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Alarm in Munegard

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Es ist um die Mittagszeit, am Tag nach Finns Entkommen. Durch die Küche der Festung Munegard zieht der Geruch von Essen. Ein riesiger Herd steht unter einem gewaltigen Abzug. Die Küchenmädchen laufen eilig hin und her, holen Zutaten und bereiten diese vor. Der Küchengehilfe legt Holz nach. Er schließt die Feuerklappe, nachdem er die letzten Scheite hineingesteckt hat.

»Beeilung, wir sind schon etwas in Verzug. Gleich wird der Beginn der Mahlzeit ausgerufen. Habt ihr eure Kleidung gerichtet? Wenn ihr das Essen auftragt, habt ihr ordentlich auszusehen. – Wie sieht die Suppe aus? Habt ihr schon Petersilie hineingegeben? Gut. Dann jetzt aber los!«

Das in einem schweren Topf blubbernde Gericht wird mit einer eisernen Kelle in mehrere Schüsseln verteilt, die schnell hinausgetragen werden. Ermahnend ruft die dicke Köchin, der die Schweißtropfen von der Stirn tropfen:

»Vergiss nicht, die Spießbraten weiterzudrehen. Soll das Fleisch etwa verbrennen? Lasst mich mal durch.« Sie nimmt eine lange Gabel, schiebt ihren massigen Körper durch die aufgescheuchte Schar der Küchenmädchen und sticht in zwei große Fleischstücke, dessen knusprige Schwarten einen leckeren Geruch in der Küche verbreiten. Der Küchengehilfe, der nach dem Holznachlegen abwechselnd beide Spieße auf einem speziellen Gestell über einer offenen Flamme dreht, wischt sich mit dem Ärmel das glühende Gesicht. »Da hast du aber Glück gehabt. Es ist perfekt. Jetzt hol sie herunter, damit ich sie portionieren kann.« Der Junge folgt ihrer Anweisung und hofft entgegen der Erfahrung, einen kleinen Anteil von dem appetitlich duftenden Fleisch zu erhalten. Die Köchin bemerkt seinen hungrigen Blick und lacht. »Hast du es immer noch nicht begriffen? Du bekommst, wie wir alle, nur das, was vom Essen übrigbleibt. Das wird sicher nicht dieser Braten, sondern höchstens etwas von den Gemüsebeilagen, viel wahrscheinlicher aber nur die Suppe sein. Bis dahin dauert es aber, vorher kannst du noch etwas Holz holen und unseren Vorrat wieder auffüllen.«

Sofort schlüpft der spindeldürre Junge wie ein geprügelter Hund aus ihrem Blickfeld, schnappt sich einen großen Weidenkorb und verlässt ihr Reich. Auf dem Weg nach oben, die Küche befindet sich im Kellergeschoss, begegnet ihm der Gefängniswärter. Er grüßt mit seltsamer Beklemmung in der Brust, wagt es nicht, in das Gesicht des ihm unheimlichen Mannes zu schauen. Ein unverständliches, kurzes Gebrumm ist die darauffolgende einzige Reaktion. Obwohl es ihm bisher an allen Tagen so ergangen ist, hofft er doch, einmal eine verständliche Antwort auf sein freundliches »Hallo und guten Appetit« zu erhalten. Er hat ja keine Ahnung, dass dem Wärter die Zunge fehlt. Die hatte ihm Connor vor vielen Jahren genommen, damit er sich nicht mit den Gefangenen zu unterhalten vermag.

»Sicher ist sicher«, hatte sich der Oberste der Dubharan gedacht. »So kann er nicht mit den Eingesperrten reden und etwas verraten, was ihnen möglicherweise nützlich sein könnte.« Bei diesen Gedanken hatte Connor gelacht, da es für ihn unvorstellbar ist, dass irgendeiner der Bediensteten es wagen würde, gegen seinen Willen zu handeln. Sie wussten alle, dass seine Rache schrecklich sein würde.

Der Wärter setzt sich still in der Küche auf einen Stuhl und wartet auf die Tonschüssel, in der ihm die Suppe gereicht wird. Ausnahmsweise bekommt er heute zusätzlich ein Stück frisches Graubrot, weshalb er dankbar zur lächelnden Köchin aufschaut. Sie nickt wohlwollend und dreht sich kurz darauf wieder zurück, um ihre Anweisungen zu brüllen.

»Jetzt aber das Fleisch nach oben und vergesst die Beilagen nicht!« Nachdem der Gefängniswärter die Schüssel geleert und mit dem Brot ihre letzten Reste ausgewischt und dieses gegessen hat, schlägt er seinen Umhang wieder um sich. Den hatte er in der warmen Küche abgelegt. Er bedankt sich mit einem leisen Brummen und Nicken des Kopfes für sein Essen. Dann wird Suppe in eine Henkelkanne gefüllt, die er, ebenso wie drei Tonschalen, für die Gefangenen mitnimmt. Auf der Treppe begegnet er dem Küchenjungen erneut, der den schweren Korb abgesetzt hat, um zu verschnaufen. Dieser lässt den Erwachsenen zuerst heraufkommen, bevor er den Holzbehälter hochwuchtet und Stufe für Stufe nach unten schleppt. Der Gefängniswärter schaut über den Innenhof zu einem trutzigen Turm. Der steht zentral auf dem inneren Platz der Anlage und ist mit einer eigenen Ringmauer umgeben, die mit Wehrgängen versehen ist. Ein starkes Tor in der Mauer, das nur durch einen verwinkelten, engen Zugang von außen erreicht werden kann, sichert diese Burg in der Burg. Sie ist der letzte Zufluchtsort für die Verteidiger der Festung, wenn alle anderen Wehranlagen erobert sind. Der Wärter überquert den Hof und schlurft an der Mauer vorbei. Danach kommt er zu einem weiteren Turm, der in der Außenmauer der Festungsanlage auf einer steilen Felsenklippe ruht. Er ist über eine schmale Treppe erreichbar, die der Gefangenenwärter jetzt erklimmt. Er schließt mit einem großen Schlüssel auf, tritt durch die Eichentür und verschließt den Eingang vorsichtshalber, sobald er drinnen eine Laterne entzündet hat. In ihrem unsteten Schein folgt er der Wendeltreppe nach oben. Der Turm steht nicht separat. Eine Seite ist Teil eines schmalen Bauwerks, das bis zur halben Höhe hinaufreicht. Im Bodenbereich wird das Gebäude als Schmiede und Waffenkammer genutzt, in der obersten Etage befinden sich Gefängniszellen. Der Aufseher biegt von der Treppe in einen Seitengang ab und öffnet den ersten Raum. Er reicht dem Gefangenen eine Tonschale, in die er einen Teil der Suppe gießt. Er verschließt den Raum, um Gleiches in der zweiten Zelle zu wiederholen. Bevor er nach dem Öffnen der dritten Tür den Raum betritt, erstarrt er und reibt sich erstaunt die Augen. Sonst wird er hier schon erwartet und sofort in ein Gespräch zu ziehen versucht. Doch heute ist es seltsam still. Auf dem Strohlager unter dem vergitterten Fenster erkennt er vage die Kleidung des Gefangenen. Sollte dieser in der Nacht gestorben sein, da sich dort nichts rührt? Der Wärter tritt näher und leuchtet die Stelle direkt an. Er steht erschrocken starr.

»Wie ist das möglich?« Schnell dreht er sich um, da er erkennt, dass die Handschellen zerstört sind. Sollte der Gefangene jetzt hinter ihm stehen oder gerade zu entkommen versuchen? Doch der ist nicht zu sehen, und es ist auch nicht das geringste Geräusch zu hören! Aufgeregt lässt er die Kanne fallen. Die Tonschale zerspringt daneben in viele kleine Stücke, während der Mann hastig den Raum verlässt. Er rennt den Gang entlang, bis er in den Turm kommt. Was soll er jetzt machen? Obwohl er das nicht glaubt, könnte der Gefangene aus der Zelle entkommen sein und unten auf ihn lauern. Die Tür hat er doch abgeschlossen, oder sollte er das …? Nein, er ist sich sicher. Er macht das jeden Tag auf die gleiche Weise und hat garantiert abgeschlossen. Dann wird der Flüchtige dort nicht entkommen. Als er soweit in seinen Überlegungen ist, folgt er der Wendeltreppe vorsichtig nach oben. Der Entflohene könnte ja ganz clever sein und sich dort verstecken. Möglicherweise hofft er, dass in der Aufregung das Tor unten offengelassen wird, wenn Hilfe herbeigeholt wird. Dann könnte er die Gelegenheit nutzen, um zu entkommen. Der Aufseher erreicht das Ende der Treppe unter einer Falltür, er öffnet sie und steckt vorsichtig den Kopf durch die Öffnung. Schnell verschafft er sich die Gewissheit, dass der Ausbrecher nicht hier ist. Also klettert er jetzt durch die Luke und steht auf einer Plattform, die nur von einer niedrigen, umlaufenden Mauer umgeben ist und von einem Dach auf steinernen Säulen gegen Regen geschützt wird. Das Gekreische und Schreien der Meeresvögel ist überwältigend. Der Wärter nimmt das Signalhorn, das an der Mittelsäule hängt, setzt es an seine Lippen und bläst das Alarmsignal. Er pustet dreimal hinein, wobei er die Öffnung des Horns nacheinander in Richtung Innenhof, mittleren Turm und Wachstube richtet. Es dauert keinen Atemzug, bis er erschrocken herumfährt. Connor erscheint aus einem Gleißen der Luft auf der Plattform.

»Warum bläst du das Alarmhorn. Werden wir angegriffen?« Unter seinem forschenden Blick beginnt der Wächter zu zittern, schüttelt den Kopf und versucht Worte zu formen. Da das natürlich misslingt, senkt er seinen Blick.

»Willst du darauf hinweisen, dass einer der Gefangenen entflohen ist?« Der Dubharan atmet die Luft hörbar ein. »Wie sollte das möglich sein. Wenn du unaufmerksam oder nachlässig gewesen sein solltest, werde ich dich bestrafen. Dann wirst du dir wünschen, nie geboren worden zu sein.« Connor blickt den Mann drohend und mit zusammengezogenen Augenbrauen an. Seine dunklen Augen schleudern Blitze, als er ihn am Arm fasst. Im nächsten Augenblick stehen sie in dem Gang mit den Gefängniszellen. »Wo?«, fragt der Zauberer und gibt den anderen frei. Dieser macht einen Schritt in die Richtung der Zelle, wird jedoch sofort an die Seite gestoßen. Mit »Solus« lässt der Magier eine helle Lichtkugel erscheinen und untersucht den Raum. »Warum liegen hier Tonscherben? Wurden sie etwa benutzt, um die Handschellen zu zerstören? Hm. Nein. Sie zeigen keinerlei Silberabrieb. Aber wie hat der Gefangene dann entkommen können?« Er erhebt sich grübelnd. »Wurde er mittlerweile vernommen? Was ist? Du schüttelst den Kopf? Ach, das hatte ich vergessen. Du kannst ja nicht reden!« Er grinst den Mann an. Die nächsten Gedanken äußert er nicht laut. »Ich werde den Offizier der Wache fragen, oder sollte ich besser Dean darauf ansetzen? Ja. Er soll dafür sorgen, dass der junge Elf wieder in unsere Gewalt kommt. Er ist ein wichtiges Faustpfand, damit sich die Mittelelfen nicht gegen uns stellen!«

Im nächsten Moment flirrt die Luft. Der Wächter steht allein in der Zelle.

Der dritte Versuch Magische Wesen

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