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Prolog

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In seinem schwarzen Umhang gehüllt stand Daniel in dem kärglich eingerichteten Zimmer und blickte auf den leblosen Körper zu seinen Füßen. Verkrümmt lag er da, in einem See voll roten Blutes. In seiner ausgestreckten rechten Hand hatte er ein kleines, in Leder eingefasstes Buch.

„Schickt Eure Leute weg. Ihr aber bleibt noch hier. Ich möchte noch mit Euch reden.“, sprach er den neben ihm stehenden Soldaten der Stadtwache an.

Vorsichtig löste Daniel das Buch aus der toten Hand, wischte das halbangetrocknete Blut so gut er konnte ab und schlug es auf. Es war ein Tagebuch, dessen erste Eintragung etwa 1 Jahr alt war.

„Wie kann ich Ihnen zu Diensten sein?“, die Frage unterbrach Daniel in seinen Überlegungen und er schaute auf.

Der Soldat stand vor ihm und blickte ihn fragend an.

„Wie lautet Euer Name Gardist?“

„Achaz, ehrwürdiger Priester.“

„Nun gut Achaz, dann erzählt mir mal, was hier vorgefallen ist.“

Nervös fuhr sich der Gardist mit der Zunge über seine Lippen und sein Blick fiel wie zufällig auf das Buch, bevor er anfing zu reden: „Der Mann hatte sich verdächtig gemacht. Deshalb wollte ich ihn zu einer Befragung abholen. Als ich aber eintrat, hat er mich gleich angegriffen und es kam zu einem Kampf. Dabei habe ich ihn dann getötet.“

Nachdenklich starrte Daniel dem Soldaten ins Gesicht. Achaz verschwieg ihm etwas, das konnte er deutlich spüren.

„So einfach ist das also und was dachtet Ihr, dass der Tote gemacht hat?“, bohrte der Priester weiter.

„Ich glaube, dass er ein Jungmensch ist.“, kam die zögerliche Antwort.

„Aha, ein Jungmensch also. Und wie kommt Ihr zu dem Verdacht?“

Die Frage machte Achaz noch nervöser. Unstetig wanderte sein Blick im Raum umher und streifte dabei immer wieder das Tagebuch in den Händen des Priesters.

„Er hat sich einfach nur seltsam benommen. Das ist alles.“, kam endlich die Antwort.

Mit einem Kopfnicken beendete der Priester das Thema.

„Setzt Euch.“, und gleichzeitig zeigte Daniel auf das harte Strohbett in der Ecke, während er sich auf den einzigen und schon etwas altersschwachen Stuhl in diesem Raum niederließ und das Buch aufschlug.

Schon nach dem ersten Blick ins Tagebuch, wusste der Priester, dass der Gardist Recht hatte. Mit einem unguten Gefühl blätterte er an den Anfang des Buches und begann zu lesen.


Sommer, Tag und Jahr unbekannt

Es ist schon so lange her, dass ich mich kaum noch an den Anfang erinnern kann.

Gestern habe ich erfahren, dass Arvin gestorben ist. Mit ganzen Namen hieß er Arvin Bertram Müller, aber wer verwendet schon noch Nachnamen?

Wie mir erzählt wurde, haben ihn die Bürger eines gottverlassenen und namenlosen Ortes einfach zu Tode geprügelt. Was für ein unwürdiger Tod für einen Mann der... ich weiß nicht mal wie alt er war. Vielleicht bin ich nun der Letzte, der noch miterlebt hat, wie alles begonnen hatte. Nach all den Jahrzehnten oder nein, es sind wohl schon Jahrhunderte, werde ich müde. Ich habe einfach zu viel Leid gesehen. Nicht mal ein bisschen Betroffenheit habe ich empfunden, nicht eine Gefühlsregung.

Heute habe ich mich entschlossen ein Tagebuch anzufangen. Vielleicht hilft mir das Schreiben, um mich aus der Lethargie zu befreien.


Sommer, Tag?

An diesem gottverdammten Tag habe ich miterlebt wie ein angeblicher Jungmensch hingerichtet wurde. Sie nennen es Reinigung. Dabei handelt es sich doch nur, um eine möglichst grausame Hinrichtung. Was für Idioten! Selbst einem Blinden hätte auffallen müssen, dass das kein Jungmensch war. Jedem normal denkenden Menschen müsste eigentlich klar sein, wie ein Jungmensch aussieht. Zumindest nicht alt und mit vielen Narben im Gesicht. Aber wer kann in dieser Welt noch klar denken. Selbst mir fällt es immer schwerer. Vielleicht sollte ich aufschreiben, wie wir Jungmenschen wirklich sind?


Sommer, Tag?

Ich frage mich, ob ich eine eigene Zeitrechnung anfangen sollte? Wie soll ich sonst später noch erkennen, wann ich etwas aufgeschrieben habe.

Auf jeden Fall habe ich beschlossen von uns Jungmenschen zu schreiben, vielleicht kann ich damit einen kleinen Beitrag zu einer Aussöhnung der normalen mit uns Jungmenschen liefern. Und wenn nicht, könnte immer noch ein Historiker dafür Verwendung haben. Falls es jemals wieder so etwas Normales wie einen Historiker gibt.

Aber wo soll ich anfangen? Wie könnte jemand, der den Umbruch nicht miterlebt hat, überhaupt meinen Gedankengängen folgen?


Sommer, Tag1, Jahr1

Ich habe beschlossen, die Zeitrechnung einfach ab heute beginnen zu lassen. Dieser Tag ist so gut wie jeder andere dafür geeignet.

Die Menschheit ist in einem miserablen Zustand. Von Jahr zu Jahr ist der Verfall deutlicher zu beobachten. Was für ein Gegensatz zu früher. In der Vorkleinzeit und besonders kurz danach lebte die Menschheit im Luxus. Es fehlte eigentlich Keinem an wirklich wichtigen Dingen. Es gab keine Hungersnöte und die meiste schwere Arbeit wurde von Maschinen durchgeführt. Und heute? Heute kennt kein Mensch mehr Maschinen. Die Menschen vegetieren nur noch dahin. Wie konnte es nur so weit kommen?


Sommer, Tag 5, Jahr1

In den letzten Tagen bin ich nur knapp dem Tode entkommen. Woher kommt nur der unermessliche Hass der normalen Menschen auf uns Jungmenschen? Jetzt bin ich wieder auf der Flucht, wie eigentlich die meiste Zeit meines Lebens. Aber fliehe ich nur vor den unverbesserlichen und hasserfüllten Menschen oder fliehe ich doch mehr vor meinen eigenen Erinnerungen, die mich jede Nacht wieder einholen?

Die guten Erinnerungen aus der Vorkleinzeit sind schon fast vollständig verblasst. Geblieben sind nur die Albträume.


Sommer, Tag 30, Jahr1

Nach langem grübeln kann ich mich doch noch an den Anfang erinnern. Zumindest hoffe ich, dass es wirkliche Erinnerungen sind und nicht irgendwelche Halluzinationen. Ich sehe noch die Maschine, in die ich klettern musste und aus der ich dann mit meiner jetzigen Körpergröße von ca. 37cm und mit dem Versprechen des ewigen Lebens wieder verließ. Was für eine Errungenschaft der Technik! Die Probleme der Menschheit waren mit einem Schlag vorbei. Durch die Verkleinerung gab es genug Essen für alle auf dieser Welt und zudem war das Altern, der Verfall des Körpers besiegt. Warum konnten die Menschen nicht zufrieden damit sein? Aber nein es gab noch genauso viel Hass, Intrigen und Missgunst.

Jedenfalls war dies wohl der glücklichste Tag in meinem langen Leben. Danach sollte es nur noch schlechter werden.


Herbst, Tag103, Jahr1

In letzter Zeit habe ich keine Gelegenheit gehabt auch nur ein paar Zeilen zu schreiben.

Die Tage werden merklich kühler und langsam muss ich mich auf den Winter vorbereiten. Leider habe ich noch immer keine Unterkunft gefunden und außerdem ist dieses Jahr besonders mies gelaufen. Mein Geld ist fast aufgebraucht. Wie soll ich nur die kalte Jahreszeit überstehen?

In den letzten Wochen habe ich darüber nachgedacht, warum sich das alte Leben so plötzlich in diesen barbarischen Horror verwandelte. Natürlich hat der große Krieg dazu geführt. Aber ich kann mich nicht mehr erinnern, weshalb er ausgebrochen ist. Auf jeden Fall war er wirklich verheerend. Nachdem ganze Länder durch den radioaktiven Fallout unbewohnbar geworden waren und die Menschen nur noch ums nackte Überleben kämpften, kam der Todesstoß für die kultivierte Menschheit. Die Kinder die geboren wurden, besaßen nur in seltenen Fällen die Gabe des nicht Alterns und das alte Wissen darüber war im Krieg verlorengegangen.

Es dauerte dann nicht mehr lange und es gab mehr normale Menschen als uns Jungmenschen, wie wir dann genannt wurden. Und kurz darauf wurden wir Jungmenschen zu Gejagten.

Ich glaube nicht, dass viele von uns Jungmenschen diese Zeit überlebt hatten.


Entsetzt blickte Daniel auf. Er wollte den Rest dieser Aufzeichnung gar nicht mehr lesen. Das, was dort in diesem kleinen, schmuddeligen Buch stand, durfte auf keinen Fall Verbreitung finden. Die Grundfeste der Kirche würden erschüttert werden.

Nachdenklich blickte er auf den eingeschlafenen Gardisten. Es war gut dass er diesen teuflischen Jungmenschen getötet hatte. Aber wie viel wusste er?

Mit ehrlichem Bedauern erhob sich Daniel und ging leise zu dem Schlafenden. Aus seiner Kutte kramte er eine lange Nadel heraus und beträufelte sie mit einer klebrigen Flüssigkeit. Mit einem stummen Gebet stach er die Nadel Achaz mit Wucht mitten in die Brust. Ein schmerzhafter Aufschrei und der Gardist sackte in sich zusammen, als das Gift sein Leben auslöschte.

Nach einem kurzen Gebet für den Verstorbenen legte Daniel das Tagebuch neben die Leiche auf das Strohbett, nahm sich einen glühenden Holzscheit aus dem Kamin und zündete damit das Stroh an. Ohne sich noch mal umzuschauen, verließ der Priester die kleine Hütte und trat in die Kälte hinaus. Mit schnellen Schritten machte er sich auf den Weg zu seiner Unterkunft, während hinter ihm die Flammen die letzten Beweise vernichteten.


Kleine Ewigkeit

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