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Kapitel 1

Jugendjahre

Rees Howells wurde am 10. Oktober 1879 als sechstes von elf Kindern geboren. Noch heute steht im Bergmannsdorf Brynamman in Südwales das kleine weiße Häuschen, in dem Thomas und Margaret Howells ihre drei Mädchen und acht Jungen aufzogen. Es ist erstaunlich, dass dieses kleine Haus für eine so große Familie ausreichte.

Die Eltern hatten in den ersten Jahren große Schwierigkeiten zu überwinden. Rees’ Vater arbeitete zuerst in einem Stahlwerk und später im Kohlebergwerk. Sein Tagesverdienst betrug durchschnittlich nur etwa zweieinhalb Schilling. Davon musste die Familie leben. Immer, wenn es beispielsweise durch einen Streik zum Ausfall von Schichten kam, fehlte jede Einnahme, denn Arbeitslosenunterstützung gab es damals noch nicht. Später, als der Vater im Dorf ein Schuhgeschäft mit Reparaturwerkstatt betrieb und außerdem die älteren Kinder die Schule beendet hatten und mitverdienten, wurde es etwas leichter.

Trotz der äußerst bescheidenen Verhältnisse war die Familie glücklich, denn es herrschten Gottgefälligkeit und Liebe im Haus. Zu den tiefsten Eindrücken im Leben des jungen Rees gehörte die Liebe seiner Mutter, desto mehr, weil er miterlebte, wie sie eines der drei Geschwister unermüdlich pflegte, die jung aus ihrer Mitte genommen wurden. Als eines Tages ein Gast beim Anblick der Kinderschar zu dem stolzen Vater sagte: „Wie reich Sie sind!“, verstand das der kleine Rees natürlich nicht. „Wie konnte er sagen, dass wir reich sind?“, fragte er seinen Vater später. „Das will ich dir erklären. Was denkst du, für wie viel ich dich verkaufen würde? Etwa für tausend Pfund? Oder meinst du, ich würde John, David oder Dick für tausend Pfund hergeben? Daran kannst du sehen, wie reich ich bin!“

Ihre Bildung erhielten die Kinder zunächst ausschließlich in der Dorfschule. Nach der Schulentlassung arbeiteten fast alle Kinder in einer Zinnhütte im Tal unterhalb des Dorfes. Eigentlich durften sie dort erst mit dreizehn Jahren beschäftigt werden. Als Rees jedoch eines Tages seinen Brüdern das Essen brachte, fragte ihn der Werkleiter, ob er nicht auch ein wenig helfen wolle. Sein Name würde nicht auf der Lohnliste erscheinen, er wolle ihm aber doch einen Lohn geben, nur würde er eben auf den Namen seines Bruders Moses eingetragen werden. So endete Rees’ Schulzeit schon mit zwölf, und die nächsten zehn Jahre verbrachte er in der Zinnhütte, wo seine Leistungen sehr geschätzt wurden. Sein Arbeitstag zählte damals zwölf Stunden. Um sechs Uhr morgens stand er auf, und vor sechs Uhr abends kehrte er nicht nach Hause zurück.

Rees’ Schulzeit endete mit zwölf und die nächsten zehn Jahre verbrachte er in der Zinnhütte.

Um sich weiterzubilden, besuchten Rees und seine Brüder die wöchentliche Abendschule im Dorf. So etwas wie eine Bücherei gab es dort damals noch nicht. Das einzige Lesezentrum bildete ein Zeitungsladen, wo man für einen Penny monatlich die Zeitung lesen oder sich ein Buch ausleihen konnte. Auf diesem Wege bestanden zwei seiner Brüder mehrere Prüfungen. John, der älteste, ging zur Eisenbahngesellschaft und Dick wurde ein leitender Angestellter im Bergwerk. Rees selbst legte sich auf keine bestimmte Ausbildung fest. Er zeigte jedoch schon früh Organisationstalent. Wenn seine Mutter den Jungen beispielsweise einmal eine Arbeit auftrug, wurde sie von seinen Brüdern selbst ausgeführt. Rees aber fand stets ein halbes Dutzend Freunde, die ihm halfen – und ließ seine Mutter dann für alle Abendessen kochen! Sie wird sich sicher manchmal gefragt haben, ob es sich überhaupt lohnte, ihm eine Arbeit aufzutragen!

Die Großzügigkeit, die ihn später so sehr auszeichnete, machte sich schon in seinen Jugendjahren bemerkbar. Er verschenkte alles, was er hatte. Anders als seine Brüder konnte er nicht widerstehen, wenn Kunden im Schuhgeschäft einen Preis herunterhandeln wollten.

Rees entwickelte sich zu einem kräftigen jungen Mann und er liebte es, sich sportlich zu betätigen. Ebenso gesund wie sein Körper war aber auch sein Appetit. An manchen Abenden kamen Dick und Rees zu unterschiedlichen Zeiten spät heim. Wenn Dick zuerst kam, so erzählt man in der Familie, rief die Mutter von oben: „Dick, bist du’s? Nimm dir ein Stück Kuchen.“ War aber Rees früher als Dick, dann rief sie: „Bist du’s, Rees? Auf dem Tisch steht Kuchen. Lass aber ein Stück für Dick übrig!“

Besonders auffallend in Rees’ jungen Jahren war sein Bewusstsein von Gott. Es schien, als stünde er von Geburt an in der unsichtbaren Gegenwart dessen, von dem Paulus sagte, er habe ihn „in seiner Gnade schon vor meiner Geburt dazu bestimmt, ihm einmal zu dienen“ (Gal. 1,15). In dieser Hinsicht ging in seiner Jugend der stärkste Einfluss von seinen Großeltern aus. Auch sie wohnten in einem weißgetünchten kleinen Haus in unmittelbarer Nähe der Black Mountains. Wenn man dessen Türschwelle überschritt, war es, wie Rees später erzählte, als ob man den Himmel beträte. Die Großeltern hatten sich während der Erweckungsbewegung 1859 bekehrt. Rees glaubte stets, dass er ihnen geistlich viel verdanke. In dem kleinen Haus war etwas, was ihn mächtig anzog. Man spürte die Nähe Gottes darin, pflegte er zu sagen. Er liebte den Weg von seinem Elternhaus im Amman-Tal hinauf durch die Felder. Ein Haus nach dem anderen ließ er hinter sich, bis ein eisernes Tor hinter ihm zuschlug und er die weite Stille der Berghänge atmete. Oft sollte dies in späteren Jahren der Ort seiner Gespräche mit Gott werden. Nur der Gesang der Lerche, das gelegentliche Blöken eines Schafs und das Rauschen des Bergbachs unterbrachen die Einsamkeit.

Sobald er die Höhe des Bergkammes erreichte, sah er das grüne Waliser Tal vor sich ausgebreitet. Das Haus seiner Großeltern lag an einem der steilen Abhänge, dort, wo das Ödland wieder Feldern und Hecken Platz machte. Wenn er dann das Haus betrat, hörte er meist schon an der Türschwelle die Stimme seiner Großmutter, die seinem kranken Onkel Dick aus der Bibel vorlas.

Dies erinnert an einen anderen jungen Mann, der vor langer Zeit vermutlich ebenfalls manche Stunden auf einem anderen „Black Mountain“, nämlich dem Kara Dagh bei Lystra, zubrachte – den jungen Timotheus, der dort unter dem Einfluss zweier gottesfürchtiger Frauen, seiner Mutter Eunike und der Großmutter Lois, aufwuchs.

Und wirklich übten junge Männer aus der Bibel, wie Joseph und David, die Gott von Jugend an ehrfürchtig dienten, großen Einfluss auf Rees aus. Sein weiser Vater ließ bei der Erziehung der Kinder die biblischen Geschichten auf sie wirken. Das von frühester Kindheit an geübte allabendliche Bibellesen und seine Wirkung auf ihn blieben Rees stets in lebendiger Erinnerung. Am liebsten hörte er die Geschichten von der Geburt Jesu und von seinem Leben und Sterben. Diese Geschichten bewahrten ihn davor, jemals den Namen Gottes zu missbrauchen oder mutwillig gegen ihn zu sündigen.

Sogar aus den üblichen weltlichen Vergnügungen machte er sich nichts. Er konnte viele Meilen zurücklegen, wenn es irgendwo einen Prediger zu hören galt, der ihn „Gott näherbrachte“. Aber für ein Konzert wollte er „nicht einmal über die Straße gehen“. Selbst einem Fußballspiel sah er nur einmal zu. Als die Menge um ihn herum schrie und grölte, wurde ihm klar, dass dies nicht der richtige Platz für ihn war, und er stand auf und ging davon. Damals gelobte er, nie wieder einem Fußballspiel beizuwohnen. Und dabei blieb es.

Aus den üblichen Vergnügungen der Welt machte er sich nichts.

Der Apostel Paulus sprach einmal davon, dass er dem Gott seiner Väter diene und sich bemühe, „allezeit ein unverletztes Gewissen vor Gott und den Menschen zu haben“ (Apg. 24,16). Rees eiferte diesem Beispiel nach. „Ich rannte nicht blindlings in die Sünde hinein“, sagte er Jahre später. „Irgendetwas hielt mich immer zurück. Es scheint, dass manche Menschen viel empfindsamer sind als andere, sogar schon vor ihrer Bekehrung. Einmal handelte ich gegen mein Gewissen. Als mein Vater mich zu einem Kunden schickte, um Schuhe abzuliefern, verlangte ich einen Schilling und zehn Pence, während der richtige Preis einen Schilling und neun Pence betrug. Für den einen Penny kaufte ich mir Äpfel. Obwohl ich meinem Vater sogleich meine Sünde bekannte, konnte ich es nie vergessen. Besonders, wenn ich Äpfel sah, fiel es mir immer ein! Ich hatte mein Gewissen befleckt. Aber gerade weil dieses Erlebnis mir so sehr nachging, hielt es mich in Zukunft vor größeren Sünden zurück.“ Es hatte jedoch auch noch eine andere Wirkung auf ihn, die ihm erst später zum Bewusstsein kam und von der er sich frei machen musste. Er sagt darüber: „Ich glaubte damals, dass ich wahrscheinlich mit einer guten Natur auf die Welt gekommen sei.“

Mit dreizehn Jahren wurde er Mitglied der Gemeinde seines Heimatortes. Es war nach seiner damaligen Erkenntnis seine Überzeugung, dass er „genau nach der Lehre des Heilandes leben“ müsse. Zu dieser Folgerung war er durch das Lesen des Buches „In Seinen Fußstapfen“ von Charles M. Sheldon gelangt. Er musste jedoch bald einsehen, dass er dem nicht voll entsprechen konnte.

Auch der Kontakt mit den anderen jungen Männern in der Zinnhütte änderte seine Einstellung nicht. Die Stadt Swansea war zwar nur zwanzig Meilen entfernt, aber „das oberflächliche Treiben in den Städten hat mich nie angesprochen“, sagte er. „Es fiel mir nicht schwer, auf Theaterbesuche zu verzichten. Solche Dinge zogen mich nicht an. Ich war in den Gemeinden und Gebetsversammlungen zu Hause. Auch die Natur, Berge und Täler und die rauschenden Bäche übten großen Reiz auf mich aus. Die Stunden der Sonntagsfrühe waren jedes Mal eine wunderbare Zeit für mich. Welche Stille und welcher Friede lagen über allem! Ich war überzeugt, dass ich Gott jeden Abend ins Angesicht sehen konnte, weil ich ein so sauberes, reines Leben führte, und Hunderte in Wales lebten damals so.“

Ein stilles, gutes Leben mit viel Arbeit: Es gab nicht viel, das die Aufmerksamkeit auf diesen jungen Waliser gelenkt oder Anlass zu Prophezeiungen für die Zukunft gegeben hätte, abgesehen von einer ungewöhnlichen Frömmigkeit, die vielleicht den Engländern, nicht aber den Walisern merkwürdig erscheinen mochte. Aber kann Gott nicht Alltägliches in Außergewöhnliches verwandeln, wenn wir ihm die Möglichkeit dazu einräumen?

Rees Howells

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