Читать книгу Der dritte Versuch Die Drachenjägerin - Norbert Wibben - Страница 7
Schlechte Nachrichten
ОглавлениеDie Truppen der Dubharan überfallen im Süden die Orte, die ihnen noch keine Gefolgschaft geschworen haben, wobei auch einsame Anwesen nicht verschont werden. Inzwischen bewegt sich das zweite Heer nicht mehr heimlich durch die Regionen im Osten. Es verfolgt den Auftrag, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, damit die kleine Truppe Deans ihrer Aufgabe folgen kann. Sie haben zuerst jede Auseinandersetzung vermieden und sind unermüdlich marschiert. In der Nacht legten sie nur kurze Pausen ein, um den Abstand zu Deans Schar schnell zu verringern. Als sie in der Nähe der alten Königsburg im Osten erkennen, dass ihnen das gelungen ist, greifen sie seitdem jede Siedlung an, die auf ihrem Weg liegt. Anders als das Heer im Süden lassen sie in den Orten aber keine Besatzungen zurück. Damit die wenigen Reiter Deans als Späher wirken, halten sich die Fußsoldaten nicht lange mit den Überfällen auf. Sollte der Widerstand heftiger als erwartet sein, brechen sie die Aktion ab, um den Abstand zwischen sich und den Reitern nicht wieder groß werden zu lassen. Sind sie erfolgreich, ziehen sie kurz plündernd durch die Straßen. Es wirkt wie ein unheimlicher Spuk, der Tod und Verwüstung hinter sich lässt.
In den anderen Regionen des Landes ist es dagegen bisher seltsam ruhig geblieben. Das große Heer, das von Finn und Ryan beobachtet wird, hat, bis auf den eher zaghaften Angriff auf den kleinen Ort im Westen, keine weiteren Aktionen gestartet. Es scheint das Ziel zu verfolgen, möglichst unbemerkt und ohne Aufsehen in den Norden vorzustoßen.
Von alldem bekommen Juna und Cloe in ihrem einsam gelegenen Haus nichts mit. Seit das Volk der Südelfen vor vielen Jahren durch die Dubharan vernichtet worden war, hat sich Juna in die Einsamkeit zurückgezogen. Auf einer der wenigen Zaubererversammlungen, an denen sie dann noch teilgenommen hatte, lernte sie durch Zufall den späteren Vater Cloes kennen. Ihr neues Heim verlassen wollte sie nicht. Sie hatte sich derart an ihr zurückgezogenes Leben gewöhnt, dass dieser ihr ohne Widerspruch dorthin folgte. Sie lebten zufrieden für sich allein, bis ihr Glück mit der Geburt Cloes vollständig zu sein schien. Gelegentlich besuchte Ainsley, die Schwester des Vaters sie, die zur Patin der jungen Elfe ernannt worden war. Doch als die Dubharan ihren zweiten Versuch unternahmen, die Herrschaft im Land an sich zu reißen, konnte und wollte der Vater die Elfen seines Volkes im Osten unterstützen. Er starb bei dem Kampf um die Königsburg der Menschen und hinterließ eine verbitterte Elfe mit einem kleinen Kind. Diese zog, auf sich allein gestellt, ihre Tochter liebevoll auf, denn ein Ortswechsel kam für sie jetzt erst recht nicht in Frage, obwohl ihre Schwägerin sie oft drängte. Seit jenem Verlust forscht Juna nach einer Möglichkeit, die verhassten Dubharan für das ihr zugefügte Leid zu bestrafen.
Während der Suche nach magischen Wesen an der Westküste, hatte Cloe von ihrer Mutter endlich die Gründe für ihr zurückgezogenes Leben erfahren. Die junge Elfe versucht deshalb ebenso wie Juna, diese Kreaturen zu beherrschen. Dabei ist ihr der Greif am liebsten.
»Das ist zwar ein starkes Wesen«, pflegt ihre Mutter sich dann zu äußern, »aber ein Drache oder der Drachengeist ist wesentlich mächtiger. Wenn ich den nur endlich kontrollieren könnte!« Die Tochter schüttelt jedes Mal betrübt den Kopf. Juna scheint starrköpfig daran festzuhalten, nur diese Kreatur könne ihr helfen, Rache an den Dubharan zu nehmen. Oder ist es einfach ihr Plan, dass sie das Wesen, das so viel Kummer in ihr Leben gebracht hat, gegen ihre Feinde hetzen will?
Cloe kommt eines Abends von einem Besuch bei ihrer Tante Ainsley zurück, bei dem ihre Mutter sie natürlich nicht begleiten wollte. Sie bringt beunruhigende Neuigkeiten über die Aktionen der Dubharan mit und brennt vor Ungeduld, sie mitzuteilen. Doch im Haus ist es unnatürlich ruhig. Das Ticken der alten Standuhr vermittelt zwar den gewohnten heimeligen Eindruck, trotzdem rieselt der jungen Elfe ein Angstschauer über den Rücken. Woran es liegt, weiß sie nicht, doch ihr Puls beginnt zu rasen.
»Mom, wo steckst du?«, ruft sie in der verwaisten Wohnstube. Eine Antwort bleibt jedoch aus. Von Unruhe getrieben, ruft Cloe immer wieder nach der Mutter, wobei sie einen Raum nach dem anderen betritt. Doch das Haus ist verlassen! Was ist, wenn die Dubharan sie überfallen haben, so wie das an vielen Orten im Süden und Osten passiert? Dann wird sie bereits getötet oder verschleppt worden sein. Sie liegt möglicherweise in einem Gefängnis und wartet schwerverletzt auf Hilfe. Allein konnte sie nicht gegen mehrere …
Cloe unterbricht ihre sich jagenden Gedanken. Wenn es einen Überfall auf ihre Mutter gegeben haben sollte, müsste es hier anders aussehen! Es wirkt eher so, als ob das Haus freiwillig verlassen wurde. Aber warum? Ihre Mom ist doch sonst fast immer hier. Am Morgen, als Cloe sich von ihr verabschiedete, hatte sie nicht angedeutet, erneut nach magischen Wesen suchen zu wollen. Das wäre zwar eine Möglichkeit, weshalb sie das Haus verlassen haben könnte, aber einen Blutmond hat es nicht schon wieder gegeben. Falls sie also einer anderen, plötzlichen Idee gefolgt sein sollte, müsste eine Nachricht von ihr zu finden sein! Die Elfe rast in das Wohnzimmer zurück und sucht auf dem Esstisch und dann auf dem Schreibtisch nach einer Notiz. Doch sie findet keine. Eine neue Idee veranlasst sie, erneut den Sekretär zu durchsuchen. Sie öffnet Schubladen und schaut in Fächer, hebt Papiere an und schüttelt schließlich enttäuscht den Kopf.
»Wo ist das Buch geblieben?«, murmelt sie leise, während sie zum Bücherregal hinübergeht. Nach längerer Suche ist sie sicher, dass das Buch über die magischen Wesen dort auch nicht zu finden ist. Erneut steigt Unruhe in Cloe auf. Es sieht ihrer Mutter nicht ähnlich, das Haus ohne eine Nachricht für ihre Tochter zu verlassen, jedenfalls nicht unter normalen Umständen. Es sei denn, sie wollte unlängst zurück sein, noch bevor Cloe vom Besuch ihrer Tante zurückerwartet wurde. Aber das bedeutet dann vermutlich, dass Juna etwas passiert sein muss! Ein kalter Schauer läuft der Elfe über den Rücken. So, als würde jemand mit einem Stück Eis darüberstreichen.
»Mom! Was ist passiert?«, ruft Cloe wider besseres Wissen. Wie soll sie eine Antwort erhalten, wenn ihre Mutter nirgends zu finden ist. Da die beiden Elfen stets zusammen sind, fällt der Tochter erst jetzt die sonst fast nie genutzte Möglichkeit der gedanklichen Kontaktaufnahme ein. Sie setzt sich auf einen Stuhl, nimmt den Kopf zwischen die Hände und versucht es. Von innerer Unruhe getrieben steht sie schon bald wieder auf. Stillsitzen kann sie jetzt nicht. Auch während ihres unsteten Hin- und Herlaufens sendet sie andauernd: »Mom, melde dich! Wo bist du?« Doch eine Verbindung kommt nicht zustande. Cloe meint, mittlerweile zu ersticken. Ihr Hals fühlt sich an, als würde er ihr zusammengedrückt. Sie muss nach draußen, die Luft im Haus wirkt plötzlich derart dicht, dass sie nicht mehr eingeatmet werden kann. Panik steigt in der Elfe hoch. Sie taumelt beim Wechsel in die Küche und schafft es mit letzter Kraft, dort die Tür in den Garten zu öffnen. Auf der Schwelle bricht sie zusammen und streckt die Arme in einer hilflosen Geste aus. Ihr ist kurzzeitig schwarz vor Augen und Schweißperlen sammeln sich auf ihrer Stirn. Ihre Augenlider flattern, dann kommt sie wieder zu sich. Der Bauch scheint sich zu einem Knoten zusammenzukrampfen und drückt, als befände sich dort ein harter Stein. Ihr laufen unbemerkt Tränen übers Gesicht. »Mom, melde dich!«, sendet sie erneut. Aber auch jetzt ist es vergeblich.
Die hastigen Atemzüge der Elfe erinnern an das verzweifelte Schnappen nach Luft, eines im Wasser ums Überleben Kämpfenden. Cloe beruhigt sich nur langsam. Die warme Abendluft umfächelt ihr Gesicht und einige leise Vogelstimmen dringen allmählich in ihr Bewusstsein. Sie atmet jetzt langsam und gleichmäßig und richtet sich vorsichtig auf. Immer noch verwundert über ihre unerklärlich heftige Reaktion, sucht sie nun im Garten und in der Nähe des Hauses nach der Mutter. Die Bewegung beruhigt sie zusätzlich, auch wenn sie Juna nicht findet. Sie kehrt ins Haus zurück und plötzlich durchfährt sie ein Gedanke. Der Keller! Sie hat bei ihrer Suche die unteren Räume vergessen! Um sich nicht erneut in eine Situation voller Panik hineinzusteigern, geht sie bewusst langsam in den hinteren Bereich des Hauses, um dort über eine Stiege in die Kellerräume hinunterzusteigen. Hier ist es dunkel. Darum erwartet Cloe auch nicht, ihre Mutter zu finden, als sie mit »Solus« eine Lichtkugel herbeiruft.
»Nein! Mom! Nein!«, ruft sie voller Schrecken, während sie die letzten Stufen der Treppe hinunter stolpert, um möglichst schnell zu der Gestalt zu kommen, die hier bewegungslos auf dem sandigen Kellerboden liegt. Im nächsten Moment hockt sie vor Juna und versucht, ein Lebenszeichen zu entdecken. »Lebensenergie. Du musst Lebenskraft übertragen!«, vernimmt sie eine Stimme, die in ihr Bewusstsein zu dringen versucht. Cloe hockt völlig erstarrt, betäubt und hilflos vor ihrer Mutter, deren Anblick grauenhaft entstellt ist. Kann es noch Leben in diesem mit Verbrennungen übersäten Körper geben? Von den Haaren sind nur noch gekräuselte Reste vorhanden und die Kleidung existiert fast nur noch als schwarze Fetzen. Gab es hier also doch einen Überfall der Dubharan? Aber wieso? Die wissen sicher nicht, wo sich Junas Heim befindet und einen Grund für einen Angriff können sie auch nicht haben, oder doch?
»Reiß dich zusammen! DU MUSST LEBENSENERGIE ÜBERTRAGEN!«, schreit ihre innere Stimme. Wie aus einem Traum aufschreckend, fährt die Elfe hoch und blickt dann erneut auf ihre Mutter. Jetzt hält sie die Hände über die bewegungslose Gestalt.
»Beatha. Beatha. BEATHA!«, ruft Cloe verzweifelt. Sie hofft, dass sie nicht zu spät reagiert hat. Die nächsten Augenblicke scheinen Stunden und nicht nur wenige Bruchteile einer Sekunde zu dauern. Zuerst bemerkt sie es nicht, aber dann sieht sie das goldene Gleißen, das von ihren Händen zu ihrer Mutter hinüberfließt. Es ist zwar sehr schwach, aber es ist vorhanden. Sie spürt ein feines Kribbeln. Warum wird das Licht nicht stärker? Die Elfe kneift die Lippen zusammen und versucht, mit großer Anstrengung, mehr Energie zu ihrer Mutter hinüberzupressen. Mit einem Mal wird es finster um sie herum und Cloe unterbricht hastig die Übertragung. Schwer atmend, wie nach einem langen Lauf, hockt sie am Boden und keucht heftig. Sie hat nicht aufgepasst und sich fast völlig verausgabt. Sofort überwältigt sie ein Hustenreiz und ihr ist übel. In der Luft schweben bläuliche Schwaden. Sie bezwingt den Reiz, beugt sich zu ihrer Mutter hinab und versucht ihren Puls am Hals zu ertasten. Hier ist die Haut nicht geschädigt, aber Cloe kann keinen feststellen, es scheint kein Lebenszeichen zu existieren! Aufgeregt hält sie ihren Kopf mit dem Ohr auf den Oberkörper Junas und horcht nach dem Herzschlag. Der verbrannte Stoff reizt ihre Atmung, trotzdem zieht sie den Kopf nicht zurück. Zuerst meint sie, nur das Rauschen ihres eigenen Blutes zu vernehmen, das unnatürlich laut zu sein scheint. Aber dann ist er zu hören, der Herzschlag ist vorhanden! Er ist zwar schwach und sehr unregelmäßig, aber er ist da! Die Elfe berührt ihre Mutter und nutzt den magischen Sprung. Sofort befinden sie sich in Junas Schlafzimmer, wo Cloe die immer noch bewusstlose Gestalt auf das Bett legt. Erneut horcht sie nach dem Puls und nickt dann zuversichtlich. Sie überträgt nochmals Lebensenergie und behandelt nun auch mit »Salvus« die Verletzungen an Händen und Gesicht. Sie zieht die verbrannten, fast verkohlten Kleidungsstücke vom Körper der Mutter und versorgt auch dort die vielen Verbrennungen, die sie erst jetzt bemerkt. Anschließend deckt sie ein kühles Leinentuch über Juna und rückt einen Stuhl neben das Bett, auf den sie sich setzt. Sie will sofort zur Stelle sein, wenn Hilfe notwendig werden sollte und wartet, dass ihre Mutter erwachen wird.
Grübelnd versucht sie, sich zusammenzureimen, was passiert sein mag. Erst jetzt dringen die Bilder aus dem Kellerraum zu ihr durch. Was bedeutet das? Die Regale mit Vorräten sind nicht mehr vorhanden. Die Gläser liegen zerbrochen am Boden und Reste eines stinkenden Qualms hängen ätzend in der Luft. Deshalb hatte sie auch diesen unerträglichen Hustenreiz! Sollte es dort gebrannt haben und Juna wollte das Feuer löschen? Dafür sprechen der Rauchgeruch ihrer Kleidungsfetzen und ihre Verbrennungen. Aber wodurch sollte im Keller ein Brand ausbrechen? Sie benutzen niemals eine Fackel, um etwas zu sehen, sondern Lichtkugeln. Außerdem könnte Juna eine Feuersbrunst sofort mit »Uisge« löschen, womit ein großer Wasserschwall heraufbeschworen wird. Weshalb sollte sie einem Feuer derart nahekommen, dass es ihre Kleidung erfassen kann? Was kann die Ursache gewesen sein? Obwohl es auf der Hand liegt, kommt Cloe nicht drauf.