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Du wärst nicht hier, wenn

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Also besuchte er dienstags wieder die Bar und wurde fast wie ein Stammgast begrüßt. Dies war Willi ein wenig peinlich, denn er hatte doch gehofft, sich in der Anonymität verstecken zu können, aber dann hätte er wohl nicht so oft in so kurzer Zeit vorbeikommen dürfen.

Er bemerkte sofort, dass Berta alleine an der Bar saß, und so setzte er sich zu ihr. Sein Herz pochte heftig, denn er wusste nicht, was da auf ihn zukam.

Die beiden unterhielten sich recht gut, wobei es Willi strikt unterband, sein Problem zu erwähnen. Nachdem sie miteinander warm geworden waren, sprach ihn Berta ganz direkt auf seinen Kummer an. „Du wärst nicht hier, wenn es keine Not in deinem Leben gäbe. Ich sah dich die letzten Male und du warst an keinem amourösen Abenteuer interessiert. Erzähle mir doch bitte einfach, wo der Schuh drückt – es sei denn du hast eine bessere Idee, wie du dein Problem lösen kannst, dann solltest du jenen Weg wählen!“

Willi fand, dass sie Recht hatte und so begann er zögerlich zu erzählen. „Ich habe vor ein paar Jahren den Laden meiner Eltern übernommen, eine winzige Pizzeria. Vielleicht kennen sie das ‚Luigi‘ sogar, es liegt genau unter der Autobahnbrücke. Früher lag es an der Hauptstraße, aber jetzt fahren alle über die Autobahn und da trägt sich das Geschäft mehr schlecht als recht. Inzwischen wohnen meine Eltern im ‚Seniorenheim zur Linde‘. Am liebsten würde ich die Pizzeria schließen, aber meine Eltern kommen einmal im Monat hin und da bring ich es nicht übers Herz, das Luigi zu schließen, denn sie hängen so sehr daran.“

Berta hatte aus seinen Worten nicht entnommen, dass er etwas anderes lieber machen würde und außerdem hatte er kein Wort von Schulden oder Insolvenz erwähnt, und daher konnte diese Pizzeria nicht das Problem sein. Also hakte sie nicht ein, sondern fügte nickend nur ein Wort hinzu:

„Und?“ fragte sie kurz und bündig.

Willi wollte nun endlich mit dem Problem herausrücken. „Und jetzt sind meine Eltern schon sehr alt und auch ziemlich krank. Die Ärzte meinen, dass sich ihr Zustand nicht mehr bessern wird und die beiden Leutchen wissen dies auch. Daher haben sie sich von einem früheren Kunden etwas besorgt, um damit ihr Leben zu beenden. Der Arzt im Heim und die Krankenschwester weigern sich aber, ihnen Sterbehilfe zu leisten. Alleine können sie es nicht mehr und sie haben auch viel zu sehr Angst, dass dabei etwas schief geht und dann würden sie vielleicht für Jahre an einer Maschine hängen. Also haben sie mich gefragt – und ich – . „Mitten im Satz hörte er zu sprechen auf, weil er es nicht formulieren konnte.

„Du weißt jetzt nicht, ob man jemanden aus Liebe töten kann. Nichts ist auf einmal richtig und nichts ist falsch, aber alles durcheinander,“ beendete Berta seine Ausführungen.

Willi war geradezu schockiert, wie diese Frau mit wenigen Worten das Drama auf den Punkt brachte. Er nickte nur und schien erleichtert, weil es nun heraus war.

„Sag mal, kannst du dir vorstellen, wie deine Eltern dich fütterten? Dies war Liebe! Und wenn sie dich heute füttern würden, dann hättest du wahrscheinlich deine Schwierigkeiten, dich füttern zu lassen!“

Willi musste leicht schmunzeln, beim Gedanken wie Mutter ihn füttern würde und wie er den Brei verweigern würde, vielleicht sogar ausspucken.“

„Liebe“ fuhr Berta fort, „ist keine 100-jährige Konstante, sondern eine sich fast täglich wandelnde und erneuernde Kraft des Lebens, die mit den Lebensumständen verbunden ist. Als du deine Briefe zum Muttertag schriebst, hattest du eine andere Art es auszudrücken als du es heute äußerst. Es geht aber nicht darum, dass du jetzt Sterbehilfe als Liebe definieren sollst, sondern es geht darum, dein Bild der Liebe wieder in Bewegung zu bringen, aus der Erstarrung zu lösen und letztlich auch frei vom Gefühl zu werden, etwas Bestimmtes tun zu müssen, oder unterlassen zu sollen. Verbringe einfach ein oder zwei Tage mit deinen Eltern, mach die Pizzeria wegen einer Familienfeier auf, ein paar Tage zu. Dann folge deinem Herzen und drücke ihnen die Liebe so aus, wie dein innerstes es möchte. Verschwende keinen einzigen Gedanken an die Sterbehilfe, sondern bringe deiner Liebe wieder das Laufen bei. In einiger Zeit findet sich dann auch auf dieses Problem eine Antwort.“

Willi war froh dies zu hören, denn damit war der große Druck von seiner Seele, heute, morgen oder übermorgen etwas tun zu müssen, wozu ihm die innere Überzeugung fehlte. Bestimmt würden sich die Eltern auch freuen, wenn er einige Tage mit ihnen verbringen würde. Der Gedanke, das Luigi für einige Tage zu schließen gefiel ihm ebenso, denn wenn er für seine Eltern da war, dann konnte er ihnen das auch gut erklären und er könnte sehen, wie sie darauf reagieren.

Willi hatte dennoch keine Worte auf seinen Lippen und so konnte er nur langsam seine Augenlieder schließen und wieder öffnen, als sein Zeichen der Zustimmung. Er ging jedenfalls viel zufriedener als er gekommen war und darüber hinaus auch dankbar für das Geschenk, welches er erhalten hatte. In den nächsten Tagen setzte er die Ratschläge um.

Heinrich

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