Читать книгу Wenn ich denn laufe, dann laufe ich - Norbert Schläbitz - Страница 10

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Trainingsalltag.

Von Flow bis Schweinehunden

Marathontraining – ich bin da hin- und hergerissen. Mittlerweile, nach einigen Jahren Marathon, habe ich da meine Erfahrungen. Manchmal ist es ok, aber manchmal ist es nicht ok. Wenn es „nicht-ok“ ist, dann erscheint mir mein Training wie eine Last. Schon zu Beginn fühlen sich die Beine müde an. Gleichzeitig meldet sich die listige Idee, du könntest doch aufhören. Morgen ist doch auch noch ein Tag. Ehrlich gesagt, ist das eine grottenschlechte Idee. Sie ist nicht nur der Tagesform geschuldet, sondern auch der Bequemlichkeit. Ein Training abzubrechen, ist schließlich keine große Sache. Im Gegenteil, die Couch verheißt Gemütlichkeit, ein kaltes Bier zudem Genuss. Endlich noch ein Buch, ein Film und – größtes Glück – mit meinem Schatz essen gehen (und vielleicht noch etwas mehr, doch darüber will ich schweigen hier), woran fehlte mir dann noch?

Auch einfach nur rumlungern – dösen mit unserer Katze auf dem Bauch. Und unsere Katze Minimou würde eine solche Früh-, Nachmittags- oder Abendgestaltung durchaus begrüßen. Das ist für sie das Größte. Zumindest glauben wir, das an ihrem Verhalten abzulesen. Wenn wir oder ich auf dem Sofa liege/n und sie von der Rückfront um die Ecke lugt, dann scheint es mir, dass ihre Augen erwartungsvoll leuchten, wenn sie einen von uns da so rumliegen sieht. Noch ein tiefer Augenblick zwischen Mensch und Katze, man sieht ein Einverständnis erlangen (nicht, dass ein Einverständnis zwingend nötig wäre, sie täte trotzdem, was sie für richtig hielte), und sie springt auf die Couch, den Schoß sodann, zwei, drei Drehungen, um den Bauch zurechtzudrücken, und dann Ruhe. Das alles könnte man tun. Doch alles zu seiner Zeit, die zu jeder Zeit sein kann, man weiß es nun mal nicht.

Zeiten allein mit Gemütlichkeit verstreichen zu lassen ist keine gute Idee, wenn man sich einen Marathon zum Ziel setzt, denn dieselben Verlockungen stünden mir auch am nächsten Tag vor Augen, möglicherweise dann mit einer Tagesform, die sich noch etwas schlechter anfühlte als die vom Tag zuvor. Und so rutscht man allmählich aus seinem Trainingspensum heraus, wenn man der Idee zu dösen immer wieder nachgibt. All die schönen Sachen lassen sich zumeist auch nach dem Training mit einem noch besseren Gefühl machen. Ich versuche also, Bequemlichkeitsideen nicht nachzugeben (kommt aber schon mal vor, ich gestehe es. Die nicht gelaufenen Kilometer addiere ich dann dem Folgetag mit dessen Trainingskilometern zu.)

Der Schritt vor die Tür, und los geht es. Die ersten Meter, der erste Kilometer wird gerne vom Schweinehundsyndrom begleitet, wenn es regnet, schneit, nass, kalt und dunkel ist: Was machst du da? Warum tust du das? usf. Dieser Schweinehund begleitet mich schon mein ganzes Leben, sobald Anstrengungen anstehen. Ich nehme ihn mittlerweile so, wie er ist, und lass ihn fragen, bohren: Meistens verliert er sowieso. Und wahrscheinlich wäre ohne ihn nach dem Lauf das Gefühl nicht so schön, der Versuchung widerstanden zu haben, wobei ich gegen Versuchungen prinzipiell ansonsten gar nichts habe.

An anderen Tagen kann ich es kaum erwarten, die Schuhe fest zu schnüren. Da kribbelt es in den Beinen. Ich muss dann raus. Selbst das Wetter spielt dann nur eine nachgeordnete Rolle. Es geht nicht anders. Ich muss dann laufen. Maria kennt das schon. An solchen Tagen ist es „ok“ und mehr als das. Es ist ein Muss!

Ich laufe zwischen drei und fünf Mal die Woche. In der Regenerationsphase nach einem Marathon laufe ich drei Mal die Woche maximal 50 km. Wenn dann die heiße Trainingsphase beginnt vor einem Marathon, laufe ich 4, manchmal 5 Mal die Woche zwischen 75 und 85 km, selten mehr, aber auch selten weniger. Eingestreut in die Woche ist dabei ein langer Lauf von 25 km aufwärts bis maximal 30 km. In der Regel sehe ich zu, dass es der 30-km-Lauf wird, aber ich erzwinge mittlerweile nichts mehr, das Körpergefühl muss stimmen auch deshalb, weil es jenseits der 25 km irgendwie doch fast immer anstrengend wird.

Manches Training ist auch kontraproduktiv, wenn ich zu viel will, der Körper aber weder mag noch kann. Die meisten Trainingseinheiten spule ich, Körper und Geist im Einklang, einfach so herunter. Hemd, Hose, Socken, Schuhe und mein unvermeidliches Stirnband, gegebenenfalls noch am Handgelenk ein Schweißband. Mehr brauch ich nicht.

Ach, mein Stirnband. Da habe ich so einen kleinen Spleen, eine Marotte entwickelt. Das Stirnband ist zunächst mal eine unvermeidliche Größe bei mir. Ich neige zum starken Schwitzen. Ohne Stirnband läuft mir nach spätestens einem gelaufenen Kilometer der Schweiß über das Gesicht und – schlimmer noch – in die Augen, was unschön brennt. Ich habe mich schon oft gefragt, wie andere damit klarkommen. Für mich stellt das eine große Behinderung dar. Mit dem Stirnband kann ich das eindämmen, und nach dem Training ist es wie ein nasser Lappen nass. Also: Ohne Stirnband geht praktisch nichts.

Bei Wettkämpfen trage ich zumeist mein blaues Stirnband mit dem Aufdruck Wilson. Und da beginnt dann der Spleen oder die Marotte. Er – also Wilson – ist sozusagen mein bester Freund beim Marathonlauf und mein unverzichtbarer Begleiter. Wilson weiß alles über mich beim Lauf. Er bekommt alles mit: meine Stärken, meine Schwächen, meine gesamte Tagesform, und vielleicht steht er sogar in Kontakt mit meinen Gedanken, Gefühlen, wer weiß?, so nah wie Wilson ihnen ist. Wilson, mein Begleiter.

Hieß der angemalte Basketball in dem Film Cast away mit Tom Hanks nicht auch Wilson? Auf alle Fälle hieß der Sieger des Berlin-Marathons im Jahre 2013 mit Vornamen auch Wilson. Wenn das kein Zeichen ist, dann weiß ich es nicht.

Nun denn und also: Wilson hat es einfach drauf. Ersatzweise habe ich noch ein schwarzes Stirnband von Nike. Aus irgendeinem Grund, den ich nicht näher erläutern kann, spielt es bei mir nur die zweite Geige. Es tut mir Leid für dich, Nike. Da ist nichts zu machen. Mittlerweile hat Wilson seine eigene innere Spannung zu großen Teilen schon verloren, er wirkt wie ausgeleiert, abgespannt. Kein Wunder nach so vielen Trainingsstunden und Wettkampfkilometern. So schade das ist und auch, dass er mir mittlerweile manchmal ins Gesicht rutscht, ich greife doch, wenn es darauf ankommt, auf ihn zu. Er bleibt meine erste Wahl.

Ich denke mal, ich bin nicht der einzige Marathonläufer, der sich so eine Marotte zu Eigen gemacht hat. Ich erinnere mich an einen Lauffreund aus Paderborn, genauer von unserem Lauftreff Elsen-Wewer, der lief immer mit einem Vereinshemd vom 1. FC Köln. Wenn ich das noch recht in Erinnerung habe, trug dieses aus leicht einsichtigem Marathongrund die Nummer 42.

Das Schöne beim Laufen ist, dass man keine festen Zeiten braucht. Auch das Sportgerät bleibt überschaubar. Als Anfänger reicht ein altes Baumwollhemd und eine kurze Hose. Lediglich bei den Schuhen sollte man nicht sparen. Und dann schaut man erst einmal, ob Laufen für einen etwas ist. Ich laufe gerne und oft morgens in der Frühe. Mein Bio-Rhythmus ist irgendwie so eingestellt. Die morgendliche Frische tut ein Übriges, mich zum Laufen zu ermuntern. Also raus vor die Tür, ich falle fast in die Natur, und schon geht es los. Bei den Streckenrunden variiere ich nur selten. Es gibt so zwei, drei, vier unterschiedliche Runden, und die laufe ich so gut wie immer. Ich bin da nicht so anspruchsvoll und auf Abwechslung erpicht. Vor die Tür zu treten heißt genauer, zum Elbe-Seiten-Kanal zu laufen, der etwa drei Kilometer von meinem Zuhause liegt. Manchmal mache ich ein paar Schlenker, dann erreiche ich ihn nach 6 Kilometern.

Tja und dann laufe ich erst Kilometer um Kilometer in die eine Richtung, passiere die eine oder andere Brücke, und je nachdem, ob ich mir eine 15-km-, 20-km- oder 30-km-Einheit vorgenommen habe, wechsle ich irgendwann auf die andere Seite, und ich laufe im Grunde dieselbe Strecke zurück. Also: Fürs Auge wird da nicht so sehr viel geboten. Das Streckenprofil sieht praktisch immer gleich aus. Es ist immer flach, es gibt keine großen Richtungsänderungen, nur geradeaus, bestenfalls mal eine endlos langgebogene Kurve, die sich beim Laufen aber auch beinahe gerade ausnimmt.



Ich könnte auch ganz andere Strecken laufen, durch den Wald zum Beispiel. Mache ich aber nicht oder fast nie. Das versteht nicht jeder. Ich schätze die gerade Linie. Der Boden ist immer eben. Ich muss wenig auf Unebenheiten achten. Eigentlich muss ich auf nix achten, bis auf irgendeine Brücke, wo ich mir vorgenommen habe, auf die andere Seite zu wechseln, und dann geht es zurück. Nicht dass es der Überquerung der Brücke bedürfte, ich könnte ja auch dieselbe Strecke am gleichen Ufer zurücklaufen. Es ist um der Abwechslung willen, dass ich am anderen Kanalufer zurücklaufe, wenn man denn von Abwechslung hier reden möchte, denn recht eigentlich bleibt es ja dieselbe Strecke, nur vom anderen Ufer aus betrachtet.

Lediglich im Sommer, wenn es heiß ist, ändere ich manchmal die Strecke. Und das hat keineswegs was mit der Sonne zu tun, der man mit zunehmender Uhrzeit nur schwer entgehen kann, sondern mit den Bremsen, die den Elbe-Seiten-Kanal irgendwie zuhauf bevölkern. Die sind eine echte Strafe. Sie sind lästig, hartnäckig, und ihre Bisse setzen mir erheblich zu. Ein großer Freund davon bin ich nicht. Selbst die nehme ich aber zuweilen in Kauf, um von meiner Gewohnheit nicht abweichen zu müssen. Ich bin da stur wie eine Katze: Auch die hassen Veränderungen und schätzen das Gewohnte. Vorne rum kann ich mit den Händen schlagen und so manche Bremse auf nacktem Arm erledigen sowie mit fuchtelnden Händen meinen Kopf vor ihnen, die sich auch schon mal im Haar, auch Ohr, verheddern, leidlich schützen. Schon mehr als einmal ist mir so ein Scheißding auch in den Mund geflogen. Selbst diese Unpässlichkeiten nehme ich klaglos nicht, aber doch in Kauf, nur um der Gewohnheit nicht zu weichen.

Erst zum Nachdenken hat mich ein anderes Bremsenereignis gebracht, als – an einem besonderen Bremsentag – diese Viecher auch meinen Rücken unaufhörlich attackierten. Mir war das gar nicht so bewusst unterwegs. Nur zwickte mich immer wieder was unangenehm am Rücken. Aber ich trug ja ein Hemd, und deshalb kam mir gar nicht in den Sinn, dass dies Bremsenbisse sein könnten. Erst zuhause spürte ich diverse rötliche Entzündungen auf meinem Rücken. Und mein Schatz zählte dann sage und schreibe 19 Bremsenbisse. Das war selbst mir zu viel. Da ich so meine Erfahrungen gemacht habe und weiß, zu welchen Tageszeiten und bei welchen klimatischen Bedingungen Bremsen gerne unterwegs sind, weiche ich dann doch manchmal auf andere Strecken aus. Man glaubt es kaum: Selbst mich beschleicht zuweilen die Vernunft.

Selten verlege ich meine Trainingseinheiten in den Nachmittag. Dann begleitet mich gelegentlich mein Schatz mit dem Fahrrad. Mein Schatz, das ist Maria. Und Maria ist eine tolle Begleiterin, nicht nur im Leben, auch am Elbe-Seiten-Kanal. Maria führt immer eine Wasserflasche mit und erinnert mich dann und wann, wie es denn mit einem Schluck Wasser wäre? Das sind die seltenen Male, wo ich auch beim Training trinke. Ich kann diese Gürtel einfach nicht leiden, in die man Flaschen stecken kann. Sie schlackern hin und her, egal wie eng man sie bindet. Also laufe ich 20, 30 Kilometer oft ohne einen einzigen Tropfen Wasser. Mit Maria ist das Luxus pur, wenn sie mir das Wasser reicht.

Kaum einmal bei solchen gemeinsamen Läufen entwickelt sich ein Gespräch. Aber das macht nichts. Man ist beieinander und spürt sich auch. So hängt jeder seinen Gedanken nach. Ich bin ohnehin beim Laufen zumeist in mich versunken. Wenn Maria mich begleitet, ist zwar jeder für sich mit seinen Gedanken, und man ist doch gemeinsam. Anders erklären kann ich es nicht. Nur dass es schön ist, diese Verbundenheit auch ohne große Worte zu spüren.

Abwechslung bringt auf meinen Strecken so mancher Frachtkahn mit sich. Ich liefere mir so das eine oder andere Mal ein kleines Wettrennen mit ihnen. Je nach dem, wie schwer die Lasten sind, die sie tragen, fällt das mal schwerer oder auch nicht. Eine wirkliche Chance haben sie nur dann, wenn ich müde bin und sie nicht so schwer beladen sind. Dann lasse ich sie von dannen ziehen. Mittlerweile kenne ich so manchen von ihnen, denn sie fahren diese Strecke öfters. Und sehen sie auch anfangs alle ziemlich ähnlich aus, so weiß ich nach einigen Begegnungen, den kennst du doch.

Wenn es rund läuft, fließen die Kilometer nur so davon, ich spüre die Kraft, und da ist es die reinste Freude, sich treiben zu lassen. Der berühmte „Flow“-Effekt, der Eindruck, beinahe zu fliegen, stellt sich manchmal ein. Schon in jungen Jahren, Jahrzehnte früher, habe ich mit ihm Bekanntschaft gemacht bei meinen Runden um den Baldeneysee in Essen. Dass sich die Bekanntschaft jetzt jenseits der 50 Jahre erneuern würde, hätte ich nicht gedacht. Der Flow-Effekt erzeugt ein Hochgefühl, einer Droge gleich, nur umsonst: Er kostet nichts.


Ich selbst habe beinahe keine Erfahrungen mit Drogen, welcher Art auch immer. Sicher, ich trinke Bier und Wein, praktisch keine Schnäpse, und bei Wein auch nur Weißwein. Rotwein, welcher Klasse und Güte auch immer, ist mir einfach nur ein Graus. Rotwein hat einen Grundgeschmack, der mir schlicht nicht zusagt. Aber Weißwein und Bier, da sag ich ja. Gut – auch Alkohol ist eine Droge, aber den klammere ich, wie überall in der westlichen Hemisphäre, einfach mal aus.

Da bin ich ganz ein Kind unserer Gesellschaft, die – wie mir scheint – zwischen guten und bösen Drogen unterscheidet. Alkohol gehört zu den guten Drogen, denn sie ist vor Strafverfolgung sicher, sie wird beworben, und die Supermarktregale sind voll davon. An der guten Droge Alkohol sterben jährlich etwa 73.000 Menschen. Dann gibt es noch die gute Droge Rauchen. Da will man Geschäft und Schutzmaßnahmen gleichzeitig, tätigt abenteuerliche argumentative Verrenkungen und bepflastert die Zigarettenpackungen in Bälde mit hässlichen Bildergeschichten. Aber auch sie wird beworben, und die Supermarktregale sind voll davon. An der guten Droge Rauchen sterben im Jahr ca. 110.000 Menschen. Daneben gibt es noch die bösen Drogen wie Heroin, Kokain ... und ganz am Ende steht das eher harmlose Cannabis, das als Einstiegsdroge trotzdem zu den bösen gehört. Hier sterben etwa 1.300 Menschen im Jahr.

Als Sportler in jungen Jahren, der die 100 Meter lief, glaubte ich, der Rauchkonsum könnte meine Leistung schwächen. Also ließ ich es! Dem Sport sei Dank! Zum Glück wusste ich damals auch noch nichts von den Kurzstreckenweltmeistern und Olympiasiegern, die selbst gerne mal eine rauchten. Wer weiß, wer weiß, was dann so aus mir geworden wäre? Da ich nicht rauchte, fielen auch die bösen Drogen weg, die rauchend konsumiert wurden: Haschisch bzw. Cannabis. Lediglich durch einen Plätzchenkonsum weiß ich um die Wirkung, die damit einhergehen kann. Ich fand das nicht so spannend. Also ließ ich es bleiben. Dem Sport habe ich viel zu verdanken. So auch hier.

Wer einmal high sein will, kann dies auch anders haben. Beim Laufen stellen sich solche Momente immer wieder mal ein. Ich kann das nur nicht steuern nach dem Motto: Heute gönne ich mir mal was. Das nun leider nicht. Solche High-Momente kommen oder sie kommen eben nicht. Zumeist bin ich allerdings schon eine Weile unterwegs. Sagen wir so nach 10 km oder 15 km kann der Kopf ganz anders klar werden, beschwingt, die Beine lösen sich vom Boden, und eine Art Fliegen beginnt. Mit dem ganzen Körper geschieht was. Damit verbunden ist eine Geschwindigkeitsmaximierung. Auch beim Marathon kann es mich zum Fliegen verführen. Das ganze Tosen und Brausen, das bewegte Leben um mich herum fördert diesen Eintritt. Die Begrifflichkeit des Flow trifft das Ganze ziemlich genau.

So ganz umsonst ist es aber doch nicht: Für den Eintritt bezahlt wird mit der Münze Laufen. Am Anfang steht also die Mühe, und ich kenne dieses Gefühl auch nur bei guter Form, wenn ohnehin die Beine sich leichter und schneller bewegen. Solange meine Beine sich mühen und über die Wege sich schleppen, ist mehr Down under angesagt, wenngleich ich – am Rande nur gesagt – Australien sehr schätze und wahnsinnig gerne einmal Ayers Rock sehen würde. Aber an den kommt man nicht mehr ran, da mittlerweile – so viel ich weiß – anerkannt ist, dass es sich um heiliges Land der Ureinwohner handelt, die Touristenströme nicht sehr schätzen.

Beim Marathon dem Floweffekt erlegen zu sein, birgt aber auch so seine Gefahren. Es fliegt sich schneller als es manchmal die Form zulässt und gut für einen ist. Mit anderen Worten: Man läuft zu schnell. Der Akku wird zu stark beansprucht. Sagen wir mal, zwischen Kilometer 20 und Kilometer 30 setzt man zum schönen Fliegen an und, unterlässt man jegliche Kontrolle, kann zwischen Kilometer 30 und Kilometer 35 eine Bruchlandung erfolgen. Fortan schleppt man sich mit Mühe. Also auch hier ist es kein ungetrübtes Vergnügen, wenn man nicht – bei allem Flow – einen klaren Kopf behält. Dem Flow kann auch hier ein böser Kater folgen. Das ist das Malheur bei allen Drogen, wenn man um den korrekten, verantwortungsvollen Umgang nicht weiß. Wer schon mal von Kilometer 32 bis ins Ziel mit leerem Akku gelaufen ist, weiß, wovon ich rede. Also auch hier will der Umgang mit dem High-Effekt gelernt sein.

Nicht immer trainiere ich alleine, in Paderborn tat ich dies nicht und auch im hohen Norden Lüneburg mache ich das nicht. Zum Marathontraining gehören nicht nur lange Läufe, sondern auch das Schnelligkeit und Härte bringende Intervalltraining. Dem Intervalltraining, das ich als junger Mann so mochte, stehe ich heute eher distanziert gegenüber. Es ist so anstrengend. Ich habe großen Respekt davor. In der Gruppe oder auch mit einzelnen Mitstreitern läuft es sich leichter.

Das Intervalltraining in Paderborn habe ich für einige Zeit öfters mit Heidi, einer guten Freundin, zusammen absolviert. Es hat uns beide, wie ich finde, vorangebracht. Heidi ist eine passionierte Marathon-Läuferin heute. Sie läuft Marathon auf Marathon. Mehrfach schon ist sie mir in Berlin beim Marathon, wo sie regelmäßig startet, über den Weg gelaufen, aber auch beim Marathon in Bad Salzuflen, mal aus Zufall, mal aber auch mit Verabredung.

Als sich das Training zeitlich nicht mehr koordinieren ließ, wechselte ich auf den frühen Morgen um 7 Uhr, noch vor der Arbeit, und trainierte im Ahorn-Sportpark. Das ist eine Sporthalle, die jedem frei zugänglich ist und die im ersten Stock mit einer 200-m-Rundbahn aufwartet. Eine tolle Einrichtung ist das. Hier bin ich Anke begegnet, und für ein Jahr prügelten wir uns zu früher Stunde um die Bahn. Auch das hat mir sehr gefallen und uns beiden gutgetan. Zusammen fällt das Training einfach leichter. Außerdem lernt man auf diese Weise auch liebe nette Menschen kennen. Irgendwann änderte sich ihr Arbeitsplan, und sie wechselte auf den Dienstagnachmittag. Ich folgte ihr.

Axel leitete dort jeden Dienstag das Training. Axel ist ein hervorragender Trainer, der eine bunt zusammengewürfelte Truppe aus unterschiedlichen Vereinen betreut. Er findet das richtige Maß zwischen Disziplin und Laufenlassen und auch dem Spaß. Seine Erfolge können sich sehen lassen. Es gibt so manchen aus seiner Gruppe, der sich mit Titeln schmücken kann. So schreibt er seine Trainingspläne für Sprinter, Mittelstreckler und auch Marathonis, und die Leute setzen diese um. Und die Erfolge geben ihm Recht. Heute lebt Axel in Höxter. Die Liebe hat ihn zurückgeführt in seine alte Heimatstadt, wie ich zu wissen glaube.

Die langen Läufe trainierte ich zu meiner Zeit in Paderborn entweder alleine oder mit meinen Lauffreunden vom Lauftreff Elsen-Wewer. Montagabends war ein Treffpunkt zum gemeinsamen Lauf. Dort fanden wir uns zusammen bei jeder Witterung: Magda, Erika, Ulrich, Mark, Rainer, Hubert und noch so mancher andere Läufer. Auch Samstagmittags fand ich mich gelegentlich in Wewer ein, um lange Strecken plaudernd in der Gruppe zu bewältigen. Gerade die ganz besonders langen Trainingsläufe lassen sich in der Gruppe leichter überstehen. Stets erzählt wer was, man nimmt die Strecke gar nicht so wahr. Das Miteinander lässt einen so manche Schwächephase überstehen. Und wenn man nur zu zweit unterwegs war, ergab sich doch schon so manches sehr persönliche Gespräch zumindest dort, wo die Freundschaft ohnehin sehr eng war. Man war einander dann Zuhörer und Ratgeber zugleich. Das waren sehr gute Läufe.

Viele liebe Menschen sehe ich seit meinem Umzug nach Lüneburg nur noch selten, manche auch gar nicht mehr. So ist es halt, das Leben (und ich sage dies nicht so einfach daher, sondern mit traurigem Unterton): Ein Kommen und Gehen ohne Unterlass. Festzuhalten ist da nichts. Im Jahr 2011, im Dezember, bin ich gegangen, zu einer anderen Zeit wird jemand anders gehen. Wohin? – das ist nicht zu wissen, nur dass es geschehen wird, das ist gewiss. Auf Zeit können wir uns gemeinsam Freude bereiten, feiern, eben auch gemeinsam laufen, eine gute Zeit miteinander verbringen, einander Halt auch sein und so auch helfen, soweit es geht. Und manchmal auch können wir uns gute, ja beste Freunde sein. Das hat alles seine Zeit. Begrenzt zwar immer, aber auch schön so oft.


Mittlerweile habe ich auch hier in Lüneburg wunderbare Mitstreiter gefunden, mit denen das Laufen leichter gelingt. Am Sonntag in der Frühe ist Trainingszeit. Und wie schön ist es, wenn man beim Start eines Laufes hier im hohen Norden den einen oder anderen kennt und Spaß zusammen hat. Es gibt so immer ein „Hallo“. So habe ich hier im hohen Norden eine neue Laufgemeinschaft gefunden.

Es sind mal mehr, mal weniger, die am Sonntag sich einfinden. Bis zu vierzehn, fünfzehn Läufer sind es manchmal schon, die sich in morgendlicher Frische treffen, in seltenen Fällen auch nur mal zwei. Aber irgendwer ist immer da. Ein paar von uns treten unter einem gemeinsamen Namen bei Volksläufen an: Lauftreff Düvelsbrook Dynamics. Ich denke, man wird von uns noch hören.

Wenn ich denn laufe, dann laufe ich

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