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Skizzen zur Frage nach Moral und zur Frage nach Gott

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Vor einiger Zeit gab es in Winnenden einen Amoklauf. Die waren damals modern: Kinder, die losliefen und andere Kinder erschossen – ein Trend aus den USA. Niemand interessierte sich groß für die Ursachen. Ist ja für Kinder kein normales Verhalten, sollte man meinen.

Dafür wurde nach anderen Verantwortlichen gesucht: „Die Bürger von Winnenden fragen nach Gott“ ... konnte man nach dem Amoklauf lesen39, eine Frage, die sich die Bürger in anderen von Amokläufen und ähnlichen Katastrophen heimgesuchten Orten wohl auch stellen.

Nun, die Kirchen haben jahrhundertelang konzentriert und gründlich daran gearbeitet, dass sich diese Frage wirklich niemandem mehr ernsthaft stellt – zu dem Schluss könnte man angesichts der beobachtbaren Entwicklungen innerhalb der christlichen Gesellschaft kommen.

Im Ernst: Schauen Sie mal in die Gotteshäuser hinein – jene Häuser, die eigentlich für sehr erhabene und erhebende Gedanken und Erwägungen gebaut worden sind. Seien Sie mutig, gehen Sie zu Zeiten des Gottesdienstes hin. Sie können ruhig hundert oder zweihundert Freunde mitbringen, ich garantiere Ihnen: Es ist Platz genug (außer zu Ostern und Weihnachten).

Der Grund für die Leere der Gotteshäuser ist einfach zu benennen: geht´s einem gut, dann pfeift man auf das Überirdische.

Doch schlagen wieder Bomben ein oder laufen Kinder massenmordend mit Waffen durch die Klassen, dann schaut man ganz schnell in sein persönliches Überlebenspaket, ob sich denn darin nicht irgendetwas findet, was den Wahnsinn aufhalten oder wenigstens etwas erträglicher machen kann.

Wahrscheinlich werden die Kirchen in solchen Momenten mal wieder kurz voller ... – könnte ja sein, das er sich gerade irgendwo in einer seiner Filialen aufhält, dieser Gott.

Nun ... der Philosoph Immanuel Kant (DIE Größe der modernen Philosophie, der erste seit den alten Griechen, der überhaupt mal einen halben Schritt weitergekommen ist als die selbigen, meinte mal ein Philosophieprofessor zu mir) hatte dieses Problem recht frühzeitig erkannt.

Es war ihm so wichtig, das er außer seinem Standardwerk „Kritik der reinen Vernunft“ auch noch eine dicke „Kritik der praktischen Vernunft“ schrieb, alldieweil er schnell erkannt hatte: die reine Vernunft allein verhindert keine Konzentrationslager – im Gegenteil, sie führt direkt dort hinein. Vernunft war es, die die Lösung diktierte: wachsende Kosten, sinkende Ressourcen – was macht man also mit Menschen, die man sowieso nicht mehr braucht?

Einfach die Vernunft fragen, sie entwickelt problemlos in kürzester Zeit effektive und kostengünstige Lösungen.

Möglicherweise wird im „Bohemian Grove“, jenem kultisch fragwürdigen Tummelplatz der amerikanischen Elite gerade deshalb die Eule ... ein altes Sinnbild für Vernunft ... als sehr verehrungswürdig dargestellt.

Leider wurde Immanuel Kant nicht alt genug, um zu sehen, welche „Nebenwirkungen“ seine Vernunft entfalten kann, seine Befürchtungen blieben noch in der Theorie stecken. Aber er erkannte damals schon, dass seine Vernunft ohne „Gott“ nicht auskommen würde. Die Vorstellung (ob nun eingebildet oder nicht, ist in diesem Zusammenhang egal) eines liebenden, allmächtigen und gerechten Gottes ist eine elementare Voraussetzung moralischen Handelns, das der lieblosen Vernunft vernünftige moralische Grenzen setzt.

Gut ... nebenbei gibt es heute (zu seiner Zeit noch unüblich) auch den „Gesellschaftsvertrag Grundgesetz“, der zu moralischem Handeln anhält. Aber diesen wird das Individuum ohne eigene Moral immer wieder zu unterlaufen versuchen – und ständige Änderungen des Grundgesetzes (das nur Vertrauen erwecken und funktionieren kann, wenn es unveränderbar bleibt – sonst hat es nämlich keinen Wert) tun ihr übriges dazu.

Doch bleiben wir bei „Gott“. „Du sollst keine Götter neben mir haben“ und „du sollst dir kein Bild von mir machen“. Jeder kennt diese Gebote. Über letzteres macht sich heute kaum noch einer Gedanken, stattdessen macht man sich lieber Bilder ... – der eine so, der andere so. Gerne wird sich ein Notfallrettungsgott gedacht, der immer dann eingreifen soll, wenn man sich durch eigenes Verschulden richtig dick in die Nesseln gesetzt hat.

Man kann diese Gebote in einfachen, modernen Worten übersetzen: Macht Euch keine Götter neben dem einen, lebendigen, lieben Gott – keine Ideologien, keine Wirtschaftssysteme, keine weltlichen Werte wie Geld und Öl, keine Pop- und Fußballstars, keine Sportwagen und I-Phones und was man sonst noch so in modernen Zeiten vergöttert. Und experimentiert nicht mit Bildern von mir herum, das wird immer schief gehen. Im Prinzip hat sich Gott damit aus dem alltäglichen Treiben der Welt verabschiedet, zieht sich darauf zurück, dass er „lieb“ und „da“ ist.

Was aber machen wir in unserem Alltag? Vergöttern Geld und Fußball – oder?

Eine wirklich christliche Gesellschaft, die nach echten christlichen Werten lebt („liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ – um das nochmal in Erinnerung zu rufen) ... wäre ein gemütliches Ding!

Leben und leben lassen, sich erfreuen an allem was da ist, den Nachbarn nicht im Dreck sitzen zu lassen, sondern gemeinsam das Leben genießen ... – mit einfachen Dingen, die glücklich machen.

Und der Aussicht auf mehr, wenn´s mal zu Ende geht. Kann man nicht meckern.

Das „real existierende Christentum“ - ich glaube, das brauche ich nicht weiter auszuführen, ist weit davon entfernt, hat eigentlich sogar den entgegengesetzten Zustand eher gefördert. Klar, das päpstliche Bild des unfehlbaren Stellvertreter Gottes auf Erden stellt ja auch einen groben Verstoß gegen die Gebote des „Chefs“ dar. Wie soll man den Laden dann noch ernst nehmen? Er scheint von anderen Zielen getrieben zu sein ... – eigentlich ein Konzern zur Vermarktung religiöser Inhalte. „Mc Christus“. Gibt´s auch als „Burger Christ“... etwas trockener in protestantischem Gewande.

Nicht gerade der glaubwürdige Träger einer Botschaft, die zu einem moralischen Leben anhält.

Und was ist nun mit diesem Gott?

Was wäre, wenn die von der Kirche ausgerotteten Katharer (was man so weiß, ganz liebenswerte Leute) Recht hätten: Die Erde ist das Herrschaftsgebiet eines bösen Weltenschöpfers. Und der andere, der liebe, ist ganz weit draußen, sein Reich ist nicht von dieser Welt, weshalb er sich überhaupt nicht in unseren Trubel einmischt?

Immerhin: Nach der Sintflut gab „Gott“ das Versprechen, dass er sich nicht mehr einmischen würde in die Geschicke der Menschheit – als Zeichen für dieses Versprechen setzte er den Regenbogen an den Himmel, so erzählen das jedenfalls die biblischen Legenden. Wir waren frei, zu tun, wonach uns der Sinn stand: nie wieder würde eine Sintflut die Erde rein waschen.

Wenn wir uns aber in Schützengräben wiederfänden, so wären wir nur selbst dafür verantwortlich. Schützengräben … stehen immer am Ende von Ketten unmoralischer Handlungen.

Drehen wir den Spieß doch einfach mal um, wie es Friedrich Nitzsche in der Zeit nach Kant gemacht hat: Wäre Gott tot, wie er behauptete, gibt es letztlich keinen vernünftigen Grund, nicht hemmungslos seine Mitgeschöpfe zum Zwecke der eigenen Bereicherung auszuplündern und zu vernichten, wenn einem danach ist. Das „Recht des Stärkeren“, gegen das wir uns als menschliche Gemeinschaft tausende von Jahren lang zur Wehr gesetzt haben, wäre Moral genug.

Die Entwicklung der menschlichen Geschichte nach Kants Ableben überzeugt einen auch nicht gerade davon, dass er in seinen Überlegungen von dem Zusammenhang zwischen Moral und dem Gottesgedanken irrte: Stärke diktierte Moral … bzw. demonstrierte, dass Stärke gar keine Moral hatte.

Und seine politischen Prognosen (dargelegt in der kurzen Schrift „Zum ewigen Frieden“, in der er die wahrscheinliche Entwicklung der Staatenwelt prognostizierte, vorausgesetzt, wir sind wirklich vernünftige Wesen) traten bisher ein: Wir bewegen uns weg von nationalen Egoismen hin zu übernationalen Staatenbünden, die letztlich in einen Weltstaat münden werden. Einem Weltstaat, vor dem viele jetzt schon Angst haben, weil er nicht der Staat der moralischen Wesen sein wird, sondern der Staat der Superstarken, der Staat der Plutokratie, der Weltstaat der Superreichen, die sich selbst vergöttern.

Na ja – wie die Geschichte zeigt, ist das, was „vernünftig“ ist, nicht immer auch „gut“, weshalb wir vom „ewigen Frieden“ weit entfernt sind – im September 2014 sogar weiter weg als jemals zuvor seit 1945 (oder 1962, wo das erste Mal ein nuklearer Schlagabtausch drohte).

Es würde zu weit führen, den Zusammenhang von „Gott“ und „Moral“ hier gründlicher auszuführen ... geschweige denn, diskutieren zu wollen. Kant brauchte ein ganzes Werk dazu, einige hundert Seiten (empfohlene Lesegeschwindigkeit, gemessen am Komplexitätsgrad der Materie: eine Seite pro Tag! Sonst verliert man den Faden ... ähnlich wie bei mathematischen Gleichungen desselben Umfangs) wenn man sich so kurz wie möglich fassen will.

Leider.

Ganz kurz gesagt, braucht die Vernunft einen Gott, der Belohnungen für moralisches Verhalten im Jenseits verspricht – sonst funktioniert sie nicht im Sinne der Erklärung der allgemeinen Menschenrechte.

Doch leider … ist auch das nicht die Lösung aller Probleme, denn allzu schnell setzen sich die Vermarkter Gottes (die Kirchen und ähnliche Gesellen) wieder auf den fahrenden Zug ... und es ist wieder Schluss mit der Moral. Wenn der Priester (oder sein Schwager, der Sektenführer) Macht wittert, wird er schnell und gnadenlos und greift ohne Rücksicht auf Verluste danach, dass hat man nur allzu oft erleben dürfen.

Leider. Und damit wird´s ein Teufelskreis.

Hoffentlich gibt´s doch einen echten, lebendigen Gott, möchte man meinen. Man wird jedenfalls einen brauchen, um das aufzulösen. Wir jedoch fragen nur nach ihm, wenn mal wieder was schiefgegangen ist.

„Im Schützengraben gibt es keine Atheisten“ - so lautet ein geflügeltes Wort. Vielleicht wäre es endlich mal gut, sich wieder darauf zu besinnen, warum wir dereinst einen Gott ersonnen haben (womit jetzt keine Aussage darüber getroffen werden soll, ob es ihn nun gibt oder nicht): damit wir überhaupt nicht mehr in Schützengräben landen.

Leider fällt er uns aktuell erst wieder ein, wenn die grauenvolle Wirklichkeit der Welt in unser Leben einbricht und uns unsere Kinder nimmt – auf die eine oder andere Weise. Dann soll er helfen, uns aus unserem eigenen, selbst geschaffenem Unheil ziehen, einem Unheil, dass in einer hochmoralischen Gesellschaft gar keinen Raum hätte, sich zu entfalten: Dort würde man Amokläufer und Kriegstreiber schon befrieden können, bevor sie aus Mangel an Liebe ihren Zorn, ihre Wut und ihre Enttäuschung in die Welt tragen.

Doch vor ihrer Tat hören wir so etwas nicht gerne … so wenig, wie wir empfänglich sind für vernünftige moralische Gebote oder eine Vernunft, die auch das Soziale mit einschließt und nicht nur Werkzeug unserer hemmungslosen Egozentrik ist – einer Egozentrik, die keinen Platz für einen Gott neben sich findet.

Und keinen Platz für Moral.

Band 2 - Krieg und Frieden

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