Читать книгу Qualifiziert und ausgemustert: Wie ich die DHfK erlebte - Norbert Rogalski - Страница 4

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Mit der Gründung der DDR 1949 wenige Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges ergaben sich schrittweise außerordentlich günstige Bedingungen der beruflichen Qualifizierung für die Bürger. Auf der Grundlage der Verfassung der DDR, mit weiteren darauf aufbauenden Gesetzen und Verordnungen ist Chancengleichheit für alle sozialen Schichten der Bevölkerung hergestellt worden. Das Bildungsprivileg der bürgerlichen Gesellschaft für bestimmte Bevölkerungsgruppen wurde abgeschafft, allen Menschen eröffnete sich damit die Möglichkeit, nach ihren Anlagen und Fähigkeiten sowie eigener Motivation einen beruflichen Entwicklungsweg zu beschreiten, der im Wesentlichen den persönlichen Vorstellungen entsprach. Vom Geldbeutel der Eltern oder anderen Familienangehörigen und Verwandten war der Besuch höherer Bildungsanstalten nicht mehr abhängig. Der Staat gewährte auf der Grundlage von einheitlichen gesetzlichen Regelungen allen Studierenden eine finanzielle und damit soziale Grundsicherung in Form von Stipendium und im Normalfall die Bereitstellung von Internatsplätzen. Für einen großen Teil von Bürgern der Kriegs- und Nachkriegsgenerationen auf dem Territorium der DDR ergab sich zwangsläufig in den 50er Jahren ein Nachholebedarf, das Abitur noch zu erwerben, um anschließend ein Fach- oder Hochschulstudium aufnehmen zu können. Die Regierung der DDR schuf dafür die Voraussetzungen mit der Gründung von Arbeiter- und Bauern-Fakultäten (ABF) , die vorrangig an Universitäten und Hochschulen angegliedert waren. Der Personenkreis, der sich an der ABF auf ein Studium vorbereitete, setzte sich vorrangig aus Arbeitern und aus Werktätigen der Landwirtschaft zusammen. Beide Gruppen hatten fast ausschließlich einen Beruf für den produktiven Bereich der Gesellschaft oder einen Berufsabschluss für Arbeiten in der Verwaltung. Die Existenz von Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten in der DDR war von entscheidender Bedeutung für meine weitere Entwicklung, da meiner Bewerbung an einer solchen Bildungseinrichtung im Jahre 1954 zugestimmt wurde, nachdem ich bereits seit 1952 einen Berufsabschluss als Tischler besaß. Meine besondere Beziehung zum Sport schon als Kind und Jugendlicher führte mich folgerichtig an die ABF der Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK) nach Leipzig mit dem Ziel, nach dem Abitur und mit einem anschließenden Hochschulstudium die Voraussetzungen zu besitzen, einen pädagogischen Beruf im Bereich des Sports bzw. im Bildungssystem der DDR ausüben zu können. Für eine berufliche Umorientierung hatte ich mich somit fest entschlossen. Die Zulassung zum Studium an der DHfK war aber kein Geschenk des Staates, das automatisch zum Ziel führte. Vielmehr ist ein fester Wille, um die Studienanforderungen zu erfüllen, eine entscheidende individuelle Voraussetzung gewesen, um einen solchen Qualifizierungsschritt erfolgreich abzuschließen. Höhen und Tiefen begleiteten die Jahre an der ABF und während des Hochschulstudiums. Mit dem Staatsexamen als Lehrer für Sport und Deutsch der Allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule war ich am Ziel meines selbst gewählten Wunsches. Zahlreiche Fachgebiete und Lehrgegenstände während der Studienzeit führten zwangsläufig auch zur Auseinandersetzung mit philosophisch-ideologischen und politischen Grundlagen der Politik der DDR und der anderen sozialistischen Staaten sowie kapitalistischer Gesellschaftsordnungen und Staatsformen. Meine politische Entwicklung und Überzeugung wurde davon nicht unwesentlich geprägt und beeinflusste mein Denken und Handeln bei der Bewältigung der fachlichen Aufgaben sowie mein Verhältnis zu den Zielen der DDR. Erlebnisse während der letzten Kriegsjahre, die erzwungene Übersiedlung oder Umsiedlung von Schlesien nach Thüringen und Auffassungen der Eltern und näheren Verwandten, die ich nach allgemeiner Lesart aus den „Unterschichten“ der Bevölkerung stammend bezeichnen möchte, beförderten meine politische Meinungsbildung. Nach zwei Jahren der Tätigkeit als Lehrer führte der Weg mehr durch Zufall wieder an die DHfK. Ich unterschrieb einen Arbeitsvertrag als Assistent im Institut für Pädagogik meiner ehemaligen Ausbildungsstätte. Im Rahmen der definierten Lehr- und Forschungsaufgaben für Assistenten an den Hochschuleinrichtungen der DDR promovierte ich zum Dr. paed. An die mit dem Staatsexamen als abgeschlossen geglaubte Ausbildung schloss sich damit eine weitere akademische Qualifizierung an. Damit wurde eine neue Phase meiner weiteren beruflichen Tätigkeit eingeleitet. Für einige Jahre erklärte ich mich bereit, im Staatssekretariat für Körperkultur und Sport (SKS) in Berlin auf dem Gebiet der staatlichen Verantwortung für die Aus-und Weiterbildung von Sportfachkadern zu arbeiten. Das erforderte eine neue zentrale Sichtweise hinsichtlich der Entwicklung von Körperkultur und Sport sowie der Sportwissenschaft in der DDR. Ein Schwerpunkt meiner Arbeit in Berlin war sehr eng mit der DHfK verbunden. Auf eigenen Wunsch beendete ich 1975 die Tätigkeit im Staatssekretariat und beabsichtigte, wieder in Lehre und Forschung an der DHfK wirksam zu werden. Überraschend und unvorbereitet unterbreitete mir aber der Staatssekretär für Körperkultur und Sport eine andere Vorstellung in Übereinstimmung mit der Leitung der Hochschule für meine erneute Arbeitsaufnahme an der DHfK. Ich sollte eine leitende Funktion in der SED-Parteiorganisation dieser Einrichtung übernehmen. Im Bewusstsein, für eine solche Aufgabe nicht vorbereitet zu sein, die auch nicht meiner Absicht entsprach, stimmte ich nach einer Bedenkzeit doch dieser Vorstellung zu. An die Zeit der Tätigkeit in der Parteifunktion und einer zweijährigen Wirksamkeit nur in Lehre und Forschung, wurde ich als Prorektor für Erziehung und Ausbildung berufen. Vom ehemaligen Studenten war ich zu einem Mitgestalter der Entwicklung dieser Einrichtung geworden. Bestimmte Prozesse des Hochschullebens, vor allem im gesamten Bereich der Lehre, konnte ich mit beeinflussen. Das hat naturgemäß zu einer sehr engen Bindung und zu einem inneren Verhältnis zur DHfK geführt. An meinen Qualifizierungsschritten, die über Studienformen, im Prozess der Arbeit und in Leitungsfunktionen verlaufen sind, ist an sich nichts Besonderes. Sie sind vielmehr ein typischer Weg tausender Bürger während der Entwicklungs- und Konsolidierungsphase der DDR, besonders in den Nachkriegsjahren. Es war objektiv notwendig nach dem 2. Weltkrieg, die noch überwiegend bürgerlich geprägte Nachkriegsgeneration mit in der DDR ausgebildeten Fachkräften zu ergänzen. Das war im Bereich von Körperkultur und Sport ebenso der Fall. Die Führung der DDR verfolgte damit auch ein besonderes Ziel und ging nicht nur von der berechtigten Abschaffung des Bildungsprivilegs aus. Es war eine Intelligenz heranzubilden, die von sozialistischen Grundüberzeugungen ausgehen und sich aktiv in die Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse mit ihrem fachlichen Wissen und Können einbringen sollte. Grundsätzlich war mein beruflicher Entwicklungsweg und die Tätigkeit in verschiedenen Arbeitsbereichen, Institutionen und Funktionen von Kontinuität bestimmt. Doch damit verbunden waren auch Überlegungen, immer das Richtige in bestimmten Situationen entschieden und getan zu haben. Zeitweilig gab es auch persönliche Konflikte, die ihre Ursache verschiedentlich im politischen Tagesgeschehen hatten. Auf der Grundlage meiner Überzeugungen kam ich immer wieder zu positiven Schlussfolgerungen, die mein Denken und Handeln für die gesellschaftliche und berufliche Tätigkeit motivierten. Der Anschluss der DDR an die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1990 führte zu einer entscheidenden Zäsur meiner bisherigen beruflichen Entwicklung und Tätigkeit. Die vollständige Anwendung der Gesetze und Verordnungen der BRD auf alle Bereiche der gesellschaftlichen Verhältnisse der DDR erfasste auch die Hochschullandschaft, Körperkultur und Sport sowie ihre Einrichtungen. Die DHfK wurde abgewickelt, wie dieser Vorgang in der politischen Diplomatie der Wendezeit genannt wurde. In Wirklichkeit bedeutete aber Abwicklung die Liquidierung der Einrichtung, die mit der Entlassung der Hochschullehrer, der Mitarbeiter und Fachkräfte und ihrer Ausschaltung aus dem gesellschaftlichen Leben unmittelbar verbunden war. Nur wenige fanden eine weiterführende Betätigung an der Nachfolgeeinrichtung der DHfK, der Fakultät für Sportwissenschaft der Universität Leipzig. Sehr anschaulich, mit Gesetzestexten und statistischen Zahlen belegt, hat Arno Hecht in seinem Buch „Die Wissenschaftselite Ostdeutschlands. Feindliche Übernahme oder Integration?“ (Verlag Faber u. Faber, Leipzig 2002) alle Einzelheiten der beruflichen Ausgrenzung der ehemaligen Wissenschaftler der DDR beschrieben. So kam auch meine Entlassung an der noch bestehenden DHfK im Jahre 1991 praktisch einem Berufsverbot gleich, da ich - trotz Bewerbung – keine Chance mehr erhielt, weiter im Bereich der Sportwissenschaft auf einem bestimmten Gebiet tätig zu sein. Wie über den Sport im Allgemeinen und über den Leistungssport der DDR im Besonderen wurden auch über die DHfK und die Sportwissenschaft nach der Wende bis in die Gegenwart immer wieder Unwahrheiten öffentlich verbreitet. Ohne stichhaltige Begründung sind ehemalige Leiter und Mitarbeiter der Hochschule politisch diffamiert worden. Nicht bewiesene Behauptungen waren zu lesen, an der DHfK wäre Doping Gegenstand der Lehre und Forschung gewesen, um nur an wenigen Beispielen solcher Publikationen die Tendenz deutlich zu machen. Im Gegensatz dazu haben sich renommierte Persönlichkeiten des Sports vieler Länder und internationaler Sportorganisationen sehr anerkennend über die hohe Leistungsfähigkeit der DHfK geäußert und ihre Wirkung auf Körperkultur und Sport hervorgehoben, ihre Abwicklung bedauert. In den vergangenen Jahren sind aber auch zahlreiche Beiträge von überwiegend aus der ehemaligen DDR stammenden Autoren publiziert worden, die ein objektives Bild der Geschichte und der Leistungen der Hochschule vermitteln. Die Geschichte der DHfK ist nicht nur auf chronologische Fakten, auf eine sachliche Darstellung der Ergebnisse in Lehre, Forschung und Wissenschaftsentwicklung zu reduzieren. Sie war auch gleichermaßen die persönliche Geschichte ihrer Mitarbeiter aller Generationen, mit ihrem Berufsleben eng verknüpft. Sie war für jeden Einzelnen mehr oder weniger mit politischem Bekenntnis zur DDR und mit den Zielen und Ergebnissen des Sports im Lande verbunden, aber auch mit Widersprüchen über die Probleme des Alltags. Anstrengungen, hohe Einsatzbereitschaft und zugleich Feiern und Geselligkeit in den Arbeitskollektiven gehörten dazu. Die DHfK war ein lebendiger Organismus, war erlebnisreicher und vielfältiger, als sie von manchem Historiker oder Journalisten der alten Bundesländer beschrieben wird, die sie während der 40 Jahre ihres Bestehens oftmals nur oberflächlich oder nie gekannt haben, bewusst sehr einseitig über sie berichteten. Treffen sich ehemalige Mitarbeiter der DHfK, so haben sie sich viel zu erzählen, Erinnerungen werden wachgerufen, ernsthafte und spaßige Episoden vorgetragen, Wertungen vorgenommen oder auch über Personen gesprochen, mit denen man gemeinsam tätig gewesen ist. Oftmals wird gesagt: „Das müsste man festhalten, um die Geschichte der DHfK zu vervollständigen“. Doch es geschieht meistens nicht. Formen und Möglichkeiten sind dazu auch beschränkt. Ich hatte mich schon längere Zeit mit dem Gedanken getragen, meine Erinnerungen unter einem solchen Gesichtspunkt zu rekapitulieren, zu ordnen und unter meiner persönlichen Sicht aufzuschreiben, die auch zur Illustration und Ergänzung einer systematischen Entwicklungsgeschichte der Hochschule beitragen können. Deshalb wird nicht der Anspruch erhoben, vollständig zu sein, chronologisch, alle Zeiträume der Existenz der DHfK aufzugreifen. Meine Schilderungen beziehen sich auf eine Auswahl von Geschehnissen und Sachverhalten, die mir für das Gesamtbild der Hochschule besonders wichtig erschienen, aber für eine geschichtswissenschaftlich exakte Betrachtung kaum in Frage kommen. Die nachfolgenden Abschnitte sind also keine wissenschaftliche Abhandlung mit Belegen und Quellenangaben. Sie beruhen auf ehemaligen Notizen in Arbeitsbüchern, stützen sich auf Manuskripte und Kalender, vor allem aber auf gedankliche Rekonstruktionen und Erinnerungsvermögen. Dadurch können manche Einzelheiten auch Irrtümern unterliegen. Namen werden nur in den Fällen genannt, wo sie dem Sachverhalt zum besseren Verständnis dienen. Bei dem zeitlichen Verlauf und der Art der Darstellung bin ich von meinen biographischen Schwerpunkten ausgegangen und habe sie als sogenannten „roten Faden“ benutzt, ohne den Anspruch auf eine Biographie zu erheben. Besonders bemüht war ich, so realistisch wie möglich an die Beschreibung der Fakten und Ereignisse heranzugehen und vor allem politische, sportpolitische und hochschulpolitische Tatsachen und Vorgänge, die unter heutiger Sicht und mit Abstand von mehr als einem Jahrzehnt unbequem sein können, nicht gedanklich zu verdrängen und sie in den Zusammenhang der politischen Verhältnisse zu stellen. Mein Bestreben war es somit, einen weiteren Beitrag zur Erfassung und Bewertung einzelner Abschnitte der Geschichte der DHfK und – soweit es einen inhaltlichen Bezug dazu gab – auch zur Sportwissenschaft und zu Körperkultur und Sport der DDR zu leisten und mich schriftlich festzulegen. Als Zeitzeuge, der den Hauptteil der Qualifizierung und des Berufslebens an der DHfK verbracht hat sowie mehrere Jahre auch in Leitungsverantwortung diese Hochschule unmittelbar miterlebte, können meine Betrachtungen vielleicht mehr als eine Fußnote Wert sein. Mein Dank gilt mehreren ehemaligen Kollegen der Hochschule und aus den Leitungsbereichen des Sports, die das Manuskript gelesen haben, mir zahlreiche Hinweise gaben und mich bestärkten, das Vorhaben zu Ende zu führen. Soweit ich mich ihren Auffassungen anschließen konnte oder sie dazu beitrugen, historische Begebenheiten genauer einzuordnen, habe ich sie selbstverständlich berücksichtigt. Während des Schreibens der Abschnitte kam es auch zu einem ursprünglich nicht beabsichtigten , nützlichen Nebeneffekt für mich. Mit dem Umgang eines Computers bisher unkundig, konnte ich zumindest diese moderne Technik soweit beherrschen lernen, um diesen Text und andere Texte schreiben zu können. Dabei kam es oft auch zu Stockungen und Pannen, weil z. B. der Computer beim Seiteeinstellen oder Formatieren nicht so wollte, wie ich gedachte, ihm Befehle erteilt zu haben. Meine Frau, die Kinder und in einem Fall schon ein Enkelkind waren deshalb sehr hilfreiche Begleiter. In manchmal aussichtslosen Situationen brachten sie die Texte wieder auf den Monitor. Mir wurde in dem Zusammenhang bewusst, welch großen Sprung die jüngere Generation im Wissen und Können, vor allem auf diesem Gebiet, der älteren Generation voraus hat. Deshalb beziehe ich sie in meinem Dank in gleicher Weise ein.

Qualifiziert und ausgemustert: Wie ich die DHfK erlebte

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