Читать книгу Zwischen meinen Inseln - Ole R. Börgdahl - Страница 348
Brisbane, 3. Juni 1922
ОглавлениеIn der Zeitung wurde eine weitere Lafontaine-Fabel abgedruckt und ich habe sie mit großem Vergnügen gelesen. Es ist wieder etwas, das man sich merken muss, weil es damals wie heute Gültigkeit hat. Es geht so: Am Hof des Löwen, des Königs oder desjenigen, der über ein Volk herrscht, darf man eine schlechte Sache weder schönreden, noch die Wahrheit darüber sagen. Am besten findet man eine Ausrede, dass man sich keine Meinung erlauben könne. Ich muss überlegen, ob ich schon einmal in eine solche Situation geraten bin. Wenn mir etwas überhaupt nicht gefällt, dann sage ich es schon. Das habe ich früher bei Vaters Artikeln immer so gemacht und Vater war ja auch dankbar für meine Kritik und es war für ihn wichtig. Dann fällt mir noch ein, dass Olga einmal ein weißes Kleid mit einer roten Schärpe anprobiert hat. Ich fand die Schärpe unmöglich, die Farbe und Form. Olga hatte sich aber wohl schon für das Kleid entschieden und so habe ich einfach gesagt, dass es mir auch gefalle. Helen hat mir dann aber erzählt, dass Olga genau dieses Kleid drei Tage später wieder ins Geschäft zurückgebracht hat. Olga hat also am Ende meiner Meinung doch nicht vertraut. Bei der Arbeit ist es dann aber tatsächlich so, wie Lafontaine es in seiner Fabel empfiehlt. Wenn ich jemals die Anwälte wegen der Texte kritisiert hätte, die ich übersetzen musste, dann hätten sie mir bestimmt irgendwann keine Aufträge mehr gegeben. Ich wurde zum Glück noch nie nach meiner Meinung gefragt, und wenn dies einmal geschieht, dann werde ich antworten, dass ich mich mit juristischen Dingen nicht auskenne. Auch wenn es nicht immer gilt, kann man sich Lafontaines Lehre trotzdem merken: »Es kann euch, möchtet ihr des Herrschers Gunst besitzen, nicht fades Schmeicheln und nicht offnes Reden nützen.«