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Rhabarberschorlen-Ole

He was my North, my South, my East, my West,

My working week and my Sunday rest.

My noon, my midnight, my talk, my song,

I thought love would last forever: I was wrong.

W. H. Auden "Funeral Blues"

Wikipedia.de sagt: [...] Sex erfüllt zahlreiche Funktionen: Er befriedigt die Libido, dient in Form des Geschlechts­verkehrs der Fortpflanzung und drückt in der Regel als wichtige Form der sozialen Interaktion Gefühle der Zärtlichkeit, Zuneigung und Liebe aus. Besonders in Liebesbeziehungen kann das Sexualleben eine zentrale Rolle als Ausdruck der Verbundenheit der Partner spielen. Er ist je­doch nicht ausschließlich an Liebesbeziehungen bzw. Partnerverbundenheit gekoppelt.

Emma.de sagt: [...] Das nie verwirklichte Hippie-Ideal "Make love not war" wird im Garten Eden zwischen dem Kongo-Strom und den Flüssen Lomami und Kasaif... völlig selbstverständlich in die Tat umgesetzt – allerdings nicht von Menschen, sondern von Menschenaffen: den Bonobos, bei denen die Frauen den Ton angeben. (Ausgaben „März/ ApriI 2009/ Bonobo-Affen“)

Nach dem Abschied von Jim falle ich in mein Kleine-Schwester-Syndrom zurück.

Ich.

Will.

Mehr.

Ich bin hungrig. Ich bin hungere nach allem. Ich bin hungrig auf gutes Essen in durchgeknallt teuren Restaurants. Es lüstet mich nach wilden Exzessen, nach durchgemachten Nächten und durchtanzten Schuhen. Ich bin durstig auf das Leben, das da vor mir liegt. Ich verzehre mich nach Überfluss, ich sehne mich nach allem, was ich in den letzten Jahren nicht hatte.

Ich bin hungrig auf MEINS. Eigene Wohnung, eigener Job, in dem ich mich definieren kann, eigenes Geld, eigenes Bank­konto. Die kleinen Dinge im Leben eben.

Ich freue mich auf alles, was jetzt vor mir liegt – Kultur, Liebe, Sex, Essen, Arbeiten. Ich bin hungrig nach Dingen, die ich noch nie gemacht habe und zu denen ich bisher auch nie die Möglichkeit oder das Geld oder die Freiheit hatte, sie zu tun. Darüber hinaus lüstet es mich nach Männern. Gerade in diesem Zusammenhang bin ich hungrig nach Dingen, von denen andere Menschen glauben, „das geht doch nicht, das kann die nicht machen!“. Eines dieser Dinge ist, Sex zu haben wie ein Mann.

Aber Irrtum. Das geht. Auch Frauen können Sex haben wie ein Mann.

Erwartungsfrei und voller Spaß, die Lüsternheit im Blick, nicht an Morgen denken. Einfach alles ver­ges­sen, was man je gehört hat über Frauen und Männer und die Bienen und die Blumen. Wenn man vorher ein wenig getrunken hat, geht es noch viel einfacher. Vor allem das mit den Erwartungen, denn man kommt nicht mehr zum Nachdenken.

Lass mich klarstellen, geneigte/r LeserIn: Männer vögeln.

Bei ihnen ist es fleischliche Lust, die nicht emotionslastig ist. Der Schwanz denkt, der Schwanz lenkt und der dazu­ge­hörige Kerl läuft seinem besten Freund hinterher. Die Befehlszentrale verlagert sich in den Genitalbereich und zieht ca. 15 Sekunden nach dem Abspritzen wieder in den Kopf, denn dann wird entweder Bier gewünscht oder die Sport­schau oder die Alte aus dem Bett. Gern auch alles drei gemeinsam.

Frauen machen Liebe.

Frauen kuscheln, die wollen Sekt und Kerzen und wilde Verrücktheiten ins Ohr geflüstert be­kom­men, gern auch in italienischer Sprache. Muskeln, die durch ein sauberes (!) Schiesser-Fein­ripp­unter­hemd und einen Dreitagebart unterstrichen werden. Das Aftershave dezent und nur bei direktem Hautkontakt der weiblichen Nase am männlichen Hals wahr­nehmbar. In der kommenden Zeit­spanne, die gern zwischen zehn Minuten und zwei Stunden liegen kann und die zwischen Erfolg und Misserfolg entscheidet, muss der Mann ganz tapfer sein. Er muss Geduld beweisen und ganz viel Finger­spitzengefühl an den Tag (oder den Venushügel) legen. Ein falsches Wort, ein falscher Blick und schon ist die Schlacht verloren. Führen die italienischen Vokabeln und die Fingerspiele je­doch zum Ziel und die Frau öffnet ihre Lotusblüte, dann will sie lange, intensive Bewegungen. Diese, ver­bun­den mit Schwüren der ewigen Liebe (am Besten nicht auf Schwäbisch oder ähnlich un­at­trak­tiven Dialekten vorgetragen), führen auf direktem Weg in die Zielgerade. Sollte sich der Mann nach dem Liebesspiel zu einer innigen Umarmung und sogar einem Kuss mit Zunge hinreißen lassen, ist ihm ein Wiedersehen und eine Fortsetzung gewiss.

Bleibt die Frage: wie vögelt denn nun also eine Frau?

Nun ja, an einem Freitagabend mit einer langen Woche hinter mir, stellt sich das in etwa so dar:

RlNG, RlNG.

RING, RlNG.

RlNG, RlNG.

Warum ich mein Telefon ausgerechnet auf den Ritt der Walküre eingestellt habe, weiß ich immer noch nicht so recht. Hektisch in meiner Tasche kramend, finde ich irgendwann das nervige Handy.

„Links unten“, sagt meine Mutter immer. Häh? „Na ja, wenn du etwas in einer Damenhandtasche suchst, dann findest du es im Normalfall links unten.“

Und siehe da, in der Tat, links unten lag mein pinkes Klappmonster.

Ich fahre nicht oft U-Bahn, aber an diesem Tag hatte ich einfach keine Lust die Scheiben meines Autos frei zu kratzen. Berlin im Winter ist wahrlich kein Zuckerschlecken. Aus diesem Grund be­kommt nun halb Berlin auf dem Weg zwischen Charlottenburg und Prenzlauer Berg mein in den Hörer gesungenes „Nora Schmidt hier“ mit.

„Hallo?“

„Hallo?“, versuche ich es noch einmal, diesmal etwas lauter. Immerhin sitze ich in der U-Bahn, kann ja sein, dass der Anrufer nicht versteht, dass ich bereits am Apparat bin.

„Hallo, wer ist denn da?“, ermuntere ich den Anrufer, sich nun endlich mit mir zu unterhalten. Im­mer­hin muss er oder sie ja etwas auf dem Herzen haben, sonst hätte er oder sie ja nicht angerufen.

Ich höre Stimmen.

„Ich kann Sie leider nicht verstehen?!“

Ein junger Mann mir gegenüber macht eine komische Drehbewegung mit meiner Hand und eine Nick­bewegung mit seinem Kopf in meine Richtung. Diese Jugend von heute. Hört lautstark Musik in der Öffentlichkeit und nickt und wippt im Takt dazu, als ob es kein Morgen gibt.

„Hallo, Nora Schmidt hier, ich kann Sie leider nicht hören!“

Der junge Mann nickt nun sehr deutlich in meine Richtung und zeigt dabei auf mein Telefon und macht wieder diese Drehbewegung. Aus dem Augenwinkel bekomme ich mit, dass ich mein Telefon falsch herum halte. Peinlich berührt versuche ich, so unauffällig wie möglich das Te­le­fon zu drehen und nicke dem Jungspund errötend und dankbar zu.

„Nora Schmidt?“, fragt mich näselnd und ein wenig ärgerlich eine Stimme. Sie kommt mir merk­würdig bekannt vor – und doch erinnert sie mich an nichts.

„Ja, das bin ich. Sag ich doch die ganze Zeit.“

Der Jungspund kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Jetzt belauscht der mich auch noch. In den folgenden fünf Minuten bekomme ich eine Einladung zu einer Houseparty. In Hamburg. Ich und mein Telefon, welches ich eben abnahm, sind jedoch in Berlin. Berlin und Hamburg sind nicht eben um die Ecke. House ist auch nicht so meine Musikrichtung. Der Typ, der mir diese Ein­la­dung ins Ohr flüstert, ist ein Kollege von einer Personalvermittlungsfirma, den ich nur vom Telefon her kenne.

„Nora Schmidt, das wäre die Ge-Ie-gen-heit, sich mal persönlich kennenzulernen“, sagt er. „Ge-Ie­gen-heit“ zieht er dabei kaugummiartig in die Länge und betont ganz mantra-mäßig, wie groß­artig dieser neue Laden sei. Dass er meinen Namen immer wieder in voller Länge in seine Sätze einbaut, finde ich nicht nur merkwürdig, es hat auch etwas Irritierendes an sich. Macht man das heutzutage so? Lernt man das auf diesen ganzen Kommunikationsseminaren? „Sprich deine Kunden immer wieder mit Namen an, sie werden dir aus der Hand fressen.“

Eigenartig, ich weiß doch, wie ich heiße. Und so großartig finde ich meinen Namen nun auch wieder nicht, dass ich ihn immer wieder hören muss. Zwischen seinen „Nora Schmidt“s schwap­pen seine Argumente wie „voll mit 70er Jahre Flair“ und „viel beige und braun und tollen orangen Blumen“ oder „einwandfreie Deko-Elemente“ und „die coole hippe junge Crowd, so typisch Hamburg eben“ wellenmäßig in mein Ohr. Ich schweife mental ab, als er meint, dass ich bereits in früheren Unter­hal­tun­gen meine Sympathie mit Hamburg bekundet hätte und man (in diesem Fall also ich) manchmal eben einfach auf seinen (in diesem Fall also auf meinen) Bauch hören müsse.

Wohin mich das führte, als ich das letzte Mal auf meinen Bauch gehört hab, ist mir noch schmerz­lich bewusst und meine Gedanken gehen auf Wanderschaft.

Meine Sympathie für Hamburg begann, als ich Ole kennenlernte, das war ca. sechs Wochen vor die­sem Telefonat. Kurz nach meiner Trennung von Jim fanden meine zwei besten Freundinnen, dass es Zeit wäre, mal wieder rauszukommen und buchten mir ein Ticket für ein Wochenende in Spanien. In einer dieser neuen IN-Städte am spanischen Mittelmeer (den Tipp hatten die beiden ebenfalls aus einer dieser Frauenzeitungen) wollten wir uns treffen, die Nacht zum Tag machen und richtig Gas geben.

Gesagt getan.

In einer Bar (Geheimtipp aus der Frauenzeitschrift) liefen uns Ole und sein Trupp über den Weg. Seit diesem Tag bin ich, was Geheimtipps anbelangt, echt skeptisch und erwarte keine men­schen­leeren Strände oder (eben) Bars, in denen man einfach so einen Platz bekommt, mehr.

Mit uns beiden begann es so unspektakulär, wie so Sachen beginnen, mit denen man nicht so richtig rechnet. Ole und seine zwei Kumpels standen vor uns, mitten im Getümmel und sie erklärten uns das Konzept des Ladens.

Man bestellt eine Flasche Schampus, rosé oder nicht rosé. Dazu verlangt man ein Brötchen, Käse oder Wurst. Wenn man Wurst will, kann man wählen zwischen Salami und Schinken. Konzept verstanden? Sehr gut, das war es auch schon.

Die Bar war voll und laut und unfreundlich (in Spanien nicht unüblich und gern auch in dieser Kom­bi­na­tion angeboten), an der Decke hing Schinken, an den Wänden standen leere Scham­pus­kisten und darauf leere Flaschen. Die Gläser durfte man zum Rauchen nicht mit auf die Straße nehmen, im Laden selber aber herrschte Rauchverbot. Das klassische Dilemma war also unser neuer Begleiter, denn wenn man sich erst einmal den Weg nach draußen zum Rauchen ge­bahnt hatte, war einem der Rückweg versperrt. Stammkunden waren so clever, ihre gesamten Habseligkeiten zum Rauchen nach draußen zu schleppen und sich dann auf den Weg zum nächsten lauten und völlig überfüllten Eta­blis­se­ment zu begeben. Hier fing dann der abendliche Rei­gen aufs Neue an.

Ole verwickelte mich in ein Gespräch und wir führten eine Unterhaltung, die eher an eine Schießerei von zwei verfeindeten Mafiabanden als an einen Dialog erinnerte. Seine Mannen hat­ten uns in der Zwi­schen­zeit ganz ritterlich Nahrung erjagt. Während sich unsere jeweiligen Be­glei­ter­Innen mit Neben­säch­lich­keiten abgaben und die vermeintlichen Wichtig­keiten im Leben, wie Beruf, Fa­mi­lien­stand und Schuhgröße abklopften, machten Ole und ich uns übereinan­der, danach über unsere Freunde und dann über die restlichen Anwesenden lustig. Obwohl wir bei­de uns offensichtlich gut verstanden, endete der Abend jeweils mit jemand anderem und wir nah­men erst wieder Kontakt auf, als wir zurück in Berlin bzw. eben Hamburg waren. Warum, das kann ich gar nicht mit Gewiss­heit sagen. Fakt war, dass Ole sich mächtig ins Zeug legte, mir gern verbale Liebenswürdigkeiten antat und sich durch E-Mails und schöne Worte in meine Seele und danach auch mein Leben schlich. In Windeseile legte er mir die Welt zu Füßen und öffnete mein Herz, um es dann einfach zu stehlen.

Am letzten Sonntag im Januar versprach er mir die Welt – und am ersten Montag im Februar schlich er sich wie ein Dieb im Morgen­grauen aus meinem Leben und eröffnete mir danach am Te­le­fon:

„Das war es nun Baby, ich bin nicht mehr verliebt in dich, so ist das nun, ich kann es nicht erklären, ich war schon mal in einer Beziehung, in der ich nicht verliebt war, das musst du doch verstehen, gerade du, der es doch genauso ging, also Baby, danke für dein Herz, ich bin dann mal weg.“

Da fuhr er also von dannen auf der A24, mit meinem Herzen auf dem Beifahrersitz (hoffentlich hatte er es gut angeschnallt) und ich konn­te nichts sagen und brach­te kein Wort heraus. Es fühlte sich merkwürdig an, so sprachlos zu sein. Mir war fast so, als ob er mit meinem Herzen auch meine Stimmbänder mitgenommen hätte und ich war unfähig mich zu rühren und zu protestieren. Selbst wenn ich hätte etwas sagen wollen – er hätte es nicht hören können, denn ein Funk­loch verschluckte ihn und danach war er für eine elend lange Weile für mich nicht mehr er­reich­bar.

Das traurige an Oles Aussage war, dass er Recht hatte. Meine früheren Beziehungen, die allesamt schön und schlüssig und harmonisch waren, berührten mich nicht. Ja, ich verstand ihn. Wer will schon mit jemandem zusammen sein, der einen nicht berührte, wenn es das war, was man wollte und wonach man auf der Suche war?

Schön, dass wir uns einig waren.

Schlecht, dass Ole aber mich berührte. Ganz tief. Mir kribbelten sämtliche Extremitäten, wenn ich an ihn dachte und mir kitzelten die Haarwurzeln, wenn er an mich dachte.

„Mal sehen“, höre ich mich also sagen, als mir der Personalvermittlungsmensch aus meiner pinken Klappscheußlichkeit heraus von Hamburg erzählt, und weiß eigentlich von Anfang an, dass ich nicht fahren werde. Nach Hamburg. Für EINEN Abend. Für eine Party, auf die ich keinen Bock habe.

,,Und außerdem habe ich ja keine Unterkunft“, murmele ich ins Telefon und „‘Tschuldigung, kann ich hier mal raus?“, drängle ich mich an dem nickenden, grinsendem Jungspund vorbei, der mich die gan­ze Zeit des Telefonats über angeschaut hat. Für einen kurzen Augenblick scheint es so, als ob er mich auf der Wanderschaft entlang des Ufers der Erinnerung begleitet hatte.

„Ich habe aber nicht mal eine Unterkunft“, nehme ich den Faden mit dem Personalvermittler wieder auf. Dabei drehe ich mich noch einmal ganz wie im Film zu dem Jungspund um und zwinkere ihm zu. Woher sollte die Inspiration für Filme kommen, wenn man solche Momente im richtigen Leben nicht anwendet?

„Das klären wir hier vor Ort“, klingt es aus meinem Telefon und auf einmal ist es still.

Ich jedoch bin innerlich ganz aufgewühlt. Der spinnt doch wohl. Tickt der noch ganz sauber? Hat der einen Hasch-mich? Was glaubt der eigentlich, wer er ist. Außerdem ist am gleichen Tag auch der Ge­burts­tag meiner Großmutter und da kommen alle hin – Oma Lisbeth und Tante Irmchen und der dicke Onkel Hans, der mit den Schuppen auf dem Jackett. Fest entschlossen, nicht nach Hamburg zu fah­ren, klappe ich mein Telefon wieder zu, lasse es in meine Manteltasche gleiten und schaue lang­sam der U-Bahn hinterher.

,Wieder eine verpasste Chance‘, denke ich, trolle mich nach Hause und zolle der Woche ihren Tribut. Ich lasse den Freitagabend mit Günther Jauch und einem Glas Sekt ausklingen und schlafe mich traumlos ins Wochenende.

Der Morgen danach.

„Samstag ist Selbstmord“ singt Tocotronic aus dem Radio und ich weiß auch, warum. Das Wetter typisch grau. Von Sonne weit und breit keine Spur. Die Frisur sitzt. Das Kleid ist stramm. Die neue Bauch­weg­strumpf­hose tut ihren Dienst. Nach einem ausgiebigen Frühstück sage ich die Party ab, natürlich per SMS, wie man das heutzutage so macht, und mache mich fertig für meine Familienfeier. Zupfe noch einmal an den Haaren, ziehe meinen Lidstrich nach, tupfe neues Lipgloss auf und düse los.

Bei Großmuttern vor der Tür angekommen, muss ich erst mal einen Parkplatz suchen und mich dann durch den Schnee zu ihrem Haus kämpfen. Viel­leicht liegt es daran, dass ich völlig aus der Puste bin, als ich bei der Familien­feier ankomme, vielleicht liegt es auch an der Vielzahl permanent frierender alter Men­schen, aber als ich ins Haus eintrete, trifft mich fast der Hitzschlag. In einem viel zu kleinen, völlig über­heizten Zimmer, die Tapete viel zu häss­lich und zu alt­backen um schon wieder cool zu sein, sehe und höre ich meiner ganzen Verwandtschaft beim Netzwerken zu. Sie tratschen über die Dicke aus dem Nachbarhaus, meckern über die Lokalpolitik und jam­mern über die neuen Zeiten. Noch ehe ich richtig aus dem Mantel bin, stelle ich fest, dass mein Kleid viel zu schön ist für hier und ehe ich mich über irgendetwas ärgern kann, wird das Wort an mich gerichtet. Ein virtuelles Mikrofon wird von Tante zu Onkel zu Cousin zu mir weitergereicht.

„Kind, du sagst ja gar nix“ – und in dem Moment fällt mir die Decke auf den Kopf. Ich habe das Gefühl, die kam gar nicht so unerwartet, ich meine, das müssen die doch gesehen haben? So eine Decke fällt ja nicht mal einfach so von oben herunter.

Wer oder was mich in diesem Augenblick reitet, meinen Schlüssel wieder in die Hand zu nehmen, wort­los aufzustehen und aus der Wohnung zu verschwinden, kann ich bei späterer Auswer­tung unter Weibern auch nicht mehr recht sagen.

„Ich bin mal eben Zigaretten holen“, höre ich mich noch sagen und hinterlasse eine verwunderte Fa­mi­lie, die sich nicht erklären kann, wann und warum ich mit dem Rauchen angefangen habe. Dass ich nicht wiederkomme, merken sie in ihrer Unter­haltung, in der sie die Geschehnisse der letzten fünf Minuten, die „Jugend von heute“ und das Rauchen auswerten und verfluchen, gar nicht.

Wie die „unsinkbare Molly Brown“ stürme ich zum Wagen und folge der Stimme des Navigationsge­rätes – oder der Stimme meines Herzens – gen Norden, gen Hamburg. Ohne Unterkunft, ohne den Kerl von dieser Personalvermittlung zu kennen, aber trotzdem mit einem guten Gefühl im Bauch.

,There goes still something‘ und ich weiß, heute Abend habe ich Sex wie ein Mann. Heute ist je­mand fällig. Heute wird gevögelt.

Glücklicherweise habe ich meinen Standard-Buko immer im Auto: Gummis, Tampons, Zahnbürste, frischer Schlüppi, Bürste, Mascara, Abschminktücher, Hygienetücher, Sagrotan-Spray...das Übliche eben.

Während der Fahrt diskutiere ich mit dem Navigationsgerät die beste Route aus und schreibe Ole (an dieser Stelle höre ich meine Mutter murmeln: ‚Kind, so was macht man nicht, und wenn, dann schreibt man das nicht auf, das muss ja keiner wissen‘), dass ich ZUFÄLLIG in der Stadt sei und wenn er wolle, könne er mich sehen. Ich gebe die Partydetails und Location durch und zittere so sehr vor Auf­regung, dass ich kaum den SENDEN-Knopf finde.

In Hamburg angekommen, stelle ich fest, dass die Ausgangsbasis für die Party sechs Querstraßen von Oles Wohnung entfernt ist. Danke, liebes Universum. Schön, dass du meinen Wunsch nach Oles Nähe so ernst genommen hast!!!

Der Typ von der Personalvermittlung heißt Thomas, Thorsten oder Tobias – die heißen da ja alle so – und stellt sich als Flach­zange raus. Optisch nicht der Renner und auch sonst eher mal mau. In sei­nem Polohemd und seiner Jeans, die eine Nummer zu weit ist, damit man nicht zu viel von der ver­mansch­ten Figur sieht, ist er die ideale Besetzung für „Muttis Bester“. Aber in mein Beuteschema passt er leider nicht.

Auch seine mitgebrachten Kumpels sind keine reizvollen Kerle. Sie haben offensichtlich die Polo­hemden im Doppelpack bekommen und sich beim Jeanskauf gegenseitig beraten. Die Jungs sehen aus wie aus dem gleichen Ei gepellt. Leider sind sie durch und durch nette und spendable Kerle. Da „nett“ aber auch der Hund vom Nachbarn oder aber die kleine Schwester von „Scheiße“ ist und weder Thomasthorstentobias noch einer seiner Kumpel brauchbares Vögelmaterial sind, beschließe ich fast simultan mit meinem Eintreffen, mich nach anderen Möglichkeiten der lustvollen Fort­pflan­zungs­bewegung umzuschauen.

In einem der Zimmer liegen Isomatten und Schlafsäcke und Thomasthorstentobias sagt: „Wir kön­nen ja zu­sam­men­rut­schen. Nach einem tollen Abend, gerade nach so einer Party wie der, die wir noch vor uns haben, schläft man eh nicht so viel und dann merkt man auch nicht mehr, wer da ne­ben einem liegt. Na, klingt doch prima, oder, Nora Schmidt?“

Dabei haut er mir verschwörerisch auf die Schulter und erstickt damit auch den leisesten Zweifel, ob er nicht unter Umständen nach viel Alkohol, wenn sich kein anderer in der Nähe befindet, zum vögel­baren Material überwechseln könnte. Kann er nicht.

Mentale Note Nora Schmidt: In diesem Bett schläfst du nicht!

Der Abend ist jung, man soll den Tag ja nicht vor dem selbigen loben. Ich bin in Hamburg, weit ent­fernt von der Blümchen­tapete meiner Großmutter und den Trudchens und Trautchens meiner (al­ler­dings an diesem Abend weniger) heiß und innig geliebten Verwandtschaft und vor allem von dem all­zu köstlichen Bienenstich, dem ich für einen kurzen Augenblick ein wenig hinterher weine. Jedoch bin ich nicht weit von Ole entfernt und das ist alles, was in diesem Moment zählt. Ich ziehe also mit den Jungs um die Häuser, mache Party mit Tobiasthomasthorsten und seinen Kumpels in diesem neuen Megaschuppen und schaue immer mal wieder verstohlen auf mein Telefon.

Nichts. Kein Bild, kein Ton. Ole gibt keinen Laut von sich. Er spielt das Schweigen der Männer.

Kurz vorm Verzweifeln was die Schlafsituation angeht, lasse ich meine Optionen noch einmal Revue passieren. Mit Thomasthorstentobias will ich weder das Bett teilen geschweige denn Kör­per­flüs­sig­kei­ten aus­tau­schen. Ferner möchte ich mir nicht gewaltsam jemanden vom Leib halten müssen, ob­wohl ich mir den Weg in die Küche und die Lage der schärferen Küchenutensilien gut eingeprägt hatte. Sollte ich also Lüsternheitsattacken mit einem Kartoffelschäler und einem Pfann­kuchen­wender abwehren müssen, so wäre ich gut vorbereitet.

Plötzlich brummt es in meiner Hose und Ole bietet mir sein Heim als Schlafplatz an.

„Klar kannst du bei mir pennen, der Rest liegt bei dir“, schreibt er. Halleluja, wie viel Freude man jemandem doch mit 55 Zeichen bereiten kann! Ich fühlte mich wie Rumpelstilzehen und tanzte im Geist um Oles Bett herum: ‚Erst vögele ich dich, dann quäle ich dich, dann nehme ich mir mein Herz zurück – ach wie gut dass niemand weiß, dass ich Nora SchmiDT mit DT heiß‘...

Nach seiner SMS trinke ich mir also ordentlich Mut an und begebe mich, natürlich unter Protest der Jungs, kurz bevor ich nicht mehr laufen kann, auf den Weg zu Ole. Das Klingelbrett verschwimmt vor meinen Augen und ich denke noch: Jetzt nur keinen Fehler machen. Mit einem flauem Gefühl im Bauch suche ich nach seiner Klingel, ich drücke einen Knopf und die Sekunden zwischen Knopf drüc­ken, Brust raus, Bauch rein, aufrechtem Gang, strahlendem Grinsen, Haare ordentlich machen und wie­der wild verwuscheln, noch mal in die Hand atmen, ob mein Atem kusstauglich ist, ziehen sich kau­gum­mi­ar­tig und Hubba-Bubba-Blasen-esk in die Länge.

Es summt. Irgendjemand ist da und hat mich rein gelassen.

Die drei Etagen zu Oles Wohnung machen auf mich den Eindruck eines dieser berühmten, nicht en­den wol­len­den Trep­pen­steig-Gemälde von M. C. Escher und ich habe das Gefühl, mich im Kreis zu drehen. Mit meinem Schwips gepaart, ist dieses Treppenhaus die perfekte Mischung, dass ich Ole vor die Füße kotze. Plötzlich öffnet sich vor mir eine Tür und mir steht ein verwuscheltes, knaut­schiges Etwas gegenüber.

Halb geschlossene Augen schauen mich an und ein schiefes Lächeln empfängt mich. Alles an seiner Per­son strahlt aus, dass er genauso unsicher ist wie ich und auch nicht weiß, wohin das denn jetzt füh­ren wird – und alles, was ich denken kann, angesichts meines imaginären Gottes der letzten Wochen, ist: „du siehst gut aus, aber du bist nicht Gott!“

Mit diesen Gedanken stürme ich in seine Wohnung, nehme mir die erstbeste Tür vor, hinter der ich das Bade­zimmer vermute und freue mich, als ich die Kloschüssel sehe. Selten habe ich mich mehr über dieses Erzeugnis aus Keramik gefreut. Kraftlos hänge ich mich kopf­über über die Schüs­sel und lasse den Abend noch einmal geräuschvoll Revue passieren.

„Hallo Nora, schön dich zu sehen, komm doch herein.“ Ole steht lässig im Türrahmen und ich stelle fest, nachdem sich Bienenstich, Weißwein und Pizza des Abends ihren Weg ins Freie gebahnt haben, dass unsere Begrüßung zeitversetzt abläuft. Er setzt sich auf den Wan­nenrand und hält meine Haare zurück, während mir der Abend aus dem Gesicht fällt.

Als nichts mehr kommt, stellt er mir wortlos eine Zahnbürste hin und holt aus der Küche eine Aspirin. Kommentarlos löst er die Tablette in lauwarmem Wasser auf und reicht mir das Glas. In gro­ßen, durstigen Zügen trinke ich das bittere Zeug, spüle mir mein Gesicht und greife nach etwas, von dem ich denke, es ist ein Handtuch.

„Nora, das ist mein T-Shirt“, höre ich ihn sagen, aber da hänge ich schon mit meinem Gesicht an seinem Bauch und atme den Duft seines Waschmittels und seiner Haut und verliere mich. ,Jetzt bloß nicht bewegen‘, denke ich und trockne mir ausgiebig das Gesicht.

„Na komm, mien Deern, ist ja gut“, Ole hält mir ein Handtuch hin und nachdem ich mit dem Ab­trock­nen fertig bin, führt er mich zielstrebig in eine Richtung, von der ich inständig hoffe, dass es das Schlafzimmer sei. Nach fast vier Wochen Funkloch ist ihm meine Gegenwart in seinem Bett also nicht unangenehm und ich schöpfe neuen Mut. Die wichtigen Dinge des Lebens schwir­ren mir Kopf he­rum. Etwa, warum die Antwort auf alle Fragen immer zwangsläufig ,,42“ sei und was denn nun zuerst da war, das Huhn oder das Ei. Oder wie das mit der eierlegenden Woll­milch­sau nun wirklich funktioniert und ich öffne meinen Mund, um mit diesem noch fast schlafenden Etwas eine Grund­satz­dis­kus­sion zu starten, als mein kleines Teufelchen auf der rechten Schulter ein Machtwort spricht und mir zu zischt: „SchmiDT, einfach mal Fresse halten“.

Sparsam an Gesten und Worten, aber Händchen haltend starten wir in die letzten Nacht- und ersten Mor­gen­stun­den. Bis zu diesem Augenblick hatte ich nie verstanden, wenn Menschen sagen: „und dann führte Eins zum Anderen“, aber es ist genauso: Lippen finden sich, Hände wandern, der Kopf ist dafür da, immer mal nach links und rechts geworfen zu werden, die Ohren bekommen einen neuen Sinn – Körper sprechen ja dann doch irgendwann ihre eigene Sprache. Die nächsten Stunden vergehen wie im Flug, schweißtreibend, als ob es kein Morgen gäbe und dies die letzte Gelegenheit für ein Miteinander sei, fallen unsere Körper übereinander her. Irgendwann zollen wir der Nacht Tribut und versuchen, ein wenig Schlaf zu finden.

Am späten Nachmittag sitzen wir uns wie zwei Gestrandete am Küchentisch gegenüber. Zwei einsame Herzen, die selber nicht genau wissen, was sie da machen – aber es fühlt sich gut an. Nicht mehr und nicht weniger.

Das Wetter lacht uns aus, die Sonne scheint, der Himmel ist blau wie die Einrichtung eines Jugend­zim­mers bei IKEA. Ich nehme einen letzten Schluck aus der Kaffeetasse, einen letzten Blick durch die Woh­nung, einen letzten Zug von Oles wahnsinnig angenehmem Parfüm. Ich stehle mir mein Herz zu­rück und schreite von dannen, stolz wie eine Göttin, die letzte Nacht den Olymp erobert und einen Krieger erlegt hat, der ihr eigentlich nicht zusteht.

Ich wiege mein durchvögeltes Becken durch die Straßen, vermutlich, weil ich nicht anders laufen kann. Ich hatte Sex gehabt wie ein Mann, ich hatte mir genommen, was mir gehörte und wonach mir der Sinn stand und ich fühlte mich gut und unnahbar und beschloss, dieses Gefühl, diesen Augen­blick zu konservieren und in passenden Momenten, wenn es mir schlecht ging, immer wieder hervorzuholen.

Ich war die Königin der Nacht, ich war die erfolgreiche Kriegerin der Welt, ich hatte den heiligen Gral gefunden und bewahrte ihn auf, sollte die Welt irgendwann bereit sein für die Wahrheit.

Ich hatte zwar mein Herz zurück, aber es war gebrochen und ich wusste nicht, wie man es denn wieder kitten sollte und so beschloss ich, Ole noch einmal zu sehen. Manchmal muss man dem Leben noch einmal so richtig eins in die Fresse hauen.

Ungefähr anderthalb Wochen später treffen wir uns wieder. Anderthalb Wochen weiser und älter, aber vermutlich nicht ein bisschen schlauer. Er kommt auf mich zu, begrüßt mich, wie man einen al­ten, lang nicht gesehenen, entfernten Freund begrüßt und fragt, was er mir zu Trinken bestellen könnte. Das ausgefallenste Getränk auf der Karte ist Rhabarberschorle, und so halte ich mich den ganzen Nachmittag an diesem süßsauren Getränke fest, welches perfekt zu meiner Stimmung passt.

Das Gespräch plätschert von einer peinlichen Pause zur nächsten und ich wünsche mich einfach nur weg. Ich gnubble das Etikett von der Flasche und ziehe laut hörbar die letzten Saftblasen durch den Strohhalm. Ich ließ ihn bluten und bestelle eine Flasche nach der anderen, dazwischen Kaffee und Käse-Schinken-Croissants.

Ole hatte den dringenden Wunsch, mir seine neue Freundin vorzustellen (warum eigentlich?), die ich un­be­dingt doof finden wollte (warum eigentlich?): Während wir da so sitzen, im schrecklich hippen Hamburg, wünsche ich ihm die Krätze an den Hals und ihr Pickel an fiesen Stellen. Dabei finde ich mich großartig – und ganz klein und mies und mickrig zugleich. Nach vielen nichtssagenden Worten und leeren Gesten fährt er mich zu meinem Hotel zurück (warum ei­gent­lich?), wünscht mir eine gute Heimreise und ich merke, es braucht manchmal nicht viel, um ein Herz zu kitten.

Das Leben macht es einem einfacher als man denkt...

Rhabarberschorle.

Schmidt happens

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