Читать книгу Still und starr ruht die Spree - Nora Lachmann - Страница 7
ОглавлениеChristian Bartel
An Weihnachten gehört der Mann in die Familie
Ich weiß nicht, ob er
seiner Frau auch Tieraugen macht.
Hanuman geht an Weihnachten in den Puff.
Hanuman heißt natürlich nicht so, sondern Kroll, wie die Oper. Aber er soll Hanuman heißen, weil, wenn ich ihn Kroll nenne, merkt doch jeder, dass ich von dem Kroll rede, der mein Nachbar ist. Soll aber vielleicht doch jeder wissen, wer Hanuman ist. Der feine Herr Nachbar. Hanuman ist eigentlich ein Affengott, das passt gut zu Kroll, obwohl ein Frettchengott besser gewesen wäre, aber den gibt es nicht. Nicht einmal in Indien.
Hanuman geht also an Weihnachten in den Puff. Aber erst nach der Bescherung.
Vorher sitzt er mit seiner Frau am Tisch und sie essen eine Gans mit Rotkraut und Knödeln.
Die Gans hat Hanumans Bruder am Tag zuvor gebracht, da war sie schon tot, die Frau hat sie gerupft und den nackten Vogel außen auf das Fensterbrett gelegt, unter einen Drahtkäfig allerdings, weil sonst die anderen Vögel kommen und picken.
Da liegt sie dann auf dem Rücken und streckt die Beine hoch. Das Licht der Laterne überzieht sie mit einem blauen Tiefkühlschein, und wenn die Laterne im Wind quietscht, laufen die Schatten des Drahtgitters mit, malen verschiedene Figuren auf die Gans, Rechtecke und Trapeze. Das gefällt mir.
Im letzten Jahr habe ich den Käfig trotzdem heruntergeworfen, mit einem langen Stock, weil ich sehen wollte, ob die Vögel wirklich kommen. Die Gans war immerhin auch mal ein Vogel, und Kannibalismus interessiert mich. Die anderen Vögel haben die Gans übel zugerichtet, ihnen war die Ähnlichkeit ihrer Anatomie piepegal, ganz aufgeregt haben sie der Gans die Brust zerhackt, am Ende waren nur noch Beine und Flügel übrig, zusammengehalten von labbriger Haut. An dem Weihnachten gab es Braten bei Hanuman, aber er ist trotzdem danach in den Puff gegangen. Daran liegt es also nicht.
Dieses Jahr hat Hanuman seiner Frau einen Füllfederhalter geschenkt, in Gold, den hat sie lange angeschaut, vielleicht, weil ihr Name eingraviert war, dann hat sie Hanuman umarmt, ist dabei aber ganz ernst geblieben, als ob die Situation das erforderte ein stilles, ernstes Glücksgesicht.
Hanuman selber hat von seiner Frau gemusterte Seidentücher bekommen, zum Einstecken in den Mantelkragen. Er hat gelacht, seiner Frau mit den Tüchern wie zum Abschied gewinkt und sie dann umarmt. Sie hat gelächelt, und dann haben sie sich sogar geküsst. Die Frau ist groß und dunkelhaarig, einen halben Kopf größer als Hanuman, der wirklich aussieht wie ein schmaler, sehniger Affe mit seinem langen Oberkörper und den tief liegenden Augen. Wenn ich ihn grüße, blickt er auf, sagt auch etwas und lächelt, aber es ist nur sein Mund, der mit mir spricht. Die Augen blicken mich an und bleiben stumm und leer, wie die der Tiere im Zoo, weil die in die falsche Welt blicken. Pech gehabt.
Hanuman küsst seine Frau mit der Zunge und geht gleich in den Puff.
Ich weiß nicht, ob er seiner Frau auch Tieraugen macht. Augen kann ich nicht erkennen, von hier aus, und die Frau habe ich noch nie außerhalb der Wohnung gesehen. Ich stelle mir vor, dass sie beide außerhalb der Wohnung ihre Tieraugen machen und sie dann zu Hause ausknipsen, weil sie auch miteinander schlafen und sich dabei nicht weltfern und leer anstarren können. Das geht doch nicht, schließlich machen sie dabei das Licht nicht aus.
Sie schlafen miteinander und haben schlechte Vorhänge, dünne gelbe Stoffbahnen mit kleinen, dunkleren Knötchen darin, die lassen sich in der Mitte nicht zuziehen, so dass ein Spalt bleibt, eine Fleischmitte und daneben zwei Schattenspiele.
Heute geht die Frau allein ins Bett. Vorher tanzen sie aber noch, die Frau legt eine Schallplatte auf und Hanuman schiebt sie durch das Zimmer, dann schiebt sie ihn zurück. Die Köpfe haben sie zusammengesteckt, Hanuman reckt sich, um seinen Unterkiefer der Frau auf die Schulter zu legen, sie drückt ihm dafür das Kinn in den Nacken. Es geht hin und her, ein großes Tier, das nicht weiß, wohin mit sich.
Hanuman küsst seine Frau noch auf die Wange und zieht den Mantel an, winkt noch einmal mit einem der neuen Tücher und steckt es sich in den Kragen, dann setzt er den Hut auf und geht zur Wohnungstür.
Ich bin aber schneller als er, stelle mich auf den Hof und rauche.
Zitsche steht auch da, böse funkelt er die Sterne an. Die Sterne bleiben aber standhaft, wo sie sind.
»Froh’s Fest!«, ranzt Zitsche.
»Jawoll, Herr Zitsche!« Schließlich ist er der Hauswart.
Hanuman kommt auf uns zu und wünscht ein frohes Fest, Augen wie erloschene Kohlenstücke. Zitsche grunzt, ich nicke.
»Kroll geht in’n Puff.«, sage ich, als er vorbei ist, weil Zitsche nicht weiß, dass ich ihn Hanuman nenne.
»An Weihnachten gehört der Mann in die Familie.«
»’woll, Herr Zitsche!«
Zitsche geht zurück in seine Familie, wo er hingehört. Er schwankt und regt sich über Hanuman auf. »Starkes Stück«, mault er, »die Frau allein zu Hause am Heilichabend.«
Zitsche hustet und spuckt aus. Er ist glücklich, weil ich ihm das mit Hanuman erzählt habe.
Manchmal lässt er mir die Miete dann etwas nach.
»… was schämen.« höre ich noch, dann ist Zitsche weg, bollert ein bisschen an der Wohnungstür herum und bekommt sie dann doch auf.
Ich gehe hoch in meine Wohnung und ziehe den Schlafanzug an. Will einschlafen, kann aber nicht, weil ich immer an Hanuman denken muss und an seine Frau. Die große dunkelhaarige Frau vom Affengott. Schöne Frau.
Das Licht geht an bei Hanumans Frau. Sie steht auf, geht durchs Schlafzimmer, durchs Wohnzimmer, hin zur Wohnungstür. Ich kann nichts sehen zuerst, dann doch. Es kommt jemand herein. Zitsche steht im Wohnzimmer. Er hat Schnaps in der Hand, eine ganze Flasche, und versucht ein nettes Gesicht zu machen. Hanumans Frau glaubt ihm das Gesicht aber nicht, sie schaut suchend aus dem Fenster. Er redet auf sie ein, sie sagt aber: Nein. Will keinen Schnaps.
Zitsche redet trotzdem weiter, die Frau schlägt die Hände vors Gesicht.
Hauswart kommt näher, Frau weicht zurück: Wieder Tanz durchs Zimmer, einmal herum, dann schneller in die andere Richtung. Zitsche glaubt sich das Nettsein jetzt selber nicht mehr und haut der Frau eine.
Hanumans Frau geht zu Boden, Zitsche hinterher. Die Brüstung des Fensters ist zu hoch, ich kann sie nicht mehr sehen. Muss was tun. Ich rufe bei Hanuman an, aber es hebt keiner ab. Natürlich nicht. Ich sehe nur die Glatze von Zitsche, schweißbedeckt hinter dem Fensterbrett.
Mond geht auf, Mond geht unter.
Die Frau kann sich losmachen, rappelt sich auf. Dem Zitsche die Flasche über den Kopf, der war betrunken und nicht schnell genug. Die Flasche geht kaputt, blutroter Vollmond. Scherben. Der Hauswart taumelt, stützt sich am Fensterkreuz ab und glotzt in meine Richtung. Er sieht mich, versteht aber nichts mehr. Dann fällt er um.
Licht geht an bei den Nachbarn, weil Hanumans Frau jetzt schreit, dass die Scheiben klirren.
Nachbarn rufen die Polizei, Männer tragen Zitsche weg. Tuch drüber.
Hanuman kommt endlich zurück.
Ich ziehe den Bademantel an und gehe auch rüber. Die Frau weint und zittert.
Alle Nachbarn sind da. Ich sage: »Frohes Fest!«, aber keiner gibt Antwort.
Hanuman sagt dem Polizisten, er wäre spazieren gewesen und zum Friedhof.
»An Weihnachten gehört der Mann in die Familie«, sagt der Polizist.