel. Er blinzelt im Fahrtwind, der durch die zerbrochene Frontscheibe pfeift. Ich umklammere den Türriemen, dass es fast wehtut. Mein kleiner Bruder umklammert meinen Arm, dass es richtig wehtut. Auch er gibt keinen Mucks von sich, in seinen Augen liegt derselbe angstvolle Blick wie in denen meines Vaters. Meine Mutter schaut zum anderen Autofenster hinauf in das unheilvolle Blau.

»Sagt sofort Bescheid, wenn ihr Flugzeuge seht«, sagt mein Vater, »seht ihr sie schon?«

Niemand antwortet.

Wir fahren schnell. Auf der Autobahn nach Gori sind kaum Menschen unterwegs. Normalerweise herrscht hier ordentlich Verkehr, aber heute ist nicht normalerweise. Die Ost-West-Fernstraße ist in diesen Tagen im August 2008 nicht bloß die Verbindung zwischen Südossetien und Gori, sie ist Ziel russischer Luftangriffe. Der einzige Weg von Ost nach West führt durch das Kriegsgebiet.

»Wir müssen diesen Weg nehmen«, habe ich meine Eltern in der Früh flüstern gehört. »Er ist der einzige Richtung Westen. Wenn wir dort nicht durchkommen, schaffen wir es nicht. Die S1 ist unsere einzige Chance«, sagte mein Vater leise, aber eindringlich. »Wenn wir zurückbleiben«, er machte eine Pause, »werden sie uns töten.«

Es war sehr früh am Morgen, aber für mich machte es keinen Unterschied. Ich konnte ohnehin nicht schlafen, seit der Krieg begonnen hatte. Unter meinem Kopfkissen lag ein Foto von meinen Freunden aus Deutschland. Ich schaute mir jedes der Gesichter an, als würde ich es nie Wiedersehen, und weinte leise. Dann betete ich still, für meine Familie, für meine Freunde und für alle Menschen in diesen frühen August-Tagen in Georgien, wo um Südossetien und Abchasien gekämpft wurde.

Für alle anderen Menschen, die darüber in den Nachrichten hören, ist es der sogenannte Kaukasus-Krieg. Für uns, die wir ausgerechnet in diesem August aus Deutschland wieder einmal heimgekommen sind, um unsere Verwandten zu besuchen, ist es die Angst, von einer Bombe getroffen zu werden, bevor wir das Land wieder verlassen können. Ich lag im Bett und dachte an meine Oma. Ich weinte und hielt mich an meinem Foto fest.

Nun sitze ich in dem kaputten Geländewagen und fühle das Foto in meiner Hosentasche. Das Blau des Himmels, in dem ich angestrengt nach Flugzeugen Ausschau halte, blendet mich. Ich schaue auf meine Füße hinunter. Meine Stiefel sind seit heute morgen fester zugebunden als sonst. Für alle Fälle.

Die leere Straße nach Gori ist unheimlich. Es ist, als ob das Land ausgestorben wäre. Gori, denke ich, dort ist Stalin geboren. Was für ein sinnloser Gedanke. Die Stille ist fast noch unheimlicher als die Leere. Nur der Wind zischt ab und zu mal laut durch die zerbrochene Windschutzscheibe. Wir holpern über zerbombten Asphalt.

»Sobald ihr Flugzeuge am Himmel seht, halten wir an«, sagt mein Onkel, der darauf bestanden hat, uns zu fahren. »Wir bleiben stehen, hört ihr, sofort, ihr steigt aus und legt euch mit ausgestreckten Armen in die Wiese. Das ist wichtig. Ist das klar?«

Ich suche wieder den Himmel ab. Das Blau kommt mir immer absurder vor, Urlaube über dem Krieg. Ich greife zu dem Foto in meiner Hosentasche, taste, ob es noch da ist. Ein Geräusch reißt uns aus der Stille. Ich habe das Gefühl, es reißt mir die Ohren weg. Eine Bombe ist explodiert. Direkt vor uns. Auf der Straße. Ein paar Meter weiter vorne und wir wären tot. Dunkler Rauch steigt auf und formt einen riesigen Pilz am Himmel. Wir steuern genau auf ihn zu.

»Wir müssen da durch«, sagt mein Onkel, seine Stimme ist fest. Er drückt aufs Gaspedal. »Wir dürfen jetzt nicht umkehren.«

Wir preschen hinein in die rauchende Dunkelheit. Gleich darauf brennt es um uns herum. Alles steht in Höllenflammen, schwarzer Rauch nimmt uns die Sicht. Die kaputte Windschutzscheibe schützt uns nicht vor der lodernden Luft, sie brennt in der Lunge. Wir sehen nicht einmal mehr die Kühlerhaube, gleich darauf ist das Wageninnere schwarz verqualmt. Ich spüre jeden einzelnen Herzschlag, vergesse zu atmen. Es ist brennend heiß, das Metall der Karosserie glüht. Die Hitze ist unerträglich. Mein Bruder klammert sich noch fester an mich, er schluchzt. Ich ziehe ihn an mich und halte ihn. Ich schließe die Augen. Will weg aus diesem Albtraum.

Ich nehme meine kleine Digitalkamera aus der Tasche und drücke auf rec wie auf Autopilot. Ich sehe das Feuer, die zerbombten Häuser und Autos am Straßenrand durch das Objektiv. Ich filme die Bombeneinschläge vor uns, die Zerstörung und unsere zerschossenen Scheiben. Ich nehme alles auf und mit.

»Lieber Gott«, flüstere ich und mache die Augen wieder zu. Wenn ich das hier überlebe, dann werde ich alles tun, um hier etwas zum Positiven zu verändern. Ich werde es selbst in die Hände nehmen und alles in meiner Macht Stehende für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit tun. Es ist wie ein Schwur, den ich mir selbst gebe in diesem Höllenfeuer. In gespenstischer Gleichzeitigkeit wird es heller vor uns. Der Wagen durchstößt den Rauch, hüpft heraus wie aus einem Feuerball.

Ich drehe mich um, schaue ein letztes Mal nach hinten, als eine Schranke herunterfällt. Er stoppt die Autos hinter uns, und alles verschwindet in dem dunklen Qualm.

Lasst uns um Europa kämpfen

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