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Kapitel 2 - Wie Yosy im Stall ankommt
ОглавлениеYosys Körper - wenn nicht sogar Yosy selbst - gehörte ganz offensichtlich denen, die am Ende der Reise im Halbkreis um die heruntergeklappte Rampe des Hängers standen und in seinen zerstochenen Hintern starrten. Er kam nur langsam zurück, fand allmählich zu sich, nahm widerwillig wieder Zuflucht in diesem großen, brennenden Leib, er hatte ja sonst nichts. Da kamen auch schon Schatt und der Andere, einer links, einer rechts, und lösten die Gurte. Als hätten sie Angst, von einer seiner unbedachten Bewegungen an die Seitenwände gequetscht zu werden, murmelten sie ihm Freundlichkeiten ins Ohr und schoben ihn behutsam rückwärts hinaus, wobei Yosy einen Fuß klackernd hinter den anderen schlug. Es wehte ein angenehm kühler Wind, und der Himmel war grau bedeckt. Die Rampe knarrte unter seinen Schritten, bog sich durch, und Yosy war froh, als er festen Boden unter den Hufen spürte. Der war mitnichten fest, eher schlammig, ein aufgeweichter Lehm, aber seine Hufeisen waren breit und fanden genügend Halt.
Die Leute tuschelten, und als sich das ganze Ausmaß seiner Blessuren und seines körperlichen Allgemeinzustandes zeigte, fühlte Yosy das Entsetzen, das durch sie fuhr, ohne dass er schon jemanden ansehen konnte. Denn noch stand er mit dem Rücken, viel mehr mit dem Hinterteil zu ihnen und sein Kopf hing schwer und müde über der Rampe.
»Geh scho'!«, trieb ihn Schatt, und der Fahrer, der jetzt dazukam, zwinkerte ihm zu. Yosy trat noch ein paar weitere Schritte rückwärts in die kleine Menschenmenge hinein.
»Schatt!«, hörte Yosy eine wütende Männerstimme, »Wie sieht der denn aus? Gotterbärmlich! Jawoll, Gott - er - bärm - lich!«
Ein dicklicher, kleiner Mann mit Glatze und dunkelgrauem, lockigen Haarkranz trat in Yosys Blickfeld. Er tätschelte ihn und strich ihm über die lange Nase.
»Ach, du armer Kleiner ...«, flüsterte er in Yosys Ohr, das er mit seinen kurzen Fingern umschloss.
»Salbe!«, rief eine andere Stimme, »hier muss überall Salbe drauf!«
Yosy spürte einen dumpfen Schlag auf seinen Rücken, wendete mühsam den Kopf nach hinten und sah eine große, schwergewichtige Frau, die offenbar ein Kind auf ihn gesetzt hatte, von dem er nur ein weiß bestrumpftes Bein und schwarze Lackschuhe sah. Im Nacken zogen kleine Finger seine Haut zusammen, vergriffen sich darin und dann hieß es »Hüah!« Vereinzelt wurde gelacht.
»Das Kind weg!«, schrie der dicke Mann, »der ist nicht zugeritten!«, und schon wurde das Strampelwesen wieder abgenommen. Weitere Hände strichen über Yosys Fell, seine Haut, das nackte Fleisch, befühlten seine vielen, vielen Stiche; überall Jucken und Brennen und plötzlich ein unerwartet kühler Schwall Wasser, aus einem Eimer gegen ihn geschleudert. Das Kind, ein dickes, birnenförmiges Mädchen, musste lachen.
Yosy zitterte, so kalt war das, dann spannte er seinen Körper an, drückte die Beine durch und begann sich zu schütteln. Wie ein nasser Hund schüttelte er sich, ließ es regnen über die kreischenden Menschen, hörte aber gar nicht mehr auf damit, zitterte und schüttelte sich, zitterte immer mehr, und es war, als würde ihn das Zittern aufquellen lassen, er wuchs förmlich über sein Zittern heraus - Yosy wurde ein riesiges, vibrierendes Untier.
Die Leute verstummten, starrten ihn an.
Dann ließ das Zittern nach, aber noch immer sagte keiner ein Wort. Yosy drehte sich um, wippte mit seinem Kopf vor und zurück und richtete ihn schließlich auf. Er reckte seinen Hals in die Höhe, bis er über die Leute hinwegsah und das Anwesen überblicken konnte.
Die Gebäude waren eher lange Baracken als Häuser; über dem Erdgeschoss mit Wellblech abgedeckt, die Fassaden zwar weiß getüncht, aber im Sockelbereich mit einem schmutzig-grauen Schleier aus aufspritzendem Schlamm überzogen. Statt Fenstern gab es nur fensterartige Öffnungen in den Wänden, aus denen graue Pferdeköpfe herausschauten. Ein großes Schutzdach, ebenfalls Wellblech, beherbergte ein paar landwirtschaftliche Fahrzeuge und allerlei Gerät: uralte oder altmodische Traktoren, Eggen, Sensen und auch einige Pferdehänger. Nur weiter hinten stand ein kleines Wohnhaus mit Ziegeldach, richtigen Fenstern und umgeben von einem Garten. Der war grau, alles war grau, und der Boden eine Mischung aus grauem Schlick und Stroh, und hier und da schimmerte Asphaltbeton durch.
Jemand lachte. Dann ein zweiter, und schließlich lachten alle, kamen näher, schwatzten und schon hatte Yosy wieder neugierige Hände auf seiner Haut. Besonders der kleine Dicke tat sich dabei hervor. Die um Yosy Versammelten - es waren hauptsächlich Frauen und nur wenige Männer - trugen hohe Lederstiefel in dunkelgrau oder schwarz, eng anliegenden Hosen, ebenfalls dunkelgrau oder schwarz, sowie weite Hemden, dunkelgrau, hellgrau oder weiß. Manche hatten einen Reithelm auf dem Kopf, und einige eine Art Harnisch umgeschnallt, ein Panzer gegen Stöße oder Stürze. Yosy fiel auf, wie unterwürfig Schatt und der Andere sich benahmen. Als fühlten sie sich schuldig, hatten sie die Köpfe eingezogen und rauchten gebeugt abseitsstehend ihre Zigaretten.
Dann sah Yosy eine Frau. Sie war eher klein als groß, schlank, trug eine grau geblümte Bluse, eine helle Reithose, und das glatte, dunkle Haar war zu einem Pagenkopf geschnitten. Sie stellte sich mit in die Seite gedrückten Fäusten vor die beiden Kerle und redete auf sie ein. Da noch immer alle durcheinanderredeten, konnte Yosy nicht verstehen, was sie sagte, doch als sich Schatt zaghaft verteidigte, wurde sie lauter, schrie ihn an und winkte dann den dicken Mann herbei, der offenbar eine Art Anführer war.
»... wofür ich soviel bezahlt habe? Was meint Ihr Halbgescheiten wohl? Dafür? DAFÜR? Der ist halb verdurstet und zerstochen, der ist schmutzig und überhaupt eine furchtbare Erscheinung. Nicht das, was ich haben wollte! Nicht das!«
Schatt wurde ganz klein, zog sich im ganzen Körper zusammen, und als der Dicke ihn in die Seite boxte, ließ er es über sich ergehen.
»Hnnnngh...!«, rief Yosy, schüttelte sich, wackelte mit dem Kopf und stapfte zu der Gruppe. Er wollte etwas zur Verteidigung der beiden sagen, aber seine Zunge war noch immer wie gelähmt.
»Yosy«, sagte Schatt, als er ihn sah, »Yosy, du guter, war'n'wa nicht schlecht zu dir, haben' wa dich gefüttert, hattest Wasser und ...«
Er fasste Yosy grob aber gutwillig auf den langen Nasenrücken, drückte ihm die Nüstern zusammen und tätschelte mit der anderen Hand seine muskulösen Wangen.
Yosy riss seinen Kopf los und sah die Frau an. Das also war seine Besitzerin. Yosy gehörte dieser Frau! Er hatte sich das nie überlegt, dass er jemandem GEHÖRTE, und wenn, dann seinen Eltern. Doch nun wurde er besessen von dieser Frau.
Ihr Gesicht war schmal. Sie hatte dünne Fältchen über und unter den Wangenknochen, feine, schüttere Linien, die in den Augen- und Mundwinkeln entsprangen und sich zu den Seiten hin verloren. Die Augen waren klein, zu klein für die vielen Wimpern, und sie glänzten wie unter einem immerwährenden Tränenfluss. Die Nase fiel kaum auf, dafür die Lippen wie gezeichnet: zierlich geschwungene Schnörkel oder Tintenkleckse.
Der Dicke hatte sich dem Anderen zugewandt, schimpfte und verpasste ihm Ohrfeigen und Tritte. Auch die übrigen Leute waren nicht sparsam mit abfälligen Bemerkungen über die schlechte Behandlung. Yosy grunzte und drückte sein Gesicht vor Schatts Bauch, wozu er sich hinunter beugen musste. Er rieb seine Stirn an dessen Brustschweiß und fühlte die Bartstoppeln im Nacken, weil auch Schatt seinen Kopf senkte. Der Andere jammerte, weil der Dicke trotz Yosys versöhnlicher Geste einfach nicht mit dem Schlagen aufhören wollte. Schließlich musste die Frau den Prügler zurückhalten.
»Ist gut!«, sagte sie, »Ihr zwei Pasemackel holt jetzt zu essen für unser'n Kleinen, und einen großen Eimer kalt' Wasser. Ich werd' ihn zu seiner Box bringen und putzen.«
Der Dicke hörte auf, sagte sogar: »Besser ist, sonst schlag' ich die noch tot.«
Jemand lachte, und als Yosy sich umsah, war es der Fahrer, der auf seinem Sitz bei geöffneter Wagentüre saß. Er hatte sich scheinbar gut erholt. Ihm gab man keine Schuld an Yosys Zustand, der längst nicht so schlimm war, wie die Leute dachten. Noch immer wurde vereinzelt auf die beiden Männer geschimpft, aber allmählich gingen die Leute auseinander.
»Komm mein Kleiner!«, sagte Yosys Besitzerin, »Ich bin die Alexandra! Und das hier ...«, sie machte eine ausladende Geste, »ist unsere Trostflucht. Dein neues Zuhause!«, worauf Yosy ganz unwillkürlich das rechte Vorderbein hob und seine große Hand ausstreckte - und bei der Frau echtes Entzücken auslöste.
»Wie süß!«, fand sie, »Seht nur, wie er Pfötchen gibt!«, was Yosy aber peinlich war. Er war doch kein Hund! Ein wenig empört versuchte er, mit seiner Hand die ihre zu schütteln. Doch das Hufeisen verhinderte, dass die Handflächen sich berührten. Also versuchte er, zu sprechen: »Hich ... hich hing Hhoohsy!«
»Ho... Yo... Yosy, ja ja, du Yo-Yo-Yosy, ich 'xandra!« Sie lachte, zog aber ihre Hand schnell wieder zurück.
»Haaa... Yoohsei!«, sagte er. Das klang schon ganz gut, versuchte er sich einzureden, vielleicht wurde es mit dem Sprechen langsam besser. Alexandra knuffte Yosy in die Seite, packte ihn am Strick und zog ihn mit sich.
Sie gingen ein Stück, kamen an dem Wohnhaus mit dem grauen Garten vorbei; graues Gras und graue Sträucher, sogar graue Äpfel an einem grau belaubten Obstbaum. Die Frau schien das nicht zu stören, sie gingen einfach weiter, folgten dem nicht erkennbaren Weg zwischen den gleichförmig aneinandergereihten Baracken.
Vor einer stand eine kleine prügelnde Frau. Eine Frau, an der alles spitz war: spitze Nase, spitzer Kopf und der Körper wie eine Nadel. Sie hatte sich ihren Gürtel abgezogen und drosch mit angelaufenem Gesicht auf eine Kreatur ein, die Yosy entfernt an ein Schwein erinnerte. Kein gewöhnliches Hausschwein, aber ein dickes, haariges Tier mit kurzen Beinen, das zusammengekrümmt und in seiner ganzen Masse wehrlos ergeben vor ihr lag. Es wimmerte und Yosy fragte sich, ob es zu fett oder zu schwach war, um wegzulaufen oder sich zu wehren.
Die wenigen Leute, die hier unterwegs waren, machten einen Bogen um die Schlägerei und schauten betreten zur Seite, aber Yosy sah ihnen an, dass niemand das Prügeln billigte.
»Und - jetzt - rein - rein - mit - dir - und ...«, mit jedem Wort setze es einen peitschenknallenden Hieb. Ihre hohe Stimme tat weh in den Ohren. Armes Schwein, dachte Yosy, oder eher: armes Nichtschwein.
»Arme Elke«, murmelte Alexandra und sah Yosy unsicher von der Seite an. Sie wollte ihn schon in einem Bogen daran vorbeiführen, da tschilpte die prügelnde Frau: »Hallo 'xandra! So ein Miststück, ich sag's dir, so ein verdammtes ...«, der Gürtel peitschte, Elke schrie, »... Miststück! Hat mich abgeworfen, im Feld, wegen einem ...« - Klatsch! - »Hasen! Stell dir mal ...«
»Hallo Clara«, antworte Alexandra, »ein Glück, dass dir nichts passiert ist!«
»Dein Neuer, oha!«, die Prüglerin keuchte.
»Ja, Yosy, das ist Yosy, er gibt Pfötchen, gib ihr Pfötchen, Yosy, mach, gib, los, mach schon!«
Yosy hielt sich so gut es ging auf Distanz, Alexandra zerrte an dem Strick, um ihn an die Frau, die sie 'Clara' genannt hatte, heranzuführen.
»Hat Angst, der Kleine?«
Das Nichtschwein Elke sah Yosy zwischen ihren Armen hindurch an.
»Der scheut, wegen Elke sicher ...«, sagte Alexandra.
»Die ist lieb!«, Clara gelang eine um mehrere Oktaven tiefere Tonlage; sie brummte wie ein Mann und legte Elke einen Arm um den Hals, wie ein Holzstäbchen, das in der Mitte abknickte.
»Du bist lieb, Elke, hm?«
Sie streichelte das Tier und entfernte mit sanfter Entschlossenheit die Vorderhufe von seinem Gesicht.
»Hach Gott, die Tränchen ...«, Clara kicherte und wischte dem Nichtschwein mit dem Handrücken über die Augen. Dann drückte sie ihm die Wangen, tätschelte sie und knetete mit ihren dünnen Fingern die dicken, wulstigen Lippen, wobei sie »blblblblblbl!« machte.
»Komm!«, sagte Alexandra zu Yosy, »dich muss ich erst mal fertigmachen.«
Sie zog ihn weiter, da rief Clara hinterher: »'xandra?!«
'xandra?, dachte Yosy.
»Lässt du mich den mal reiten?«
»Gerne!«, antwortete 'xandra, ohne sich jedoch umzusehen.
Sie betraten die Baracke, in der Yosy wohnen sollte: ein langer halbdunkler Gang, rissiger Betonfußboden und zu beiden Seiten vergitterte Einzelboxen. In jeder stand ein Pferd, das aus den Nüstern schnaubte und Yosy mit großen, glänzenden Augen ansah. Sein neues Heim war mittendrin: eng stehende Stangen, in die ein breites Schiebetor eingelassen war, und dahinter ein Verschlag, so groß, so klein wie das Zimmer bei seinen Eltern. Links und rechts geschlossene Bretterwände, die sich im oberen Drittel als Stahlstreben fortsetzten, und gegenüber eine weiße, schmutzige Wand. Statt eines Fensters gab es nur eine quadratischen Öffnung im Mauerwerk.
Yosy sah 'xandra an. Und 'xandra sah ihn an.
»Hich hin hoch heing Her!«, sagte er und versuchte mit viel Kraft, die Zunge im Mund richtig zu bewegen. Schon als Kind hatte er nie viel gesprochen, aber er hatte. Wenn es sein musste, war er sogar ein guter Redner gewesen, in der Schule, beim Gedichteaufsagen und so weiter ...
»Ja, mein Süßer ...«, 'xandra strich ihm über den Nasenrücken, »ja, ich werde dich gleich putzen und füttern, und du kriegst auch was gegen die Stiche.«
»... chhein Bwerth!«, versuchte Yosy es erneut, »hein Bwerhd, hack, hack, hackein Pfffert, hin ho kchein Bwerd! achein ... achein ... ckein ...«
'xandra schaute ihm fragend in die Augen. »Ach Yosy, wie süß du sprechen kannst, wir werden das richtig üben, weißt du, die werden mich beneiden hier, du bist richtig gut. Du, wir werden zusammen reiten, durch die Felder, und du wirst mir von dir erzählen, und ich dir von mir ...«
Wieder strich sie ihm über diese entsetzlich große Nase, dass ihm ein Schauer über den Rücken lief und er zurückscheute. Unwillkürlich kam ein Ton aus seiner Kehle, der wie ein Wiehern klang.
»... Pferd!«, presste er erschrocken hervor.
»Genau!«, sagte sie, »gutes Pferd, bestes Pferd von Welt!«
Sie kicherte.
Schatt kam und schleppte zwei Blecheimer herbei, deren Henkel er sich in die Ellenbogen geklemmt hatte. Aus einem dampfte es und der andere roch nach Knoblauch.
»Schatt, Jung'!«, sagte 'xandra nur, »und das Tuch?«
»Ach ... Tuch, ja ja, hol' dat!«
Schon stiefelte er hastig davon. 'xandra griff aus dem dampfenden Eimer, der eine Schaumkrone hatte, einen klitschnassen Schwamm und wusch Yosy. Das warme, fast heiße Seifenwasser brannte auf den Insektenstichen, aber es fühlte sich gut an, es kribbelte, wenn der Schmerz nachließ und wenn der feuchte Film auf der Haut verdampfte, abkühlte und verdampfte. Sie wusch erst den krummen Rücken, dann von unten den Bauch, auch den faltigen Zipfel, den aber nur oberflächlich, wobei sie mehrmals »Puh!« machte.
»Gib Pfötchen!«, sagte sie dann. Und als er ihr die Hand hinhielt, packte sie das Hufeisen, nahm seine tauben, krumm geschlagenen Finger und massierte sie von oben, wusch mit dem Schwamm das getrocknete Blut heraus, spreizte die Knöchel, so gut es auf dem Eisen ging, und sagte immer wieder Dinge wie »Hm, gut, ja gute Füße, gut, ...«
»Hänn'e ...«, versuchte ihr Yosy zu erklären, aber sie kicherte nur, schien rundum glücklich darüber zu sein, dass Yosys Klauen so gut entwickelt waren. Er selbst sah das anders, aber es konnte nicht schaden, wenn seine neue Besitzerin zufrieden war. Mit dem Tuch, das Schatt brachte, rubbelte sie ihn trocken, massierte seinen ganzen Körper und kam selbst ins Schwitzen. Der zweite Eimer enthielt eine glasige Salbe, Yosy schnupperte: Knoblauchsalbe. 'xandra zog mit den Fingern einen fetten Klumpen heraus und rieb damit die unzähligen Pickel ein, die die Fliegenbisse hinterlassen hatten. Die Salbe brannte, aber Yosy ächzte nur zwei- oder dreimal, hatte sich ansonsten unter Kontrolle. Denn alles hier war besser als die letzten Stunden in dem Hänger.
Dann war sein Gesicht an der Reihe. Mit dem Tuch, an dem die herausgerubbelten Talgreste aus seinen Körperfalten klebten, tupfte sie ihm vorsichtig über die Wangen. Dabei versuchte Yosy, zu begreifen, was überhaupt zu seinem Gesicht gehörte: die fleischigen Augenlider, die lange, lange Nase mit den münzgroßen Atemlöchern, die dicken Lippen, wie Gummischläuche, alles Schnauze eines fremden Tieres, mit dem er nur ganz allmählich vertraut wurde.
'xandra fasste mit beiden Händen seine aufrecht stehenden, kurzen Ohrenstumpen, die sie in seinen dichten Filzlocken suchen musste, zog seinen Kopf vor ihr Gesicht und sah ihm direkt ins Hirn. So nah verwandelten sich ihre kleinen, dunklen Augen in ein Gebirge, aus dem feine, mäandrierende Bäche ins Zentrum flossen, ins Tal, wo sie in einem stillen schwarzen See zur Ruhe kamen. Ihre Augenbrauen hoben sich zur Mitte hin an, ein Ausdruck der Fürsorge, das kannte er von seiner Mutter. Doch ihm war es nun genug. Er schüttelte seinen Kopf, worauf sie ihm zärtlich vor die Nase boxte.
»Schatt, was ist mit Futter?«
Der Angesprochene gehorchte prompt und verschwand.
»Ja, ja«, murmelte sie mehr zu sich selbst, »diese Stallburschen ... ach was soll's, gut, dass wir sie haben, was!?«
»Ha'ong, Hng, Hng!«, antwortete Yosy und wusste selbst nicht, was er eigentlich sagen wollte.
Schatt kam zurück, hatte erneut einen Eimer dabei, aus dem ein übler Geruch aufstieg. Ungewaschene Würste, klebrig, fleckig, roh, und keinem Menschen mehr zumutbar. Und obwohl Yosy bewusst war, dass er noch vor zwei Tagen diese Würste niemals gegessen hätte, überkam ihn nun eine übermächtige Lust genau darauf, auf dieses Verwesende, Faulige, Eklige. Es war eine Gier, die ihn tänzeln ließ, und aus seinem Maul kamen ungewollte Laute, geradezu ein Quieken.
»Ja eiiih! Hatter Hunger der Kleine, ne wie süß!«, rief 'xandra, und ohne allzu großen Widerwillen zog sie einen dieser labberigen Tentakel aus dem Pott, ließ ihn vor Yosys sabbernder Schnauze - ja, er sabberte! - hin und her baumeln, und sagte: »Mach schön 'bitte, bitte'!«
»Hiheä, hiheä!«, japste Yosy, und Speichel tropfte dabei an seinem Kinn herunter.
»Ja feiiin!«, rief sie, und Schatt räusperte sich im Hintergrund. Yosy konnte nicht mehr anders, seine spitzen Zähne schnappten wie ein Piranha nach dem Fleisch.
»Hoppala!«, sie zog ihre Hand zurück, doch da hatte er das glitschige Etwas schon gepackt, zerrte und riss es an sich. Ohne Hilfe seiner Finger, aber mit erstaunlichem Geschick warf er sich die Wurst ins Maul und schlang sie hinunter. Der Geschmack war nicht so streng wie der Geruch, eher fade, ein schleimiger Brei in einer festen Pelle, die er mit seinen spitzen Zähnen kaum zermahlen konnte und schließlich am Stück hinunterwürgte.
»Hatta Kohldampf, wa?«, brummte Schatt, worauf 'xandra, die einigermaßen erschrocken über Yosys Attacke war, ihn anfuhr: »Habt ihr ihm nichts gegeben?«
»Jawoll, hamwa! Stück Fleisch hatter, Mann!«
»Den alten Knochen von Herrn Markwart? Sonst nichts?«
»Ja wie, watt denn sonst, ham nix ...«
»Schatt, ihr seid hirnlose Idioten, habt nicht mehr im Kopf als der arme Yosy, schlimmer seid ihr, mach dich weg!«
Schatt trottete davon und ließ die Schultern demonstrativ hängen. Yosy hatte sich in den wenigen Augenblicken dieses Gesprächs bis zum Grund des Eimers durchgefressen. Doch seine Schnauze war neuerdings so lang, dass seine Augen, während er die Reste aufleckte, noch über den Rand lugten und zusehen konnten, wie der Stallbursche in der Dunkelheit verschwand.
Für einen Moment war es ruhig. 'xandra betrachtete ihn, wie er den Boden des Eimers beschnupperte. Yosy schloss die Augen. Er vermisste sein Zuhause, ausgerechnet jetzt, wo er versorgt war, sauber und satt, und es ihm an nichts mehr fehlte. Dabei hatte man ihm doch gesagt, dass dies hier sein Zuhause sei. Die Box war sein Zuhause, mit frischem Stroh ausgelegt, und das Loch in der Wand wie ein Fenster, so groß, dass sein Kopf durchpasste; vor Kurzem noch wäre er hinausgeklettert. Aber jetzt hatte sein Körper derart exzentrische Verformungen durchgemacht, dass er sich das nicht mehr zutraute.
Wozu auch, was sollte da draußen? Hier war alles, was er brauchte, sogar ein Waschbecken, nein, eher eine Art Saufbecken, jedenfalls, wenn er die Schnauze hineinhielt, floss Wasser aus einer Öffnung. Frisches Wasser, von dem er nicht wusste, ob ihm das besser schmeckte als das brackige, was man ihm unterwegs gegeben hatte.
'xandra zwickte ihn zum Abschied ins Fleisch, umarmte ihn auf ihre goldige Art und flüsterte ihm ein »Schlaf gut!« ins Ohr.
»Ha hu-ud!«, rief er zurück, als sie das Schiebegatter verschloss und ging.
»Haaa huuud!«, rief er, als er ihre Schritte draußen hörte. Und als die sich entfernten, steckte er den Kopf durchs Fenster und sah ihr nach.
»SCHAAAW HUUUT!«
Sie winkte zurück. Verschwand.
Aus den anderen Fenstern lugten gewöhnliche Pferdeköpfe heraus, die ihn anstarrten. Einige wieherten. Es klang ein wenig so wie seine eigene, ungelenke Sprache, aber er verstand nichts. Verstand er nichts, weil ihr Wiehern keine Sprache war? Oder weil seine eigene Sprache selbst für ihn nicht mehr zu verstehen war?