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Neue Freunde

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Eric dachte, auf dem harten Boden könnte er niemals einschlafen, doch bevor der Gedanke sich aus seinem Kopf verflüchtigte, schlief er schon tief und fest. Der anstrengende Ritt und die Schmerzen forderten ihren Tribut.

Bei Sonnenaufgang brachen sie auf und rasteten nur zweimal, um die Pferde ausruhen zu lassen. Als die Sonne blutrot am Horizont in die dunkle Ebene hinabtauchte, erreichten sie die Bärenburg. Sie lag auf einer breiten Anhöhe und zeichnete sich gegen den dunkelroten Himmel ab. Vier große Türme und eine hohe Burgmauer bildeten den äußeren Ring, die Mauern schimmerten rotgolden. Als sie das erste Tor passierten, kamen sie in den unteren Burghof. Hier waren die Ställe und die Häuser der Bediensteten. Über eine Brücke gelangten sie in den zweiten Vorhof. Hier befanden sich eine Bäckerei, das Waschhaus und eine Fleischerei. Weiter hinten gab es weitere Ställe und eine Schmiede.

Oliver stieg vom Pferd und alle anderen folgten ihm. Also glitt auch Eric von Aragon.

„Du kümmerst dich um die Pferde, Eric. Bring sie in den Stall dort und versorge sie. Danach kannst du in die Küche gehen und selbst etwas essen. Guy wird dir dann zeigen, wo dein Schlafplatz ist.“

Während er dies sagte, drückte er Eric die Zügel seines Pferdes in die Hand und verschwand durch das Tor. Eric blies sich die Haare aus der Stirn. Er war hundemüde und sein Vormund ging einfach so davon und überließ ihm auch noch sein Pferd.

„Dieser aufgeblasene Gockel“, grummelte Eric und wollte Aragon und Olivers Pferd in die Ställe führen. Aber das Tier kannte Eric nicht, warf trotzig seinen Kopf in die Höhe und wand sich in die Richtung um, in der sein Herr verschwunden war. Durch diesen unerwarteten Ruck glitten Eric die Zügel aus der Hand und er wusste nicht, wie er das riesige Tier am Weglaufen hindern sollte.

„Ghost, schau mal, was ich für dich habe“, hörte er eine Knabenstimme.

Ein etwa 10jähriger Junge gesellte sich zu ihm und hielt seine Hand ausgestreckt dem Pferd entgegen. Das Tier wendete sich wieder und kam auf den Jungen zu. Ghost - na, dieser Name passte zu dem Schimmel, dachte Eric amüsiert. Zaghaft nahm es die angebotene Karotte von der Hand und fraß sie auf. In der Zwischenzeit hatte der Junge die Zügel ergriffen und stellte sich Eric vor:

„Ich bin Stephen, der Stallmeister von Sir Oliver. Ich helfe dir, wenn du willst.“

„Du bist der Stallmeister? Wie alt bist du denn?“, fragte Eric ungläubig.

„Diesen Sommer werde ich elf Jahre alt! Vor mir war mein Großvater Stallmeister und davor sein Vater auch schon“, antwortete Stephen beleidigt.

„Entschuldige bitte, ich wollte… ach, egal. Ich heiße Eric und bin das Mündel von diesem aufgeblasenen Gockel.“

Stephen fing laut an zu lachen. Das war einfach zu komisch! Bisher hatte sich noch keiner getraut so etwas über den Burgherrn zu sagen. Gemeinsam führten sie die Pferde in den Stall und Stephen half Eric bei der Versorgung der Pferde. Sie nahmen Stroh und rieben die Rücken und Flanken trocken. Dann gaben sie ihnen Wasser und Hafer. Über eine Stunde waren sie so am Arbeiten. Eric war hundemüde und fühlte sich schmutzig.

„Willst du mit zu mir nach Hause kommen?“, fragte Stephen seinen neuen Freund.

„Was werden denn deine Eltern sagen, wenn du einfach einen Fremden mitbringst?“, fragte Eric zögerlich.

„Freunde sind uns immer willkommen. Außerdem habe ich keinen Vater mehr und Mutter hat bestimmt nichts dagegen.“ „ Eigentlich muss ich mich bei Sir Guy melden, wenn ich fertig bin.“, protestierte Eric schwach.

Wortlos nahm Stephen seine Hand. Mehr gezogen, als selbst gelaufen, folgte Eric. Sie gingen jetzt durch das dritte Tor und standen in einem weiteren Burghof. Hier gab es einen Brunnen und kleine Häuser reihten sich auf der rechten Seite aneinander. Vor ihm ragte die Hauptburg mit zwei Türmen auf. Eine breite Treppe führte nach oben in die große Halle. Stephen ging an der Treppe vorbei zu einem der kleinen Häuser. Ohne zu klopfen öffnete er die Tür und trat ein. Das Haus war sauber, es lagen frische Binsen auf dem Boden. Der Holztisch war geschliffen und glänzte matt im Kerzenlicht. Eric hatte selten ein so reinliches Haus wie dieses gesehen. Eine Frau stand an einem anderen Tisch und bereitete das Abendbrot zu.

Ohne aufzuschauen sagte sie:

„Stephen, wo hast du so lange gesteckt? Geh dich waschen und komm dann zum Essen.“

Ihre Stimme hatte einen wunderbaren Klang. Eric fühlte sich an die Stimme seiner Mutter erinnert, die ähnlich geklungen hatte. Trauer erfasste ihn.

„Mutter, ich habe einen Freund mitgebracht. Darf…“, begann Stephen zu sprechen. Bei dem Gehörten hob seine Mutter sofort den Kopf und Eric wurde von rehbraunen Augen eingehend gemustert. Für einen Moment runzelte sie die Stirn, doch dann wurde ihr bewusst, wie unhöflich sie sich verhielt: „Oh, entschuldige bitte. Ich heiße dich willkommen. Ich bin Ester.“

„Ich heiße Eric, Eric Eddings von Winterley.“

„Darf er bleiben, Mama? Er ist Olivers Mündel.“, hakte Stephen nach.

„Aber nur, wenn du dich jetzt sofort waschen gehst“, sagte seine Mutter mit gespielter Strenge. Stephen verschwand hinter einem Vorhang, der den Zugang zu einem anderen Raum verdeckte. Eric blickte ihm sehnsüchtig nach. Was gäbe er nicht alles dafür, sich waschen zu können. Ester verstand seinen Blick und bot ihm spontan an: „Wenn es dir nichts ausmacht, dich mit dem gleichen Wasser zu waschen, kannst du dich gerne etwas frisch machen.“

Früher hätte Eric die Nase gerümpft und eine hochnäsige Antwort gegeben. Aber jetzt war alles anders. Dankbar nahm er das Angebot an. Als Stephen herauskam, blieb ihm vor Fassungslosigkeit der Mund offen stehen. Der Junge war Oliver wie aus dem Gesicht geschnitten. Die gleichen schwarzen Haare und himmelblauen Augen, sogar das Grübchen im Kinn war da.

„Das gibt es doch nicht! Ist das…“, stammelte Eric. Ester half ihm aus der Verlegenheit:

„Es ist Olivers Halbbruder. Sir Otto ist sein Vater.“

Als wäre es das normalste der Welt hatte sie ihm gerade gesagt, dass Stephen ein Bastard war.

„Stellt das ein Problem für dich dar?“, fragte jetzt Stephen, der in Erics Gesicht genau gelesen hatte, was dieser gerade dachte. Eric räusperte sich und erwiderte dann aufrichtig:

„Früher hätte ich mit solchen Sachen ein Problem gehabt. Aber es hat sich vieles geändert und auch ich habe meine Meinung zu solchen Dingen überdacht. Es geht mich nichts an.“

Stephen atmete erleichtert auf, denn er wollte seinen neuen Freund nicht schon wieder verlieren.

„Dann geh dich waschen. Anschließend gibt es erstmal etwas Ordentliches zu essen.“

Das ließ sich Eric nicht zweimal sagen und verschwand hinter dem Vorhang. Er zog sein Hemd aus und tauchte seine Hände in die Schale. Das Wasser war noch warm. Er griff nach dem kleinen Stück Seife, das auf dem kleinen Tisch lag, und begann sich den Dreck von der Haut und aus den Haaren zu schrubben. Als er fertig war, nahm er das Handtuch und trocknete sich ab. Erneut rieb er sich die Oberschenkel mit der Salbe ein. Dabei fiel sein Blick auf den Boden. Ester hatte unter dem Vorhang frische Kleidung durchgeschoben. Er probierte sie an und stellte erstaunt fest, dass sie bis auf die Länge der Beinkleider passte. Das war ihm jedoch egal. Er fühlte sich frisch und sauber. Jetzt fehlen mir nur noch etwas Ordentliches zu essen und etwas Schlaf, dachte er bei sich. Verlegen trat er zu Ester und Stephen und bedankte sich für die Kleidung.

„Sie gehörten meinem älteren Sohn Roy, er ist vor zwei Jahren gestorben.“ Trauer schwang in Esters Stimme. Schon lag Eric die Frage auf der Zunge, ob Roy auch der Halbbruder von Oliver gewesen war, doch er verkniff sie sich.

Sie saßen am Tisch und aßen Brot, Käse und Wurst. Dazu tranken sie Wasser. Es war ein heiteres Beisammensein.

„Ich habe schon lange nicht mehr soviel gelacht, wie heute Abend. Dank deiner Witze, Stephen.“

Eric hielt sich noch immer den Bauch vor Lachen. Stephen grinste, doch er rieb sich mittlerweile ständig die Augen vor Müdigkeit.

„So, mein Sohn, Abmarsch ins Bett“, befahl seine Mutter, seinen Protest ignorierend.

Ester schob ihn in Richtung der Schlafkammer, gab ihm noch einen Gute-Nacht-Kuss und wartete einen Moment. Dann vergewisserte sie sich, ob er wirklich im Bett lag und kam dann zu Eric zurück.

Als sie sich wieder an den Tisch setzte, sah sie Eric geradewegs in die Augen. Sie hatte die tragische Geschichte der Familie Eddings gehört: Lady Diana und ihre Tochter Deria waren während der großen Fieberepidemie gestorben. So war es jedenfalls bekannt, doch als Ester den Eric Eddings vor sich genauer betrachtete, hatte dieser wenig Ähnlichkeit mit dem Jungen, der vor einigen Jahren zusammen mit Sir Robert auf der Bärenburg Rast gemacht hatte. Dieser Eric müsste jetzt schon kräftiger gebaut sein. Und markantere Gesichtszüge haben. Ohne Umschweife fragte Ester daher:

„Wie lange willst du diese Maskerade aufrechterhalten?“

Eric saß wie vom Donner gerührt da und wusste im ersten Moment nicht, wie Ester ihn so schnell durchschaut hatte. Ihm war sofort klar, was sie meinte, denn ihr Blick sprach Bände.

„Bis Oliver verheiratet ist. Dann bin ich frei!“, antwortete Deria genauso offen zurück.

„Das glaubst du doch nicht allen Ernstes?“, fragte Ester erstaunt.

„Wieso denn nicht?“, wollte jetzt das Mädchen wissen.

„Wenn du es ihm nicht sofort sagst, wird er es wahrscheinlich früher oder später herausfinden. Dann wird er furchtbar wütend auf dich sein und dich bestrafen.“

„Dann hau ich eben vorher ab. Er kann mir dann nichts mehr anhaben“, verteidigte sich Deria weiter, aber ihre Stimme klang schon nicht mehr ganz so zuversichtlich.

„Deria, er wird dir dann einen anderen Ehemann suchen. Du bist sein Mündel! Hast du diese Möglichkeit denn gar nicht in Betracht gezogen?“, fragte Ester weiter.

Die Erkenntnis, dass Ester sie sofort durchschaut hatte und die Aussicht, dass Oliver ihr womöglich einen Ehemann suchen würde, versetzte Deria in panische Angst. Sie schluckte schwer. Alles war umsonst gewesen. Zwei Jahre hatte sie geglaubt, die perfekte Lösung gefunden zu haben und dann hatte ihr Vater alles zunichte gemacht. Jetzt liefen die Tränen in ihrem Gesicht hinunter.

„Ich weigere mich jemanden zu heiraten, der mich nicht liebt und den ich nicht liebe!“, schrie Deria und sah Ester trotzig an.

„Ach Deria, ich versteh dich ja. Aber wir Frauen müssen gehorchen. Du musst es Oliver sagen, bevor es zu spät ist.“

Tröstend legte Ester ihre Hand auf Derias.

„Das kann ich nicht, Ester. Er wird mich umbringen.“

„Das Beste ist, du schläfst erst einmal darüber. Morgen wirst du klarer sehen. Ich werde keinem Menschen etwas sagen. Aber sei auf der Hut. So wie ich wird der ein oder andere in dir ebenfalls mehr sehen, und das schneller als dir lieb ist. Komm, du kannst in Roys Bett schlafen.“

Ester brachte Deria zu dem Schlafplatz und räumte dann den Tisch ab. Es war eine verfahrene Situation, in die sich Deria gebracht hatte. Egal wie, sie würde ihr beistehen. Sie hatte das Mädchen sofort in ihr Herz geschlossen und konnte verstehen, dass Deria geliebt werden wollte.

Gerade als sie die Kerze löschen wollte, um in ihre Schlafkammer zu gehen, klopfte es an der Tür. Ester öffnete die Tür. Es war Oliver.

„Ester, ich grüße dich.“

„Oliver, was führt dich zu mir?“

Spannung lag in der Luft. Oliver hatte immer von der Affäre seines Vaters mit Ester gewusst, aber sie nie akzeptieren können.

„Ich suche mein Mündel Eric. Man sagte mir, dass er mit Stephen davongegangen ist.“

Der junge Burgherr trat nicht ein, schaute sich aber prüfend im Raum um.

„Ja, er ist hier und schläft nebenan. Ich hoffe, es macht dir nichts aus? Sonst wecke ich ihn auf“, meinte Ester.

„Nein, ich wollte mich nur vergewissern, dass er nicht verloren gegangen ist. Gute Nacht, Ester.“

Erst als die Tür vor seiner Nase geschlossen wurde, wandte er sich um und ging.

In dieser Nacht schlief Oliver unruhig. Er wälzte sich in seinem Bett hin und her. Er träumte von Eric und plötzlich wurde dieser zu Deria. Sie hatte auf einmal lange Haare, die in sanften Wellen an ihrem Rücken entlang flossen. Sie schaute ihn trotzig an, trat ihn gegen das Schienbein und brüllte:

„Ich bin nicht euer Leibeigener!“

Schlagartig war Oliver wach, ihm schmerzte das rechte Schienbein. Nicht Deria hatte das gesagt, sondern Eric, aber Eric sah aus wie Deria. Oliver musste unbedingt herausfinden, was es mit seinem Traum und seinem Verdacht auf sich hatte.

Bei Sonnenaufgang wurde Deria von Stephen geweckt:

„Eric, aufwachen, wir müssen die Pferde auf die Weide bringen.“

„Oh, lass mich noch ein bisschen schlafen“, murmelte Deria schlaftrunken.

„Nein, steh jetzt auf!“ Stephen zerrte an ihrem Hemd.

„Schon gut, schon gut, ich komm ja gleich.“

Deria setzte sich auf. Die wunden Stellen an den Innenschenkeln waren mit Schorf bedeckt und schmerzten nur noch ein wenig beim Gehen. Nach einem kleinen Frühstück brachen die beiden zu den Ställen auf, um die Pferde zu einer großen Weide zu führen.

Deria und Stephen zäumten die Pferde ab und setzten sich ins Gras.

„Und was machst du jetzt?“, fragte Deria neugierig.

„Ich bleibe eine Weile hier und passe auf. Dann mache ich die Ställe sauber, prüfe das Zaumzeug und repariere es.“

„Aha! Dann werde ich dir helfen.“

„Musst du nicht was anderes machen?“, fragte Stephen skeptisch.

„Nun, Oliver hat mir im Moment keine andere Arbeit gegeben.“ Und außerdem will ich ihn gar nicht sehen, vollendete Deria den Satz in ihren Gedanken.

Während sie auf der Wiese saßen, kamen auf einmal zwei Hasen herangehoppelt.

„Schau mal, die spielen Fangen“, rief Stephen und zeigte in Richtung der Tiere. Der erste Hase sprang dem zweiten davon, aber zwischendurch wartete er, bis der zweite ihn fast eingeholt hatte, bevor er erneut Haken schlagend flüchtete. Nach einer Weile verschwanden sie aus ihrem Blickwinkel.

Deria blieb den ganzen Tag bei Stephen. Wann immer sie bemerkte, dass Oliver in Sichtweite kam, versteckte sie sich. So ging Deria Oliver fast eine Woche aus dem Weg. Ihr war bewusst, dass sie nicht auf Dauer vor ihm davon laufen konnte. An den Abenden war sie hundemüde. Die Arme schmerzten von der ungewohnten Arbeit. Wie jeden Abend sah sie nach Aragon und wollte anschließend wieder zu Stephen und Ester gehen, beschloss aber dieses Mal noch eine Weile im Stall zu bleiben. Sie setzte sich auf einen Heuhaufen und schaute Aragon beim Fressen zu. Nach einer Weile wurden ihre Lider immer schwerer und schließlich schlief sie ein.

Deria wurde von einer Stimme geweckt, die ihren Namen rief:

„Deria, Schwester, wach auf!“

Mit einem Schlag war sie wach. Eric stand vor ihr. Er war zu einem jungen Mann herangewachsen, sein Kinn zierte ein rötlicher Bart und sein Körper war muskulös.

„Eric, wo kommst du auf einmal her?“, fragte Deria verwirrt und wollte aufspringen, doch Eric deutete ihr sitzenzubleiben.

„Deria, du musst Oliver die Wahrheit sagen“, riet Eric ihr eindringlich.

„Das kann ich nicht. Er wird mich umbringen, wenn er die Wahrheit erfährt“, flüsterte Deria mit Tränen erstickter Stimme.

„Deria, du musst es tun. Er ist deine Bestimmung.“

Mit diesen Worten verblasste die Gestalt. Deria blieb wieder allein zurück.

Kriegerherz und Königsehre

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