Читать книгу Lachen, Weinen, Hoffnung schenken - Oberrabbiner Prof. Paul Chaim Eisenberg - Страница 5
ОглавлениеKÜRZLICH FRAGTE MICH JEMAND: „Wie geht das eigentlich, ein Buch schreiben? Das muss doch wahnsinnig schwer sein. Wie kommst du auf all die Ideen, die du dafür brauchst?“
Das gab mir zu denken.
Aber dann fiel mir folgende Antwort ein: „Ich habe einen Partner, einen Helfer beim Schreiben des Buches. Die erste Hälfte des Buches schreibe nämlich gar nicht ich: Die schreibt der liebe Gott. Er bringt mich in Situationen oder schafft die Koordinaten, und ich muss dann daraus die fertige Formel, das Buch, machen.“
Genau auf diese Weise hat mich der Ewige in eine Situation gebracht – sie ist in diesem Buch beschrieben –, in der ich das berühmte chassidische Lied „As der Rebbe lacht“ ein wenig abgewandelt habe, um die Anwesenden hoffentlich zu einer guten Tat zu inspirieren. Davon später.
Diese Situation hat aber nicht nur die anderen inspiriert, sondern in erster Linie mich selbst: Denn mir kam dabei neu zu Bewusstsein, wie wunderbar der Text dieses Liedes die innige Beziehung zwischen einem Rabbi und seiner Gemeinde beschreibt („Un as“ ist Jiddisch und bedeutet auf Deutsch „und als“):
Un as der Rebbe lacht, un as der Rebbe lacht,
lachen alle Chassidim, lachen alle Chassidim:
Ha-ha-ha-ha-ha, ha-ha-ha-ha-ha,
lachen alle Chassidim.
Un as der Rebbe singt, un as der Rebbe singt,
singen alle Chassidim, singen alle Chassidim:
Tra-la-la-la-la, tra-la-la-la-la,
singen alle Chassidim.
Un as der Rebbe tanzt, un as der Rebbe tanzt,
tanzen alle Chassidim, tanzen alle Chassidim:
Hoppa, hoppa hej, hoppa, hoppa hej,
tanzen alle Chassidim.
Un as der Rebbe weint, weinen alle Chassidim …
ojojojojojoj …
Un as der Rebbe schluft (schläft)
schweigen alle Chassidim …
(damit sie ihn nicht aufwecken).
Mir ist aufgefallen, dass ein Rabbiner noch vieles macht, was die Chassidim, seine Anhänger, mitmachen können. Und so habe ich in letzter Zeit einige zusätzliche Strophen erfunden. Zwei davon lauten:
Un as der Rebbe helft (hilft),
helfen alle Chassidim.
Un as der Rebbe lehrt,
lernen alle Chassidim.
Fast alle Kapitel dieses Buches habe ich deswegen mit einer Tätigkeit des Rabbiners bezeichnet, die zum Teil von der Gemeinde nachgemacht werden kann, zum Teil aber auch nicht. Denn ich finde, das ist eine gute Beschreibung des Verhältnisses zwischen Rabbi und Gemeinde sowie der Art und Weise, in der er sie leitet, ihr Vorbild ist. Dieses Lied ist ein Volkslied und wird von manchen Gegnern der Chassidim als Schmählied gegen den Rabbi und gegen die Chassidim interpretiert. Nach Meinung dieser Kritiker soll das Lied darstellen, dass die Chassidim den Rabbi nur nachäffen. Das wäre natürlich kein besonderes Lob.
Man kann es aber auch so sehen (und ich ziehe diese Interpretation entschieden vor): Der Rabbi ist ein Vorbild, und man kann vom Rabbi lernen, wie man inbrünstig betet, wie man klug spricht und wie man sein Leben richtig führt.
Wenn aber ein Chassid sagt: „Der Rabbi hat sich an dieser Stelle des Gebets die Nase geschnäuzt, das muss etwas bedeuten, also werde ich immer, wenn ich an dieser Stelle ankomme, mir die Nase schnäuzen“, dann wäre das natürlich dumm. Diese Art der Nachahmung sei keinem empfohlen!
Ich möchte die Vorbildwirkung des Rabbiners nicht wörtlich und buchstabengetreu, sondern dem Geiste nach verstanden wissen. Ein wenig so wie in der Geschichte von den Chassidim, die ihrem Rabbi vor zweihundert Jahren die allerneueste Erfindung, eine Dampflokomotive, präsentieren wollten und ihn baten, sich diese am Bahnhof anzuschauen. Der Rabbi ging mit seinen Chassidim zum Bahnhof und sah, wie der Heizer Kohlen in den Ofen der Lokomotive schaufelte, sodass die Lokomotive viele Waggons ziehen konnte. Da sagte er: „Das ist doch nichts Neues. Mir war schon immer bekannt, dass einer, der Feuer hat, viele andere mitziehen kann.“
Nun muss ich euch, liebe Leserinnen und Leser, noch etwas gestehen: Ich bin eigentlich mehr ein Erzähler von Geschichten als ein Schreiber von Geschichten. Vor meinem ersten Buch hatte ich so viel Respekt vor dem geschriebenen Wort, dass ich es lieber gar nicht versuchen wollte. Aber, weil ein Rabbiner diese Welt nicht verlassen sollte, ohne etwas Bleibendes zu hinterlassen, habe ich mich letztlich doch dazu durchgerungen, vom gesprochenen zum geschriebenen Wort zu wechseln. Auch hat Verlagschef Nikolaus Brandstätter mich dazu ermutigt. Bei der Präsentation meiner Bücher habe ich dann wieder mehr geredet und manchmal auch gesungen. Dass mein Geschriebenes deshalb oftmals nahe am Gesprochenen angesiedelt ist, besonders, wenn es sich um eine Anekdote handelt, rührt ebendaher – und ich halte das nicht für einen Makel.
NACHDEM ICH MICH in meinen bisherigen Werken mit jüdischer Weisheit und jüdischem Humor beschäftigt habe, handelt das vorliegende Buch aber von etwas gänzlich anderem: nämlich von meinem Leben. Mein Verlag wollte von mir eine Autobiografie – mir gefällt das Wort Memoiren besser. Aber da gab es auch noch meinen oben erwähnten Co-Autor, der von keinem Verlag zu bändigen ist. Er brachte und bringt mich immer wieder dazu, mein eigenes Leben wie jenes der anderen Menschen nicht nur als eine beliebige Serie von Ereignissen zu betrachten, sondern auch nach den Zusammenhängen und den Lehren zu forschen, die diese Erlebnisse enthalten. Die Erzählweise ist dabei nicht zwangsläufig chronologisch und vor allem nicht erschöpfend, sondern orientiert sich an der Methode, die die Bibel verwendet. In ihr wird viel über das Leben Abrahams erzählt. Die Tora schreibt, dass der Ewige von Abraham verlangt, er möge ihm am nächsten Morgen seinen Sohn Jizchak opfern. Würde dort alles chronologisch erzählt, müsste der nächste Tag folgendermaßen beschrieben werden: „Abraham putzte sich in der Früh die Zähne, dann aß er ein Butterbrot mit Eierspeis, dann las er die Zeitung und erledigte noch drei Anrufe mit seinem Handy, bevor er sich auf den Weg machte, um dem Wunsch Gottes zu entsprechen.“ So ist es aber nicht: Die Tora beschränkt sich auf das Wesentliche.
Mein Buch ist zwar keine Bibel, aber auch ich bringe nur die wesentlichen Storys. Auch bleibe ich trotzdem bei meinem Metier, jüdische Weisheit und jüdischen Humor mit meiner Familiengeschichte zu verbinden. Wäre es anders, dann wäre es nicht mein Buch.