Читать книгу Prag. Eine Stadt in Biographien - Norbert Schreiber - Страница 8
ОглавлениеKARL IV.
1316–1378
Als Wenzel geboren, als Karl gefirmt, als Karl IV. gekrönt: Er war König von Böhmen und römischer Kaiser. Er machte Prag zum intellektuellen Zentrum Europas und gilt als »größter Tscheche aller Zeiten«.
Seine großen, dunklen Augen vermieden den direkten Blickkontakt, im Gespräch senkte er den Kopf nach vorne, denn er hatte sich auf dem Schlachtfeld einen Halswirbel verletzt. Bei Audienzen schnitt er mit einem Messer an Holzstücken herum. So schildern Zeitgenossen den Regenten, der als Sohn von Johann von Luxemburg und Elisabeth von Böhmen wie kein anderer die Topografie der Stadt Prag geprägt hat. Am Křižovnické náměstí (Kreuzherrenplatz), am Zugang zur Karlsbrücke 20 ( ▶ D/E 4), steht das von Ernst Hähnel 1846 errichtete Denkmal für Karl IV. hinter einem Gitterzaun.
In jenen Tagen des späten Mittelalters leben Adel, Klerus, Untertanen, deutsche, jüdische sowie arabische Kaufleute und später das sich entwickelnde Bürgertum gemeinsam mit den Studenten und Professoren bis zu den Religionskriegen noch halbwegs einvernehmlich miteinander. Der siebenjährige Knabe Wenzel wird zur Erziehung an den französischen Hof geschickt. Nach Prag zurückgekehrt steigt in seiner Zeit der Regentschaft die Stadt an der Moldau zur Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches auf und er selbst 1355 zum römisch-deutschen Kaiser. Karl IV. gründet die Karls-Universität Prag (Univerzita Karlova v Praze): »Auf dass Unsere getreuen Untertanen, die unablässig nach dem Genusse der Wissenschaft dürsten, nicht gezwungen, in der Fremde um Brocken zu betteln, im Königreich ihren gedeckten Tisch finden«, heißt es in der Stiftungsurkunde aus dem Jahre 1348.
Karl IV. baut »den Aufschwung«: zunächst den St.-Veits-Dom (Katedrála oder chrám sv. Víta), dann die Karlsbrücke (Karlův most), er erweitert den Hradschin (Hradčany) 16 ( ▶ A 3) und die Burganlagen um den Wyschehrad (Vyšehrad) und baut für die sichere Aufbewahrung der Insignien die Burg Karlštejn.
Auch kirchlich gewinnt Prag an Bedeutung. Das Prager Bistum wird 1344 zum Erzbistum aufgewertet, Karl IV. hortet eben auch gern Reliquien. Ein Kreuz- und Speersplitter aus dem Kreuzungsszenario um Jesus Christus, auch ein Teil der Peitsche, mit der Christus gegeißelt worden sein soll, zwei Dornen aus dessen Krone, die Gebeine von Abraham, Isaac und Jakob, das Tischtuch vom Abendmahl und vieles andere mehr. Seit 1355 wird das Haupt des heiligen Veit im St-Veits-Dom ( ▶ B 3) als Reliquie aufbewahrt. Dort sind auch die Gebeine von Ottokar I., Rudolf II., Karl IV., Wenzel IV., Ferdinand I., Maximilian II. und Maria Amalia von Österreich bestattet, also die wichtigsten Kaiser und böhmischen Könige.
Als Karl IV., aus Frankreich kommend, zurückkehrt, klagt er: »Die Prager Burg ist nicht bewohnbar, sie ist verwahrlost, wurde verlassen und zerstört.« Seine ganze Aktivität gilt nun der Modernisierung der böhmischen Hauptstadt. 1348 legt er den Grundstein zur Nové Město (Neustadt). Den Christen und Juden verspricht der König zwölf Jahre Steuerfreiheit, wenn sie in der Neustadt ein Haus erbauen. Prag wächst zur größten Stadt Europas heran und läuft London und Paris den Rang ab.
PRAG WIRD DAS ABENDLÄNDISCHE ZENTRUM
Karl baut neue Wirtschaftszweige auf, importiert Weinstöcke und Obstbäume, sorgt für die Wiederaufforstung der Wälder und fördert weitblickend den europäischen Handelsverkehr, der durch Prag strömt. Der Historiker Petr Hlaváček sagt: »Gerade er leitete auch den anhaltenden Dialog Böhmens mit Europa ein, als er das böhmische Königreich in einen intensiven Kontakt mit deutschen, französischen und italienischen Kulturzentren brachte.«
Der Hof des Kaisers ist in dieser Zeit das Zentrum des Abendlandes. Karl IV. schreibt in gravitätischem Latein sogar eine Biographie, »Vita Caroli Quarti«, die von der Geburt Karls 1316 bis zu seiner ersten Königswahl 1346 berichtet, ein für das Spätmittelalter einmaliger Vorgang, eine Art Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache. Der Herrscher über das Heilige Römische Reich, das von Luxemburg bis Mähren und von Kärnten bis Stettin reichte, korrespondiert mit dem italienischen Literaten Petrarca. In der »Goldenen Bulle«, einem kaiserlichen Gesetzbuch, einer Art Grundgesetz, formuliert er: »Ein jedes Reich, das der Zwietracht verfällt, wird in sich zusammenbrechen, weil seine Fürsten sich zu Gefährten von Räubern und Dieben gemacht haben.«
Dennoch führt Karl IV. Krieg gegen Ungarn, vereinnahmt die Mark Brandenburg, wird Administrator der Kurpfalz. Sein staatliches Ausdehnungsbestreben korrespondiert mit dem städtischen. Er errichtet die Prager Neustadt, »um Ehre, Freiheit, Wohlergehen und Freude aller zu mehren und sie vor jeglicher Gewalt zu schützen«. Und im Stadtteil Vyšehrad erweitert Karl IV. die Verteidigungsanlagen. 200 Steinmetze, 300 Arbeiter, 130 Hilfskräfte in den Steinbrüchen schleppen schwerste Steine, Sand und Wasser, um den neuen Königspalast auf der Berganhöhe Vyšehrad fertigzustellen. Wenn der Prager Frühling meteorologisch ausbricht, pilgern die Prager auf die Anhöhe Vyšehrad, besuchen den Ehrenfriedhof, schauen von den Burgwegen hinunter auf die Moldau und die Dächer der Stadt, die in der Sonne goldfarben glänzen – das goldene Prag.
Karl IV. erbaut den gotischen Königspalast, die Kapitelkirche, das Špička (Spitze) genannte gewaltige Tor und einen Schutzwall mit 15 Türmen. Die heutige Anlage ist eher ein Park mit der gotischen Kathedrale von St. Peter und Paul. Zu besichtigen sind die Kasematten und der unterirdische Saal Gorlice, in dem sich einige der Originalstatuen von der Karlsbrücke befinden.
Karl IV. prägt das Bild der Stadt wie kaum ein anderer mit neuen Klöstern, Pfarrkirchen und Märkten: Der frühere Pferdemarkt ist heute der Wenzelsplatz (Václavské náměstí) 36 ( ▶ J 7), der Rindermarkt jetzt der Karlsplatz (Karlovo náměstí), hier wurde auch Fisch-, Holz- und Kohlenhandel betrieben. Im alten Prager Stadtrecht ist das Zusammenleben streng reguliert, es sieht bei Verstößen drastische Strafen vor: bei Mord – Rädern; Giftmord – Vierteilung; Kindesmord – Begraben bei lebendigem Leib; Totschlag – Enthauptung.
Karl IV. ist ein aktiver Herrscher. Er verbreitert die Handelsstraßen und vereint die Staré Město (Altstadt) mit der Pražské Nové Město (Prager Neustadt). Verbunden sind sie durch die Karlsbrücke, eine der ältesten Steinbrücken Europas, die mutmaßlich dem Vorbild der Römerbrücke von Trier (144–152) oder der Steinernen Brücke in Regensburg (1135–1146) nachempfunden wurde. Die Karlsbrücke ist 516 Meter lang, 10 Meter breit und hat 16 Bögen. Die barocken Heiligenskulpturen auf der Brücke sind erst um 1700 entstanden. Nepomuk, der heilige Joseph und die heilige Elisabeth blicken auf Touristen und die Moldau. Man glaubt es nicht, und dennoch ist es offenbar wahr: Die Brücke wurde mit einer Mischung aus Eiern, Sauermilchkäse und Wein ausgemauert. Dieser sogenannte römische Mörtel wurde bei der Renovierung im Jahre 2008 nachgewiesen.
Der Baubeginn war von Astrologen auf den 9. 7. 1357 um 5:31 Uhr datiert. Die »Zukunftsforscher« des Mittelalters wählten dieses Datum aus, damit die Brücke nie der Zerstörung anheimfällt. Man beachte: Die Zahlen zeigen eine auf- und absteigende Reihenfolge: 1–3-5–7-9–7-5–3-1. Das okkulte Planen half nichts, Flutwellen beschädigten sie immer wieder. Aber die Touristenströme, die halte ich aus, sagt sich die Karlsbrücke. Hier sind heute die meisten Mobiltelefone und Kameras pro Quadratmeter zu finden. Dazu Begleitmusik von Jazz- und Drehorgelspielern, leise Comicporträtisten und listige Taschendiebe. Die Heiligenfiguren sind schwarz verschmutzt, doch da, wo Touristen die Figur des ins Wasser gestürzten heiligen Nepomuk berühren, um ein bisschen Glück einzufangen, glänzen sie golden. Über diese Brücke schritten schon die böhmischen Könige zur Krönung.
ER GRÜNDET DIE UNIVERSITÄT VON PRAG
Eine der wichtigsten Entscheidungen in der Regierungszeit Karl IV. war die Gründung der Karls-Universität nach den Vorbildern von Paris und Bologna. Das Karolinum 21 ( ▶ G/H 4) ist das älteste Hochschulgebäude, zuvor war es das Wohnhaus des Münzmeisters Johlin Rotlöw. Finanziert wurde der Gründungsakt am 7. April 1348 – die Gründungsurkunde liegt feuerfest gesichert im Keller des Karolinums – durch die böhmische Staatskasse, die Einführung einer Steuer für den Prager Klerus, durch Schenkungen, Geldsammlungen und – man beachte – durch Studiengebühren, mit einem Zuschlag für das Sitzen in den ersten Reihen der Vorlesungssäle. Die Studenten kamen aus Böhmen, Mähren, der Slowakei, Ungarn, Schlesien, Polen, Litauen, Bayern, Österreich und Sachsen. Im Karolinum wohnten die Professoren, arbeiteten die Universitätskanzleien, war die Fakultät der Schönen Künste untergebracht. Später wurden viele Universitätsgebäude dazu gebaut, auch das heutige Karolinum, in dem das Zeremoniell der Promotion abgehalten wird. Inzwischen sind die 160 verschiedenen Institute in der ganzen Stadt und im weiteren Umkreis von Prag verstreut. Etwa 50 000 Studenten sind heute an der Hochschule eingeschrieben.
23 Kilometer südwestlich von Prag ragt die Burg Karlštejn (Karlstein) aus der Landschaft. Hierhin zog sich der mächtigste Mann des Spätmittelalters gern zu »geistiger Versenkung« zurück. Die imposante und völlig intakte Wehranlage thront stufenförmig auf einem Felsen. Sie wurde als Festung zum Schutz der Krönungskleinodien und des Stadtschatzes sowie wichtiger Urkunden errichtet. Das Zentrum des Dorfes Karlštejn ist etwa 1,5 Kilometer von der Burg entfernt. Dort gibt es zwar Taxis und Pferdekutschen, aber sie sind touristisch überteuert. Den Droschkenfahrern klingt wohl immer noch ein historisches Wort über den Karlsteinerbauer Karl IV. im Ohr: »Er war ein Kaufmann auf dem Kaiserthron.«
(Hradschin/Burgstadt)
Prazský hrad Hrad III. nádvoří, Hradčany
▶ Metro: Hradčanská, Malostranská, Tram: Prazsky Hrad
(Karlsbrücke)Mostecká 49/12, Malá Strana
▶ Metro: Staroměstská, Malostranská, Tram: Karlovy Lazne
KAROLINUM IN DER KARLS-UNIVERSITÄT 21 ▶ G/H 4
Ovocný trh 3–5, Staré Město
▶ Metro: Můstek
VYŠEHRAD
V Pevnosti 159/5 b, Vyšehrad
▶ Metro Vyšehrad, Tram: Albertov oder Vyton