Читать книгу Frau & Rennrad - Nynke de Jong - Страница 6
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Dieses Buch ist speziell für Frauen. Und für Männer, die finden, dass ein Buch über Frauen und Rennräder eigentlich Unsinn ist – »weil ich dir doch auch erzählen kann, welches Rad du kaufen musst, Schatz« –, die aber heimlich am liebsten sofort mit dem Lesen anfangen würden. Noch bevor du damit anfangen konntest. Genau wie sie auch heimlich immer in deinen Frauenzeitschriften blättern. Auf der Toilette, damit du es nicht siehst. Das finden wir gar nicht schlimm. Macht nur euer Ding, Männer, vielleicht lernt ihr ja sogar noch was.
Frauen fahren nämlich anders Fahrrad als Männer. Wir unterhalten uns gerne unterwegs, haben keine Lust, bei jedem Ortseingangsschild zu sprinten und wollen unsere Zeit erst recht nicht in Internetforen verbringen, um herauszufinden, welche Räder und welche Rahmen die besten sind. Wir möchten Tipps und Erklärungen, aber keine ellenlangen Erläuterungen über die Qualität von Ritzelpaketen. Fahrradfahrende Männer und vor allem die Verkäufer in Radsportgeschäften führen jedoch leider schnell technische Monologe. Das schreckt uns ab. Radfahren ist schwer, denken wir dann. Sich die ganzen technischen Begriffe merken und dann auch noch genau wissen müssen, wie alles funktioniert? Auf dünnen Reifen unterwegs sein, mit den Füßen in die Pedale klicken? No way, das ist nichts für mich. Zu viel Schiss und außerdem zu kompliziert.
Und das, obwohl Rennradfahren ein ganz besonders gut geeigneter und angenehmer Sport für Frauen ist. Radfahren ist für deinen Körper viel besser als Joggen: keine harten Stöße, die deine Gelenke nicht abfedern können, sondern geschmeidige Bewegungen. Du bist an der frischen Luft, hast den Wind in den Haaren und die Sonne auf den Wangen. Unterwegs kannst du mit Freundinnen den neuesten Klatsch und Tratsch besprechen. Du siehst was von deiner Umgebung, und du wirst ganz schnell besser. Und vor allem: Verabschiede dich schon mal von deiner Cellulitis und begrüße deine wahnsinnig muskulösen braunen Beine und deinen knackigen Hintern.
Okay, am Anfang kostet es schon ein wenig Zeit. Du musst dir ein Rennrad zulegen, wissen, was du anziehen musst, bevor du dich auf den Sattel schwingst, und was du unterwegs essen sollst. Frag einen Freund, einen Bekannten oder einen Fahrradverkäufer, und sie erklären dir das alles liebevoll. Aber meistens sind das Männer. Männer mit einem anderen Hintern, mehr Testosteron und dementsprechend einer anderen Mentalität. »Er« steigt mit einer anderen Einstellung aufs Fahrrad als du. Darum ist es vielleicht viel angenehmer, alle Tipps und Tricks nicht von einem Mann, sondern von einer Frau zu hören. In unserem Fall: von zwei Frauen.
Wir können uns noch gut daran erinnern, wie es war, als wir zum ersten Mal aufs Rennrad stiegen. Auch wir hatten von Tuten und Blasen keine Ahnung. Wir experimentierten mit Radhosen, in denen unsere Schamlippen scheuerten, fielen an der Ampel um, weil wir vergaßen, unsere Füße aus den Pedalen zu klicken, und wendeten uns dankbar an die mitfahrenden Männer, wenn wir einen Platten hatten. Weil wir beide dennoch innerhalb kürzester Zeit eigentlich nicht mehr ohne Rennrad einschlafen konnten, möchten wir unsere Erfahrungen und unsere Begeisterung mit dir teilen. Dieses Buch wird dafür sorgen, dass du in der von Männern dominierten Rennradwelt nicht die Orientierung verlierst.
Da die Erfahrungen zweier Frauen auch eher rein zufälliger Natur sind, haben wir zusätzlich mehrere andere Frauen, die erfolgreich als Profis fahren oder gefahren sind, und eine ganze Reihe teils prominenter Hobbyfahrerinnen ebenfalls gebeten, ihre Erlebnisse, Eindrücke und Meinungen mit uns zu teilen. Du wirst sehen: Radfahren ist für alle Frauen und für jedes Alter geeignet. Jede Frau bekommt davon gute Laune. Es ist das ideale Mittel gegen übermäßiges Grübeln. Der Wind bläst dir alle schlechten Gedanken aus dem Kopf, die freigesetzten Endorphine machen glücklich. Und mit eigener Kraft einen Hügel hochzufahren oder sich gegen den Wind zu stemmen, das ist eine Wohltat für dein Selbstbewusstsein! Sag selbst, was ist gemütlicher: Eine Radtour mit Freunden durch die Natur? Oder kilometerlange einsame Strecken auf dem Laufband im neonbeleuchteten Fitnessstudio?
Wir hören schon deine ersten Zweifel: Alles gut und schön, aber so ein Rennrad kostet doch eine ganze Menge Geld? Ein vernünftiger Rahmen kostet, komplett ausgestattet, doch mindestens mehrere hundert Euro? Natürlich, ein Rennrad ist eine Investition. Aber überleg mal, wie viel dein Fitnessstudio kostet. Und wie oft du dorthin gehst, wenn du ehrlich bist. Eigentlich ist das rausgeschmissenes Geld. Obwohl du dafür ein richtig gutes Rennrad hättest kaufen können.
Und wenn du gerade erst anfängst, brauchst du auch nicht unbedingt ein neues Rad zu kaufen. Es gibt eine ganze Menge sehr ordentliche Secondhand-Modelle für einen guten Preis. Nynkes Rad hat gerade mal 200 Euro gekostet, und sie hat schon seit Jahren Spaß daran. Marijns Rad ist sehr viel teurer, sogar ein paar tausend Euro. Aber die braucht sie auch nicht selbst zu bezahlen, denn sie ist Profifahrerin und bekommt ihr Rad vom Sponsor. Sie trainiert auch 20 Stunden pro Woche. Und Nynke? Die fährt am liebsten eine Runde mit ihren Freundinnen, an schönen Sommerabenden. Weil das so schön gemütlich ist, und weil sie das Stück Kuchen zum Kaffee dann ohne Sorgen genießen darf. Aber, oje, es sei denn, sie sieht in der Ferne einen Mann fahren, den sie überholen kann …
Nynke de Jong & Marijn de Vries
NYNKE ÜBER …
… gesunde Apfelwangen
In den letzten Jahren saß ich jahrein, jahraus – immer so im Januar – mutlos auf meiner Couch. Ich kniff in meine Fettpölsterchen. Das Fett wabbelte gemütlich hin und her. So rumhängend schaute ich mir die Verwüstung an, die zahlreiche Weihnachtsbraten angerichtet hatten. Mein Körper war zu einer einzigen großen Gallertmasse verkommen, und wenn ich mal kurz sprinten musste, um meinen Zug noch zu kriegen, stand ich eine Viertelstunde später immer noch kurzatmig im Abteil.
Und jedes Jahr dachte ich aufs Neue: Jetzt mache ich es anders. Dieses Jahr mache ich Sport. Schlank werden, eine Superkondition aufbauen. Dieses Jahr werde ich so ein Mädchen mit gesunden Apfelwangen. So ein Mädchen, das begeistert reagiert, wenn jemand vorschlägt, am Abend gemeinsam eine Runde Sport zu treiben. Ja, dieses Jahr werde ich schlank, sportlich und glücklich. Nach diesem Entschluss schob ich mir noch ein Stück Kuchen in den Mund. Das allerletzte.
Meistens fing ich dann Anfang des Jahres begeistert mit einer neuen Sportart an, am liebsten einer, die mein Fitnessstudio mir vorschlug. All diese Unterrichtsstunden waren sich irgendwie gleich: was mit Springen, Hopsen und Gewichten, zu netter Musik. Manchmal nannten sie es Bodyfit, dann wieder Bodybalance oder Bodypump, und ich warte immer noch auf den Tag, an dem sie es einfach Fettpölsterchenentfernen nennen.
Gut. Ich ging also einige Wochen lang brav zum Fettpölsterchenentfernen. Freundinnen sagte ich ganz überzeugt, dass ich es immer noch supertoll finde, dass es wunderbar ist, früh am Morgen den Schlaf mit Schweiß auszutreiben. Dass das Gehopse mit Gewichten echt nicht langweilig wurde und dass es überhaupt nicht frustrierend war, dass all die schlanken muskulösen Frauen mühelos minutenlang das »Brett« halten konnten, während ich nach acht Sekunden unter lautem Stöhnen auf meine Matte fiel.
Und dann kam nach einigen Wochen der eine Tag, an dem es morgens regnete. Oder es ging mir nicht ganz so gut. Der Tag, an dem ich beschloss, nicht zum Fettpölsterchenentfernen zu gehen … Der eine Tag war immer der Anfang vom Ende. Ich gab noch vor, einen stressigen Tag im Büro vor mir zu haben, tat so, als hätte ich meinen Knöchel überlastet, und schneller als gedacht war meine Sporttasche in meinem Schlafzimmer von Spinnweben überzogen. Ich saß erneut den ganzen Abend auf der Couch, mit einem großen Glas Wein und einer Familienpackung Kokosmakronen.
So ging es jedes Jahr weiter. Bis zu dem Jahr, in dem ich mir ein Rennrad kaufte. Ich wurde 2008 von Freunden eingeladen, die Elfstädtetour in Friesland mit dem Fahrrad mitzufahren, knapp 240 Kilometer insgesamt. »Ach, das schaffst du eh nicht«, hörte ich von verschiedenen Bekannten. Na, das hätten sie noch mal wiederholen sollen. Wie eine Verrückte begann ich im Herbst 2008 mit Spinning. Als Vorbereitung auf meine Rennradkarriere. Und als ich mir Ende März dann ein eigenes Rennrad zugelegt hatte, war ich nicht mehr aufzuhalten.
Wie konnte das passieren? Was war mit mir geschehen? War ich echt so eine Frau geworden, die nach der Arbeit noch kurz aufs Rad stieg, um zwei Stunden lang zu radeln? War ich eine Frau geworden, die ihre Samstage mit hundert Kilometer langen Fahrradtouren verbrachte? War ich endlich eine Frau mit Apfelwangen? Noch nicht ganz. Ich saß auch noch regelmäßig mit einem großen Glas Alkohol auf der Couch. Aber das durfte ich jetzt auch, denn drei Mal pro Woche saß ich auf dem Rad. Und es gefiel mir. Warum? Weil »draußen sein« auf einmal eine ganz andere Bedeutung bekam. Weil ich in meinem eigenen Tempo fahren konnte. Und weil ich merkte, dass ich immer besser wurde. Ein bisschen schneller, ein bisschen geschmeidiger.
Und für alle, die jetzt denken, dass mein Fanatismus nur der Elfstädtetour zu schulden war; das stimmt eben nicht. Auch nach dieser Höllenfahrt blieb ich beim Fahrradfahren. Immer weiter, immer schneller.
Und jetzt schreibe ich ein Buch übers Radfahren. Ich, die Frau, die vor kurzem noch einen Würgreflex bekam, wenn jemand mich zu einem Training einlud. Die Frau, die vor kurzem noch mit einer Packung Spekulatius und einer Flasche Merlot gesichtet wurde.
Es ist nicht nur eine äußere Verwandlung, sondern ganz sicher auch eine innere. Und ich brauche keine komischen Schritte mehr zu hopsen oder Gewichte zu schwenken.
MARIJN ÜBER …
… das Dreißigerdilemma
Es war November 2008. Ich war seit einigen Tagen 30 Jahre alt. Das gefiel mir gar nicht. Dreißig: der Anfang vom Rest des Lebens. Einen guten Job bei einer Fernsehsendung, eine tolle Wohnung und einen großartigen Partner hatte ich schon. Kinder waren der nächste Schritt auf der Liste der Erwartungen.
»Geht es jetzt echt so weiter?«, fragte ich mich. Ganz schön, aber auch so … ernst. Erwachsen. Und unheimlich. Zufällig hatte ich in diesem Sommer mit Radfahren angefangen. Auf einem Rennrad. Das lief gar nicht schlecht, und es gab so einige Männer, die meinten: He, du fährst so schnell, du solltest Rennen fahren! Aber wer macht das denn bitte, wenn er gerade 30 Jahre alt geworden ist? Bleib mal auf dem Teppich.
Aber dann dachte ich, warum eigentlich nicht? Ich fand Rennradfahren einfach toll. Der Wind, der am Körper entlangstreicht, die Sonne auf meinem Gesicht, die Geschwindigkeit. Dem Körper das Maximale abverlangen. Die intensive Befriedigung, wenn man das erste Mal die Spitze eines Hügels erreicht hat. Radfahren macht das Leben so einfach: treten, Muskeln anspannen, atmen. Fahren. Kein Gegrübel, kein Gemecker. Ein leerer Kopf und ein volles Herz.
Und, nicht ganz unwichtig, scheinbar war ich sehr gut darin. Auf dem Fahrrad wuchs mein Plan heran. Warum sollte ich nicht etwas ganz anderes mit meinem Leben machen als das, was alle von mir erwarteten? Also begann ich mit einem Experiment. Kann man noch Leistungssportler werden, wenn man schon dreißig ist?
Ich machte mich selbst zum Thema einer Radiodokumentation für einen niederländischen öffentlich-rechtlichen Sender. So hatte ich einen guten Grund, in kurzer Zeit herauszufinden, ob ich in meinem Alter noch eine Sportkarriere starten konnte. Denn wenn man dreißig ist und etwas noch unbedingt machen will, hat man keine Zeit zum Rumlungern und Abwarten.
Ich ging zu einem Sportarzt. Der testete meine körperliche Verfassung und schlussfolgerte: gut geeignet. Ich fuhr einen Nachmittag mit Marianne Vos, der niederländischen Mehrfachweltmeisterin im Radsport, der Besten von allen. Sie erzählte mir, was in einem Fahrerfeld im Radsport so vor sich geht, und fand, dass ich trotz meines Alters noch akzeptiert werden würde. Ich sprach mit Leontien van Moorsel, der Weltmeisterin von früher, die meinte, dass man Kinder auch noch in einigen Jahren bekommen kann und dass ich, wenn mein Herz mir das so auftrug, mich auf meinen Traum stürzen sollte. Sie bot mir sogar an, mich dabei zu begleiten.
Ich trainierte auf einmal täglich und fühlte, wie meine Kondition und meine Kraft wuchsen. Aber konnte ich auch an richtigen Rennen teilnehmen? Total grün hinter den Ohren stieg ich im März 2009 in die Radrennsaison ein. Erst unterwegs fiel mir auf, wie wenig ich wusste. Wann sollte ich reagieren, wenn jemand attackierte und nach vorne preschte? Was macht man, wenn man einen Platten hat? Wie nehme ich in voller Fahrt eine Trinkflasche entgegen? Ich entdeckte, als ich schon wieder auf dem Heimweg war, dass nicht nur die ersten drei einen Umschlag mit Preisgeld bekamen. Und ich stürzte.
Die ersten Stürze waren nicht so schlimm. Aber Ende Mai 2009 erwischte es mich ganz schön heftig. Ich hatte einen Schlüsselbeinbruch. Damit schien mein Experiment schon fast gescheitert. Zwei Operationen, wochenlange Reha: War es das wert? Ich bin aber nicht der Typ, der schnell aufgibt, und als Leontien anrief und mir für die neue Saison einen Platz in ihrem Frauenteam anbot, brauchte ich nicht lange darüber nachzudenken.
Das Abenteuer ging weiter, und wie! Seit Januar 2010 fahre ich als Profi. Erst für das AA Drink/Leontien.nl Cycling Team, inzwischen bin ich schon zwei Mal gewechselt und fahre jetzt beim internationalen Radteam Giant-Shimano. Wir nehmen an Radrennen in aller Weltteil.
Nach einem knappen Jahr Radrennsport fuhr ich also auf einmal zwischen Weltklassefahrerinnen. Unglaublich. Und noch jeden Tag fühle ich mich wie ein Kind im Süßwarenladen. Alice im Wunderland, die Hauptdarstellerin in meinem eigenen Mädchenroman. Ich staune und genieße es in vollen Zügen. Wer hätte das vor ein paar Jahren gedacht? Wahnsinn!