Читать книгу Daniel & Andiswa - Norbert Kuntz - Страница 5
Deutsch sein?
ОглавлениеÜberall in Kapstadt begegne ich ihnen und an jeder Ecke höre ich meine Muttersprache – unvorstellbar – meine Landsleute scheinen sich diese wunderbare Stadt regelrecht einverleibt zu haben. Und sie sind nicht allein gekommen, auch hier am südlichen Ende Afrikas machen die Gummibärchen aus Bonn nicht nur die Kinder, sondern ebenso die Erwachsenen froh und die Schokolade ist quadratisch, praktisch, gut. Und sogar der in anderen afrikanischen Ländern geerntete Kaffee wurde in Deutschland geröstet und krönt nun nach langem Rücktransport die hiesigen Frühstückstische!
„Alles, was ihr herstellt, ist halt erstklassig!“
Das erklärt mir jedenfalls die Frau im Supermarkt, als ich mir eine Flasche bayerisches Weizenbier kaufe. Und ich dachte, das gelte nur für Autos – aber Made in Germany sogar als Qualitätsmerkmal für Toilettenpapier, das wäre mir nie eingefallen!
Die Deutschen, die ich dank Gina im deutschen Restaurant, beim deutschen Bäcker, an der deutschen Schule und bei diversen Treffen hier und da kennenlerne, teile ich für mich in verschiedene Kategorien ein:
Da wären zuerst die Alteingesessenen. Sie leben schon 30 Jahre und länger hier in Kapstadt und kennen sich mit allem besonders gut aus. Auch wenn ich sie als Profiteure des früheren Apartheidsystems bezeichnen möchte, sehen sie sich selbst natürlich nicht so. Im Prinzip waren sie ja schon immer gegen die Rassentrennung und sie haben ja auch nichts gegen die Schwarzen, aber ,ohne Uns’ würde es hier ja überhaupt nicht laufen, denn ,Die’ sind ja so unorganisiert, ineffektiv und faul. Und diese Deutschen wissen immer ein paar Beispiele zu berichten, die ihre Vorurteile bestätigen, dabei haben sie zumeist keine Ahnung vom Alltag der schwarzen und farbigen Bevölkerung.
Ich erinnere mich an ein typisches Beispiel für solch einen Alteingesessenen: ein Frisör, der mir während meines ersten Aufenthalts zur Fußball-WM 2010 die Haare schnitt. Er beschäftigte damals in seinem Salon ausschließlich Mitarbeiterinnen aus Zimbabwe. Dafür hatte er seine Gründe:
„Die Immigranten sind fleißiger und pflichtbewusster als die Einheimischen, die müssen in ihrem Heimatland ja auch noch eine Familie ernähren!“
Zu seiner Überraschung begann ich ein Gespräch mit der jungen Frau, die mir die Haare wusch, und fragte sie, wo sie denn wohne.
„Ich wohne in Victoria Mxenge, Site B in Khayelitsha.“
„Kenne ich, da ist doch auch die Usasazo High School, da bin ich öfter, weil der DFB dort ein Jugend-Fußballprojekt initiiert hat.“
Der Frisörmeister hatte einen Ausdruck von Entsetzen, ja fast Panik, im Gesicht. Zuerst blieb ihm der Mund offen stehen und er brachte keinen Ton heraus, doch dann entfuhr ihm doch noch kurzatmig ein Kommentar.
„Oh mein Gott – Nein – da kann man doch nicht hin fahren, da wird man doch gleich umgebracht! Sind Sie denn lebensmüde?“
Während ich versuchte die Reaktion der Haarwäscherin auf diese Äußerung aus ihrem Gesichtsausdruck abzulesen, erfuhr ich von dem Frisör –als er wieder zu seiner normalen Stimme gefunden hatte – dass er noch nie weiter als Woodstock vom Stadtzentrum entfernt war und da war ihm schon äußerst mulmig zu Mute gewesen, wie er betonte.
Als die junge Frau aus Zimbabwe mich später fönt, knüpft sie an unser vorheriges Gespräch an.
„Wir wissen genau wie die Weißen leben, aber die meisten Weißen wissen gar nichts über unsere Lebensumstände! Der Chef betreibt seinen Salon seit 33 Jahren und kennt doch nichts von diesem Land. Er lebt wie unter einer Glasglocke in seiner eigenen Welt.“
Viele Deutsche, die ich nun fünf Jahre später hier in Kapstadt treffe, kamen aber erst nach dem Ende der Apartheid ins Land, wobei ich zwei ganz unterschiedliche Typen von Einwanderern kennen lerne. Die Einen sind gekommen, um zu helfen das Land nach der Befreiung mit aufzubauen, sie haben nicht nur Pioniergeist für ihre eigene Karriere, sondern engagieren sich auch sozial und gesellschaftlich, um die große Kluft zwischen Schwarz und Weiß überwinden zu helfen. Deutliches Zeichen versuchter gelebter Integration ist die große Anzahl an gemischten Paaren, sowohl deutsche Männer als auch deutsche Frauen haben offensichtlich häufig schwarze Partner. Als ich die Deutsche Schule besuche, fallen mir die erstaunlich vielen Brownies – so titulierte Kinder aus diesen Beziehungen – auf.
Die Anderen, die Gina mir vorstellt, sind die typischen Karrieristen. Für sie ist es entscheidend, dass sie sich in Südafrika mit vergleichbar geringen finanziellen Mitteln einen wesentlich höheren Lebensstandard leisten können als in Deutschland. Und der wird auch gern zur Schau gestellt. Sie betonen, dass es anders als in Deutschland hier keine Neid-Gesellschaft gäbe. Sie profitieren vom hiesigen Kapitalismus nach amerikanischem Vorbild. Die Schwarzen sind wichtig als billige Arbeitskräfte, aber ansonsten ist jeder seines eigenen Glückes Schmied – wieso sollte man da vom eigenen Erwirtschafteten etwas abgeben?
Und dann begegnet einem noch ein Heer deutscher Freiwilliger, junge Menschen zwischen 18 und Mitte 20, die entweder einen sozialen Dienst, ein Berufspraktikum oder ein Auslandssemester machen. Die haben alle ganz unterschiedliche Motivationen, manche wollen ,Gutes tun’, andere brauchen den Auslandsaufenthalt für ihren Lebenslauf, wieder andere wollen einfach nur Spaß in einer aufregenden fremdländischen Stadt haben. Leider wird es für die jungen Leute immer schwieriger das Richtige zu finden, da es von Anbietern von Freiwilligentätigkeiten nur so wimmelt, wobei es mindestens ebenso viele schwarze Schafe wie seriöse Hilfsorganisationen gibt. Aber wie soll man aus dem fernen Deutschland diese auseinander halten?
Auf jeden Fall gehören alle Deutschen in Kapstadt mindestens der sozialen Mittelklasse an und sind schon aufgrund ihres Passes privilegiert in diesem Land, schließlich tragen auch sie das Qualitätsmerkmal Made in Germany! Dabei darf ich nicht vergessen, dass ich ja auch dazu gehöre. Ich versuche für mich zu verinnerlichen, dass mich die Südafrikaner allein schon aufgrund meiner Herkunft wohl anders behandeln werden – ich werde schon merken, ob das immer von Vorteil sein wird. In den ersten beiden Wochen wird mir jedoch sonnenklar, dass ich meine Geschichten für meine Redaktion tatsächlich nicht in der sogenannten Deutschen Community suchen werde. Ich will schließlich über Südafrika berichten und nicht darüber, wie sich Deutsche in Südafrika verhalten – vermutlich tun sie das auch nicht wesentlich anders als in Deutschland.
Aus diesem Grund schlage ich auch alle Angebote aus, in eines der von deutschen Einwanderern geprägten Viertel Tamboerskloof, Vredehoek oder Gardens zu ziehen, obwohl die wunderschön unterhalb des Tafelbergs bzw. des Lionsheads am Hang liegen. Stattdessen reagiere ich auf einige Anzeigen im Internet – Gumtree heißt die hiesige Plattform, auf der man nahezu alles kaufen und mieten kann – und schaue mir diverse Wohngemeinschaften in Innenstadtnähe und rund um die Hochschule an.
Ich werde schließlich in einer multikulturellen Gemeinschaft in einer Vier-Zimmer-Wohnung im obersten Stockwerk eines Hauses in der Roelandstreet mit Blick auf das Parlament aufgenommen. Hier wohnen bereits Hong-Lim Lee, Kanadier aus Toronto mit chinesischen Wurzeln, der aber hier in Kapstadt Patrick heißt, Chenjerai Nyathi aus Zimbabwe, der aber auch lieber bei seinem englischen Namen Clarence genannt werden will, und Hamid Dadfar Ali Khan aus Pakistan, den die Mitbewohner liebevoll Alibaba nennen.
Patrick, ein schlacksiger, sehr groß gewachsener junger Mann, der mit seinem Kinnbärtchen auch gut einen chinesischen Mafiosi in einem Spielfilm abgeben würde, ist angehender Arzt, der im Groote Schuur-Krankenhaus ein praktisches Jahr absolviert. Er möchte die klassische Medizin mit der traditionellen Chinesischen Medizin verbinden und versteht bereits eine ganze Menge von Akupunktur. Die Heilungsmethoden der Sangomas, der traditionellen südafrikanischen Heiler und insbesondere Heilerinnen, haben es ihm aber auch angetan. Wer heilt, der hat recht, sagt er. Da freu ich mich doch schon auf die eine oder andere Story, zu der er mir hoffentlich verhelfen wird.
Clarence ist einen guten Kopf kleiner als Patrick. Er strahlt mit seiner ständig auf der Nase nach vorn rutschenden Brille, die er dann immer wieder hochschieben muss, eine gewisse Seriosität aus. Er studiert Tourismus an der University of Western Cape. Vor einigen Jahren kam er illegal von Zimbabwe über die grüne Grenze nach Südafrika und hat sich in der ersten Zeit als Hilfskraft in der Deco Lodge, einem Backpacker-Hostel in Woodstock durchgeschlagen. Dort hat er dann schließlich eine schwedische Familie kennen gelernt und sich in die Tochter verliebt, die eine Südafrikareise zum Abitur geschenkt bekommen hatte. Die Familie hat ihm zu einem Stipendium verholfen, so dass er jetzt seinen Traum vom Studium verwirklichen kann. Und ab und zu bekommt er hübschen Besuch aus Schweden.
Alibaba ist ein echter Expatriot, also jemand, der von seinem internationalen Arbeitgeber nach Kapstadt geschickt worden ist, um hier der hiesigen Tochtergesellschaft unter die Arme zu greifen. Er ist IT-Spezialist und genau so, wie man sich solche Leute allgemein immer vorstellt. Nerd ist kein schönes Wort, aber wie sonst soll man jemanden bezeichnen, der ganz selten das Haus verlässt und dessen bester Freund sein Computer ist. Alibaba leidet außerdem sehr unter seiner pakistanischen Nationalität. Für jede Auslandsreise, egal ob beruflich oder privat, benötigt er ein Visum – und das ist als Pakistani oft sehr schwer zu bekommen. Daher ist er auf dem Heiratsmarkt schwer aktiv und sucht – natürlich vornehmlich im Internet – nach einer möglichst europäischen Partnerin, die ihm die Welt öffnet.
Da die anderen Drei nicht bei ihrem Geburtsnamen genannt werden, soll ich auch einen anderen Namen als einfach nur Daniel erhalten. Eines von Patricks Lieblingsliedern ist die alte irische Volksweise Danny Boy in der Interpretation von Johnny Cash. Also schlägt er spontan vor, mich so zu nennen. Ab sofort bin ich in meiner Kapstadt-WG also Dannyboy, wobei mir lieber wäre, wenn man das Boy weglassen würde – insbesondere wo ich doch der Älteste in der Wohngemeinschaft bin, denn die anderen drei haben die Dreißig noch nicht erreicht.