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Begegnung

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Es war ein schöner, warmer Tag im April, der sich langsam seinem Ende zuneigte. Die hereinbrechende Dämmerung verlieh dem kleinen Ort einen romantischen Sonnenuntergang. Die wenigen Dorfbewohner gingen ihren letzten Beschäftigungen nach, bevor sie in ihre Häuser heimkehren würden.


Wie jeden Abend, machte Amber sich noch zum Dorfbrunnen auf den Weg, um zwei Eimer Wasser zu holen. Sie war ein Mädchen von 17 Jahren mit braunem, langem Haar, hinten zu einem Zopf gebunden. Ihr schlanker Körper, der mit 33 cm eine durchschnittliche Größe besaß, wies keinen erkennbaren Makel auf.

Schnellen Schrittes ging sie die staubige Straße entlang. Rechts und links standen die kleinen und heruntergekommenen Hütten der Dorfbewohner. Das einzige größere Gebäude war das Gemeindehaus und auch dieses Bauwerk gab ein Zeugnis dafür ab, dass das Dorf sehr arm war. Hauptsächlich lebten die wenigen Einwohner von der Landwirtschaft und dabei kam kaum mehr heraus, als zum kärglichen Überleben notwendig war.

Für Amber indes, war es ein ganz normaler Anblick, den sie schon aus ihrer Kindheit kannte. In all den Jahren hatte es kaum Veränderungen gegeben, wenn man davon absah, dass die Häuser jedes Jahr etwas mehr verfielen und immer wieder notdürftig repariert wurden.

Der Weg von ihrem Zuhause bis zum einzigen Dorfbrunnen war nicht weit, doch nach diesem anstrengenden Tag auf dem Feld wollte sie ihre letzte Pflicht möglichst schnell erledigen.

Endlich erreichte sie die Ecke des Gemeindehauses und konnte ungehindert zum Brunnen schauen. Mit Freude erkannte sie Jasmin, ihre beste Freundin, die sich gerade abmühte ihre Eimer mit Wasser zu füllen. Schnell ging sie zu ihrer Freundin und klopfte ihr von hinten auf den Rücken. Erschrocken ließ Jasmin ihren vollen Eimer fallen und drehte sich um.

„Man, hast Du mich aber erschreckt.“

„Tut mir leid. Du bist mir doch nicht böse?“, fragte Amber besorgt.

„Nein, natürlich nicht“, erwiderte Jasmin und mit einem breiten Grinsen fügte sie hinzu: „Heute könnte ich glaube ich niemanden böse sein. Es ist nämlich etwas Großartiges geschehen!“

Und als Jasmin keine weiteren Anstalten machte ihr die Neuigkeiten zu erzählen, sondern nur mit diesem Grinsen im Gesicht da stand, fragte Amber endlich: „Nun sag schon, was ist denn so Tolles passiert?“

„Ich werde vermählt!“, platzte es triumphierend aus Jasmin heraus.

„Heute haben mir meine Eltern mitgeteilt, dass sie mich einem reichen, einflussreichen Händler aus der Stadt versprochen haben. Und stell Dir vor: Er soll noch nicht einmal soo alt sein!“

„Wirklich? Das ist ja großartig! Erzähl schon, wann wirst Du Deinen Bräutigam kennenlernen und wann soll die Hochzeit sein?“, fragte Amber neugierig nach.

„Er wird nächste Woche hier erwartet. Dann sollen auch alle weiteren Dinge besprochen werden. Der Hochzeitstermin ist noch nicht festgelegt, wird aber wohl irgendwann im Juni stattfinden. Vielleicht kommt ja auch gleich ein klerikaler Inspektor mit. Ich bin jetzt schon total nervös. Wir müssen uns unbedingt morgen treffen, damit ich Dir alles genau erzählen kann.“, und mit einem Bedauern in der Stimme fügte sie hinzu: „Jetzt muss ich mich aber beeilen, meine Eltern warten schon auf mich. Bis morgen!“

Jasmin packte ihre Sachen zusammen und entfernte sich schnellen Schrittes vom Brunnen.

Nachdenklich schaute Amber ihrer Freundin hinterher. Sie freute sich für sie, doch war sie auch etwas traurig. Bald würde Jasmin wegziehen und wahrscheinlich werden sie sich dann nie mehr wieder sehen. Und auch der Gedanke an ihre eigene Situation beschäftigte sie. Wieso war sie noch nicht verheiratet? Schließlich war sie viel älter als alle anderen Mädchen hier im Dorf. Jasmin gehörte schon zu den älteren mit ihren 15 Jahren und sie war noch 2 Jahre älter! Amber wusste, dass ihr Vater schon einige Angebote für sie abgelehnt hatte. Er sagte zu ihr dann immer, dass es nicht der Richtige wäre. Aber langsam hatte sie das Gefühl, dass es niemals das richtige Angebot geben wird. Hätte sie doch eine Mutter, die hätte schon dafür gesorgt, dass sie bald vermählt würde. Aber leider hatte sie keine Mutter mehr. Sie ist kurz nach ihrer Geburt gestorben.

Amber nahm die beiden Eimer wieder auf und ging zum Brunnen. Nachdem sie das Wasser eingefüllt hatte, machte sie sich mit den schweren Eimern auf den Heimweg. Dabei dachte sie an ihre Freundin und den Besuch ihres Bräutigams in der folgenden Woche.

Ihr Vater würde nicht begeistert sein, wenn ein klerikaler Inspektor ins Dorf käme. Sie hatte nie die Abneigung ihres Vaters gegenüber den Vertretern der Kirche verstanden. Dabei machten sie doch nur ihre Arbeit. Vor jeder Hochzeit musste schließlich das Hochzeitspaar überprüft werden. Das Böse konnte sich überall verbergen. Und die Vergangenheit hatte bewiesen, dass eine Überprüfung der Säuglinge nicht ausreichte. Erst letztes Jahr ist dadurch erkannt worden, dass Marie zu den Jungmenschen gehörte. Sie hatte Marie immer gemocht und hätte nicht im Traum daran gedacht, dass Marie vom Bösen besessen sei.

Die Reinigung oder wie ihr Vater sagen würde die Exekution, hatte sie nicht miterleben können, weil er sie an diesem Tag nicht aus dem Haus gelassen hatte. Aber nach den Erzählungen von Jasmin dauerte sie sehr lange und war unbeschreiblich grausam gewesen. Immer wenn sie darüber nachdachte, fragte sie sich, wozu diese Grausamkeit gut ist.

Zu Hause angekommen öffnete sie die Pforte zum Grundstück und stellte die Eimer erst mal vor der Tür ab. Sie rieb sich die Hände, um die verkrampften Finger wieder beweglich zu machen. Es war doch ziemlich beschwerlich die vollen Eimer vom Dorfbrunnen bis zu ihrem kleinen Haus zu bringen. Deshalb hatte Amber auch diesen Dienst vor ein paar Monaten freiwillig übernommen. Ihrem Vater ging es seit dem letzten Herbst nicht gut und er sollte sich schonen.

Sie öffnete die Haustür und wollte die Wassereimer in die Kochnische bringen, als sie bemerkte, dass ihr Vater nicht allein war. Amber blieb mitten im Raum stehen und schaute zu dem Fremden. Dieser blickte zu ihr rüber und musterte sie. Er hatte einen unangenehmen, durchdringenden Blick, der sie frösteln ließ. Die Kleidung aus schwarzem Leder sorgte für einen noch unheimlicheren Eindruck.

„Sie sieht hübsch aus“, sagte er ohne die Augen von ihr zu wenden. „Und Du bist Dir sicher?“

Die Frage löste bei ihrem Vater nur ein Kopfnicken aus.

Nach einer kurzen Weile des Schweigens bat sie ihr Vater: „Bitte stell doch die Eimer ab und mach uns und unserem Gast das Abendbrot.“

Erst da bemerkte Amber, dass sie immer noch mit ihrer Last mitten im Raum stand und den Fremden anstarrte. Sie beeilte sich der Aufforderung ihres Vaters zu folgen und stellte einen Eimer in die Ecke. Den Inhalt des anderen Eimers schüttete sie in einen Topf. Ihre Finger waren schon wieder verkrampft. Sie rieb Ihre Hände aneinander und begann das Feuer zu entzünden.

Während sie das Wasser für den Tee erhitzte und das Abendbrot herrichtete, konnte sie ein paar Bruchstücke des Gesprächs mitbekommen. Die meiste Zeit schien sich die Unterhaltung um die Vergangenheit zu drehen. Zwischendurch entstanden oft Pausen, in denen keiner etwas sagte. Über dem Ganzen hing eine seltsame Aura.

Amber versuchte unauffällig den Fremden zu mustern. Sie wusste nicht warum, aber es kam ihr so vor, als ob sich der Fremde und ihr Vater schon lange kannten. Dabei konnte es eigentlich nicht sein. Sie hatte ihn zuvor noch nie gesehen und der Fremde war wesentlich jünger als ihr Vater, er konnte kaum älter als 25 sein. Sein Haar war dunkelbraun, fast schwarz. Es hing ihm bis auf die Schulter. Das Gesicht wirkte streng und traurig zugleich, so als ob die dunkelbraunen Augen schon unendlich viel Leid erblickt hätten. Die Kleidung schien bis auf einen Umhang, der auf der Bank lag, ganz aus schwarzem Leder zu bestehen und man konnte deutlich die Abnutzungsspuren darauf erkennen.

Als der Tee fertig war, füllte sie ihn in Tassen und stellte ihn zusammen mit einem Laib Brot und einer deftigen Rotwurst auf den kleinen fleckigen Holztisch. Auf einen Wink ihres Vaters setzte sie sich dazu.

„Verzeih Amber, ich habe Dir noch nicht unseren Gast vorgestellt.“ begann ihr Vater: „Sein Name lautet Kerwin. Er ist ein Freund. Wir kennen uns schon eine ganze Weile. Aber jetzt lasst uns erst mal essen.“

Während des Essens wurde kein Wort gesprochen. Amber konnte ihre Nervosität kaum unterdrücken. Als sie zum Messer griff, um ein Stück Brot abzuschneiden, wäre es ihr beinahe aus der Hand gefallen. Sie wusste, irgendwie hatte die Begegnung etwas mit ihr zu tun. Vielleicht wollte ihr Vater sie ja mit diesem seltsamen Mann vermählen?

Nachdem alle mit dem Essen fertig waren, entstand eine unangenehme Stille. Plötzlich bekam ihr Vater einen Hustenanfall. Er hielt sich schnell ein Tuch vor dem Mund. Als er es wieder wegnahm, konnte Amber erkennen das es sich rot gefärbt hatte.

„Du hast es ihr nicht gesagt?“, fragte Kerwin.

„Nein“, kam die knappe Antwort.

„Owen, Du solltest es ihr sagen!“, Kerwin sprach sehr eindringlich.

Ihr Vater schaute sie lange an: „Ja.“

Langsam ging Ambers Nervosität in Panik über. Sie konnte kaum noch still sitzen. Schleppend fing ihr Vater an zu sprechen: „Amber mein Bernstein, Du weißt, dass ich Dich über alles Liebe und dass ich immer das Beste für Dich wollte. Du musst mir vertrauen und mir versprechen genau das zu tun, was ich Dir jetzt sage.“

Ein weiterer Hustenanfall ließ ihn innehalten. Nachdem er zu Ende war, hatte Amber das Gefühl, dass sich der rote Fleck auf dem Tuch vergrößert hatte. Die Angst schnürte ihr allmählich die Kehle zu. Sie brachte nur ein jämmerliches „Ja, Vater“ heraus.

„Du kannst es mir ansehen. Mein Zustand verschlechtert sich immer mehr.“, setzte ihr Vater wieder an und machte eine Pause. „Es lohnt sich nicht, sich etwas vorzumachen. Ich werde bald sterben.“

Amber merkte, wie Tränen ihre Wange herunterliefen. Die weiteren Worte ihres Vaters nahm sie nur noch wie in Trance auf.

„Du brauchst jemanden der Dich beschützen kann. Allein bist Du hier nicht sicher. Deshalb habe ich Kerwin eine Nachricht geschickt. Für das rechtzeitige Eintreffen danke ich Gott. Kerwin wird Dich hier wegbringen, Dir alles nötige beibringen und immer für Dich da sein. Du musst ihm vertrauen, wie Du mir vertraust.“

In Ambers Kopf fing sich langsam an alles zu drehen. Sie fühlte sich, als müsste sie gleich umkippen. Ihr Vater war der einzige Mensch, den sie über alles liebte und für den sie alles tun würde. Sie versuchte Kerwin anzuschauen, aber durch ihren Tränenschleier konnte sie nichts mehr erkennen. Ihr Vater wollte noch etwas sagen, ließ es dann aber doch bleiben. Amber merkte wie ihr aufgeholfen wurde. Sie konnte nicht alleine stehen. Als sie ins Bett gelegt wurde, fing sie an hemmungslos zu weinen. Irgendwann hatte sie keine Tränen mehr und man hörte nur noch ein leises Schluchzen.

Nachdem sie eingeschlafen war, stand ihr Vater, der neben ihr am Bett gesessen hatte, schwerfällig auf und ging zurück zum Tisch, an dem Kerwin noch saß.

„Sie weiß noch immer nicht die ganze Wahrheit.“, setzte Kerwin das Gespräch fort.

„Du hast es gesehen. Meine Kleine kann im Moment nicht mehr ertragen. Du musst es ihr sagen, wenn sie soweit ist.“, erwiderte er.

Kerwin nickte nur. Es entstand ein lange Pause.

„Willst Du Dich immer noch rächen?“, fragte Kerwin schließlich.

Owen nickte und blickte ihn fragend an.

„Dann nimm dies“, und mit diesen Worten überreichte Kerwin ihm ein Bündel.

Als Owen es auspackte, lag darin ein Richtschwert der Kleriker. Owen schaute Kerwin fragend an.

„Es ist das Schwert mit dem Dein Weib getötet wurde.“, und mit einem boshaften Lächeln fügte er hinzu: „Der ehemalige Besitzer kann in seinem jetzigen Zustand nichts mehr damit anfangen.“

Eine Pause entstand, in der sich die beiden Männer anschauten.

„Ich habe noch ein weiteres Geschenk für Dich. Der Priester, der Deine Frau getötet hat, wird nächste Woche mit einem zukünftigen Bräutigam in dieses Dorf kommen, um die Braut zu prüfen.“

„Kerwin, wie hast Du das denn hinbekommen?“

„Der Bräutigam ist sehr mächtig und reich. Deshalb kommt der Priester persönlich mit und übernimmt die Prüfung der Braut. Ich sage Dir, es war nicht ganz einfach zu organisieren. Denk daran, den Kleriker zu töten ist schwer. Er ist gut bewacht. Du musst dicht an ihn rankommen, bevor Du zuschlägst und es ist wohl unmöglich, danach die Wachen zu überleben!“

Owen grinste „Aber ein Sterbenskranker, der nichts zu verlieren hat, kann es schaffen. Ich danke Dir. Aber jetzt lass uns noch ein letztes Mal feiern und von den guten alten Zeiten reden.“, mit diesen Worten ging er zum Schrank, holte eine Flasche Schnaps und zwei Becher.

Sie saßen noch lange zusammen, lachten über alte Begebenheiten und trotzdem konnten sie ihre tief sitzende Traurigkeit nicht überwinden.


Der Abschied von ihrem Vater am nächsten Morgen verlief sehr tränenreich. Amber konnte sich später nicht an viel erinnern. Nur der traurige Blick ihres Vaters hatte sich in ihr Gedächtnis gebrannt und sie würde ihn wohl niemals vergessen können.

Auf dem Weg zum Eingangstor des Dorfes begegnete ihnen keine Menschenseele. Kerwin sprach mit der Wache am Tor. Der Wachmann wünschte ihnen noch eine gute Reise und klopfte ihr freundschaftlich auf die Schulter, bevor er das Tor öffnete. Amber murmelte irgendetwas als Erwiderung, dann machten sich beide auf die Reise.

Hinter ihnen schloss sich das Tor wieder. Das Geräusch ließ Amber zusammenzucken. Es hatte für sie etwas so Endgültiges.


Die nächsten Tage bestanden nur aus Laufen, Essen und Schlafen. Sobald es hell genug war brachen sie auf und machten erst zum Abend wieder halt. Dabei trieb Kerwin Amber immer wieder zur Eile an.

Harte Arbeit war Amber gewohnt, aber dieser Anstrengung glaubte sie nicht lange gewachsen zu sein. Sie konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, sondern sich nur noch auf die nächsten Schritte konzentrieren.

Am dritten Tag fing es an zu regnen und das Fortkommen wurde noch schwieriger. Kerwin verließ die Straße und bog mit ihr in einen Wald ab.

Als sie an diesem Abend unter einer dicken Wurzel Rast machten, sackte Amber nur noch auf dem Boden und war binnen einer Minute eingeschlafen.

Auch die nächsten beiden Tage waren die reinste Qual. Jede Bewegung verursachte höllische Schmerzen. Die Blasen, die sie sich gelaufen hatte, waren schon längst aufgeplatzt und bei jedem Schritt scheuerte das rohe Fleisch in den Schuhen.

Das Denken hatte sie nun gänzlich eingestellt und die Schritte erfolgten nur noch automatisch.


Langsam wachte Amber auf und bemerkte erstaunt, dass sie in einem richtigen Bett lag. Sie blickte auf und musterte den Raum. Er war sehr klein und bestand nur aus zwei Betten einem Tisch und einem Stuhl. Ein schmaler Lichtstrahl fiel durch ein rundes Loch, das wohl als Fenster dienen sollte und erzeugte eine diffuse Helligkeit.

Sie versuchte sich aufzusetzen, aber der Schmerz in ihren Beinen war überwältigend. So einen starken Muskelkater hatte sie ihr Lebtag noch nicht gehabt.

Amber starrte an die Decke, die wie der Rest des Zimmers aus Holz bestand und versuchte zu ergründen, wie sie hier her gelangt ist. Das Letzte, an das sie sich erinnerte, war das schier endlose Laufen und die schmerzenden Füße.

Sie wollte gerade ihre Füße begutachten, als plötzlich die Tür aufging. Es kam eine unglaublich fette Frau in den Raum und lächelte sie freundlich an.

„Ich habe hier etwas zu Essen. Du musst ja schon am Verhungern sein. Ich bin übrigens Berta.“, mit diesen Sätzen stellte sie ein Tablett mit einer Vielzahl von Speisen auf den Tisch.

Der Anblick machte Amber sprachlos. Es kam ihr so vor, als ob Berta fast den ganzen Raum einnahm. Das Kleid war mehr ein Zelt und hatte eine leuchtend orange Farbe. Die blonden Haare vielen auf ein aufgedunsenes Gesicht, das sie stark an die Hängebauchschweine in ihrem Dorf erinnerte.

„Hast Du auch einen Namen oder muss ich Dich einfach nur Mädchen rufen?“, fragte Berta immer noch mit einem Lächeln im Gesicht.

Mit einem Mal wurde Amber sich bewusst, dass sie Berta mit offenem Mund anstarrte. Sie blickte schnell zu Boden. Es war ihr unendlich peinlich.

„Mein Name ist Amber.“, murmelte sie.

„Meine perfekte Figur hat schon ganz andere Leute aus der Fassung gebracht. Dafür musst Du Dich nicht schämen.“, erwiderte Berta mit einem ironischen Unterton.

„Aber jetzt lass mich erst mal Deine Wunden ansehen.“, mit diesen Worten wälzte sie sich zu Amber ans Bett und schlug die Decke von den Beinen.

Die Verbände an Ambers Füßen hatten sich rot gefärbt.

„Das gefällt mir aber gar nicht.“, sagte Berta mit einem kritischen Blick darauf und fing an sie vorsichtig zu lösen.

„Mal sehen wie es Deinen Füßen geht. Als ich Dich gestern verbunden habe, waren sie ja kaum noch als solche zu erkennen.“

Amber musste die Augen zukneifen und die Zähne fest zusammenbeißen, um nicht laut aufzuschreien.

„Sieht aber wirklich nicht gut aus. Du musst wohl ein paar Tage meine Gastfreundschaft genießen, bevor Du wieder rumhüpfen kannst.“, und in eindringlicherem Ton fügte Berta hinzu: „Das nächste Mal lässt Du Dir das von Kerwin nicht gefallen. Dir so was anzutun! Ich glaube, ich werde ein paar ernste Worte mit ihm wechseln müssen!“.

Nachdem Berta die neuen Verbände angelegt hatte, wollte sie schon den Raum verlassen, als Amber sie ansprach: „Kann ich Dir ein paar Fragen stellen?“

„Aber nur wenn Du dabei etwas isst“, kam prompt die Antwort.

Erst jetzt merkte Amber, dass sie wirklich Hunger hatte. Daher achtete sie nicht auf die Schmerzen in den Beinen und setzte sich auf. Berta schob ihr den Tisch ran und platzierte sich gegenüber auf das andere Bett. Die Situation erschien Amber völlig irreal. Langsam fing sie an zu essen.

„Wo bin ich hier?“, war ihre erste Frage.

Berta antwortete, in dem sie ihre Arme ausbreitete und sagte: „Du bist hier in meiner Taverne ZUR DICKEN BERTA in einem Gästezimmer. Einen besseren Ort wirst Du weit und breit nicht finden.“

„Und wie bin ich hier hergekommen?“

Nun hatte Amber das Gefühl, als ob Berta sich die Worte zurechtlegen musste, bevor sie antwortete: „Kerwin und Du kamen mitten in der letzten Nacht hier an. Du warst bewusstlos. Ich glaube er hat Dich eine kleine Ewigkeit getragen. Jedenfalls habe ich ihn noch nie so erschöpft gesehen.“

Irgendwie hatte Amber das Gefühl, dass ihr nicht die ganze Wahrheit erzählt wurde, aber sie hatte auch nicht das Bedürfnis hier weiter zu bohren.

Stattdessen fragte sie: „Wo ist Kerwin jetzt?“

„Nun, er hat mir gesagt, er müsse noch etwas Wichtiges erledigen und ist spätestens in ein paar Tagen wieder hier. In der Zwischenzeit soll ich mich um Dich kümmern. Dich wieder auf die Beine bringen und Dir nützlichere Kleidung verschaffen. Heute wirst Du Dich erst mal ausruhen. Morgen kommt dann der hiesige Schneider und Schuster. Deine Kleidung ist für das Leben in der Wildnis denkbar ungeeignet.“

Berta wollte schon aufstehen, als Amber ansetzte: „Eine letzte Frage habe ich noch. Warum tust Du das für mich?“

„Weil Kerwin mich dafür gut bezahlt.“, mit diesen Worten verließ Berta den Raum.

Als die Tür zufiel, konnte sie hören wie sie von außen verriegelt wurde. Nachdenklich beendete Amber ihr Frühstück oder war es schon Mittag? Sie legte sich wieder hin und die Müdigkeit übermannte sie.


Die nächsten Tage verbrachte Amber nur in dem kleinen Raum. Ab und an kam Berta vorbei, um ihr das Essen zu bringen.

Bei den Unterhaltungen konnte Amber allerdings nicht viel erfahren. Immerhin wusste sie jetzt, dass ihr Raum, sowie die gesamte Taverne im inneren eines großen Baumes waren. Sie konnte sich das zwar nicht richtig vorstellen, aber wenn sie aus dem kleinen runden Fenster schaute, wusste sie dass dies die Wahrheit sein musste.

Jedes Mal, wenn Berta den Raum verließ, wurde er verriegelt. Berta meinte dazu, dass es nur zu ihrer Sicherheit sei. Und auch bei den Besuchen vom Schneider oder vom Schuster war Berta die ganze Zeit anwesend. Mit jedem Tag der verging, fühlte sie sich ein Stückchen mehr als Gefangene.


Wie so häufig, lag Amber auf ihrem Bett und starrte an die Decke. Sie dachte mal wieder an ihr Dorf und ihren Vater. Warum hatte ihr Vater sie gerade diesem seltsamen Mann mitgegeben und was hatte er vor?

Ein leises Klacken verriet Amber, dass die Tür entriegelt wurde. Amber richtete sich auf und wollte gerade Berta sagen, dass sie noch keinen Hunger hatte, als sie bemerkte, dass Kerwin in der Tür stand. Langsam durchschritt er den kleinen Raum, nahm sich dabei den einzigen Stuhl und setzte sich ihr gegenüber.

„Hallo Amber, ich hoffe Du hast Dich etwas erholt“, waren seine ersten Worte.

Amber schaute ihm ins Gesicht. Es war etwas schmutzig und man konnte deutlich die Erschöpfung erkennen. Es ging von ihm auch eine Art von Traurigkeit aus, die Amber frösteln ließ.

Als Kerwin keine Antwort bekam, setzte er nochmals an: „Bisher hatten wir noch nicht die Gelegenheit uns wirklich zu unterhalten. Das sollten wir nachholen. Du hast doch bestimmt ein paar Fragen.“

„Gut, dann sag mir mal als erstes, warum ich hier eingesperrt bin!“, schnauzte Amber ihn an.

Die Wut der letzten Tage kochte inzwischen bei ihr richtig hoch.

„Berta ist wohl etwas zu vorsichtig gewesen.“, und etwas leiser fügte er noch hinzu: „Vielleicht weil ich gesagt habe, dass ich ihren fetten Wanst aufschlitze und ihr ihre eigenen Gedärme essen lasse, falls Dir etwas zustößt.“

Ungläubig schaute Amber Kerwin an. Konnte der Mann das Gesagte gerade ernst gemeint haben? Sie konnte jedenfalls keine Anzeichen bemerken, die auf einen Scherz hindeuteten. Etwas verunsichert stellte Amber ihre nächsten Fragen: „Wer bist Du und warum hat mein Vater gerade Dich gebeten für mich zu sorgen?“

„Wer ich bin? Oh, ich bin nur ein Reisender und Freund Deines Vaters. Nicht wirklich etwas Besonderes“, kam die ausweichende Antwort: „Und zu Deiner zweiten Frage. Du bist nun mein Mündel, weil ich der einzige Mensch bin, dem Dein Vater vertraut hat und dem er auch zutraute Dich zu beschützen und Dir alle wichtigen Fertigkeiten beizubringen.“

„Und was sollst Du mir beibringen?“, wollte Amber wissen.

„Zu überleben.“, war die knappe Antwort.

Es entstand eine lange Pause. Schließlich erhob sich Kerwin.

„Wenn Du jetzt keine Fragen mehr hast, gehe ich mich etwas ausruhen. Du kannst natürlich den Raum hier verlassen und Dich frei bewegen. Bitte gehe aber nicht aus der Waldstadt heraus und bleib auf den belebten Wegen. Es ist hier nicht ganz ungefährlich. Ach ja und hier habe ich noch eine Kleinigkeit für Dich. Trag ihn immer bei Dir.“, mit diesen Worten legte er einen Dolch auf den Tisch.

Als Amber ihn fragend ansah, fügte er hinzu: „Ich weiß, Du bist nicht gewöhnt eine Waffe zu tragen und es ist auch nicht die Beste, aber zögere nicht den Dolch zu benutzen, falls es nötig wird.“

Amber schaute zum Messer und dann wieder zu Kerwin: „Eine Frage habe ich noch. Warum hast Du mich hier allein gelassen, wenn Du mich doch beschützen sollst?“

Es schien Amber, als ob ein Schatten über das Gesicht von Kerwin lief. Er setzte zu einer Antwort an, überlegte es sich aber noch mal.

Dann schaute er Amber tief in die Augen und flüsterte: „Glaube mir, das willst Du nicht wissen.“

Darauf wusste Amber keine Erwiderung und nach einer kurzen Zeit der Stille verließ Kerwin den Raum. Diesmal wurde die Tür nicht von außen verriegelt. Sie konnte sich das erste Mal frei bewegen.


Amber blieb noch eine Weile auf dem Bett sitzen und dachte über die Worte von ihrem neuen Gefährten nach. Warum wollte er ihr nicht sagen wo er war? Und was hatte er noch über ihren Vater gesagt? Hatte er nicht in der Vergangenheit von ihm gesprochen? Langsam kam ihr ein grausiger Verdacht. Aber vielleicht irrte sie sich ja auch.

Kleine Ewigkeit

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