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Piraten am Marktplatz

Wenn die Kirmes wieder abgebaut ist, präsentiert sich der Marktplatz als eine graue, leere und nicht asphaltierte Fläche. Sie ist nicht ganz eben. Es gibt einige großflächige leichte Vertiefungen, die sich nach anhaltendem Regen, den es ins Neuwerk häufig gibt, in riesengroße Pfützen verwandeln. Wenn die Pfützen riesig und richtig tief sind, geht Hannes das Wasser bis knapp unters Knie.

Nach der Schule stehen Hannes und Julius am Strand des riesigen Weltmeeres auf dem Marktplatz.

„Wir spielen Piraten“, schlägt Hannes vor.

Also verwandeln Hannes und Julius sich in gefährliche Piraten auf den sieben Weltmeeren. Die größte Pfütze hat in der Mitte eine Insel, die als Schatzinsel und Piratenschlupfwinkel dient. Piraten benötigen auch Piratenschiffe. Hier kann Hannes’ Opa helfen. Oma sagt immer, dass Opa ein Jäger und Sammler sei, der nichts liegen lassen könne. Wenn Sperrmüll ist, ist Opa mit seinem Fahrrad mit Anhänger unterwegs und schafft Sachen mit dem Kommentar: „Das kann man sicher noch einmal brauchen“, in den Keller oder in den Stall hinter dem Haus.

So sind Holzbretter bei Opa niemals knapp. Nägel gibt es in rauen Mengen, denn Opa hat die Angewohnheit, alte und rostige Nägel aus den gesammelten Brettern mit der Kneifzange heraus zu ziehen und zu sammeln. Die könnte man ja noch mal brauchen.

Material für ein oder zwei Piratenschiffe ist also grundsätzlich verfügbar. Es ist allerdings in Besitz von Hannes‘ Opa, was mit allen Wassern gewaschene Piraten nicht weiter kümmert. Hannes und Julius suchen sich einige große Bretter aus, nageln hier und dort etwas hin und schleppen ihre Piratenschiffe zum Stapellauf an die Küste des unendlichen Ozeans. Das ist ein mühsames Unterfangen, die schweren Schiffe über Land bis an die Küste zu bringen. Hannes und Julius kriegen das ohne weiteres hin. An der Küste angekommen, werden die Piratenschiffe getauft.

Hannes: „Ich taufe dich auf den Namen ‚Eagle‘, auf das immer eine Handbreit Wasser unter deinem Kiel sei.“

Julius holt mit seinem Arm weit aus und wirft die imaginäre Flasche an den nicht vorhandenen Rumpf des Piratenschiffes und ruft mit tiefer und ehrfurchtgebietender Stimme:

„Du wirst getauft auf den Namen ‚Hell and Fire‘, auf das du niemals untergehst.“

Nun kommt der Stapellauf. Die beiden schieben ihre Schiffe in das Wasser. Zum Glück ist kein starker Wellengang. Hannes und Julius atmen auf. Immerhin schwimmen die schweren Bretter und gehen nicht unter. Wenn sie sich allerdings daraufsetzen, sinken sie unter Wasser und stoßen gleich auf Grund.

Das macht nichts. Sie tragen beide Gummistiefel und können so durch die Weltmeere waten und ihre gefährlichen Schiffe vor sich hinschieben. Die selbstgemalten Piratenflaggen flattern in der frischen Seebrise.

„Käpt’n Silver“, ruft Hannes, „Viermaster in Sicht.“

„Scheint ein Spanier zu sein, Käpt’n Hook“, antwortet Julius.

„Alle Mann an Deck. Fertigmachen zum Angriff.“ Käpt’n Silver schwingt den erdachten Säbel über seinem Kopf.

Käpt’n Hook brüllt: „Kanonen feuerbereit… und Feuuuuuer.“

„Volltreffer“, jubelt Silver und befiehlt mit Nachdruck: „Fertigmachen zum Entern.“

So gibt es abenteuerliche Seeschlachten, gefährliche Entermanöver und reiche Beute, die auf der Schatzinsel, dem Unterschlupf der beiden Piraten vergraben wird. Die Plätze sind begreiflicherweise geheim und Hannes und Julius fertigen Schatzkarten an, um die Reichtümer später wiederfinden zu können.

An manchen Stellen ist der Ozean so tief, dass den beiden das schmutzige Wasser von oben in die Stiefel läuft. Das ficht mutige Seeräuber nicht an. Sie erobern die wertvollsten Schätze auch mit nassen Füßen. Hannes’ und Julius‘ Mamas sind allerdings nicht so erfreut über nasse, sandige Socken und Hosen. Sie müssen aber auch verstehen, dass böse Piraten während des seeräuberns nicht an ihre Mamas denken können.

So vollführen sie viele schwierige und gefährlich Manöver, geraten einige Male in Seenot und schlagen manche Seeschlacht mit den Schiffen des Königs um Sir Francis Drake. Manchmal fahren sie auch als Klaas Störtebeker und überfallen die Küstenstädte an der Nordsee und räubern sie aus.

Wenn es dunkel wird, geht es nach Hause zum Abendessen, wo sie ihre großen Abenteuer und Heldentaten zum Besten geben. Im Bett, wenn Hannes das Licht ausmachen muss, liegt er mit der Taschenlampe unter der Decke und vervollständigt seine Schatzkarten, bis er über der Eintragung der eroberten Juwelen der Lady De Winter einschläft.

Am nächsten Morgen müssen Hannes und Julius zur Schule. Es hat aufgehört zu regnen. Ihr Ozean ist aber noch ausreichend gefüllt und die Piratenschiffe liegen gut vertäut an der Pirateninsel. Nach der Schule beeilen sie sich, weil sie möglichst schnell wieder als Piraten ihr Unwesen treiben wollen. Allerdings müssen sie enttäuscht feststellen, dass im Lauf des Vormittags die Sonne herausgekommen und ihr Ozean trockengefallen ist. Auch ist wohl die Sperrmüllabfuhr dagewesen und hat ihre Piratenschiffe entsorgt. Die Insel mit den Schätzen ist nicht mehr auffindbar.

Hannes und Julius kommen zu der Erkenntnis, dass das Piratenleben nur dann Sinn macht, wenn man über stabile Ozeane und sichere Inseln verfügt und die Müllabfuhr weit weg ist.

Danach kommen übrigens die großen Baumaschinen. Jetzt wird die schwarze Asche vom Marktplatz abgetragen. Es kommen endlos viele Lastwagen und transportieren Asche weg, bringen Erde her und die Arbeiter beginnen, Wege anzulegen und einen Park anzupflanzen.

*

Hannes und Julius

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