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Оглавление»Mercurius mineralis mercurius vegetabilis mercurius animalis unum est.« 6
HOFMEIER, ROSARIUM PHILOSOPHORUM, MERCURIUS-BRUNNEN, S. 17
Metalle in der Alchemie
Thomas Hofmeier
Metalle und Kulturgeschichte
Metalle spielten nicht nur in der Alchemie, sondern in der Menschheitsgeschichte eine zentrale Rolle. Mit der Hilfe von und durch die Gier nach Gold wurden Reiche gleichermaßen geschaffen und zerstört – das pharaonische Ägypten, die spanischen Konquistadoren oder der Goldstandard sind nur einige Beispiele.
Die großen Phasen der Archäologie sind nach Materialien benannt: Auf die »Steinzeit« folgte die »Kupferzeit«, die »Bronzezeit« und schließlich die »Eisenzeit«. Die Tatsache, dass Kupfer und Zinn, im Verhältnis von 9 zu 1 Bestandteile der Bronze, nirgendwo gemeinsam vorkamen, hat den Fernhandel ebenso wie den Kampf um Ressourcen und Fachwissen angefacht. Als Faustregel kann gelten, dass die Besitzer der jeweils neuesten Materialien und der für ihre Beherrschung notwendigen Technologien kriegerisch und/oder wirtschaftlich Macht über ihre weniger glücklichen Nachbarn ausüben konnten.
Das erste von Menschen bearbeitete, nämlich kalt gehämmerte Metall war das weltweit vorkommende Gold. Dank seiner Eigenschaften konnte man es leicht zu Schmuck verarbeiten, und es verlieh dem Besitzer ein hohes Ansehen. Die Mächtigen nutzten Gold, um ihre Herrschaft buchstäblich glanzvoll erscheinen zu lassen. In gleicher Manier wird Gold im kultischen Kontext bis heute gerne und oft zum Ruhm des Göttlichen verwendet. Ob Tempel, Kirche, Stupa oder Moschee: Eine goldene Kuppel, ein goldener Altar und vieles mehr gehören global zur Inszenierung des Allerhöchsten.
Die alten Ägypter hielten Gold für das Fleisch der Götter, aus Silber waren ihre Knochen und aus Lapislazuli ihre Haare (vgl. Brunner-Traut 1989: 101). In einer Art kollektiven Überzeugung von »früher war alles besser« gründeten kulturelle Strömungen wie die Renaissance auf der Sehnsucht nach einem vergangenen, im übertragenen Sinne »Goldenen« Zeitalter.
Unter diesen Voraussetzungen ist es nicht verwunderlich, dass sich schon die frühesten Alchemisten in ihrer Theorie und Praxis auf die Metalle konzentrierten. Wer mit Metallen umzugehen wusste, war sich der Aufmerksamkeit der Mächtigen gewiss. Auch physikalisch macht die Konzentration auf Metalle Sinn: Welche anderen Materialien können mit ihren extremen Eigenschaften mithalten? Metalle sind – für den, der sie beherrscht – formbar, sie können hart wie Stein, aber auch flüssig sein, sie sind in reiner Form glatt und glänzend, doch als Erze pulverig und spröde; vor allem aber waren sie kostbar und gefragt. In der Beschaffenheit der Metalle ist angelegt, was die Alchemie im Innersten antreibt, nämlich die Umwandlung von Materie hin zu etwas Besserem. Die legendäre Transmutation von Blei zu Gold ist bloß die Spitze des Eisbergs. Der Wandel vom Erz zum eigentlichen Metall, die Legierung von Metallen und die unmittelbare Nützlichkeit metallischer Produkte in Wirtschaft und Kult, gepaart mit der Sphäre des geheimen Fachwissens, bilden den Nährboden für die Alchemie – ganz im Sinne von Eliades Schmiede und Alchemisten (vgl. Eliade 1992).
Abgesehen davon: wenn nicht Metalle, was sonst? Im modernen Periodensystem sind gut 75 Prozent der rund 120 Elemente Metalle, der Rest besteht überwiegend aus Gasen. Einige der größten Umwälzungen, die der Menschheit widerfuhren, basieren auf »alchemischen« Manipulationen von Metallen (vgl. Morrisson 2007, Kean 2016). Ob Elektrizität, Kommunikation, Computer oder Internet, Mobilität – mit Eisenbahn, Automobil, Flugzeug und Schiff – und Kriegsführung mit Stahlgewitter oder Atombombe – immer stehen Metalle im Mittelpunkt des Phänomens. Ob hochgelobte alternative Energien oder umstrittene Atomkraft – Metalle beherrschen unsere Welt! Aber beherrschen wir die Metalle?
Die Alchemie jedenfalls bemühte sich seit jeher um ein Verständnis und eine Beherrschung der Materie, vorrangig der Metalle, immer zum Wohle der Menschheit. Eingedenk der Tatsache, dass es so viele Alchemien wie Alchemisten gibt, sei der Versuch unternommen, die grundlegenden Theoreme der Alchemie hinsichtlich der Metalle zu umreißen – mit Schwerpunkt auf der Blütezeit der neuzeitlichen Alchemie (15. bis 17. Jahrhundert).
Alchemie – die Mutter der Wissenschaften
Seit der Antike bildeten die vier Elemente und ihre Eigenschaften – Feuer warm, Erde trocken, Wasser kalt, Luft feucht – die Grundlage der alchemischen Theorie; sie entsprechen nicht den konkreten Dingen gleichen Namens (vgl. Böhme/Böhme 1996).
Im Zentrum der Schöpfung, deren Grundpfeiler die vier Elemente sind, steht der Brunnen der drei Naturreiche: mineralisch, pflanzlich und tierisch. Die drei Reiche entsprechen dem Dreigestirn Sonne/ Tiere, Mond/Pflanzen und Mercurius/Mineralien, wobei Letzterer zugleich das fünfte Element (Quintessenz) und der Urquell der drei Naturreiche ist. Somit bilden die Mineralien, Pflanzen und Tiere, samt Menschen, je einen von drei Strömen des Mercurius-Brunnens: »Der mineralische Mercurius, der pflanzliche Mercurius, der tierische Mercurius ist eins.« (Hofmeier 2014: 17)
Die vier Elemente mit ihren vier Eigenschaften. Im Schema und in den alchemischen Zeichen werden Gegensatzpaare deutlich. (Hofmeier 2014: 79)
Ein weiterer grundlegender Baustein des alchemischen Theoriengebäudes sind die sieben Metalle analog zu den sieben Planeten, die wiederum griechisch-römischen Gottheiten entsprechen. Aus der beschränkten Anzahl in der Antike bekannter Metalle hat sich erst allmählich die geläufige Reihe der sieben Metalle herausgebildet, die entsprechend ihrer kosmischen Parallele aufsteigend von Blei zu Gold aufgezählt wurden. Das Paar Gold/Sonne bestand durchgängig und von Anfang an, wie auch Silber/Mond und Blei/Saturn konsistent als Analogien auftraten; für die Planeten Jupiter, Mars, Venus und sogar Merkur kamen teilweise unterschiedliche Metalle als Entsprechung zum Einsatz. Darunter befanden sich auch vermeintliche Metalle, die später als Legierungen erkannt (wie Bronze, Messing oder Elektron, eine Gold-Silber-Legierung, die im pharaonischen Ägypten beliebt war) und durch die Metalle Eisen, Kupfer und Zinn ersetzt wurden.
Der Mercurius-Brunnen im Zentrum der Schöpfung als Urquell der drei Naturreiche: In den Ecken die vier Elemente (Sterne); Mercurius als doppelköpfiger Drache und fünfter Stern/Quintessenz krönt zusammen mit Sonne und Mond den Brunnen.
Am auffälligsten ist das Quecksilber, das bis ins 14. Jahrhundert wegen seiner merkwürdigen Eigenschaften oft nicht als Metall galt. Zosimos von Panopolis nannte es »kein Metall, kein ständig bewegtes Wasser und auch kein Körper, da man es nicht fassen kann« (Mertens 1995: 21). Unter den byzantinischen Alchemisten nahm es einzig Stephanos in die Reihe der sieben Metalle auf. (Vgl. dazu Gamper/Hofmeier 2002: 62–67; Lippmann 1919: 217, 517–646.)
Es ist nicht geklärt, wann und warum genau diese Metalle und Planeten/Götter einander in Beziehung gesetzt worden sind (vgl. Karpenko 1998, Karpenko 2003), doch die eingangs gemachten Bemerkungen zur fundamentalen Rolle der Metalle in der Geschichte machen den Vorgang nachvollziehbar. Im alchemischen Reigen der Analogien – die von der modernen Forschung gelegentlich als willkürlich und sinnlos bezeichnet werden – konnten sich Farbe, Mythologie und vieles mehr entsprechen.
Die sieben Metalle der Alchemie als reale Metalle in historischen Gefäßen: Gold, Silber, Quecksilber, Kupfer, Eisen, Zinn und Blei.7
So ist es unmittelbar einleuchtend, dass Eisen mit Mars gleichzusetzen ist. Man erinnere sich an die Eisenzeit, die archäologisch in verschiedenen Regionen sehr unterschiedlich angesetzt wird – die für die Alchemie formative griechisch-römische Epoche gehört jedenfalls dazu. Zudem ist Eisenerz rot, und Eisen rostet in rostroter Farbe, ganz so, wie der Planet Mars am Himmel erscheint.
Die Alchemie ist wie angedeutet kein Feld für unverrückbare, ewig gültige Gleichungen nach dem Muster: Gold = Sonne, Quecksilber = Merkur oder durchaus auch möglich Gold = Mercurius. Jede Gleichung ist aus ihrem eigenen Zusammenhang zu verstehen, gilt bei diesem Autor, in jener bestimmten Epoche und sogar nur an einer bewussten Stelle innerhalb eines Textes, der wenige Zeilen daneben das Gegenteil verkündet. Widerspruchsfrei zu sein, war nie der Anspruch der Alchemie. Unter anderem, weil nach Möglichkeit kein altes Wissen aufgegeben werden sollte.
Die Alchemie war aber, wie ihre lange Geschichte zeigt, sehr wohl für Neuerungen offen – ohne sich jedoch ständig in der Pflicht zu sehen, alte Vorstellungen zugunsten neuerer Entdeckungen aufzugeben. Die Alchemie pflegte grundlegend ein additives und nicht ein substitutives Denkmuster und hat – dem aristotelischen »tertium non datur« (es gibt kein Drittes) radikal entgegengesetzt – zwischen Ja und Nein sehr wohl ein Vielleicht als Drittes zugelassen. Die Alchemie huldigte einer eigenen Logik der Grau- Zwischentöne, ohne vor Widersprüchen zurückzuschrecken, die mit der geläufigen modernen Logik nicht kompatibel sind. Der Alchemist zog das kräftige Sowohl-als-Auch zwangsläufig, aber gerne, dem laschen Entweder-Oder der Standardlogik vor.
Von der Trinität und dem Hermaphroditen
Nur weil beispielsweise ein Alchemist wie der unbekannte Autor des Rosarium Philosophorum die reine Quecksilber-Theorie bevorzugte, musste er noch lange nicht das althergebrachte Gegensatzpaar Schwefel und Quecksilber aus seinem wissenschaftlichen Weltbild streichen. Vielmehr suchte er nach einem die beiden vereinenden Dritten und kam fast zwangsläufig auf die Figur des Hermaphroditen. Er schuf ein Werk zur Metalltransmutation, bestehend aus 337 lateinischen Zitaten von 88 Autoritäten aus etwa zweitausend Jahren, einem darin eingebetteten deutschen Bildgedicht von 136 Versen und einem Zyklus von zwanzig atemberaubend allegorischen Bildern (vgl. Hofmeier 2014).
Der Hermaphrodit steht im Rosarium für den Mercurius, für reales und philosophisches Quecksilber gleichermaßen, sowie für das mercuriale Prinzip, dessen Manipulation über verschiedene Stufen des alchemischen Prozesses schließlich zum ebenfalls androgynen Stein der Weisen führt. Die sexuelle Allegorie des alchemischen Werks kulminiert im Rosarium im Hermaphroditen, dem Symbol der vereinigten Gegensätze schlechthin, und wird in der Schöpfungskraft der Natur verdichtet. Unterscheidbar werden die zehn Hermaphroditen in den Bildern des Rosariums durch die sie umgebende Szenerie, ihre Position, durch ihre Attribute wie Kleidung oder Flügel sowie die Ausrichtung ihrer beiden Geschlechterhälften.
Nur ein Motiv ist im Rosarium noch dominanter als der Hermaphrodit, nämlich der oft mit ihm identifizierte Mercurius. Beinahe alle Tiersymbole der Alchemie, welche für je verschiedene Prozessphasen stehen, werden auch Mercurius zugewiesen. In menschliche Gestalt schlüpft er als nacktes Weib und Luna, auch Königin oder Kaiserin genannt, sowie als Hermaphrodit. In der Zahlensymbolik steht Mercurius für 1, 2, 3, 4 und 5. Mercurius ist die Einheit am Anfang, aus ihm entsteht die Zweiheit, die er vereint. Aus den Zweien wird die Drei(ein)heit, triunus oder terunus. Er ist die Basis der vier Elemente und er ist deren fünftes, die Quinta Essentia. Dadurch ist er mehr oder weniger alle Einheiten, Paare und Trinitäten in Wort und Bild im Rosarium.
Um alle schillernden und funkelnden, dunklen und verborgenen Facetten des philosophischen Mercurius darzustellen, reicht das Monströse knapp aus. Einen beachtlichen Versuch, mercurius philosophorum in einem Wesen zusammenzufassen, unternahm Giovanni Battista Nazari, dessen dreiköpfigen, viergesichtigen, verschlungenen Mercurius-Drachen man als Meisterleistung der symbolischen Synthese bewundern muss (vgl. Nazari 1572).
Dem Einzelbild mangelt die Dynamik, welche der Bilderzyklus des Rosariums zu vermitteln vermag, in dem der Mercurius-Hermaphrodit in immer neuen Variationen gezeigt wird – dafür ist die Gefährlichkeit des Mercurius bei Nazari umso eindringlicher vor Augen geführt.
Erscheinungsformen des Hermaphroditen im Rosarium, weibliche Hälfte markiert. In den Originalbildern sind nur RosPhil 10 und 17 stehend, die anderen liegend, um neunzig Grad im Gegenuhrzeigersinn gedreht. (Hofmeier 2014: 111)
Mehrköpfiges Mercurius-Monster mit Flügelschuhen und Fledermausflügeln. (Nazari, Della tramutiatione, 1599)
Wie wenig inspiriert wirkt dagegen die Darstellungsweise der modernen Chemie, die ihre Elemente zwar noch immer mit den lateinischen (alchemischen) Namen versieht, ihre Eigenschaften jedoch durch nüchterne Zahlen ausdrückt.
Aber ist es Zufall, dass Gold und Blei, als Anfang und Ende der alchemischen Metallreifung im Periodensystem der Chemie nebeneinander stehen? Trotz geradezu allergischer Abwehr gegen sie kann die Chemie ihre Herkunft von der Alchemie nicht leugnen.
Mercurius ist auch reales Quecksilber, dessen auffällige chemisch-physikalischen Eigenschaften Anlass für manches alchemische Symbol und letztlich für die Wahl dieses Metalls als grundlegenden Werkstoff im Laboratorium, ja gar als Bezeichnung eines alles durchdringenden Prinzips gaben. Seit den Tagen, als Zosimos die Theorie vom Körper und Geist der Metalle in die Alchemie einbrachte, wonach allen Metallen ein identischer Körper eigen ist, während der Geist ihnen unterschiedliche Eigenschaften wie Farbe, Härte und so weiter verleiht, kommt Quecksilber eine Sonderrolle zu. Schwer wie Blei, flüchtiger als Wasser und äußerst verbindungsfreudig ist Quecksilber das perfekte Beispiel für die Theorie des Zosimos, der auch erstmals die Bezeichnung Hermaphrodit für Quecksilber oder wohl eher »mercurius philosophorum«, »unser Quecksilber« verwendet (vgl. Hofmeier 2014: 112).
Elemente Gold und Quecksilber nach der Periodentabelle der modernen Chemie. (Hofmeier 2014: 112)
Alchimia practica
Nach dem gleichen Muster der additiven statt substitutiven Theoriebildung (reine Quecksilber- versus Quecksilber-Schwefel-Theorie) brach die alchemische Tradition der sieben Metalle nicht ab, als neue Metalle, wie zum Beispiel das Antimon, auf den Plan traten (vgl. Hofmeier 2008). Im Gegenteil, es waren Alchemisten, die fortan Bücher zum Antimon schrieben – allen voran der geheimnisvolle Basilius Valentinus. Das Sowohl-als-Auch anstelle des Entweder-Oder, welches die alchemische Theorie prägt, galt in gleichem Maß für ihre Ausdrucksweise in Wort und Bild. Landläufig wird der Arkancharakter der alchemischen Kommunikation, die sich ungezählter Decknamen, verwirrender Metaphern und Allegorien bediente, um ihr Wissen vor Unbefugten geheim zu halten, betont. Dies wird der Tatsache nicht gerecht, dass die alchemische Art und Weise, sprachlich und visuell schwer nachvollziehbare Phänomene darzustellen, auch eine Verständnishilfe sein kann. Dabei soll die gezielte Geheimhaltung keineswegs geleugnet werden, die die Alchemisten immer wieder ausdrücklich forderten und überzeugend demonstrierten, aber auch bereits im 12. Jahrhundert als Hemmnis beklagten (vgl. Hofmeier 2014: 80–81; Bachmann/Hofmeier 1999: 9–13; Hofmeier 2017: 23–25).
Zuweilen liegt aber gerade in der Komplexität einer alchemischen Schilderung der Schlüssel zum Verständnis eines Sachverhalts. Bis vor Kurzem hielt man die Zwölf Schlüssel von Basilius Valentinus oder das Rosarium, beides Werke voller Allegorien in Wort und Bild, für im besten Fall unverständlich, im schlimmsten Fall Nonsens. Beim Versuch, Basilius’ Anleitungen im Laboratorium nachzuvollziehen, stellte der Alchemiehistoriker Lawrence Principe allerdings fest, dass seine Resultate umso besser wurden, je exakter er sich an die skurrilen Anweisungen des pseudonymen Alchemisten hielt, und je unreiner die Ausgangsstoffe waren. Mit reinen Substanzen und handelsüblichen Apparaten aus dem Angebot des modernen Chemikalienhandels war Principe kein Erfolg vergönnt. Erst als er getreu den Angaben in den Zwölf Schlüsseln des Basilius »ungarisches Antimon« statt chemisch reines Antimon verarbeitete, traten die vom Alchemisten beschriebenen Effekte auf (vgl. Principe, S. 137–157).
Metalle dominieren die Alchemie von den Urgründen im alten Orient und Ägypten, über die Schriften des Zosimos, zum metallurgischen Grundlagenwerk Gebers Summa perfectionis magisterii in sua natura … – das ein veritables Handbuch der experimentellen Metallurgie ist – bis hin zum noch von Newton hochgeschätzten Rosarium – dem Musterbeispiel transmutatorisch-philosophischer Spitzenalchemie für Fortgeschrittene. Alchemie der Metalle kann nüchtern praktisch daherkommen, wie bei Geber – weshalb er von manchen modernen Alchemiekritikern nicht zu den Alchemisten gezählt wird, weil seine Anleitungen im Labor nachvollziehbar sind – oder allegorisch derart verklausuliert wie das Rosarium, dass ein einhelliges Verständnis von Inhalt, Zweck und Deutung in weiter Ferne liegt.
Was die praktische Anwendung angeht, darf Paracelsus nicht ausgelassen werden. Er hat metallische Pharmazie zwar nicht erfunden, sie aber wortgewaltig und lautstark propagiert. Paracelsus wies den Weg von der reinen Kräutermedizin der Mönche hin zur alchemischen Breitband-Pharmazie unter Einsatz aller Mittel – auch und gerade der Metalle.
Ob reales Gold in der Retorte zu aurum potabile verkocht wird; ob philosophisches Gold in spekulativ philosophischen Übungen mehr Symbol als Materie ist; oder nicht zuletzt, ob die berüchtigte Goldmacherei durch Transmutation Reichtum verspricht und oft Ruin bedeutet: Alchemie förderte auf vielfältige Weise den wissenschaftlichen Fortschritt. Praktisch durch konkrete materielle, technische und chemische Errungenschaften, theoretisch durch den Anreiz, Grenzen auszuloten, und ganz allgemein durch das stete Streben nach Verbesserung der Welt. Alchemie war und ist getrieben vom Drang, den Aufbau der Welt, die Funktionsweise der Natur und das Zusammenspiel von Oben und Unten zu verstehen und basierend auf diesem Verständnis zu manipulieren. Dazu muss der wahre Alchemist sich spirituell läutern, wie das Gold im Feuer.
»Der Baum aller Metallen« (aus: Martin Sturtz, De humido radicali, 1597). Auffallend sind die Zahlen 10, 100, 1000 am unteren Bildrand, die ein Hinweis auf eine schrittweise Vergeistigung sind, wie sie später Samuel Hahnemann in der Potenzierungsidee der Homöopathie weiter ausführte.
Der Baum der Metalle
Der Bergmann und Alchemist Martin Sturtz vom Geyer hat eine Reihe atemberaubender Illustrationen geschaffen, die das Wesen der Metalle nach alchemischer Theorie darstellen (vgl. Bachmann/Hofmeier 1999: 126– 139). Obwohl er durch seine Tätigkeit im Bergbau sehr praktisch und buchstäblich an der Quelle der Metalle tätig war, hat sich Sturtz intensiv mit den kosmologischen und theologischen Voraussetzungen der Metalle beschäftigt. Sein Schema »Baum aller Metalle« irritiert auf den ersten Blick, weil die namensgebenden Metallbäume in der unteren Bildhälfte kopfüber nach unten wachsen, während die im Erdinnern zu verortenden Metalllagen gekreuzt im oberen Bildbereich auftreten (Fig. 6/7). Nur scheinbar ist oben und unten verkehrt worden, wie der Bildtext im Schema deutlich macht (Orthografie modernisiert):
»Der Baum der Metalle kommt vom Einfluss des Himmels, kehrt seine Wurzeln zu Tage gegen den Himmel, sein Himmelstau befeuchtet die Flores (Blumen) aus dem Meer. Da werden die Metalle gekocht mit ihrer eigenen Sonne, Mond und Gestirnen.
Nach der Trinität und dem Heiligen Kreuz ist alles beschaffen.
Die Erde ist stratiert (geschichtet) nach dem Himmel geschaffen, ihre Vollkommenheit in der Mitte: Minera.«
Das Hauptanliegen des Bildes ist es aufzuzeigen, wie die himmlischen Einflüsse der »Trinität« – was auf die Göttliche Dreifaltigkeit sowie die drei Prinzipien Sal, Sulphur und Mercurius anspielt – durch drei als Katharakte bezeichnete Röhren die Wurzeln der sieben Metalle speisen. Die sieben Metallbäume sind, wie auch die zweimal sieben gekreuzten Lagen der Metalle, jeweils mit ihren Symbolen gekennzeichnet. Sturtz setzt das Gold respektive die Sonne ins Zentrum der Siebenergruppe und lässt die Metallbäume in verschiedene Höhen wachsen.
Die Bildtexte, welche im Rahmen und im Innern in vier Richtungen stehen, geben einen grafischen Hinweis auf den theoretischen Inhalt, der sich durch eine allmähliche Drehung der Darstellung erschließen lässt. Kopfüber betrachtet, stehen die Metallbäume »richtig« und die Metallschichten sind unten in der Erde – wie oben so unten.
6 »Der mineralische Mercurius, der pflanzliche Mercurius, der tierische Mercurius ist eins.«
7 Quelle: Pharmaziemuseum Basel; aus Bachmann/Hofmeier 1999, S. 90, Bild 41