Читать книгу King George II - Norman Davies - Страница 14

Оглавление
II 1683–1714: Einunddreißig Sprossen auf der Leiter

Beim Prinzen Georg August kümmerte man sich mehr um die Erziehung, als es bei den durchschnittlichen deutschen Adligen üblich war.1 Da die Eltern des Jungen häufig abwesend waren, hatten Herzog Ernst August und Herzogin Sophie die Zügel in der Hand. Vier Jahre lang wuchs er unter der Obhut von Sophies Oberhofmeisterin auf, danach wurde er von Privatlehrern unterrichtet, unter anderem von Philip von der Eltz, der im Zimmer nebenan übernachtete, um über seinen Schützling zu wachen. Am Unterricht nahmen mitunter auch Georg Augusts jüngere Schwester und andere adlige Kinder teil, die abwechselnd im alten Leineschloss wohnten und in dem acht Kilometer entfernten Sommerschloss Herrenhausen, das gerade renoviert wurde.2

Auf Befehl von Ernst August hatte der Unterricht in der lutherischen Religion Vorrang vor allem anderen. (Traditionell fungierten regierende protestantische Fürsten als summus episcopus, Oberbischof, der Staatskirche ihres Fürstentums.) Aktive Lektionen gab es beim Rittmeister, beim Fechtmeister und beim Tanzmeister. Der akademische Unterricht begann mit Lesen und Schreiben in Französisch, dann kamen Latein und Griechisch hinzu, gefolgt von Mathematik und den modernen Sprachen: Deutsch, Italienisch und – auf Geheiß seiner Großmutter – Englisch. Genealogie und Heraldik hatten ebenfalls ihren Platz. Der Kalender des Hofes war randvoll mit Gottesdiensten, religiösen Festen, Jagdgesellschaften, fürstlichen Festmählern, Maskenspielen, Karnevalsfeiern, Bällen, Konzerten und Paraden. Mit sechzehn Jahren begann der junge Mann seine Ausbildung als Kadett in einer der herzoglichen Elite-Kavallerieeinheiten.

Während er zum Mann heranreifte, stellte sich nach und nach heraus, dass Georg August das gute Aussehen seines Vaters leider nicht geerbt hatte. Er war kurz gewachsen und stämmig, hatte ein rotes Gesicht, dicke Schenkel und übergroße Hände. Seine Augen standen zu weit auseinander und „wölbten sich wie Taubeneier“, und obendrein war er stets extrem schlecht gelaunt.3 Ein Traummann war er also wahrlich nicht, aber er war fit und aktiv, widmete sich der Musik und dem Zeremoniell, ging regelmäßig in der Göhrde, dem riesigen Wald, in dem sich Mufflons tummelten, auf die Jagd und war alles in allem eine außerordentlich gute Partie.

Vorbilder gab es zuhauf. Die Erinnerungen an den Dreißigjährigen Krieg waren noch immer lebendig, und man sprach vom „großen Condé“, dem Sieger von Rocroi, und von Turenne, Wallenstein und Gustav Adolf, dem „Löwen des Nordens“. Herzogin Sophia erzählte dem Enkel von ihrem verstorbenen Bruder, Prinz Ruprecht von der Pfalz (1619–1682), einem schneidigen General, der im Englischen Bürgerkrieg auf der Seite der Royalisten gekämpft hatte, während der Stuart-Restauration zum Admiral ernannt worden war und später Gouverneur der Privatkolonie der Hudson’s Bay Company im fernen Nordamerika war.4

Georg August war von Verwandten und Nachbarn umgeben, die alle tief in der soldatischen Tradition verwurzelt waren. Ein Onkel, Friedrich August (1661–1690), starb in jungen Jahren auf einem Feldzug in Siebenbürgen, ein anderer, Maximilian Wilhelm (1666–1726), befehligte später die kaiserliche Kavallerie in Blenheim. Seine Nachbarn in Wolfenbüttel brachten eine ganze Reihe prominenter Militärs hervor, von denen einige dem Kaiser dienten, andere den Preußen, den Niederländern, den Dänen. Dazu zählten Feldmarschall Ferdinand Albert II. (1680–1735), August Wilhelm, Herzog von Wolfenbüttel-Bevern (1715–1781), ein Günstling Friedrichs des Großen, sowie die Brüder Ludwig Ernst (1718–1788), bekannt als „Dicker Ludwig“, und Ferdinand (1721–1792), beide Feldmarschälle und Herzöge von Braunschweig. Georg August hatte vor allem ein Auge auf die Karrieren seiner nächsten Zeitgenossen: August der Starke, Herzog von Sachsen (1670–1733), Friedrich Wilhelm von Brandenburg-Preußen (1688–1740), der künftige „Soldatenkönig“, und Karl XII. von Schweden (1682–1718), ein Verwandter seiner Großmutter, der bereits gekrönt war, bevor Georg August seinem Regiment beitrat.

Georg August wuchs während des turbulenten letzten Viertels der Herrschaft des Sonnenkönigs auf,5 als Europa einen Krieg nach dem anderen erlebte; das Heilige Römische Reich geriet ins Wanken, und Braunschweig-Lüneburg war akut gefährdet. Während die allgemeine Unsicherheit wuchs, kämpften sich die Calenbergs durch ein dichtes Unterholz nationaler, militärischer und internationaler Ereignisse. Ihr Hauptanliegen war das Heilige Römische Reich und die Stellung ihres Herzogtums darin. Sie verfolgten mit Argusaugen die unvorhersehbaren Wendungen von Krieg und Diplomatie, insbesondere im Hinblick auf die antifranzösische Koalition, der sie angehörten. Und wie jede ehrgeizige Dynastie beobachteten sie aufmerksam den aristokratischen Heiratsmarkt und notierten jede Geburt, jeden Tod und jedes eheliche Bündnis, die Europas wichtigste Erblinien beeinflussen mochten.

In den ersten zehn Jahren seines Lebens nahm Georg August seine Umgebung lediglich aus der doch recht eingeschränkten Perspektive eines Kindes wahr. Er wird weder die hartnäckigen Bemühungen seines Großvaters verstanden haben können, Geld aufzutreiben, um Truppen auszuheben, und die Gunst des Kaisers zu gewinnen, noch die Folgen der Reunionskriege, des Edikts von Nantes oder der Augsburger Allianz. Dennoch wird er beeindruckt gewesen sein von der Rolle des Militärs und der Bedeutung von Status und Hierarchien innerhalb der Gesellschaft. Sicherlich beobachtete er Soldaten beim Marschieren und beim Drill, bewunderte paradierende Kavalleristen und ließ sich vom Klang von Pfeife und Trommel mitreißen. Die Welt jenseits von Hannover wird er mittels der französischen Sprache kennengelernt haben, in Form von Begriffen und Namen wie „Christophe Colomb“, „Le Roi Soleil“, „Les Pays-Bas“ und vor allem „Le Saint-Empire“. Wir wissen nicht, wann er zum ersten Mal von „L’Angleterre“ hörte; sicherlich wird man dem Fünfjährigen berichtet haben, wie der alte Freund seiner Großmutter, Guillaume-Willem, über das Meer gefahren war, um zum König gekrönt zu werden. Ganz bestimmt ließ er sich vier Jahre später – freilich ohne genau zu verstehen, worum es ging – von den Feierlichkeiten anlässlich der Ernennung seines Großvaters zum électeur présomptif, zum gewählten Kurfürsten, mitreißen.

1683 Spanien erklärt Frankreich den Krieg. Die Osmanen überrennen Ungarn und belagern Wien. In England wird der Rye House Plot, eine Verschwörung zur Ermordung von König Karl II., aufgedeckt.
1684 Der Reunionskrieg endet, Straßburg bleibt in französischer Hand. Die Niederlande sind verwüstet. Genua wird bombardiert. Der Papst gründet die Heilige Liga, um die Osmanen zu bekämpfen.6
1685 Ludwig XIV. widerruft das Edikt von Nantes und sorgt weit über Frankreich hinaus für religiöse Verwicklungen. Der römisch-katholische Jakob II. besteigt den Thron von England. Georg Ludwigs Cousine Liselotte heiratet den Bruder Ludwigs XIV. Georg Augusts Eltern reisen durch Italien.
1686 Kaiser Leopold erobert Buda zurück und beruft die Augsburger Allianz ein, den Vorläufer der Wiener Großen Allianz. Hamburg wird von den Dänen belagert.
1687 Die Österreicher besiegen die Türken bei Mohács. Die Ablasserklärung in England führt die Religionsfreiheit ein, zum Ärger der Protestanten. Georg Augusts Schwester Sophie Dorothea wird geboren.
1688 Frankreich fällt in der Pfalz ein, der Heimat von Herzogin Sophie. Die Geburt des Sohnes von Jakob II. schreckt die englischen Protestanten auf und führt dazu, dass Wilhelm von Oranien in England einmarschiert.
1689 Englands „Glorreiche Revolution“ und Bill of Rights: Das neue Königspaar Wilhelm von Oranien und Maria wird anerkannt.7 Prinzessin Anne bringt einen Sohn zur Welt. Ludwig XIV. erklärt England und Spanien den Krieg. Russland schließt sich dem HRR im Kampf gegen die Osmanen an. Österreich, die Republik der Vereinigten Niederlande und Großbritannien bilden die antifranzösische Große Allianz.
1690 Der Sohn von Kaiser Joseph wird zum König der Römer gekrönt. Die Franzosen zerschlagen die Royal Navy vor Beachy Head und besiegen Savoyen im Piemont. Wilhelm von Oranien triumphiert in der Schlacht am Boyne. Die Osmanen erobern Belgrad zurück.
1691 Der Vertrag von Limerick befriedet die Britischen Inseln. Französische Streitkräfte drängen die Niederländer und Savoyen zurück und greifen jenseits des Rheins an.
1692 Die Royal Navy vereitelt die Invasionspläne Ludwigs XIV. Es kommt zum Massaker von Glencoe. König Wilhelm verliert Namur. Herzog Ernst August von Calenberg wird die neunte Kur im HRR verliehen. Georg August wird rechtmäßiger Erbe des Kurprinzen.8

Dass den Calenberger Welfen im Jahr 1692 die Kurwürde verliehen wurde, war zweifellos ein bedeutender Meilenstein. Im Prinzip genossen sie somit das gleiche Ansehen wie die vier anderen säkularen Kurfürsten des Reiches – die Pfälzer, Brandenburger, Sachsen und Bayern – und rangierten damit über ihren Nachbarn, den Wolfenbüttelern. Allerdings stand noch die Bestätigung durch den Reichstag aus, und ihr Aufstieg, der mit juristischen Mitteln angefochten wurde, implizierte, dass sie einen höheren militärischen Beitrag leisteten. In Wolfenbüttel galt Ernst August sicherlich weiterhin als Fürst von Calenberg und noch nicht als Kurfürst.

Indessen ebbten die Spekulationen um die englische Thronfolge ab. Wilhelm von Oranien hatte den Jakobiten eine Abfuhr erteilt; seine Schwägerin Anne war noch im gebärfähigen Alter, und ihr Sohn William, Duke of Gloucester, war wohlauf. Die Stuarts waren praktisch abgesetzt. Die Calenbergs hatten keinen besonderen Grund, sich damit zu befassen, was in England vor sich ging, auch wenn die internationale Szene im Fluss blieb.

In seinen frühen Teenagerjahren wird sich Georg August daher nicht allzu viele Gedanken über die Zukunft gemacht haben, höchstens über seine Rolle als Sohn und designierter Nachfolger seines Vaters. Doch als der Fünfzehnjährige Wilhelm von Oranien kennenlernte, muss ihn dieses Treffen (wie kurz es auch gewesen sein mag) beeindruckt haben. Denn man wird ihm „Onkel Guillaume“, wie man ihn im Familienkreis vielleicht nannte, nun als Sa Majesté le Roi vorgestellt haben, begleitet von respektvollem Geflüster. Drei Jahre später, mit achtzehn Jahren, wird er mitbekommen haben, welche Auswirkungen der englische Acte d’Établissement auf seine Familie hatte, auch wenn man sich fragen darf, mit welchen Begrifflichkeiten man die neue Würde der Herzoginwitwe definiert hätte. Höchstwahrscheinlich vernahm Georg August, wie seine Großmutter „l’Héritière désignée du trône anglais“ genannt wurde und er selbst „Héritier de l’Héritier de la Héritière“.

1693 Die Große Allianz gerät ins Wanken. Wilhelm von Oranien wird in Neerwinden zurückgedrängt. Vor Gibraltar wird ein englischniederländischer Marinekonvoi überfallen. Eugen von Savoyen wird zum kaiserlichen Feldmarschall ernannt.
1694 Der kontinentale Krieg der Großen Allianz stagniert. In England ist Wilhelm nach dem Tod von Königin Maria alleiniger Herrscher.9 In Hannover führt die Königsmarck-Affäre zur Inhaftierung von Georg Augusts Mutter Sophie Dorothea von Celle und zum Mord an ihrem Geliebten, dem Grafen von Königsmarck. Georg August soll seine Mutter nie wiedersehen.10
1695 Wilhelm von Oranien erobert auf brillante Weise die von Vauban erbaute Festung Namur zurück, es ist seine größte militärische Leistung. Die Kriege bewegen sich in Richtung eines Patts.
1696 Frankreich schließt Frieden mit Savoyen; Wilhelm von Oranien akzeptiert die Vermittlung durch die Schweden. Der König von Polen stirbt, es kommt zur Wahl eines neuen Königs. Der Nachbar der Calenbergs, der Herzog von Sachsen, kandidiert mit russischer Unterstützung.
1697 Frankreich und die Große Allianz unterzeichnen den Friedensvertrag von Rijswijk. Prinz Eugen bringt den Osmanen bei Zenta eine vernichtende Niederlage bei. Der sächsische Kurfürst wird zum König von Polen gewählt, konvertiert zum Katholizismus und schafft mit Sachsen-Polen-Litauen Europas größte Personalunion.11 Karl XII. besteigt den schwedischen Thron.
1698 In Spanien vererbt der kinderlose König seine Ländereien an Bayern, während Frankreich sich zur Teilung seines Reiches verschwört. In England lassen die Fehlgeburten von Königin Anne Zweifel an der Stuart-Erbfolge aufkommen. Wilhelm von Oranien besucht Braunschweig-Lüneburg und schließt einen vorläufigen Vertrag mit Kurfürstin Sophie. Georg August empfängt den königlichen Besuch. Herzog Ernst August stirbt – Georg Ludwig wird Kurfürst und Georg August sein designierter Nachfolger.
1699 Der Tod des bayerischen Kurfürsten provoziert weitere Verträge zur Teilung Spaniens. Russland, Dänemark und Polen vereinbaren die Teilung des schwedischen Reiches. In Hannover heiratet die katholische Nichte der Calenbergs, Wilhelmine Amalie, den Erben des Kaisers, Erzherzog Joseph. Im Osten wird der Frieden von Karlowitz geschlossen; im Westen droht erneut Krieg.
1700 Der Spanische Erbfolgekrieg12 und der Große Nordische Krieg13 brechen aus. Der Tod des spanischen Königs Karl der Verhexte und des englischen Thronerben Prinz William lösen neue dynastische Krisen aus. Die Hohenzollern fordern königlichen Status. Wilhelm von Oranien bestellt Herzogin Sophie nach Apeldoorn, um sein „Hannoveraner Projekt“ zu skizzieren.
1701 Die Wiener Große Allianz wird erneuert. Der Enkel Ludwigs XIV., Philipp V., kommt nach Madrid. James Edward Stuart, der „Old Pretender“, wird in Frankreich als König von England anerkannt. Französische Streitkräfte erobern die „Barrierefestungen“ an der niederländischen Grenze. Peter I. gründet auf schwedischem Grund und Boden St. Petersburg. Unter Federführung von Wilhelm von Oranien verkündet das englische Parlament den Act of Settlement, enterbt Dutzende katholischer Stuarts und ernennt die 71-jährige Großmutter von Georg August zur Nachfolgerin von Prinzessin Anne: „Ihre Exzellenz Prinzessin Sophie, Kurfürstin und Herzoginwitwe von Hannover, … [Enkelin] unseres verstorbenen Souveräns König Jakob I., an den wir uns voll Freuden erinnern, … und ihre Erben, die Protestanten sind.“14

So rückten die Calenbergs im zweiten Jahr des 18. Jahrhunderts in der internationalen Rangliste ein ganzes Stück nach vorn. Sie waren designierte Kurfürsten, aber noch keine Kurfürsten, und mutmaßliche Erben der Königreiche England und Irland (wenn auch nicht Schottland), aber noch keine Könige. Sie gingen auf Nummer sicher und setzten gleichermaßen auf ihre Beziehungen zu den protestantischen Engländern und auf Wilhelmine Amalies Verbindung zu den katholischen Habsburgern. Wie es weiterging, hing von der Lebenserwartung mehrerer Personen ab und davon, wer sich in den laufenden Kriegen durchsetzen würde. Sollte Wilhelm von Oranien unterliegen, würden die im Exil lebenden Stuarts mithilfe der Franzosen England zurückerobern, und das „Hannoveraner Projekt“ wäre vom Tisch.


Georg Augusts Großmutter, die Herzoginmutter Sophie Dorothea Herzogin von Braunschweig-Lüneburg-Calenberg, erfuhr 1701 vom englischen Act of Settlement, der sie zur Erbin der Stuarts machte. Jakob I. blickt auf die Szene herab. Kupferstich von Grignion

Dass die Wahl des englischen Parlaments ausgerechnet auf die Herzoginwitwe Sophie fiel, lag sowohl an politischen als auch an rein genealogischen Erwägungen: Ihr verstorbener Ehemann, Herzog und Kurfürst Ernst August, und sein Bruder Georg Wilhelm waren im kürzlichen Neunjährigen Krieg enge Verbündete Wilhelms III. gewesen. Sie hatte auch den großen Vorteil, dass sie zwei Generationen gesunder männlicher Erben besaß. Abgesehen davon wies ihre Familie jedoch einige Eigenheiten auf, die man im Hinblick auf das „Hannoveraner Projekt“ besser unter den Teppich kehrte. Sie war das dreizehnte Kind ihrer Eltern, sodass mehrere noch lebende ältere Geschwister und/oder deren Nachkommen in der Erbreihenfolge vor ihr rangierten. Dazu zählte Luise Hollandine (1622–1709), eine unkonventionelle katholische Äbtissin und Malerin, die in Frankreich lebte. Ihr verstorbener ältester Bruder, Karl Ludwig, Kurfürst von der Pfalz (1617–1680), war während des englischen Bürgerkriegs ein entschiedener Anhänger Cromwells gewesen und hatte seinerseits dreizehn Kinder gezeugt. Ihre Nichte Liselotte, Herzogin von Orléans (1652–1722), war mit dem Bruder Ludwigs XIV. verheiratet, und ihre Großnichte aus dem Hause Stuart, Anne Marie, Herzogin von Savoyen (1669–1728), war die Schwiegermutter von Louis, le Petit Dauphin, Fils de France und baldiger Vater des späteren Königs Ludwig XV.

Dennoch wurden vor dem Hintergrund einer geschickten Imagekampagne die nötigen Vorbereitungen getroffen: „Der König beauftragte den Earl of Macclesfield, zum Hofe von Herrenhausen zu reisen, um die freudige Nachricht zu überbringen und dem Kurfürsten den Hosenbandorden zu überreichen; dort wurde er mit höchsten Ehren empfangen und mit äußerst prachtvollen Geschenken bedacht.“15

Beide Parteien hatten ähnliche Interessen. Das englische Parlament wollte (vermeintlich) formbare protestantische Monarchen auf dem Thron sehen, und die Calenberger träumten wie viele deutsche Fürsten von einer mächtigen Personalunion aus mehreren Staaten. Georg August fand sich inmitten zahlreicher Schlachten und politischen Manöver wieder, auf deren Ergebnis er keinen Einfluss hatte. Denn als der Act of Settlement verabschiedet wurde, war das alles noch Zukunftsmusik. Ein weiteres Dutzend Jahre lang blieb die Lage ungewiss.

1702 In der Bucht von Vigo wird eine französisch-spanische Flotte von der Royal Navy zerstört. In Polen setzen die Schweden vorübergehend den sächsischen König und Kurfürsten ab. In London
tritt das Pferd des Königs in einen Maulwurfshügel, stürzt und tötet seinen Reiter; die Jakobiten stoßen an auf „den kleinen Gentleman in Samt“. Königin Anne bestätigt Herzogin Sophie als ihre designierte Erbin.
1703 Das schottische Parlament verabschiedet den Act of Security, der den englischen Act of Settlement blockiert. Im November tötet der „Große Sturm“ 8000 Engländer; Königin Anne wird im St. James’s Palace davon geweckt, dass der Sturm das Dach fortweht.
1704 Englisch-niederländische Truppen erobern die spanische Festung Gibraltar. Wien wird von einem Aufstand der Ungarn heimgesucht. Ein französisch-bayerischer Feldzug wird vom spektakulären Sieg der Alliierten in der Zweiten Schlacht bei Höchstädt gestoppt.16 Der dortige Sieger, John Churchill, wird zum Duke of Marlborough ernannt.17
1705 Kaiser Leopold I. folgt Joseph I. auf den Thron, der Ehemann von Wilhelmine Amalie, einer Verwandten derer von Calenberg. Kommissare diskutieren einen Unionsvertrag zwischen England und Schottland. Im Juni reist Georg August inkognito nach Ansbach, um sich mit der 22-jährigen Prinzessin Caroline zu treffen. Das junge Paar trotzt dem familiären Druck und heiratet im September in Hannover. Nach dem Tod von Herzog Georg Wilhelm wird das Herzogtum Celle mit Calenberg vereinigt, was das Staatsgebiet des künftigen Kurfürstentums erheblich vergrößert.
1706 Annus mirabilis der Großen Allianz. Frankreich klagt auf Frieden. Im Mai siegt Marlboroughs englisch-niederländischdänische Armee in der Schlacht bei Ramillies. In England fordert das Parlament nach Verabschiedung des Sophia Naturalization Act die Erbin nachdrücklich auf, in London zu residieren, doch Königin Anne ist dagegen. Georg August werden mehrere englische Titel verliehen, u. a. Duke of Cambridge.18
1707 Der Act of Union vereint England und Schottland zum Königreich Großbritannien.19 Vorkehrungen für einen Regentenrat werden getroffen. In Wien erkrankt das Kaiserpaar an Syphilis und wird zeugungsunfähig. Dafür bringt Georg Augusts Frau Caroline ihren Sohn Friedrich zur Welt. Er selbst hat seine dynastische Pflicht damit erfüllt und ist fortan vom Militärdienst freigestellt.
1708 Im Juli schließen sich Marlborough und Prinz Eugen zusammen und besiegen die Franzosen bei Oudenaarde. Georg August zeichnet sich in der Schlacht an der Spitze der herzoglichen Kavallerie aus.20 Kurz darauf bestätigt der Reichstag im Reichssaal zu Regensburg endgültig den Status des Herzogtums Calenberg als Kurfürstentum.

In seinem dritten Lebensjahrzehnt zog Georg August, nun erwachsen und verheiratet, in den Krieg, und er gründete eine Familie. Er beobachtete als Außenstehender die Verbindung nach England, die viel verhieß und wenig einbrachte. Jahrelang war das „Hannoveraner Projekt“ nichts als ein flüchtiges Konstrukt. Die Initiatoren, die Whigs im britischen Parlament, bekamen Gegenwind von der Königin, den Tories und den Schotten. Sie waren ganz versessen auf eine hannoversche Präsenz in Großbritannien und luden Georg August wiederholt nach London ein, erhielten aber nie die Erlaubnis, ihn zu empfangen. Im Krieg konnte sich lange Zeit niemand durchsetzen. 1708 machte sich der junge Prinz in der Schlacht bei Oudenaarde unter dem Kommando des Duke of Marlborough einen Namen – und wurde prompt von Jonathan Swift verewigt:

Not so did behave

Young Hanover brave

In this bloody Field,

I assure ye

When his War-horse was shot

He valued it not

But fought still on foot

Like a fury.21

[Ganz anders benahm sich

der junge mutige Hannoveraner

auf dem blutigen Felde,

ich kann euch versichern:

Als man sein Kriegsross erschoss,

grämte er sich nicht,

sondern kämpfte zu Fuß weiter

wie ein Wilder.]

Aber Frankreich vereinbarte erst 1712 einen Waffenstillstand mit England und schloss zwei Jahre später Frieden mit dem HRR.

1709 Marlborough und Eugen triumphieren in der Schlacht bei Malplaquet. In Poltawa schlagen die Russen vernichtend die Schweden. Die Russen installieren den sächsischen Kurfürsten erneut als König von Polen.
1710 Georg Augusts Vater verkündet, er wolle den britischen Thron per Erbrecht und nicht per Parlamentsbeschluss besteigen. Ein alliiertes Expeditionskorps verhilft Erzherzog Karl auf den spanischen Thron.
1711 Im Zuge einer allgemeinen Erschöpfung fordert eine Pockenepidemie zahlreiche Opfer, darunter Kaiser Joseph I. und Louis, le Grand Dauphin, der Erbe Ludwigs XIV. Unter Kaiser Karl schwindet der Einfluss der Calenbergs in Wien. In London gewinnen die Tories die Oberhand, Marlborough wird entlassen und Robert Walpole inhaftiert.
1712 In Utrecht beginnen Friedensverhandlungen. Dänische Truppen nehmen den Schweden Bremen und Verden ab und bieten beides zum Verkauf an.22
1713 Der Friede von Utrecht wird geschlossen und umfasst eine Reihe bilateraler Verträge: Philipp V. wird als König von Spanien anerkannt; Österreich erhält die Spanischen Niederlande, Mailand und Neapel, Gibraltar und Menorca gehen an Großbritannien, Sizilien an Savoyen.23 Der Kaiser veröffentlicht die Pragmatische Sanktion. Friedrich Wilhelm I. wird als preußischer König bestätigt. In Oldenburg besiegen die Dänen die Schweden. Russische und sächsische Truppen erobern das schwedische Stettin.
1714 In Großbritannien schwächt der Sturz von Königin Annes Tory-Regierung den Widerstand gegen den hannoverschen Thronfolger. Im September finalisiert der Badener Vertrag den Frieden von Utrecht.

Sein erster Kontakt mit Großbritannien während des langwierigen Spanischen Erbfolgekrieges wird Georg August kaum gefallen haben. Er schrieb Königin Anne eine Notiz auf Latein, um sich für den Hosenbandorden zu bedanken, den sie ihm zusammen mit dem Titel Duke of Cambridge verliehen hatte, und er fühlte sich zweifellos geschmeichelt, dass der Duke of Marlborough zu seinen potenziellen Gastgebern zählte. Doch ob der groben Manipulationsversuche war er zweifellos entsetzt. Der Gesandte seines Vaters in London, Baron Schütz, teilte dem Oberhaus (fälschlicherweise) mit, dass „der junge Prinz bereits unterwegs ist, um in hiesigen Gefilden zu residieren“, und wurde gebührend seines Amtes enthoben.24

Der Prinz gab keinen öffentlichen Kommentar ab, aber man kann sich vorstellen, wie er dachte: „Wartet nur ab! Die Zeit wird schon noch kommen, da ich hier die Entscheidungen fälle.“

*

Die Feindseligkeiten in Europa ebbten ab, und die Diplomatie wagte einen Neustart. Ludwig XIV. hatte seine hegemonialen Träume ausgeträumt, die Habsburger ließen von ihrem Ehrgeiz ab, und Großbritannien und die Niederlande konnten sich endlich sicher fühlen. Die Calenbergs hatten im HRR nicht reüssieren können – nun setzten sie ganz auf die hannoversche Thronfolge in Großbritannien. Königin Anne konnte weder einen neuen Erben hervorbringen, noch war sie so barmherzig, der ältlichen Herzoginwitwe ihre Unterstützung zu gewähren.

Anfang 1714 ging es in der britischen Politik drunter und drüber. Königin Anne hatte keine Geduld mehr mit den Tories, doch das Vertrauen in die rivalisierenden Whigs, die sowohl die Große Allianz als auch das „Hannoveraner Projekt“ unterstützt hatten, konnte sie auch nicht zurückgewinnen. Eine Klausel im Friedensvertrag von Utrecht bestätigte zwar die hannoversche Thronfolge, doch Anne untersagte den Calenbergs nach wie vor, sie zu besuchen.25

Im Sommer spitzte sich die Lage zu. Die Herzoginwitwe Sophie, die einst davon geträumt hatte, dass dereinst die Worte „Königin von England“ ihren Sarg schmücken würden, beklagte sich nun darüber, sie habe nichts weiter bekommen „als ein paar Blatt Pergament“. Ende Mai erhielt sie ein persönliches Schreiben von Königin Anne, das bei ihr für noch mehr Unmut sorgte:

Frau, Schwester, Tante,

seit das Erbrecht in meinem Königreiche auf Euch übergegangen ist …, gibt es immer wieder unzufriedene Personen, die nach einem Fürsten Eures Blutes in meinem Herrschaftsbereiche verlangen … Ich möchte Euch mitteilen, dass solch eine Vorgehensweise unweigerlich gefährliche Auswirkungen auf die Thronfolge hätte, welche [nur dann] sicher ist, wenn die Fürstin, die … die Krone trägt, ihres Amtes Würde behauptet und auf ihrem Vorrechte beharrt.26

Der Brief triefte vor Misstrauen. Berichte trafen ein, dass die Königin „den Prätendenten der Hannoveranerin vorzog“ und dass die Stuarts den Thron immer noch an sich reißen könnten, indem sie zeitnah konvertierten. Der Herzogin wird nicht verborgen geblieben sein, welche Ironie darin lag, dass ausgerechnet die jesuitischen Beichtväter des Prätendenten das „Hannoveraner Projekt“ am Leben hielten. Kurze Zeit später erkältete sie sich in den Herrenhäuser Gärten, und am 8. Juni starb sie, im Alter von 83 Jahren. Ihr Sohn wurde umgehend zum Anwärter auf den britischen Thron erklärt: „Als sich zu jener Zeit der Tod der Kurfürstin zutrug, wurde auf Anordnung des Hofes in allen Kirchen und Kapellen in ganz England namentlich für den Kurfürsten von Braunschweig gebetet.“27

Georg Ludwig pochte auf seine Rechte aus dem Crown Succession Act und berief sieben zusätzliche „Lords Justice“ in den Regentenrat. Dieses sieben Jahre zuvor verabschiedete Gesetz erklärte es zum Hochverrat, sich gegen den Act of Settlement aufzulehnen.

Dann starb am 1. August ganz plötzlich auch Königin Anne. Georg Ludwig folgte ihr automatisch auf den Thron, und sein dreißigjähriger Sohn war somit Thronfolger des Kurfürstentums und der britischen Königreiche. Die Calenberger Welfen standen an der Schwelle einer neuen Doppelautorität. Europas jüngste Personalunion stand kurz bevor, und ihre Herrscherfamilie, die man den Briten als „Hannoveraner“ verkaufte, war nunmehr auf eine neue, internationale Karriere ausgerichtet.

Für Georg August waren diese Aussichten jedoch alles andere als ermutigend. Er war noch nie in England gewesen, und die einzigen Briten, die er bislang kennengelernt hatte, waren Marlboroughs Offiziere, gelegentlich nach Herrenhausen entsandte Emissäre und seine Geliebte Henrietta Howard (1689–1767). Andersherum war der „Hannoveraner Prinz“ der britischen Öffentlichkeit von seinen Heldentaten in Oudenaarde abgesehen vollkommen unbekannt. Auf der Insel kannte man sich weder mit den Feinheiten der Politik auf dem Kontinent aus, mit denen Georg August ständig zu tun hatte, noch damit, wie es in einem Fürstentum zuging, das ständig Gefahr lief, von fremden Mächten besetzt zu werden. Auch wenn Münzen mit seinem Konterfei im Umlauf waren, ahnte niemand etwas von seinem empfindlichen Temperament oder von den verborgenen Geheimnissen seiner dysfunktionalen Familie.


Henrietta Howard (1689–1767), geb. Hobart, Countess of Suffolk. Die erste Mätresse von Georg August – „eine vernünftige Frau, hübsch und geistreich, und doch eine gute Freundin“ (Pope). Gemälde von Charles Jervas, ca. 1724

King George II

Подняться наверх