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Im Kampf um den Südsattel

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Am 4. November steigen wir ins Lager 5 auf. Ajiba, einer der Stärksten, wird mir als Ersatz für den leider erkrankten Ang Dawa zugeteilt. Ich schaue mir seinen Schritt an und übernehme gleich die Spitze, um ihm mein Tempo zu diktieren – seines hielte ich nicht lange aus. Am gleichen Tag stoßen Jean und Gustave vor und errichten Lager 6 auf etwa 7100 Meter in der Lhotse-Flanke, unserer neuen Anstiegsroute. Morgen sollen sie Lager 7 aufstellen, von wo aus der Südsattel in einem Tag zu erreichen wäre.

Zwischen Lager 4 und 5 gibt es erstaunliche Unterschiede: unten kalt, bei Sonne erträglich, relativ wenig Wind. Oben heulender Sturm, unerträgliche Kälte. Die Zelte knattern und schwanken ununterbrochen, warm hat man in keiner Stellung mehr, dazu der Höhenhusten und die ständige Atemnot.

Am nächsten Morgen meldet sich auch gleich einer der Sherpas krank. Als dann Lambert und Tensing von unten her nachziehen, sehen wir, dass Buzio und Gross noch nicht aus ihrem Zelt im Lager 6 gekrochen sind. Endlich erscheinen sie – und steigen ab. Lambert ist zunächst sehr ungehalten, doch als die beiden ankommen, sehen wir ihnen an, dass sie völlig erschöpft sind. Die Nacht in der Lhotse-Flanke war furchtbar, das Zelt flog beinahe mit ihnen fort; ihre Füße waren eiskalt, und am Morgen waren sie nicht in der Lage, weiter aufzusteigen. Nach meiner Nacht hier im Lager 5 kann ich sie verstehen.

Es herrscht zweifellos eine Krise. Der Unfall hat uns allen einen Knacks gegeben, und der Wind ist zermürbend. Er zehrt an unserer Kraft und ganz besonders an unseren Nerven.

Am 6. November früh, nach einer noch schlimmeren Nacht, macht sich Lambert, der noch gewaltigen Auftrieb hat, sofort bereit. Auch ich beeile mich, um den Abmarsch filmen zu können, aber das Anziehen in einem kleinen Zelt auf dieser Höhe ist wahre Schwerarbeit. Ist sie getan, stolpert man atemlos und völlig erschöpft in die beißende Kälte und muss dort erst einige Minuten lang nach Luft ringen. Lambert, Tensing und drei Sherpas beginnen den Aufstieg, während ich nach einer Stunde Filmarbeit gerade noch ins Zelt kriechen kann und 45 Minuten lang Hände und Füße massieren muss. Am Nachmittag kehren die Sherpas zurück, Lambert und Tensing bleiben oben. Reiss und Spöhel besuchen mich abends im Zelt. Es ist zwar fast kein Platz mehr, aber warm und beinahe gemütlich. Sogar eine Kerze brennt – mittlerweile ein seltener Luxus, denn seit einiger Zeit verschwinden alle Kerzen auf geheimnisvolle Weise.

Mitten in der Nacht – Reiss und Spöhel waren in ihr Zelt zurückgekehrt – erwache ich unter Erstickungsgefühlen. Wie ich überhaupt einschlafen konnte? Meine Behausung ist einseitig eingedrückt und lastet, eiskalt, auf meiner Brust. Im verbleibenden Raum winde ich mich keuchend in die Überkleidung und krieche hinaus. Eine gewaltige Schneeverwehung droht mein Zelt restlos zu begraben. Dann sehe ich die Schatten zweier Sherpas, die aus ihrem ebenfalls halb erdrückten Quartier in ein stärkeres Doppelzelt flüchten. Ich rufe zu ihnen hinüber und frage nach einer Schaufel – keine Reaktion. Zum Glück finde ich ein Brett, und so grabe und drücke ich, so gut es geht, den Schnee damit weg. Alle Augenblicke muss ich hinter dem Zelt Zuflucht suchen, um in diesem höllischen Sturm überhaupt atmen zu können. Arthur und Ernst schreien herüber, um zu fragen, wie es mir geht. Ich brülle: „Alles o. k.!“, krieche in meinen inzwischen eiskalten Schlafsack und falle vor lauter Erschöpfung in tiefen Schlaf.

Am nächsten Morgen beobachten wir im grauen Licht Lager 6, das noch steht – wir hatten daran gezweifelt. Dann sehen wir Lambert und Tensing hervorkriechen und nach oben starten. Nach einer solchen Nacht eine reife Leistung, die Achtung gebietet! Es gelingt ihnen, Lager 7 bei etwa 7450 Meter aufzustellen, während Reiss und Spöhel die Standseile und Eishaken der alten Route in mühsamer Schwerarbeit einholen. Am Nachmittag beschließe ich, ins Lager 4 zurückzukehren. Zu filmen gibt es nun nichts mehr, und drei Nächte hier oben haben mir genügt. Unten kann ich endlich wieder aufatmen – kein Wind mehr. Unglaublich, was das ausmacht.

Am 8. November ist Ruhetag für mich. Lambert und Tensing kehren zurück, die Spuren ihrer gewaltigen Anstrengung im Gesicht. Tensing muss aber sogleich ins Standlager. Dort unten scheinen die Sherpas alle zu landen, wenn es ihnen oben verleidet ist. Er soll alle Drückeberger „auf Vordermann“ bringen. Dann beobachten wir gespannt, wie Reiss und Spöhel ihre halsbrecherische Fronarbeit – das Einholen der restlichen Seile und Haken – beenden und ins Lager 5 zurückkehren.

Buzio und Gross brechen zum Lager 6 auf, um von dort die Spurarbeit Lamberts weiterzuführen und über Lager 7 zum Südsattel vorzustoßen. Kaum erreichen sie das einsame Zelt, da kehren ihre Sherpas um, und kurz darauf steigen auch sie ab, Lager 6 scheint unhaltbar zu sein. Gleichzeitig kehren Ernst und Arthur zu uns zurück – hundemüde und entrüstet: Als sie von ihrer Arbeit am Vorabend zurückkamen, brachten ihnen die Sherpas erst gegen acht Uhr etwas Kaffee und am anderen Morgen wiederum nur Kaffee, sonst nichts. Auch konnten sie keine Kerzen finden – die Sherpas waren ganz apathisch.

Am 10. November ist letzter Ruhetag. Arthur rasiert mich – damit die Sauerstoffmaske besser sitzt – mit einem altväterlichen Rasiermesser, nach einer halben Stunde stehe ich, ohne meinen alten Schnurrbart, wie ein Schuljunge da. Bei uns ist Sonne, aber im Lager 5 bläst es derartig, dass Gustave absteigt – er hält es nicht mehr aus.

Dann kommt mein Tag, zur Spitze zu stoßen. Pro Schritt drei oder mehr Atemzüge, mein Hals brennt wie Feuer, endlich bin ich oben. Glücklicherweise ist der treue Hochlagerkoch Kirken da, um endlich für regelmäßige Verpflegung zu sorgen. Die Nacht ist grauenhaft, ich liege mit Gabriel Chevalley im Zelt, das andauernd schwankt, und das Knattern macht einen ohrenbetäubenden Lärm. Noch nie bin ich so nahe daran gewesen, den Verstand zu verlieren. Hin und wieder beleuchte ich mit der Taschenlampe die Zeltwand, was irgendwie beruhigend wirkt. Wenn das Licht über Gabriels Gesicht streicht, sehe ich ihn mit weit offenen Augen und einem gehetzten, fast irren Blick daliegen. Mein Kopf ist niedriger als die Füße, die eisverkrustete Zeltwand wird vom Sturm gegen mein Gesicht gepresst – es darf nicht mehr lange dauern.

Am 12. November stürmt es noch immer, es ist ganz unmöglich, irgendetwas zu unternehmen. Mein Hals brennt jetzt die ganze Zeit. Gabriel schaut hinein und beordert mich sofort ins Lager 4 zurück – Kehlkopfentzündung. Unten angekommen, schlucke ich etwas Cognac, zwei Aspirin, zwei Schlaftabletten und finde endlich etwas Schlaf.

Der ewige Sturm verursacht weitere Verzögerungen. Am 16. erreichen Lambert und Tensing wieder Lager 7 (7450 m). Am 17. sehen wir, wie sie den Aufstieg antreten. Nach langer, langer Zeit erreichen sie die oberste Terrasse der Lhotse-Flanke und spannen ein Geländerseil für den Quergang zum „Gelben Band“. Dann bleiben sie lange unbeweglich und steigen schließlich ab, nach einem Drittel der Distanz zum Südsattel! Zwei Spitzenleute mit Sauerstoff kehren um – niemand weiß, was das bedeuten soll.

Gleichzeitig ist Chevalley mit einem Sherpa von Lager 5 aus nach oben aufgebrochen. Nach kurzer Zeit bleibt einer der beiden sitzen, der andere steigt in schnellem Tempo zum Lager 6 auf, kehrt dann zurück – ist es ein Unfall? Nein, beide steigen nun ab. Wenn der Sitzende nur nicht Erfrierungen davonträgt, wir haben nachgerade genug Unfälle. Am Nachmittag eine Notiz von Chevalley: Er hat sich eine zu schwere Last aufgeladen und ist steckengeblieben. Er war es also. Der Kampf geht aber weiter.

Am 18. ein weiterer Tag voller Geheimnisse: Keine Bewegung in Lager 7, hingegen einige Sherpas, die zwischen 5 und 6 pendeln. Nachricht aus Lager 5: Buzio ist allein dort, Chevalley und Reiss sind aufgestiegen.

Am 19. November soll der Südsattel erreicht werden. Lambert, Reiss und Tensing, gefolgt von sieben unserer besten Sherpas – Pemba Sundar, Ang Temba, Topkie, Ang Nima, Goumdin, Ang Namgyal und Pemba – verlassen Lager 7. Lambert vermerkt in seinem Tagebuch: „Reiss und Tensing traversieren das Couloir und spannen weitere 200 Meter Seil, während die Sherpas und ich auf der obersten Terrasse der Lhotse-Flanke warten. Das Wetter ist herrlich; wenn alles gut geht, sollten wir den Südsattel heute am Spätnachmittag erreichen.“

Als sie gegen 17 Uhr dort ankommen und ihren Lagerplatz vom Frühjahr beziehen, haben Wind und Kälte derart zugenommen, dass es ihnen kaum noch gelingt, die Zelte aufzustellen. Der Sturm wird zum Orkan, die Nacht für alle zur Hölle. Schwer angeschlagen entschließen sie sich am nächsten Morgen trotzdem zum weiteren Vorstoß.

„Mit größter Anstrengung queren wir den Südsattel und steigen über vergletscherte Hänge auf. Wir bewegen uns entsetzlich langsam. Nasen und Fingerspitzen verlieren jegliches Gefühl. Trotz bester Ausrüstung dringt der Wind bis auf die Haut durch. Sogar Tensing ist stark angeschlagen, und die Sherpas hinter uns kommen kaum vom Fleck. Bei etwa 8150 Meter halten wir an. Es ist einfach unmöglich, bei diesen Wetterverhältnissen und in der Höhe weiterzumachen!“

Das war der erste und der letzte Gipfelversuch. Auch Lambert, Reiss und Tensing müssen einsehen, dass es einfach nicht geht, ohne ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Weder wir Sahibs noch die Sherpas sind in der Lage, diesen ungleichen Kampf weiterzuführen. Selbst ein vorübergehender Rückzug, um Kräfte zu sammeln, wäre sinnlos.

Am 25. November sind wir im Standlager versammelt. Ein Festessen erwartet uns, das ich nie vergessen werde: Yakfleischsuppe, Schaffleisch, Bohnen, Kartoffeln, Kuchen und Tee. Wie sehr uns frische Nahrung oben gefehlt hat, erkennen wir erst jetzt. Abends liegen wir in einem nicht vom Wind gerüttelten Zelt mit zwei Kerzen – welch ein Luxus! Wir husten noch alle – Nachwirkungen der Höhe auf die gereizten Organe.

Anderntags wird zusammengepackt. Wir fühlen uns wie im Frühling, und die Freude, wieder in wärmere Gegenden zu kommen, überstrahlt alles andere. Wir können froh sein, mit Ausnahme einiger angefrorener Nasen und Fingerspitzen heil davongekommen zu sein. Zwar liegen noch gut 19 Tagesmärsche vor uns, doch was tut’s: Wir gehen nach Hause!

Wozu ein Himmel sonst?

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