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Juli 2016

Kleine Reisegedanken

Heute bin ich endlich wieder in Premantura angekommen. Die Bora weht schneidend, auf Slowenisch heißt sie burja, ein Nordwind, der eisig durch Kleider und Hirn weht. Untypisch für diese Jahreszeit. Nach dreißig Jahren im jug erlebe ich tatsächlich zum ersten Mal, dass ich im Fleecepullover, mit Wolldecke, Socken und Schal auf dem Balkon sitze. Die Klimakatastrophe ist auch hier angekommen.

Wie gut, dass ich in diesem Jahr mein „Atlantik-La Gomera-Outfit“ hierhin mitgenommen habe, mit siebtem Sinn. Ich kam mir beim Kofferpacken ehrlich gesagt blöd vor.

Mein Onkel Matja, der mich vom Bahnhof in Pula abholte – ein Bahnhof, vor dem, wie vor jedem slowenischen Bahnhof, eine alte schwarze Diesellok steht –, meinte, in seinem Garten in Ljubljana würden Khaki, Kiwi und Feigen wachsen, da es keine Winter mehr gebe. Vor 20 Jahren sei das noch unmöglich gewesen.

Im Februar 2014 hat wiederum ein Eisregen 50 Prozent der slowenischen Wälder zerstört, sie sind einfach umgeknickt unter der Eislast. Die Schäden habe ich heute noch vom Zugfenster aus gesehen. Damals waren ganze Regionen mehrere Tage ohne Strom und teils ohne Heizung und durch das Eis vom Rest der Welt abgeschnitten gewesen. Ich saß damals ohne Telefon im Haus in Maribor fest.

Meine Cousine meinte gestern, es werde dieses Jahr in Kroatien noch voller werden, da die Touristen die Türkei, Tunesien und Ägypten aus Angst vor weiteren Terroranschlägen meiden. Daher würden sie sich alle auf die paar europäischen Mittelmeer-Urlaubsländer umverteilen. Daran hatte ich gar nicht gedacht.

Natürlich habe ich mal wieder meine Kunas zu Hause vergessen. Großspurig wollte ich meinen Onkel gestern einladen und hatte dann nur Euros in der Tasche. Als EU-Bürgerin vergesse ich diese Devisengeschichte hier regelmäßig …

Die kroatische Landeswährung ist die Kuna (internationales Währungskürzel „HRK“). Eine Kuna entspricht 100 Lipa, das sind die Münzen. Der Name Kuna bedeutet übersetzt „Marder“, weil im Mittelalter mit Marderfellen bezahlt wurde. Obwohl Kroatien EU-Mitglied ist, dauert das mit dem Euro noch.

Jug bedeutet übrigens Süden, das südliche Slawien, Jugoslawien. Das Geburtsland meiner Eltern und meiner Wenigkeit. Ich bin vorgestern Abend erst einmal in Ljubljana mit dem Zug angekommen. Die Zeit steht dort, wie hier, still. Angst vor der Entwicklung Europas, dem IS, Terrorismus gibt es. Jedoch hörte ich in Slowenien immer wieder: „Weißt du, bei uns ist noch nichts passiert und wir sind so klein, Gott sei Dank. Die wissen gar nicht, dass wir existieren und wenn, verwechseln sie uns mit der Slowakei.“

Slowenien hat geografisch die Form einer Henne und ist sehr ländlich. Es gibt viele Dörfer, Berge, Täler, Dialekte und eine starke Bewegung für natürliche, lokal angebaute Nahrungsmittel. Bio ist auch in Slowenien sehr angesagt. Meine Cousine Nana verdient als Professorin gut. Sie kauft in der tržnica (Markthalle) vorwiegend bei Bauern ein, die zum Verkauf ihrer Produkte in die Hauptstadt kommen. Stolz präsentiert sie mir ihren Lieblingseinkauf, koži sir (Ziegenkäse) und kruh iz pire in ajdove moke (Dinkel-Buchweizenbrot). Es schmeckt köstlich. Sie erzählt, der Bauer mahle sein Korn selbst auf einem Mühlstein. Acht Euro hat sie für das Brot bezahlt, dabei verdienen die meisten hier nur 800 Euro monatlich.

Die alljährliche Lieblingsgeschichte meiner Cousine ist die über japanische Reisegruppen, die entzückt und fassungslos kacke-verschmierte Bioeier in der tržnica knipsen, weil sie so etwas noch nie gesehen haben. Echt Bio eben, aus dem Darm einer Henne.

Gestern habe ich von meinem Cousin, der im Fischhandel tätig ist, erfahren, dass das kroatische Meer sauberer ist als die Adria auf der italienischen Seite. Das habe mit den Strömungen zu tun; die Strömung käme an der kroatischen Küste sauber aus dem Mittelmeer bis zum Golf von Triest hoch und würde an der italienischen Küste schmutzig hinunterfließen. Ich verstehe es nicht richtig. Was ich davon verstehe ist, in kroatischen Gewässern gefangene Fische sind hochwertiger, da das Wasser sauberer ist. Und als ich ihn fragte, wie er denn mit Gewissheit sagen könne, die Dorade sei nur in kroatischem Meer geschwommen, musste ich erfahren, dass der Fisch in Buchten gehalten wird, in Meeresbassins. Ist das etwa die berüchtigte Aquakultur? Geschmeckt hat sie mir auf jeden Fall.

Heute weht sie immer noch, die burja. Ich habe auf dem Balkon – mein Brot festhaltend (der Belag flog frecherweise in Richtung Meer davon) – auf das Meer geschaut und dann meine Zikaden-Freundin, die auf dem Balkon lebt, und mich selbst portraitiert. Jede Nacht singt sie mir ein schnarrendes Lied.

Jetzt gehe ich ins Dorf, ich brauche ein Fahrrad, um aufs Kap rausfahren zu können: Kamenjak.

Ich hoffe, dass ich mit meinem Kroatisch klarkomme. Ich habe das Slowenisch-Sprechen in den zwei Tagen in Ljubljana sehr genossen. Es kam mir selbstverständlich aus Seele und Mund gesprudelt, sogar spontan gereimt habe ich und Wortwitze gemacht. All meine Gesprächspartner, einschließlich meiner Wenigkeit, waren erfreut und überrascht. Das ganze Jahr in Berlin spreche ich doch sonst keinen einzigen slowenischen Satz.


In der Zeit des Shutdowns wurde sie unruhig, sie hatte das Gefühl, nie mehr körperlich an den Ort ihrer Herzenssehnsucht gelangen zu können.

Sehnsucht: nach sozialem Leben, gemeinsamem, umarmendem Tanzen und nach der jährlichen Reise zum blauen Meer der Kindheit – ihrem Lebenselixier. Die Spirale und der Krabbenfelsen riefen sie in ihren Träumen. Sehnsucht war eines der Wörter, die ihr Leben geprägt hatten.


Über Strömungen

Jetzt verstehe ich, wie es mit den Strömungen der Adria verläuft. Sauber bis zum Golf von Triest hoch und dann verdreckt runter vor Italiens Küste, denn der Po scheint eine Giftdeponie zu sein, die das Meer verdreckt. Der Po, der dreckige Po …

Mit politischen Strömungen ist das anders. Gestern sprach ich mit einem Surfer aus der slowenischen Kolonie. Denn die Slowenen bevölkern Premantura schon seit Jugo-Zeiten (SFRJ – Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien), wie die Deutschen das Valle Grand Rey auf La Gomera.

Der Surfer, ein Lehrer aus Kranjska Gora (bergige Ski-Region in Slowenien) erzählte, in Slowenien habe die Kirche wieder Macht und Sagen. Viele Menschen würden aus Angst vor Sanktionen nicht gegen sie aufbegehren, besonders auf den Dörfern. Slowenien besteht zu 95 % aus Dörfern.

Letztes Jahr im Dezember habe es ein Referendum gegen die, im März von der Regierung als Gesetz beschlossene gleichgeschlechtliche Ehe gegeben. Pfaffen hätten von der Kanzel gewettert und agitiert. Sie hätten ihre gläubigen Gemeindeschäfchen dazu gebracht, blökend gegen das Gesetz zu stimmen. 35 Prozent der Bevölkerung beteiligten sich an der Abstimmung. Die Mehrheit davon stimmte gegen die gleichgeschlechtliche Ehe. Peinlich, aber wahr. Der Pfarrer, der im Dorf das Sagen hat …

Ich erinnere mich, wie stolz ich noch im Juni 2015 auf mein kleines Heimatland war. Mit einem Drachenwagen (Ljubljanas Wahrzeichen ist der Drache) war es auf dem Christopher Street Day in Berlin vertreten. Damals das kleine „Musterland“ der EU.


Die Drachenbrücke in Ljubljana

Seit langem sei der Zweite Weltkrieg ein großer Streitpunkt, erzählt der Surfer. Plötzlich sollen die Domobranzen die Guten und die Partisanen die Schuldigen sein. Die Domobranzen kollaborierten mit Hitler, weil sie ein Königreich wollten, und kämpften gegen Tito und die osvobodilna frónta (OF/Befreiungsfront). So etwas habe ich doch schon gehört, wie das Mäntelchen der Geschichtsinterpretation sich dreht. Wie ist das nochmal mit manchen Ex-DDR-Bürgern? Erst links, dann rechts – Dresden und Pegida.

Richtig geschockt hat mich als überzeugte Europäerin jedoch, wie der Mann über die EU sprach; schlecht, schlechter, am schlechtesten. Als „Wirtschaft studierter Mensch“, so nannte er sich, meinte er den baldigen Zusammenbruch der EU und des Euros vorauszusehen und damit die Befreiung aus der Knechtschaft Brüssels. „Die EU hat uns arm gemacht. Deutschland lebt von uns, profitiert und verdient daran.“ Ich verstehe wenig davon. Aber es macht mir Angst, den Zusammenbruch Europas und des Euros prognostiziert zu bekommen. Ich liebe die europäische Idee, grenzenlos.

Der Mann war, abgesehen von seinen politischen Ansichten, ein richtiger Flegel, der mich mit schlüpfrigem Blick zu Massagen und allerlei anderem bewegen wollte. Einem Kriminalinspektor in einem (schlechten) Film ähnlich, fragte er mich knatternd wie ein Maschinengewehr aus. Ich fühlte mich, als sei ich in einem Verhör.

Als er mich anderntags beim Yoga beobachtete und immer wieder mit blitzenden Augen sexuellen Subtext ausstieß, den er unnötigerweise mit Aussagen wie „du bist aber beweglich, du bist gut zu … mh, mh, mh zu gebrauchen“ verstärkte, da platzte mir endgültig der Kragen. Dass ich keinesfalls eine Turnstange für seine Gelüste und Sex sei! Einen Massagesalon gäbe es weiter hinten am Strand. Und Professionelle gäbe es in Pula bestimmt zur Genüge. So ein osel (Esel). Genau diese Macho-Jugo-Tour habe ich bereits in meiner Kindheit gehasst und daher meine Muttersprache verweigert.

Sehnsucht nach Premantura

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