Читать книгу Hannes und Julius - Norbert Lingen - Страница 7

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Omas Unterhose

Am nächsten Tag geht es wieder zur Schule. Mama ist arbeiten und Papa nicht da. Also muss Oma für die pünktliche und ordentliche Ankunft von Hannes und Kalli in der Schule Sorge tragen. Oma sind in den Tagen zuvor schon die zu engen Gummis in den Kniestrümpfen von Hannes aufgefallen.

„Ich hatte Mama doch gesagt, dass sie die Gummis in deinen Strümpfen etwas weiter machen soll. Die Gummis schnüren dir ja das Blut ab.“

Oma schüttelt unwillig den Kopf und schimpft, „Nie wird das gemacht, was ich sage. Wenn ich mich nicht um alles kümmern würde.“

Sie geht ins Schlafzimmer und holt ihre Schere aus dem Nähkasten. Entschlossen geht sie in die Knie und greift nach Hannes’ rechtem Bein.

„Jetzt ist Schluss. Du kannst nicht noch einen Tag mit dem zu engen Gummi am Bein zur Schule gehen.“

„Aber Oma…“, stottert Hannes unsicher.

Doch es ist zu spät. Oma schneidet mit der Schere zuerst das Strumpfgummi am rechten und dann am linken Bein durch. Der Druck an Hannes’ Beinen lässt sofort nach, obwohl er ihn vorher nicht als störend empfunden hat.

„So lieber Hannes, jetzt kannst du in die Schule gehen. Vielleicht hat deine Mutter ja heute Nachmittag Zeit, die Gummis in der richtigen Länge in deine Strümpfe zu ziehen.“

Sie bringt ihre Schere in das Nähkästchen im Schlafzimmer zurück und scheucht Hannes und Kalli zur Türe hinaus:

„Sonst kommt ihr noch zu spät zur Schule.“

Hannes ist sauer. Jetzt sind seine Strümpfe dahin und sie rutschen auch noch. Das nervt total. Das muss er jetzt den ganzen Vormittag in der Schule aushalten.

„Das war echt gemein von Oma“, meint Kalli, der ja noch einmal glimpflich davongekommen ist.

„Das kannst du laut sagen.“

Hannes und Kalli gehen schweigend zur Schule und vergessen sogar vor lauter Ärger über Oma das eine Haus, an dem man sonst nicht ohne weiteres vorbeikommt. Julius ist mit von der Partie und ist auch der Meinung, dass Hannes’ Oma so etwas nicht hätte tun dürfen.

„Erwachsene dürfen sich schließlich nicht alles erlauben“, sagt Julius altklug.

Der heutige Schultag zieht sich wie Kaugummi, aber irgendwann ist auch er zu Ende. In den Pausen ist Hannes auf der einzigen Bank des Schulhofes sitzen geblieben und hat seine beiden Beine so gegeneinandergehalten, dass die Kniestrümpfe nicht rutschen können. Kein Laufen, kein Rennen, keine Murmelspiele auf dem Schulhof. Doch sobald er aufsteht, um wieder in die Klasse zu gehen, rutschen die Kniestrümpfe auf die Knöchel herunter und die Kinder schauen, zeigen auf ihn oder lachen. In kurzer Hose sehen heruntergerutschte Kniestrümpfe schon blöd aus. Das meint sogar Hannes, obwohl ihm bisher eigentlich ziemlich egal ist wie er aussieht.

Auf dem Rückweg von der Schule nach Hause gehen Hannes und Julius langsamer als sonst. Sie haben Wichtiges zu besprechen.

„Das kann nicht ohne Folgen bleiben, was Oma heute gemacht hat“, schimpft Hannes. Sein Ärger ist immer noch nicht verraucht.

„Was willst du tun?“, fragt Julius.

„Ich weiß es noch nicht“, meint Hannes nachdenklich, „Auf jeden Fall werde ich Oma bei Mama und Papa verpetzen. Das ist das mindeste.“

Obwohl er die Befürchtung hat, es würde nichts bringen, denn Oma hatte es schließlich darauf angelegt, dass Mama ihre zerstörerische Tat bemerken und darauf reagieren würde.

„Wenn ich nur irgendeine Idee hätte, wie ich mich an Oma rächen kann“, meinte Hannes zu Julius.

Dass man sich für erlittene Missetaten rächen muss, wissen Hannes und Julius aus den vielen Büchern, die sie schon gelesen haben. In der Geschichte um Winnetou geht es fast nur um Rache, obwohl sie da immer als etwas Böses dargestellt wird. Auch die vielen Rittergeschichten strotzen vor Rachegedanken. Im Grunde weiß Hannes aus den genannten Büchern genau, dass Rache kein guter Antrieb für eine Handlung ist. Aber er muss zugeben, dass Rachegedanken einen schon befriedigen können. Eigentlich mag er Oma sehr gerne und er möchte er ihr nichts Böses tun, aber trotzdem ruft er noch einmal laut zu Julius herüber:

„Rache muss sein.“

Aber sie muss ja nicht so schlimm sein, sagt er zu sich selbst. Es muss auch etwas sein, dass Oma sofort versteht. Die Rache muss etwas mit Omas Tat zu tun haben. Er denkt weiter nach und hat plötzlich eine Idee:

„Ich hab’s“, ruft er Julius zu, der ihn neugierig anschaut. Doch sie sind schon zu Hause angekommen und stehen jeder vor seiner Haustüre.

„Nach dem Mittagessen, treffen wir uns im Hof. Dann verrate ich dir meinen Plan“, flüstert Hannes Julius zu und sie gehen in ihre Häuser zum Mittag essen.

Das ist die längste Mittagspause, die Julius je erlebt hat, denn er ist neugierig, was Hannes vorhat. Als die beiden auf ihrem kleinen Mäuerchen am Fuße des Gartenzaunes im Hof sitzen, offenbart Hannes seinen Plan und Julius reibt sich vor Begeisterung die Hände, als er hört worum es geht. Hannes hat kürzlich, als er krank war und bei Oma in der Küche auf dem Sofa lag und döste Oma nähen gesehen. Unter anderem hatte sie eine ihrer riesigen Unterhosen in die Hand genommen und ein neues Gummi in den Hosenbund eingezogen. Dieses Bild ist die zündende Idee für Hannes’ Rachefeldzug. Er würde sich abends, wenn Oma schon im Bett liegt, sie geht immer früh schlafen, in Omas Küche schleichen. Dort liegen die Kleider von Oma immer ordentlich über der Stuhllehne. Die Unterhose liegt immer zu oberst. Es ist mitten in der Woche und Hannes weiß, dass am Samstag immer Badetag ist und erst dann die Unterhose gewechselt wird. Er würde sich mit einer Schere bewaffnet in Omas Küche schleichen und das Gummi im Hosenbund von Omas Unterhose zerschneiden.

Julius und er stellen sich feixend vor, wie Oma mit rutschender Unterhose durch die Küche stolpert. Hannes hält das für eine gerechte Strafe.

Julius und Hannes schnappen sich ihre Fahrräder und ihren Fußball und fahren wie jeden Tag zum Bolzplatz.

Nach dem Abendessen schickt Mama die Kinder ins Bett, nachdem sie im Übrigen die Kniestrümpfe von Hannes repariert hat. Hannes und Kalli schlafen in einem Zimmer. Kalli ist eingeweiht und hat versprochen, er würde schweigen wie ein Grab. Sobald etwas Ruhe eingekehrt ist, hört Hannes ganz unten die Toilettenspülung. Das ist das Zeichen. Oma geht jetzt ins Bett. Er muss etwas warten, damit Oma tief schläft und ihn nicht noch erwischt. In der Zwischenzeit ist Kalli eingeschlafen, obwohl er eigentlich das Abenteuer miterleben wollte. Auch Hannes hat mittlerweile Mühe, die Augen offen zu halten.

Jetzt ist es Zeit. Er klettert leise aus seinem Bett, er schläft im Etagenbett oben, nimmt die Schere, die er unter seinem Kissen versteckt hat und schleicht die Treppe hinunter. Hannes und Kalli schlafen ganz oben unter dem Dach, so dass Hannes zwei Treppen herunterschleichen muss, um ins Erdgeschoss des Hauses zu kommen. Die Treppen sind aus Holz und knarren an bestimmten Stellen und die kennt Hannes, so dass er sie umgehen kann. Doch plötzlich knarrt eine Stufe ganz laut:

„Mist“, flucht Hannes leise und bleibt regungslos stehen. Er hofft, dass Mama oder Papa, die im Wohnzimmer sitzen und fernsehen, ihn nicht gehört haben. Er kann durch die Glasscheibe in der Wohnzimmertür das flackernde Fernsehlicht sehen. Nachdem sich nichts rührt schleicht er weiter. Er kommt ohne ein weiteres Geräusch bis ganz nach unten und steht im Flur, direkt vor Omas Küchentür. Hannes ist barfuß und auf dem Steinfußboden werden seine Füße schnell kalt. Nun kommt es darauf an. Wenn Oma und Opa noch auf sind, ist er gleich erwischt. Der Spalt unter der Küchentür ist dunkel. Jetzt muss er es riskieren. Er drückt die Türklinke ganz langsam nach unten. Sie macht zum Glück kein Geräusch. Er schiebt die Küchentür langsam nach innen und denkt noch, wie gut es ist, dass Opa regelmäßig die Türscharniere ölt. Dabei hat Hannes ihm schon geholfen. Jetzt schlüpft er in die Küche und lehnt die Tür nur an. Er weiß aus seinen Büchern, dass es immer wichtig ist, einen Fluchtweg offen zu halten. Im Dämmerlicht der Küche sieht er den Kleiderhaufen auf der Stuhllehne und sieht auch, dass Omas Unterhose wie immer obenauf liegt.

Er nimmt die Schere fester in die eine Hand, nimmt die Unterhose in die andere Hand und mit einem Schnitt ist das Gummi durchgeschnitten. Jetzt nur noch weg hier. Er legt die Unterhose wieder an ihren Platz, schleicht durch die Küchentüre, schließt sie leise und atmet erleichtert auf. Wenn er jetzt erwischt würde, könnte er immer noch sagen, er müsse aufs Klo oder etwas ähnliches. Trotzdem ist er vorsichtig und legt sich kurz darauf zufrieden in sein Bett. Er schläft gut.

Am nächsten Tag ist schulfrei, so dass Hannes und Kalli länger schlafen können. Doch Hannes wacht vor lauter Ungeduld früh auf und rechnet jede Minute mit einem Aufschrei aus Omas Küche. Doch es geschieht nichts. Sie frühstücken und Hannes geht in den Hof, um die neuesten Entwicklungen mit Julius zu besprechen. Er berichtet ausführlich über das Abenteuer vom gestrigen Abend. Hannes sitzt neben Julius auf dem Mäuerchen, wundert sich auch über die absolute Stille. Oma hat tatsächlich die Rollläden im Schlafzimmer noch gar nicht hochgezogen. Hannes macht Julius auf diesen Umstand aufmerksam und beide können sich keinen Reim darauf machen.

„Vielleicht schläft deine Oma heute einmal länger?“, fragt Julius.

„Niemals“, sagt Hannes, „das hat sie noch nie gemacht.“

Sie spekulieren und am Ende haben sie die einzig mögliche Lösung gefunden. Jetzt rührt sich ihr schlechtes Gewissen ganz gewaltig. Hannes und Julius gehen jetzt davon aus, dass Oma nur eine einzige Unterhose besitzt und jetzt, wo die eine Unterhose nicht mehr funktionsfähig ist, in ihrem Schlafzimmer gefangen ist. Oma kann ja nicht ohne Unterhose in der Wohnung herumlaufen. Möglicherweise hat sie auch kein Gummi mehr, um Ersatz zu schaffen. Jedenfalls scheint Oma in ihrem dunklen Schlafzimmer gefangen zu sein. Sie befürchten, dass Oma sich ohne Unterhose nicht traut, ihre Schlafzimmerrollläden herauf zu ziehen.

Sie malen sich die unlösbar schwierige Situation von Hannes‘ Oma in immer düstereren Farben aus, bis sie sich einig sind. Oma muss, egal wie, gerettet werden. Doch wie sollen sie das anstellen, ohne Hannes‘ Täterschaft zu verraten? Nach weiteren zehn Minuten war der Gewissensdruck bei Hannes so groß, dass auch das egal war und er sich vornahm, frank und frei zu seiner Missetat zu stehen. So machen das die guten Helden in seinen Büchern ja auch immer.

Hannes entschließt sich, Mama zu informieren. Sie soll Oma aus ihrer misslichen Situation retten. Er rennt befreit, nachdem er die schwierige Entscheidung getroffen hat, die Treppe hoch und berichtet Mama unter Tränen alles was geschehen ist. Mama ist nicht schlecht erstaunt über die Geschichte ihres Sohnes, lächelt aber:

„Du weißt nicht, dass Oma krank ist? Opa war vor seiner Frühschicht schon hier oben und hat mich gebeten, später nach Oma zu sehen. Sie wollte im Bett bleiben und sich gesund schlafen.“

Hannes bleibt die Spucke weg. Gleichzeitig ist er erleichtert, dass nicht er das Dilemma von Oma verursacht hat. Doch sein schlechtes Gewissen regt sich trotzdem. Jetzt kommt ihm seine Rache ziemlich albern vor. Letztlich hatte Oma es ja nur gut gemeint. Mama sagt:

„Komm mit Hannes, wir schleichen uns jetzt herunter und ich repariere die Unterhose wieder.“

So schleichen Mama und Hannes die Treppe herunter, schlüpfen in die Küche, nehmen die Unterhose und gehen wieder nach oben. Mama hat die Unterhose schnell repariert und Hannes bringt sie heimlich wieder herunter. In geheimen Unterhosen-Affären kennt er sich jetzt gut aus.

„Das bleibt unser Geheimnis“, flüstert Mama und gibt ihm einen Kuss auf die Wange und einen Klaps auf den Po. Hannes kommt sich mittlerweile angesichts seiner Rachephantasien sehr dumm vor und beichtet das Ganze auch seinem Freund Julius. Die beiden wären nicht beste Freunde, wenn Julius das nicht verstanden hätte. So erfährt niemand außer Mama, Julius, Kalli und Hannes von der geheimen Unterhosen Affäre in Omas Küche, vor allem Oma nicht.

*

Hannes und Julius

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