Читать книгу Daniel & Andiswa - Norbert Kuntz - Страница 7

Harare

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Die ganze Woche habe ich schlecht geschlafen, mich in Tagträumen wiedergefunden und mir mein Hirn zermartert: Wie würde die zweite Begegnung mit Andiswa an diesem Samstag verlaufen? Wir treffen uns ja eigentlich aus beruflichen Gründen, also wie könnte ich da zum Privaten wechseln? Wäre das überhaupt möglich? Und wie würde sie reagieren? Fragen über Fragen, die in meinem Kopf herum schwirrten und mich keinen klaren Gedanken fassen ließen. Dabei hätte ich doch die Interviews mit den Leuten vom Football-For-Hope-Projekt vorbereiten sollen.

Als ich meine Aufregung nicht mehr verbergen kann, vertraue ich mich Clarence an, der ist ja immerhin auch Afrikaner, und frage ihn, wie das denn so sei mit den Xhosa-Frauen. Er lacht.

Du hast dich also in eine verguckt, Dannyboy!“

Ich glaube, es hat mich so richtig erwischt!“

Also mit den Xhosa-Frauen ist das nicht so einfach. Die suchen natürlich eigentlich auch den ,Mann fürs Leben’ wie alle anderen Frauen auch, aber sie haben halt Erfahrungen mit Xhosa-Männern. Da liegt die Crux, denn die sind bekannt dafür, dass sie alles andere als treu sind. Viele haben Kinder mit mehreren Frauen und wollen nur Spaß und keine Verantwortung. Daher gibt es jetzt viele ,moderne’ Xhosa-Frauen, die auch nur auf Spaß aus sind und wenn sie ein Kind wollen, dann bekommen sie es eben und erziehen es meist allein. Bei uns in Zimbabwe ist das anders, wir leben in festen Zweierbeziehungen und Treue wird bei uns ganz groß geschrieben.“

Und wie ist das mit interkulturellen Beziehungen? Da bist du doch Fachmann – oder?“

Also, als ,Sugardaddy’ scheidest du ja aus, da bist du zu jung!“

Sugardaddy?“

So nennt man die älteren weißen Männer, du weißt schon, die mit den grauen Schläfen, zwei Scheidungen hinter sich und erwachsenen Kindern, die zur Universität gehen. Die suchen sich dann junge schwarze Freundinnen im Alter ihrer Kinder. Und es gibt viele Frauen Anfang Zwanzig, die es darauf anlegen, sich einen solchen ,Sugardaddy’ zu angeln, der ihnen alle Annehmlichkeiten des Lebens bieten kann. Letztendlich ist das aber ein fairer deal, beide bekommen schließlich das, was sie sich wünschen. Aber du fährst ja nicht mal eine deutsche Nobelkutsche, sondern nur einen asiatischen Kleinwagen. Fällst also keinesfalls in diese Kategorie!“

Ah, gut, da brauche ich also keine Angst zu haben, dass sie mit mir anbändeln könnte, um mich auszunutzen.“

Ganz ausschließen kannst du das nie. Ich meine, klar, ich liebe Teresa, meine schwedische Freundin, aber sie hat mir natürlich auch Möglichkeiten eröffnet, in meinem Leben voran zu kommen, die ich ohne sie nicht hätte. Das spielt immer ein bisschen mit, ist aber auch nicht schlimm, wenn sich beide dessen bewusst sind.“

Sie wird mit mir arbeiten und ich möchte nicht, dass es so aussieht, als würde sie für mich arbeiten, also keinesfalls wie ihr Boss rüber kommen.“

Mensch, Dannyboy, mach dir nicht so viele Gedanken. Sei einfach du selbst, dann klappt das schon. Bist doch ein netter, cooler Typ!“

Danke Clarence, das baut mich jetzt echt auf.“

Da er nicht weiß, ob er meine letzte Bemerkung ernst nehmen soll, oder ob das mehr ironisch gemeint war, schiebt er noch eine ganz spezielle Bemerkung über Xhosa-Frauen nach.

Ich hoffe nur für dich, dass sie nicht so einen typischen Xhosa-Hintern hat! Ich wusste ja nicht, dass es solche Rundungen gibt, als ich aus Zimbabwe kam. Bei uns sind die Frauen eher so gebaut wie bei euch in Europa. Aber hier? Mann oh Mann, das sind ja gewaltige Ballons, mit denen du es da zu tun hast!“

Ich kann kaum glauben wie abfällig sich Clarence über die Figuren der hiesigen schwarzen Frauen äußert, schüttele den Kopf und deute mit dem Finger auf das Gemälde African Princess an der Wand über dem Sofa.

Genau so sieht sie aus – wunderschön!“

Dann sitze ich endlich in meinem südkoreanischen Kleinwagen, der also keine südafrikanische Frau je beeindrucken wird, und fahre die 25 km von der Innenstadt hinaus nach Khayelitsha. Dieser Stadtteil ist in den letzten Jahren stetig gewachsen. Angeblich kommen jährlich etwa 25.000 neue Familien aus dem Ostkap hier an, um in der Großstadt nach Arbeit zu suchen und ,ihr Glück zu finden’. Inoffiziell spricht man in der Stadt inzwischen von einer Million Einwohner! Und diese drängen sich auf extrem engem Raum, aber Khayelitsha ist nicht etwa ein einziges, großflächiges Slum voller Wellblechhütten. Khayelitsha ist quasi eine Stadt für sich, mit allem, was eine Stadt ausmacht: Verwaltungsgebäuden, Schulen, Sportanlagen – es gibt sogar ein modernes Freibad, Polizeistation und Feuerwehr, Gericht und Gefängnis und neben vieler kleinen Geschäfte gibt es auch eine große Shopping-Mall. Und natürlich ist diese ,Millionenstadt’ dann auch wieder in einzelne Ortsteile untergliedert. Da gibt es Wellblechhüttensiedlungen, große Bereiche mit sozialem Wohnungsbau – den sogenannten Matchbox-Häusern der Regierung, aber auch Viertel mit wohlhabenden Bewohnern, die es sich in den ,Township-Villas’ gemütlich eingerichtet haben.

Das Football-for-Hope-Centre unter der Federführung des Vereins Grassroot Soccer befindet sich im Ortsteil Harare, der vor der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 als Bereich mit der höchsten Konzentration von Gewalttaten in Khayelitsha erkannt wurde. Daher wurde gerade Harare als Standort für gewaltpräventive Projekte ausgewählt.

Als ich 2010 über die Anfänge dieses Zentrums berichtet habe, waren die Ansprüche enorm. 5000 Kinder und Jugendliche wollte man pro Jahr erreichen und neben der sportlichen Betätigung in das Utshinsho-Programm hineinbringen. Aufklärung über HIV/AIDS und Tests sämtlicher Teilnehmer im Alter von 12 bis 18 waren ein wichtiger Teil des Programms.

Ich bin gespannt, wie sich die Kunstrasen-Anlage und das ganze Umfeld heute präsentieren werden, aber nicht deshalb habe ich weiche Knie und wippe im Auto unruhig hin und her.

Mein Navigationssystem lenkt mich erst einmal in die falsche Richtung – wer fährt schon mit einem Leihwagen in die Townships? Offenbar sind die Straßennamen hier nicht richtig übertragen worden. Obwohl mir aufgrund der mir bekannten Vorgeschichte dieser Gegend ein wenig mulmig zumute ist, bewahre ich die Ruhe. Mit meinem guten journalistischen Orientierungssinn finde ich doch noch den richtigen Weg und biege schließlich auf den kleinen Parkplatz in der Nakanye Street ein.

Da sehe ich sie bereits am Rande des Fußballfeldes stehen und mit einigen Mädchen in Fußballtrikots reden. Ich muss schmunzeln – über meine Annahme, dass ich gedacht hatte, dass ich wohl vor ihr da sein würde, ich bin schließlich Deutscher und sie Südafrikanerin! Und ich liebe Pünktlichkeit!

Und ich sehe auf Anhieb, wie richtig es war, eine junge Xhosa-Fotografin in meine Arbeit einzubinden. Andiswa ist im regen Gespräch mit den Mädchen. Sie ist quasi eine von ihnen, die sich ihnen in ihrer Muttersprache zuwendet. Ich mag gar nicht aussteigen und ihr und den Mädchen lieber aus der Distanz noch etwas zuschauen, aber schließlich bringe ich meine zittrigen Knie zur Ruhe und nähere mich der Gruppe.

Andiswa und die Mädchen bemerken mich sogleich und halten in ihrem Gespräch inne – und alle vier schenken mir ein breites Lächeln. Hat Andiswa ihnen etwa schon von mir erzählt? Und wenn ja, was? Den fröhlichen Gesichtern zufolge kann es nur Positives gewesen sein und ich probiere also auch mein breitestes Lächeln und umarme – ganz südafrikanisch – eine nach der anderen, wobei ich gleich die Namen der Spielerinnen erfahre: Babalwa, Sibeko und Jabulile. Zuletzt auch eine Umarmung mit Andiswa, wobei ich vielleicht ein bisschen länger verweile.

Hallo, Andiswa, wie geht’s denn so?“

Sie löst ganz sachte die Umarmung, strahlt mich dabei aber weiter an und wird dann ganz professionell geschäftlich.

Danke Daniel, mir geht’s gut. Ich hab mich schon mit den drei Top-Spielerinnen des RV United All Girls Soccer Teams unterhalten. Ihre Trainerin kommt auch gleich. Ist doch o.k., wenn wir eine Story über die Mädchen hier im Fußballclub machen, oder?“

Da hatte sie also mal so ganz nebenbei das Kommando übernommen! Natürlich denken wir bei Fußball erst einmal an Jungs, die sich um die Lederkugel streiten, aber warum nicht ein Bericht über Mädchen aus dem Township, die hier in Harare bei Grassroute Soccer das Fußballspielen gelernt haben. Ich bin gespannt, was sie uns technisch am Ball so zeigen werden, denn ich hätte schon gern ein paar Action-Fotos von Andiswa für meinen Bericht.

Klar doch! Aber dann will ich jetzt auch erst mal sehen, was ihr so drauf habt. Zeigt uns doch mal eine kleine Trainingseinheit!“

Ich habe kaum ausgesprochen, schon flitzen Babalwa, Sibeko und Jabulile – jede mit einem Ball – über den Platz und beeindrucken uns mit einigen Kabinettstückchen. Babalwa balanciert den Ball auf dem Kopf, runter auf die Zehenspitze und wieder zurück, von dort in den Nacken und auf die Ferse und hoch in die Luft, um ihn mit der anderen Zehenspitze wieder aufzufangen. Sie bietet uns ein ganz schönes Showprogramm! Andiswa sieht, wie beeindruckt ich bin, nimmt mich ein wenig zur Seite und spricht im Flüsterton.

Zeig ihr deine Bewunderung und dann frag sie nach ihrer Lebensgeschichte! Dann hast du eine Story aus dem wahren Leben hier in Khayelitsha, die deine Leser wirklich beeindrucken wird!“

Sie hat also offenbar im Vorgespräch schon so einiges erfahren, was mir bei einem „normalen“ Interview verborgen bleiben würde. Die Bewunderung für meine Begleiterin steigt weiter, aber ich muss mich jetzt erst einmal auf die Fußballerinnen konzentrieren. Glücklicherweise ist die Trainerin noch nicht aufgetaucht und so kann ich mich ganz in Ruhe den drei Mädchen und ganz besonders Babalwa widmen. Ich lobe ihre fußballerischen Tricks überschwänglich und will wissen, wie das denn alles angefangen hat. Das gibt mir erst einmal einen guten Einstieg.

Noch während der Fußball-WM hat Grassroot Soccer das sogenannte Skillz-Street-Programme aufgelegt. Kinder und Jugendliche konnten nach dem Schulunterricht nicht nur Fußballspielen lernen, sondern wurden auch in Life Skills unterrichtet und über HIV/Aids aufgeklärt und getestet. Einige der älteren Mädchen haben aus diesem Programm heraus das RV United All Girls Soccer Team gebildet. Eines dieser Mädchen – Sonwabise – ist die heutige Trainerin des Teams. Ihr haben die Drei alles zu verdanken, wie sie mir erzählen. Und Babalwas Geschichte ist tatsächlich diejenige, die den Weg in unser Magazin in Deutschland finden wird.

Sie wurde zwar in Kapstadt geboren, aber ihre Eltern zogen mit ihr nach

Johannesburg, als sie sechs Jahre alt war, da beide dort Arbeit gefunden hatten. Sie verbrachte ihre gesamte Grundschulzeit – sieben Jahre – auf einer der guten Schulen in Soweto und ihre Familie lebte in einer schönen Mittelklasse-Wohngegend. Doch dann verloren beide Eltern ihre Arbeit in der gleichen Fabrik, die pleite ging und sie konnten sich diesen Lebensstil nicht mehr leisten. Beide hatten sich innerhalb der Fabrik ,hoch gearbeitet’ ohne ursprünglich die entsprechende beruflich Qualifikation zu haben. Ihre fehlende Ausbildung rächte sich nun bei der Jobsuche.

Die Großeltern lebten in Khayelitsha und so entschieden sie, fürs Erste dorthin zu ziehen, bis die Eltern in Kapstadt Fuß gefasst haben würden. Aber diese Hoffnung erfüllte sich nicht, da die Suche nach Arbeit extrem schwierig war. Babalwas Vater hat bis heute keinen festen Job, da er viele Tätigkeiten als ,unter seinem Niveau’ ablehnt . Er wurde drogenabhängig und ihre Mutter ertränkt ihren Kummer über die familiäre Situation immer häufiger im Alkohol.

Nach Khayelitsha zu kommen war eine große Qual für mich. Wir hatten alles gehabt und nun standen wir plötzlich vor dem Nichts. Ich bin englischsprachig aufgewachsen, also verstand ich die hiesige Sprache Xhosa nicht richtig!”

So musste sie die 8. Klasse, ihr erstes Jahr auf der High School, gleich wiederholen. Die Wohnsituation in Khayelitsha war auch sehr schwierig für sie: 15 Personen leben hier im Haus ihrer Großeltern mit nur zwei Schlafzimmern und zwei Wellblechhütten im Hinterhof.

Die Menschen leben hier förmlich aufeinander! Die Gewalt auf der Straße reflektiert eigentlich nur die Gewalt in den Häusern, innerhalb der Familien. Alkohol- und Drogenexzesse sowie Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung. Ich kann nicht sagen, wie oft schon Männer über mich hergefallen sind – auch aus meiner eigenen Familie.“

Sie erzählt diese Dinge mit einer Selbstverständlichkeit, als würde sie von einem Familienfest am letzten Wochenende berichten. Sie sieht meinen erschrockenen, verwirrten Gesichtsausdruck und lacht.

Ja solche Dinge sind Sie in Ihrer Welt nicht gewöhnt – aber für uns ist das Alltag!“

In der zehnten Klasse besuchte Sonwabise von Grassroot Soccer Babalwas Schule und erzählte vom Football-For-Hope Centre und dem RV United All Girls Soccer Team.

Ich dachte immer, Fußball sei nur was für Jungs, aber Sonwabise hat so eine ganz besondere Art, über ihren Sport zu erzählen, das hat mich sofort mitgerissen und fasziniert. Ich hab mich auch immer eher für unsportlich gehalten, denn die typischen Mädchensportarten wie Turnen oder Netball, die wir in Soweto in der Schule hatten, konnten mich nie begeistern und so strengte ich mich da auch nie an. Daher wollte ich zuerst auch nicht mitmachen, aber Sonwabise versicherte uns, dass wir viel Spaß haben würden und sie uns alles über Fußball beibringen könnte. Und da sonst nie etwas Aufregendes an unserer Schule passierte, freute ich mich einfach auf eine besondere Aktivität.”

Niemals hätte Babalwa gedacht, dass Fußball einen solch weitreichenden Einfluss auf ihr Leben haben würde. Anfangs ging sie tatsächlich nur zum Sportplatz, um Spaß zu haben, aber allmählich verbesserte sich ihr Spiel und Sonwabise, die sehr schnell ihr Talent erkannte, unterstützte sie nach Kräften. Babalwa wurde immer ehrgeiziger und hatte sich insgeheim zum Ziel gesetzt bald möglich zur Topmannschaft des RV United All Girls Soccer Teams zu gehören. Babalwa engagierte sich auch als die ersten englischen Austauschschüler nach Khayelitsha kamen. Sie half Sonwabise ein Fußballspiel gegen die Engländerinnen zu organisieren, fand neue Freundinnen und hielt den Kontakt zu ihnen nach England über Facebook. So war es nicht überraschend, dass sie von ihrer Schule für den Schüleraustausch nach England ausgewählt wurde.

Ich bin zu allen Treffen gegangen, habe alle Formulare ausgefüllt, obwohl meine Familie das Geld für den Flug nicht aufbringen konnte. Ich wollte einfach dorthin!”

Sie suchte sich einen Gelegenheitsjob und konnte so etwas Geld sparen. Es war jedoch nur ein kleiner Teil dessen, was sie benötigte. Sie schrieb eine Zeitung an und die publizierte ihre Geschichte. Ein paar Tage später meldete sich ein Fußballspieler vom Proficlub Ajax Cape Town als Sponsor! Sie konnte tatsächlich nach England fliegen!

Das Leben bei euch in Europa ist so ganz anders. Ich glaube nicht, dass ihr wisst, wie viel Glück ihr habt! Ihr habt so viele Chancen und Möglichkeiten, die euch geboten werden. Das gibt es hier in Khayelitsha alles nicht. Aber die Schüler in meinem Alter sind dort auch sehr ehrgeizig, um ihre Ziele zu erreichen, während wir hier furchtbar träge sind. Die Menschen hier wissen einfach nichts von der Welt da draußen. Während meines Aufenthalts in England ist mir klar geworden, dass ich in meinem Leben etwas Besonderes erreichen möchte!”

Im Mutterland des Fußballs blieb ihr Talent glücklicherweise auch nicht verborgen, so dass die englischen Sportlehrer an der Partnerschule auf sie aufmerksam wurden und ihr jede Hilfe versprachen, wann immer sie diese benötigen würde. Aber sie motivierten sie auch, zuerst die Schule erfolgreich zu beenden und nicht alles auf die eine Karte zu setzen. Nun wird sie in diesem Jahr ihr Abitur machen – Matric heißt das hier in Südafrika – und danach ihren Traum von einer Profi-Fußballerin verfolgen. Bis ins RV United Team hat sie es auf jeden Fall geschafft und – wer weiß – vielleicht geht es ja nach Schulabschluss sogar zu einem der englischen Teams.

Das Fußball-Zentrum hat seinem Namen jedenfalls alle Ehre gemacht und Babalwas Leben eine hoffnungsvolle Wende gegeben. Sie will die Chance nutzen, ihren Townshipalltag, geprägt von Gewalt und Drogen, hinter sich zu lassen und ein normales Leben zu führen. Vielleicht hilft ihr ja auch mein Artikel und ein Verein in Deutschland wird auf sie aufmerksam.

Sonwabise ist natürlich ein wenig enttäuscht, dass wir unsere Geschichte bereits im Kasten haben, als sie endlich ankommt. Aber als Trainerin findet sie ja immerhin auch Anerkennung und Andiswa macht noch ein paar Fotos, auf denen Sonwabise mit ihren drei jungen Spielerinnen posiert. Und so werden wir auch von ihr ganz herzlich auf dem Sportplatz des Football-for-Hope-Centres verabschiedet.

Natürlich biete ich Andiswa an, sie nach Hause zu fahren. Ich hoffe, im Auto auf ein mehr privateres Gespräch wechseln zu können und hatte mich in den Tagen zuvor schon gefragt, wie ich es am besten anfange, sie zu einer privaten Verabredung einzuladen. Und wie soll diese Verabredung aussehen? Vielleicht beim ersten Mal etwas Kulturelles? Aber da kann ich natürlich ganz leicht in die Falle tappen. Welche Art von Event wird eine junge Xhosa wohl interessieren? Ich habe vorausgeplant und eine meiner südafrikanischen Lieblings-CDs im Auto deponiert und schiebe sie nun in den CD-Spieler. Die Band Freshlyground singt: ,Be my love – when the fire is low, when the fire is low …’

Ah, du magst ihre Musik? Viele Weiße hören diese Lieder gerne, obwohl sie zum Teil auf Xhosa gesungen sind und sie natürlich nicht wissen, worum es in den Liedern eigentlich geht!“

Andiswa schmunzelt bei ihrer Erklärung, aber sie scheint das nicht als Vorwurf zu meinen, sondern findet es wohl eher unverständig, wie man sich Musik anhören kann, deren Text man nicht versteht. Wenn ich mir allerdings die deutschen Charts ansehe, zweifele ich häufig auch daran, dass die deutschen Fans die englischen Texte verstehen.

Aber Zolani, die Sängerin, ist für mich ein echtes Vorbild. Sie ist auch in einem Township aufgewachsen und hat es von einer kleinen, unbekannten Schauspielerin bis zum Megastar gebracht. Sie ist heute eine der bekanntesten Frauen des Landes!“

Stammt sie denn auch aus Khayelitsha, wie du?“

Nein. Sie ist aus Port Elisabeth. Aber wir haben eine ähnliche Geschichte. Sie ist auch hauptsächlich von ihrem Vater großgezogen worden, weil die Mutter früh gestorben ist, genau wie bei mir. Meine Mama ist bei der Geburt meiner jüngsten Schwester gestorben und mein Papa musste allein klar kommen. Allerdings hat meine älteste Schwester uns ,Kleine’ auch mit erzogen. Zolani hat ein Lied über ihre Familiengeschichte geschrieben – Nomvula – das heißt Regen. Das ist mein Lieblingslied von Freshlyground. Es ist ganz in Xhosa. Wenn du magst, kann ich es dir ja mal übersetzen.“

Gerne. Und welche Musik hörst du sonst so?“

Ich steh hauptsächlich auf Rockmusik, Metallica, Korn und so was. Ihr habt doch in Deutschland auch so eine scharfe Band: Rammstein! Deren Texte verstehe ich zwar auch nicht, aber wenn du mir da mal eine CD kopieren könntest, das wäre super!“

Und schon wieder bin ich mehr als überrascht. Mein Gesichtsausdruck scheint mich zu verraten, denn Andiswa lacht laut auf.

Das hast du wohl nicht erwartet, dass ein schwarzes Mädchen auf solch harte weiße Musik steht! Aber weißt du, das ist hier in Südafrika nichts Ungewöhnliches. Seit dem Ende der Apartheid stehen die Weißen auf die Kultur der Schwarzen und umgekehrt. Da musst du mal einen Psychologen fragen, warum das so ist. Meine absolute Lieblingsband ist aber ,30 Seconds to Mars’. Und das nicht nur wegen der Musik, sondern auch wegen der Videos. Wir haben in der Akademie auch Videokunst als Unterrichtsfach und da habe ich die Band eigentlich erst so richtig kennengelernt. Wenn wir uns das nächste Mal dort treffen, zeige ich dir das Video zum Song ,Up in the Air’. Das ist allerfeinste Videokunst!“

Gerne. Ehrlich gesagt, kenne ich so gut wie gar nichts von der Band, den Namen habe ich in Deutschland aber zumindest schon gehört. Gibt es denn hier in Südafrika auch Rockmusik, die dir gefällt?“

Klar doch, meine Favoriten hier sind die Parlotones. Die spielen in zwei Wochen das Abschlusskonzert ihrer Open-Air-Tour im Botanischen Garten hier in Kirstenbosch.“

Diese Band kenne ich natürlich, hatte doch die ARD 2010 ihren Song Come back as heroes zu ihrem WM-Song gemacht. Dadurch wurden die Parlotones auch bei uns in Deutschland bekannt und gingen sogar nach der WM bei uns auf Tour. Ich schaue Andiswa an und verstehe ihren letzten Satz als einen deutlichen Wink mit dem Zaunpfahl.

Ich kann ja mal schauen, ob es noch Tickets gibt. Dann können wir zusammen hingehen. Du bist natürlich eingeladen!“

Ihr strahlendes Gesicht lässt auch mich strahlen. Meine Taktik ist aufgegangen. Ich habe nicht nur ein paar sehr interessante private Dinge von ihr über sie erfahren, sondern sogar noch ein erstes Date in Aussicht – wenn ich denn noch Tickets für das Konzert bekommen sollte.

Als ich sie an der mir schon bekannten Straßenecke aussteigen lasse – mal sehen, wann ich zum ersten Mal bis vor ihr Zuhause fahren darf – fällt mir ein junger Mann auf einem alten deutschen Postfahrrad auf.

Der transportiert ja Gemüse mit seinem Fahrrad! Wenn das die deutsche Post wüsste, die würde glatt einen Werbefilm mit ihm drehen – über perfektes Recycling ihrer alten Lastenräder.“

Ja, das ist Thulani, der hat mit dem Fahrrad sein eigenes Business gestartet. Er kauft das Gemüse bei den Township-Farmern von Abalimi Bezekhaya und bringt es den Leuten nach Hause. Er scheint von dem Gewinn, den er dabei macht, ganz gut leben zu können. Wenn du willst, kann ich mal mit ihm sprechen und ihn fragen, ob er ein Interview mit dir machen möchte.“

Klar doch. Super – das klingt doch nach der nächsten interessanten Story. Wir sehen uns dann nächste Woche in der Akademie. Ich bin gespannt auf die Fotos der Fußballerinnen. Und hoffentlich habe ich bis dahin auch die Tickets für die Parlotones.“

Daniel & Andiswa

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