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4. Kapitel

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Eva Ritter stieg kurz aus dem Auto, um das schwere Eichentor der Hofreite an der Oberortstraße zu schließen. Eigentlich wollte sie längst eine Automatik einbauen lassen. Es war lästig, das breite Tor jedes Mal per Hand zuzuwuchten. Aber offen lassen konnte sie es nicht. Nicht mal werktags. Sonst würde ein Autofahrer den Platz vor ihrem Haus frech zuparken. Der geräumige Hof vor der umgebauten Scheune wirkte so einladend praktisch wenn, man zur Kirche hinüber wollte und auf der schmalen Straße keinen Abstellplatz fand. Werktags natürlich schon mal gar nicht, wenn all die Alphatiere in ihren schwarzen Firmenwagen auf der Suche nach einer Parkgelegenheit waren. Das kleine Schild an der Mauer mit dem Hinweis auf Privatgelände half da nicht viel. Im Rhein-Main-Gebiet zählten Eigeninteressen mehr als der Wunsch nach Privatheit. Also aussteigen, sobald man das Auto vom Hof auf das schmale Stück Straße gerollt hatte. Am Straßenrand, der an dieser Stelle nur die Andeutung eines Bürgersteigs hatte, beim Aussteigen vermeiden, auf der Motorhaube eines vorbei rauschenden und grimmige Beschimpfungen ausstoßenden BMW-Fahrers zu landen, der es gar nicht erwarten konnte, schnell wieder hinter die Bildschirme an seinem Arbeitsplatz in der Börse zu kommen. Das Tor schließen. Dem nächsten BMW, es konnte auch ein eiliger Audi-Fahrer am Ende seiner Mittagspause und Geduld sein, einen Stinkefinger hinterherschicken, um dann in den alten VW Käfer zu steigen und endlich über das holprige Kopfsteinpflaster zu fahren.

Doch diesmal war alles ruhig. Sie warf einen Blick auf den Westerbach, der eingezäunt in einem tiefer gelegten Bett aus Beton und alten Quadern neben der Straße gurgelte, als sollte er diese Stadt möglichst unerkannt verlassen. Am Rand der zugepflasterten Rinne schoss bereits Ruprechtskraut aus den Ritzen zwischen den Steinen und reckte die dürren Stängel in den frotteeblauen Himmel. Nur ein paar hundert Meter konnte der Bach nach Luft schnappen und einige Sonnenstrahlen auf seiner Oberfläche glitzern lassen. Kurz hinter der Hauptstraße verschwand er wieder, wie er aufgetaucht war, in einer sauber verputzten Röhre, mit denen die 70er Jahre die Natur hier ringsum vergewaltigt hatten.

Sich selbst verschandeln, das konnte diese Stadt, eine der reichsten Kommunen Deutschlands, die selbst noch in diesen Krisenzeiten genug Geld in der Stadtkasse hatte, um damit beinahe wöchentlich neu Narzissen in den Kreisverkehren zu pflanzen. Als würde dieses bisschen Grün den Beton dieser Stadt vergessen machen. Die Türme von Telekom und Deutscher Bank, von Vodafone und Deutscher Börse, samt all dieser mit Unternehmensberatungen, Unternehmen und Agenturen vollgepfropften gesichtslosen Klötze, gegen die selbst die Lego-Bauten eines Kleinkindes naturnahe architektonische Lösungen waren. Diese Stadt mit ihren Kassen voller Geld schaffte es nicht, eine bürgerfreundliche und naturnahe Stadtgestaltung in die Wege zu leiten, die in Sachen Charme nicht noch von einem Raucher-Innenhof eines Frankfurter Bankenturmes in den Schatten gestellt wurde.

Eva ließ den Wagen über den kleinen Platz neben der evangelischen Kirche rollen, die mit ihrer glatten Fassade keine Erinnerung kannte an die Vorläuferkirche aus dem 30-jährigen Krieg. Ein wenig trotzig reckte sich der schieferbedeckte Turmhelm aus dem 18.Jahrhundert angesichts seiner Umgebung in den Himmel. Zusammen mit dem mauerumrahmten Platz mit der großen Esche, dem Symbolbaum der Stadt, wäre dies in einer südfranzösischen Kleinstadt wahrscheinlich ein kleiner lebendiger Dorfmittelpunkt gewesen, wo alte Männer auf einer der verwaisten Parkbänke das eilige Treiben an sich vorbeiziehen lassen würden.

Hier aber parkten Autos auf dem wie versiegelt wirkenden Kopfsteinpflaster vor der Kirche, die Eichen und Eschen waren in Stoßfänger eingesperrt und auf der gegenüberliegenden Straßenseite grüßte Werbung für eine Chemische Reinigung und eine Zahnarztpraxis aus der architektonischen Kältekammer der 70er Jahre. Wenn man ein Auge zukniff, konnte man diese Ecke an der Kirche sogar ganz hübsch finden, dachte Eva im Vorbeifahren. Mit einem Auge, einem sorgfältig gewählten Blickwinkel und Scheuklappen, ganz großen Scheuklappen. Hinter ihr hupte ein BMW, weil sie nicht schnell genug abbog.

Sie nahm den Weg quer durch die Innenstadt, schlängelte sich durch den Business-Loop der Großmärkte, und kreuzte dann hinüber zum Glaspalast der Eurobest, die am Rand des Gewerbegebietes mit ihrer flachen langgezogenen Silhouette aussah wie ein angedockter Supertanker am Rande des Containerhafens.

Sie kannte Wilhelm Aßmann, Chef der Eurobest-Niederlassung, von zwei Kongressen, zu denen sie ihr Chef Berger zu Beginn ihrer Laufbahn bei Roger & Berger mitgenommen hatte. Bei dem ersten Treffen war auch Lücker dabei gewesen.

Sie war sicher, dass sich Aßmann ein paar Minuten Zeit für sie nehmen würde, wenn er nicht gerade in einem Meeting steckte oder auf dem Golfplatz. Was auf das Gleiche herauskommen könnte. Vor allem aber hoffte sie, dass Aßmann noch nichts vom Tod seines Kollegen wusste, weil die Kripokollegen erst einmal die Familie informieren und befragen würden.

Sie hoffte auf eine unverfälschte Reaktion. Eva konnte nicht sagen warum, aber sie war überzeugt, dass der Tod mit den Geschäften Lückers zu tun hatte.

Jeder Lidschlag von Aßmann bei der Befragung konnte deshalb hilfreich sein, selbst wenn er nicht wüsste, in welchen Geschäften Lücker gesteckt hatte. Allerdings war Eva überzeugt davon, dass Aßmann davon wusste, wenn es da ein paar ungerade Rechnungen geben sollte. Jens Lücker war immerhin sein Stellvertreter bei Eurobest. Aber auch ohne eine tatsächliche Beteiligung könnte sie an den unbewussten Reaktionen von Aßmann sehen, was dessen Instinkt für möglich hielt. Darauf konnte man sich verlassen. Aßmann war ein Jäger. Bei Leuten wie ihm funktionierten die Instinkte in der Regel prächtig. Sonst wäre er nicht so weit oben auf diesem Teil des Affenfelsens, wäre er nicht Chef der Eurobest geworden. Nicht bei diesem Äußeren, dachte Eva Ritter, als die Sekretärin die schwere Mahagoni-Tür öffnete.

Aßmann stand an einem bodentiefen Fenster, die Hände auf dem Rücken gefaltet, als denke er nach. Ein dürrer Baum mit einer kruden kleinen Krone, dachte sie. Sein rötlich gelocktes Haar hatte sich auf den Hinterkopf zurückgezogen und einer fleckigen Glatze Platz gemacht, die zusammen mit seinem zerfurchten Gesicht sein Alter verriet. Als Eva in der Mitte des Raumes stand, der mit Mahagonischreibtisch, rundem Besprechungstisch und einem schreiend bunten abstrakten Bild an der gegenüberliegenden Seite des Fensters möbliert war, wie Dutzende jener Büros im gehobenen Management, die Eva Ritter in der kurzen Zeit bei Roger & Berger gesehen hatte, drehte er sich um. Die dünnen, glänzenden Lippen in dem schmalen rötlichen Gesicht verzogen sich zu einem fragenden Lächeln. Er ging ihr einen Schritt entgegen. Sein Gang hatte etwas Schleichendes. Beinahe in Zeitlupe reichte er ihr die Hand.

Leberwurst, dachte sie. Wieso kommt mir gerade jetzt bei diesem Anblick Leberwurst in den Sinn. Sie schüttelte kurz die hingestreckte Hand und lächelte zurück.

»Eva, was führt Sie zu mir? Ich hoffe, es geht Ihnen gut? Wie läuft es bei Roger & Berger?«

Drei Fragen auf einmal. Aßmann wollte klar machen, dass er nicht viel Zeit hatte. Der Besuch kam ihm ungelegen. Aber er konnte aus Freundlichkeit zu einer kurzen Stippvisite eines potenziellen Geschäftspartners nicht Nein sagen. Networking war in dieser Branche das wichtigste Kapital.

»Keine guten Nachrichten. Jens Lücker ist tot. Ermordet.«

Aßmann ging wortlos zu seinem Schreibtisch und ließ sich schwer in den Sessel fallen. Eva Ritter erzählte ihm, was sich ereignet hatte und starrte dabei vor sich hin auf den Teppichboden. So konnte sie sich besser konzentrieren und den Atemgeräuschen von Aßmann lauschen. Diese waren in dieser Situation vermutlich weitaus ehrlicher als jede Reaktion, die ihm im Gesicht abzulesen gewesen wäre. Den Blick, die Mimik konnte jemand wie Aßmann mit etwas Training weitestgehend unter Kontrolle behalten. Managerseminare lehrten das, um in Verhandlungen besser pokern zu können. Was wir aber immer noch stiefmütterlich behandeln, ist unser Atem. Er war immer ehrlich. Flach, oder tief, schnell oder langsam, abgehackt oder gleichmäßig. Die Seele atmete mit.

»Nachdem ich ihn also zufällig heute Morgen entdeckte, dachte ich, ich sollte Ihnen das selber sagen. Quasi von Geschäftspartner zu Geschäftspartner. Die Polizei war offenbar noch nicht bei Ihnen.«

»Nein, nein«, sagte Aßmann. Seine Stimme klang trocken. Er fand es offenbar gar nicht merkwürdig, dass Eva Ritter ihn selbst informierte. Dabei gab es zwischen Eurobest und Roger & Berger nicht einmal konkrete Geschäftsbeziehungen. Befreundet war man auch nicht. Gott behüte, dachte Eva. Aßmann betrachtete es vermutlich aus einem anderen Grund als Normalität: Zwei Treffen auf Kongressen und Aßmann hielt jeden, der in der Nahrungskette unter ihm stand wie selbstverständlich für einen Lakaien und reitenden Boten.

Ein Seufzen des Ledersessels ließ Eva aufsehen. Aßmann klappte wie ein trockener Ast in seinem Stuhl zusammen. Jetzt sah er wie eine Heuschrecke aus, die sich beim Anblick eines Feindes tot stellt. Einen Moment lang schien er sie gar nicht wahrzunehmen.

»Tot sagen Sie? Ermordet? Ausgerechnet Lücker. Er war so etwas wie ein Ziehsohn für mich.« Er räusperte sich. »Das klingt vielleicht etwas übertrieben. Ich habe mich immer als sein Mentor gesehen. Er hatte das Zeug, in ein paar Jahren mein Nachfolger zu werden.« Er stockte. »Mein Gott, die arme Frau. Weiß Marion schon Bescheid?« Eva Ritter vermutete, dass dies die Ehefrau war. Der Name kam ihr bekannt vor. Wahrscheinlich stand er irgendwo in den Unterlagen von Roger & Berger.

»Die Polizei ist schon bei ihr.« Natürlich wusste sie das nicht genau, aber es war das übliche Procedere. »Hatte er Feinde?«

»Wie?« Der Banker war in Gedanken versunken. Sein Atem ging flatternd, wie eine kleine Motte, die sich in einer Gardine verfangen hatte. Die Frage holte ihn zurück in die Realität. Mit einer fahrigen Bewegung deutete er seiner Besucherin, sie möge sich von den Getränken auf dem Beistelltisch neben ihr bedienen. Eine Übersprunghandlung. Er wollte Zeit gewinnen. Nachdenken. Eva hatte solche Gesten schon tausendmal gesehen. Als sie nicht reagierte, blieb ihm nichts anderes übrig, als weiter zu reden.

»Nicht mehr als wir alle in dieser Branche. Jedenfalls keine, die eine Niederlage nicht sportlich nehmen würden. Was glauben Sie, Eva – wir sind doch nicht die Mafia. Das Rhein-Main-Gebiet ist nicht Sizilien. Aber wem sag ich das.«

Eva interpretierte sein Zucken im Gesicht als schalkhaftes Blinzeln.

»Lücker saß ja auch nicht im Kundenverkehr zusammen mit Kleinanlegern, die womöglich voller Rachegelüste sind, weil sie sich selbst verspekuliert haben. Aus eigener Gier wohlgemerkt.«

Jetzt lächelte er wieder. Ein wenig zumindest. Dann wurde er ein wenig schmieriger.

»Mal abgesehen vom Beruflichen – naja, Sie wissen doch, Lücker hatte einen Ruf weg – der Bock.«

»Sie meinen, alles was nicht bei drei auf den Bäumen war, war vor ihm nicht sicher.«

»Ach, wissen Sie, er war auch ein Charmeur.« Aßmann machte eine kurze Pause und schob ein paar Akten auf dem Schreibtisch beiseite. »Die Frauen flogen auf ihn. Keine Ahnung wie er das machte. Irgendwie gab er selbst übergewichtigen Praktikantinnen das Gefühl, begehrenswert und attraktiv zu sein. Und den gut aussehenden Frauen gab er das Gefühl, mehr zu sein als nur …« Aßmann führte den Satz nicht zu Ende und machte stattdessen eine unbestimmte Geste.

»Sie meinen, er redete ihnen ein, mehr zu sein als der nächste One-Night-Stand?«

Eva Ritter biss sich auf die Lippen. Das war nicht professionell formuliert. Aßmann sah gerade aus, als würde er abschätzen, wie sie sich in dieser Rolle machen würde. Sie hoffte, solange sie in dieser alten Lederjacke und schlabbrigen Jeans steckte, die Haare notdürftig zum Zopf zusammengebunden, würde ihm das recht schwer fallen. Aßmann räusperte sich. »So in etwa. Jedenfalls hatte er die freie Auswahl. Soweit mich mein Instinkt nicht täuscht, hat er das auch ausgenutzt. Weidlich. Ich habe ihm nur den Rat gegeben: Nicht in der gleichen Kostenstelle. Das bringt nur Ärger. Er hat sich daran gehalten.«

»Und seine Frau?«

»Wissen Sie, in diesen Kreisen arrangiert man sich häufig damit oder übersieht es einfach. Ich weiß es nicht. In letzter Zeit war er ohnehin etwas ruhiger. Er war nicht mehr auf der Pirsch. Stattdessen war er sozusagen außerhäusig fest liiert.«

Eva überraschte das nicht. Bei Männern in dieser Position waren Seitensprünge nicht ungewöhnlich. Sie mussten sich ständig beweisen. Sich selbst und ihren Mitgliedern im Rudel. Eine Geliebte gehörte dazu, wie ein gutes Handicap beim Golfen.

»Wissen Sie, wer es war?«

»Natürlich, so etwas hält man seinen Kollegen gegenüber nicht lange geheim. Heidi Münzer. Sie macht in Derivate.«

»Arbeitet sie auch bei Eurobest?«

»Nein. Ich sagte es doch: Nie in der gleichen Kostenstelle. Sie sitzt drüben in Frankfurt bei Devest. Er hatte sie wohl im Reitclub Hohenstein oder bei irgendeinem Kongress kennengelernt.«

»Verheiratet?«

»Spielt das eine Rolle?« Er hielt einen Moment inne. »Natürlich. Es geht ja um Mord. Dann vielleicht schon. Sollte ich darüber nicht eher mit der der Polizei reden?« Er räusperte sich. »Und wenn schon. Die erfahren das noch früh genug. Wir beide plaudern hier ja nur. Um ehrlich zu sein, ich habe ihn nie danach gefragt. Ich bin mir auch nicht sicher, ob er das selbst mal erwähnt hat.«

Aßmann richtete sich in seinem Ledersessel auf. »Aber nehmen Sie sich doch was zu trinken. Ich rede und rede und Sie verdursten. Wasser, Saft, Cappuccino, Macchiato, Espresso?«

»Danke, nein. Ich bleibe nicht mehr lange.«

Die Besinnung auf übertriebene Höflichkeiten machte nur zu deutlich, dass er sich allmählich wieder in der Gewalt hatte.

»Glauben Sie, es war Mord aus Eifersucht?«

»Ich glaube nie etwas. Ist ja auch nicht mein Fall. Ich versuche mir nur ein Bild zu machen, wo ich nun schon mal über die Leiche gestolpert bin.«

»Schreckliche Sache. Ich glaube, da entwickelt man nie so etwas wie Routine?«

Sie nickte kurz. Sollte er doch glauben, was er wollte. Aßmann hatte seine Souveränität vollends wiedergefunden. Er sah sie mit wachen Augen an. Sie musste wieder die Gesprächsführung übernehmen, sonst gelang es Aßmann noch, das Gespräch endgültig in das seichte Gewässer sinnlosen Geplauders zu führen.

»Können Sie sich vorstellen, dass er irgendwelche Geschäfte nebenbei gemacht hat? Deals, von denen die Bank nichts wissen durfte?«

Aßmanns Pupillen blitzten kurz auf und für einen Moment fragte sich Eva, ob sie ins Schwarze getroffen hatte, oder ob es nur eine Reflexion der Sonne war, die die Glasfront streichelte. Sie hörte, wie er tief Luft holte. Nahm er Anlauf für eine lange Erklärung?

»Sie meinen so eine Liam Neeson-Nummer oder so ein Schneider-Stunt? Immobilientricks, Geldwäsche, Spekulationen mit Geld der Firma? Nie im Leben. Fondsmanagement ist eine Vertrauensposition. Und Lücker war einer unserer Besten. Da setzt man niemanden hin, der auch nur falsch parken würde.« Das Lachen war Eva eine Spur zu laut. Auch die Art, wie er sie nun unverhohlen musterte, gefiel ihr nicht. Sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen.

»War er sehr ehrgeizig?«

Aßmann prustete wie ein Luftballon, dem die Luft ausgeht.

»Wenn es danach geht, müsste ich eigentlich derjenige sein, der ermordet wurde. Er war nicht damit zufrieden, nur die Nummer 2 zu sein. Wenn wir zu Machiavellis Zeiten gelebt hätten, dann hätte er mich sicher vergiften lassen. So blieb ihm nur die Arbeit und die Hoffnung, mit besseren Zahlen zu überzeugen. Meist hat er sich deshalb zusätzliche Großprojekte herangezogen, die gar nicht zu seinen Kernaufgaben gehörten.«

Aßmann stützte die Ellenbogen auf den Schreibtisch und beugte sich verschwörerisch zu Eva vor. »Das muss man ihm lassen. Er hat mit diesen Finanzpaketen jongliert wie ein junger Gott. Obendrein hat er sich wohl noch das eine oder andere lokale Projekt aufgehalst. Bei den Summen, um die es da ging, war es aber wohl mehr ein Zeitvertreib. Ein echter Workaholic eben. Lücker machte nicht einmal Urlaub. Er hatte wohl Angst, das würde seine Bilanz versauen.«

»Wer übernimmt die Projekte nun?«

»Ich werde das wohl selbst machen. Es sind extrem wichtige Investitionen dabei, komplexe Finanzprodukte, die man nicht allzu lange aus den Augen lassen darf. Gerade jetzt nicht, wo die Märkte so unruhig sind.«

»Was für Geschäfte sind das?«

Aßmann drehte sich in seinem Sessel nach links und rechts, starrte kurz aus dem Fenster und sah dann Eva Ritter an wie eine Schülerin in der mündlichen Prüfung, die mit einer falschen Frage soeben ihre gute Benotung gefährdet hatte.

»Wir reden hier über laufende Investitionen und Verhandlungen. Ich darf Ihnen dazu nichts sagen. Sie brauchten schon ein handfestes Mandat eines Kunden. Selbst der Polizei würde ich dazu nur dann etwas sagen, wenn das die Staatsanwaltschaft befiehlt. Sonst könnte ich wegen Verdachts auf Insider-Geschäfte schnell in Teufels Küche kommen. Es geht also nicht. Selbst wenn ich wollte. Sie wissen das. Es geht nicht, Eva. Bitte glauben Sie mir, das geht alles mit rechten Dingen zu. Auch auf Seiten der Kunden. Sicher sind das keine Geschäftspartner, für die Mord Teil des Businessplans ist. Sie wissen doch, unsere tödlichen Waffen entfalten nur an der Börse ihre Wirkung.« Er lachte kurz.

»Und Lücker? Trauen Sie ihm krumme Geschäfte zu?«

»Glauben Sie mir, Lücker war niemand, der mit dem Geld der Firma auch nur seine Golfstunden bezahlt hätte. Obwohl so etwas häufig genug vorkommt. Er hatte seine Hände ganz bestimmt nicht in dreckigen Geschäften. In riskanten Geschäften, das ja. Wie wir alle. No guts, no glory.«

Es klang wie ein Rauswurf. Eva hatte auch so genug gehört. Sie stemmte sich an den Aluminium-Lehnen des Charles Eames-Stuhles hoch und bedankte sich für das Gespräch. Das Angebot, sie zum Aufzug zu begleiten, lehnte sie dankend ab. Man musste es mit den Höflichkeitsritualen nicht übertreiben, wenn man gerade angelogen worden war.

Keine feine Gesellschaft

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