Читать книгу Wenn ich denn laufe, dann laufe ich - Norbert Schläbitz - Страница 11

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Des Läufers Hundeleben.

Begegnungen der unerfreulichen Art

Was ich beim Laufen so gar nicht schätze, ist die Begegnung mit Hunden. Leider ist sie unvermeidlich. Im Grunde habe ich nichts gegen Hunde. Ich mag Tiere und so auch Hunde, auch wenn ich bei der Wahl zwischen Hund oder Katze immer mich der Katze zuwenden würde. Aber Hunde beim Laufen, das ist eine Strafe. Da macht es auch keinen Unterschied, ob sie groß oder klein sind. Ein Ärgernis werden können sie oft in allen Größenklassen. Ein laufender Läufer muss bei einem Hund offenkundig alle Instinkte wecken und im laufenden Läufer den willkommenen Spielkameraden, die Beute, potentielle Nahrung oder was auch immer erkennen lassen.

Wenn ich schon von weitem einen frei laufenden Hund sehe und weiß, dass die Begegnung unvermeidlich ist, fühle ich mich unwohl und wappne mich für das, was da wohl kommen mag. Das Unwohlsein verstärkt sich, wenn Hund mich entdeckt und mit wedelndem Schwanz oder ohne – ganz gleich – auf mich, bellend mit schlackernden Ohren, zustürmt. Wie sehr schätze ich da eine gute Erziehung, wenn Herrchen, wahlweise Frauchen, Kommandos bellt und Hund gehorcht, er reumütig zurückkehrt und sich an die Seite von Herrchen, wahlweise Frauchen, gesellt. Ich bedanke mich dann immer artig, wenn wir einander passieren. Mancher, der seinen Hund kennt, führt auch Hunde-Leckerlis mit sich und füttert seinen Hund solange damit, bis er prall ist und ich wieder außer Reichweite bin. Wieder andere, ich laufe ja oft am Elbe-Seiten-Kanal entlang, greifen sich irgendein Stück Holz, werfen dies in den Kanal und Hund sofort hinterher, der Beute nach. Auch das schätze ich, wenn der Hund seine Beute aus dem Wasser fischt und nicht mich. Wer seines Hundes sich nicht sicher ist, nimmt diesen zuweilen auch an die Leine, eine Maßnahme, die mir Sicherheit verspricht. Mein Dank ist ihnen allen sicher. Neben dem hier im Norden obligatorischen „Moin“ werfe ich noch ein „Vielen Dank“ hinterher. Auch Herrchen, Frauchen, wollen ja ermuntert werden, sich dies zu lobende Verhalten auch künftig zu erhalten.

Aber dann gibt es auch jene, ich höre sie rufen, nur Hund wohl nicht. Während sie rufen „Sitz“, „Platz“, „Komm sofort hierher“, „Bei Fuß“, tobt Hund schon auf mich zu. Da weiß ich dann, es ist mal wieder so weit. Je nach dem, wie groß Hund ist, bleibe ich entweder stehen oder versuche Hund zu ignorieren, was aber zugegebenermaßen schwer ist, wenn um die Füße herum was wuselt, bellt, springt ...

Wenn ich trainiere, bin ich in Bewegung, ich laufe, das ist ja auch der Sinn des Ganzen. Wenn ich nun schon 20 km in den Beinen habe und stehen bleiben muss wegen Wusel-, Springkönig Hund, ist das eine für mich höchst unwillkommene Angelegenheit. Das Stehenbleiben bringt mich aus dem Rhythmus, vergegenwärtigt mich zugleich der Anstrengung, wie ich sie beim Laufen selbst nicht vergleichbar spüre. Schlimmer noch ist das Wiederanlaufen. Nach 20 km oder mehr mag der Körper nicht mehr unbedingt. Er möchte ruhen, es sich bequem machen. Über das Training will ich ihn ja schulen, solche Unleidlichkeiten als solche nicht mehr wahrzunehmen. Jetzt aber stehe ich einmal, während Hund mich bellend umtanzt, und die ganze Müdigkeit in den Beinen macht sich mit Macht bemerkbar. Ich empfinde ein solches Wiederanlaufen als quälend unangenehm. Diesem Umstand ist aber nicht zu entgehen, wenn großer Hund auf mich zurollt.

Das Dämlichste, was dann noch passieren kann – es setzt dem Ganzen sozusagen die Krone auf –, ist der Zuruf: „Keine Angst, der will nur spielen!“ Ich gestehe, da rutscht mir manchmal auch ein unfreundliches Wort heraus. Einmal, als mich so ein kleiner Kläffer umturnte, ansprang, jeder Versuch weiterzulaufen fehlschlug und die Hundebesitzerin jenen bei Läufern so ungemein beliebten, fast möchte man sagen, unvermeidlichen Satz zum Besten gab, sagte ich ärgerlich: „Aber vielleicht will ich ja gar nicht spielen.“ Das erzeugte gleich Unverständnis bei der Dame, weil ich diese so harmlose unaufgeforderte Spielaufforderung ihres Lieblings so schnöde zurückgewiesen hatte. „Vielleicht will ich ja auch erst gefragt werden, ob ich mitspielen möchte.“ Auch damit konnte ich nicht landen, während der Hund, der nur spielen wollte, mich langsam mit seinen Pfötchen zuschmutzte. Man glaube nicht, dass das ein Gegenüber immer interessiert. Mittlerweile war meine Laufhose von dem unermüdlich Spielenden doch ziemlich eingedreckt, ohne dass auch nur der Gedanke einer Entschuldigung sich im Kopf von Frauchen formulierte. An ein Weiterlaufen war nicht zu denken, das machte das Hündchen gänzlich wild. Schließlich, ich gebe zu, ich war ziemlich verärgert, sagte ich mit erhobener Stimme Sätze, die dann doch einen gewissen Eindruck hinterließen, vielleicht ob meiner Stimmgewalt, vielleicht aber auch ob des Inhalts, der sich dann doch im denkenden Teil des anderen, Gehirn genannt, einschlich, gar niederschlug? Ich sagte also (zur Erinnerung mit lauter erboster Stimme): „Ich stelle mir gerade vor, ich sehe Sie von weitem und tobe rennend und wild rufend auf Sie zu, wedle noch dazu meine Arme. Wenn ich Sie dann erreicht habe, springe ich um Sie herum, und nicht nur das: Ich zupfe an Ihnen herum, während ich so um Sie herumtolle. Sollten Sie sich das verbitten, ärgerlich oder gar ängstlich werden, sage ich mit treuem Augenaufschlag: ‚Ich weiß gar nicht was Sie wollen, ich will doch nur spielen.‘“ Für dieses Beispiel fand sie keine Worte mehr. Wir verließen einander ohne Konsens, ich mit schmutziger Hose und saumbeschmutzten Hemd, sie mit ihrem Hund endlich an der Leine, den es zerrend weiter in meine Richtung trieb, nur die Leine ließ ihn nicht. Geht doch! Ich mag das nicht, laufende Hunde, die mit mir spielen wollen. Aber noch viel weniger mag ich Frauchen (wahlweise Herrchen), die das nicht einsehen mögen.

Ich mag das seitdem umso weniger, als ich mich nach einer Meniskusoperation nebst Pause mühsam wieder in leidliche Form gebracht hatte und ich zwei Tage vor meinem ersehnten Start beim Marathon in Löningen eine letzte kurze 10-km-Einheit absolvierte. Ich lief mal wieder meine Standard-Lieblingsstrecke – zur Erinnerung – am Kanal entlang, als ich – bekanntes Muster – von weitem Frau und Tochter, wie ich später erfuhr, nebst einem großen schwarzen Hund sah, dessen Rasse mir undefinierbar schien. Irgendwie hatte er was von einem Golden Retriever, nur schwarz war er, konnte also ein solcher nicht sein. Zugleich steckte noch was von einem Riesenschnauzer in ihm – oder auch nicht. Auf alle Fälle kräftig wirkte er. Das war ihm fraglos anzusehen. Während ich so auf das Trio zulief, nahm ich schon mal das Tempo ein wenig heraus und suchte einen möglichst großen Abstand zwischen mir und den vier Pfoten herbeizuführen. Die beiden anderen hatte ich als harmlos eingestuft. Auch die Dame sah mich, nahm ihren Hund beiseite und dann ... fiel der Golden Retriever, der keiner war, mich an, als ich das Triumvirat schon fast passiert hatte, und biss mir leidenschaftlich stark in den Rücken. Keine Frage: das schmerzte sehr!

Das war nicht mein erster Hundebiss, den ich erleiden musste, aber fraglos der kräftigste von allen. Ich schrie auf, während die Dame versuchte, ihren Hund an der Leine zurückzuzerren. Zugleich war ich außer mir und fluchte, sie solle dieses Scheißvieh festhalten. Wer sich an dem Ausdruck „Scheißvieh“ stört, möge sich doch bitte auch einmal – harmloser Vorschlag nur – einmal beißen lassen und dann nach Worten der liebevollen Verständigung suchen, sich einfühlen in die Seele des Beißenden und freundliche Worte des Verstehens formulieren: Der Hund kann nix dafür, dass er beißt. Schuld haben Herrchen und Frauchen. Nun gut, ich hatte weder Verständnis noch entschuldigende Worte. Der Hund, zu dem mir das ausgesprochen originelle Kompositum „Scheißvieh“ eingefallen war, war kaum zu halten, und ich fürchtete, er würde sich abermals losreißen. Mir sind seine fletschenden Zähne, sein Knurren gedanklich noch sehr präsent. Das Tier war außer sich. Nicht minder aber ich. Ans Weiterlaufen verschwendete ich keinen Gedanken, mein Urteil wäre gesprochen gewesen und weitere Bisse wären die logische Folge, natürliche Instinkte, die mich endgültig zum Opfer gestempelt und den Trieb zum Erlegen der Beute nur befördert hätten. Zwar hing Hund an Leine, aber ob Dame Hund dann noch hätte halten können, da hatte ich so meine Zweifel. Außerdem spürte ich, wie mir das Blut den Rücken runter floss. Und nach dem Abebben des ersten Schocks setzten auch die Schmerzen ein. Die Dame und ihre Tochter hielten den Hund, so gut sie eben konnten. Und sie hatten Schwierigkeiten dabei. Das war offenkundig.

Ich lamentierte noch herum, ich würde die Polizei holen, während mir von der anderen Seite die Entschuldigungen nur so entgegenschallten. Endlich beruhigten wir uns alle ein wenig, selbst der Hund, nur sein Zähnefletschen, dass er partout nicht bleiben lassen wollte, fand nicht ganz meine Sympathie. Da wir alle im gleichen Ort wohnten, uns zwar nicht kannten und ich meine Idee mit der Polizei noch nicht verworfen hatte, begleitete ich das Trio nach Hause. Ein Handy führte nämlich keiner von uns mit sich. Zum Telefonieren hatte die Dame ihr Festnetz angeboten.

Endlich bei den Dreien zu Hause angekommen, fand der Hund ein sicheres Domizil. Die Dame bat mich, ob sie eine Erstversorgung der Wunde leisten dürfte, sie wäre Krankenschwester von Beruf. Misstrauisch geworden durch diese schmerzhaft verletzende Begegnung und auch zweifelnd, was das wohl werden könnte, ließ ich diese dann doch zu. Mir wurde auf einmal ziemlich schwindelig, und meine Beine sackten weg, fühlten sich butterweich an. Da ich manchmal zur Ohnmacht neige nach Verletzungen oder Körpereingriffen generell, sah ich eine solche schon auf mich zukommen. Ganz seltsam schummerig wurde mir zumute.

Das mit der Ohnmacht ist eine ganz blöde Angewohnheit von mir, mehrfach schon ist mir das widerfahren. Einmal, als ich während des Studiums einem Job am Fließband nachging und mir eine Wäschetrommel (ich baute Waschmaschinen zusammen) das Daumenfleisch spaltete, das war das erste Mal. Ich schaute mir den blutenden, nicht schön anzuschauenden Daumen an, und dann weiß ich nur noch, dass mir jemand ständig ins Gesicht schlug und in mir sich alles sträubte, „zurückzukommen“. Ich wollte bleiben, wo ich war, wo immer das auch war. Diese schwache Ahnung, bleiben zu wollen, wo ich war, daran erinnere ich mich noch, sie ist mir wie eingeschrieben in mein Bewusstsein. „Sie haben sich Ihren Daumen angesehen, und dann sind Sie langsam, gegen den Stahlpfeiler gelehnt, zu Boden gesunken“, so sprach der Vorarbeiter zu mir, der das Ganze beobachtet hatte. Ihm hatte ich auch die Ohrfeigen zu verdanken.

Das zweite Mal bin ich in Ohnmacht gefallen bei meiner Hausärztin, die mir vor einer mehrmonatigen Weltreise prophylaktisch mehrere Impfungen gab und einige Spritzen in den nackten Po setzte. Ich kann Spritzen nicht ausstehen. Den ersten Stich in den Po habe ich ja noch ganz mannhaft männlich – wie ein Held sozusagen – hingenommen, bei der zweiten Spritze aber bekam ich wieder diese Fallsucht. Abermals setzte es reichlich Ohrfeigen, wieder das Gefühl, bleiben zu wollen, wo ich gerade war (wo immer das auch wieder war), und als ich aufwachte, sah ich über mir meine Ärztin und satte drei oder vier Arzthelferinnen, die neugierig, aufgeregt, besorgt oder sonstwie (belustigt gar?) schauten. Und ich lag da am Boden mit heruntergelassenen Hosen, entblößt auf alle Fälle mit all den schönen Dingen, die ich Frau so bieten kann. Nur jetzt passte es so grad gar nicht. Kaum zu mir gekommen, schwindelig noch und doch von dem peinlichen Gefühl eines „Oh nee, muss das jetzt sein?“ war ich beseelt. Überdies lag ich in einem Scherbenmeer, da ich kopfüber in einen Hängeschrank mit Glastüren gestürzt war. Nun gut. Ich überstand auch dies.

Auch Zahnärzte haben an mir ihre Kunst, zu ohrfeigen, schon hinlänglich geübt. Blut abnehmen – o là là – ist nur mit Tricks an mir möglich, ansonsten ... Lassen wir das. Ich denke, es ist soweit klar geworden: Mit Ohnmachten kenne ich mich aus.

Wieder beschlich mich also das Gefühl, hinüber sinken zu wollen, und mit Macht stemmte ich mich dagegen. Die Mutter registrierte, wie ich fahl im Gesicht wurde, und mahnte besorgt: „Kippen Sie mir bloß nicht weg.“ Die Tochter holte mir was Kaltes zu trinken, während die Mutter mir die Wunde desinfizierte und verband. Im Hintergrund bellte der Hund im Hause, getrennt von mir durch eine bloße Zimmertür. Der irrationale Gedankengang eines „Hoffentlich hält die“ schoss mir durch den Kopf. Währenddessen, wie schon unterwegs, erzählte sie mir – Ablenkung tat Not und gut –, dass sie den Hund erst seit drei Tagen besäßen. Sie hätten ihn aus dem Tierheim geholt, und sie hätte um diese Reaktion nicht gewusst. Es täte ihr so leid. Auch hätte sie ihn ja an der Leine gehabt, aber seine Kraft doch sehr unterschätzt; er hätte sich losgerissen, ihr die Leine glatt durch die Hände gezogen. Und wie zum Beleg zeigte sie mir ihre geöffneten Hände. In der Tat wiesen einige Finger Brandblasen auf, durch die die Leine beim Angriff geschnellt war. Es wäre ihr nun klar geworden, dass er zu groß und stark sei. Sie könne sich nicht mehr vorstellen, dass sie ihre Tochter den Hund alleine ausführen ließe. Schon ihr war es schwer gefallen, ihn zu halten. Ihrer Tochter wäre das völlig unmöglich. Auch schwang latent die Angst in ihren Worten mit, dass Hund sich womöglich gegen Leinenhalter würde wenden wollen. Sie zog den Schluss: Der Hund muss weg, zurück ins Tierheim. Ihr Mann sollte ihn am kommenden Tag zurückbringen.

Und dann bat sie mich, doch von einer Anzeige abzusehen, sie könne verstehen, dass mir danach der Sinn stünde, aber dieser Hund hätte in der Vergangenheit schon mal jemand angefallen und gebissen, wie sie vom Tierheim wusste. Ein besonderes Training hätte eigentlich Abhilfe leisten sollen. Und sie fürchtete um das Wohl und Leben des Hundes bei einer offiziellen Anzeige wegen des erneuten Ausfalls. Vielleicht könne man ihn aber so durch ein weiterführendes spezielles Training retten. Wer mich kennt, weiß: Ich mag Tiere, ich mag auch Hunde (nur eben keine frei rumlaufenden, und schon gar keine unerzogenen). Und da ich Tiere mag, habe ich von einer Anzeige abgesehen. Mit meinem zerfetzten Hemd und verbundenen Oberkörper habe ich mich dann verabschiedet und noch am gleichen Tag einen Arzt aufgesucht zwecks Impfung, Behandlung und fotografischer Dokumentation der Wunde.

Im Spiegel sah ich dann später, dass sich das komplette Hundegebiss – Ober- und Unterkiefer – in meinen Rücken eingefräst hatte, wobei das noch sehr nett formuliert von mir ist – wie ich finde. Den Marathon bin ich dann doch gelaufen und angekommen – nach der verletzungsbedingten Trainingspause – in einer gar nicht mal so schlechten Zeit. Langsam verblassen die Narben im Rücken, aber die Erinnerung bleibt wach. Und klar geworden dürfte sein: Gut erzogene – und besser noch – an der Leine geführte Hunde sind mir eine echte Freude. Alles andere birgt die Gefahr für eines Läufers echtes Hundeleben. Ich mags einfach nicht, wenn Hunde mit mir spielen und manchmal auch noch mehr wollen ...

Wenn ich denn laufe, dann laufe ich

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