Читать книгу Gesang der Fledermäuse - Olga Tokarczuk - Страница 4

2 Testosteron-Autismus

Оглавление

»Ein Hund, der hungert vor dem Haus,

Sagt den Ruin des Staats voraus.«

Ich war ihm sehr dankbar, dass er mich zu sich auf ein heißes Getränk einlud. Ich fühlte mich total zerschlagen, und der Gedanke, dass ich in mein kaltes, leeres Haus zurückkehren sollte, deprimierte mich.

Bigfoots Hündin, die seit einigen Stunden bei Matoga residierte, sprang mir zur Begrüßung entgegen. Sie erkannte mich und freute sich offenbar, mich zu sehen. Sie wedelte mit dem Schwanz und dachte ganz bestimmt nicht mehr daran, dass sie einmal vor mir davongelaufen war. Hunde sind manchmal ziemlich dumm, ähnlich wie Menschen, und diese Hündin war sicher eine von der dummen Sorte. Wir setzten uns in die Küche an den Holztisch, der so sauber war, dass man seine Wange darauf legen konnte. Das tat ich auch.

»Du bist wohl sehr müde«, meinte Matoga.

Alles hier war sauber und hell, warm und gemütlich. Was für ein Glück ist es im Leben, eine saubere und warme Küche sein Eigen zu nennen. Dies war mir versagt geblieben. Bei mir war es unmöglich, Ordnung zu halten. Aber ich habe mich schon damit abgefunden. Pech.

Bevor ich mich noch umsehen konnte, stand schon ein Glas Tee vor mir. Es war in einem hübschen Metallkörbchen mit Henkel, auf einem Untersetzer. In der Zuckerdose war Würfelzucker – das erinnerte mich an die süße Zeit meiner Kindheit, und es hob tatsächlich meine jammervolle Laune.

»Vielleicht hätten wir ihn wirklich nicht bewegen sollen?« Matoga öffnete die Tischschublade, um Löffelchen herauszuholen. Die Hündin strich um seine Beine, als wolle sie ihn nicht aus dem nächsten Umkreis ihres kleinen, mageren Körperchens herauslassen.

»Du wirfst mich noch um«, sagte Matoga mit schroffer Zärtlichkeit. Er hatte sichtlich noch nie einen Hund gehabt und wusste nicht genau, wie man sich verhält.

»Wie wirst du sie nennen?«, fragte ich, als mir vom Tee etwas warm geworden war und sich dieses Knäuel von Emotionen, das mir im Hals steckte, ein wenig löste.

Matoga zuckte die Achseln.

»Ich weiß nicht. Vielleicht Mücke oder Schneeball.«

Ich sagte nichts, aber das gefiel mir nicht. Das waren keine Namen, die zu diesem Tier gepasst hätten, besonders im Hinblick auf seine persönliche Geschichte. Wir würden uns etwas anderes für sie ausdenken müssen.

Offiziell verliehene Namen beschneiden massiv die Kreativität. Man kann sie sich nicht merken, denn sie sind losgelöst von der Persönlichkeit und meist sehr banal. Sie haben überhaupt nichts mit der Person zu tun. Dazu kommt, dass jede Generation ihre Moden hat, und plötzlich heißen alle Magdalena, Patrick oder – du lieber Himmel – Janina. Deshalb bin ich bemüht, keine bestehenden Vor- und Nachnamen zu verwenden, sondern eher Bezeichnungen, die einem spontan einfallen, wenn man jemanden zum ersten Mal sieht. Ich bin überzeugt, dass dies der einzig richtige Umgang mit Sprache ist und dass man niemandem abgegriffene Worte überstülpen soll. Matoga zum Beispiel heißt Świerszczyński, so steht es an seiner Tür, und vor dem Nachnamen steht ein »Ś.« Gibt es einen Vornamen mit Ś? Er stellt sich immer mit »Świerszczyński« vor, erwartet aber offenbar nicht, dass sich jemand die Zunge verknotet, um das auszusprechen. Ich glaube, jeder von uns sieht die anderen Menschen auf eine eigene Art, also darf er diesen auch Namen geben, die ihm passend erscheinen. Ich habe ebenso viele Vornamen, wie ich Menschen kenne, die mit mir in irgendeiner Beziehung stehen.

Świerszczyński habe ich Matoga genannt und ich finde, dass dieser Name ganz gut zu ihm passt.

Jetzt eben, als ich die Hündin ansah, kam mir prompt ein Menschenname in den Sinn – Marysia. Vielleicht weil sie so ein ausgemergeltes Waisenkind war.

»Heißt sie nicht zufällig Marysia?«, fragte ich.

»Kann sein«, antwortete Matoga. »Ja, ich glaube ja. Sie heißt Marysia.«

In ähnlicher Weise war Bigfoot zu seinem Namen gekommen. Es lag ja ziemlich nahe, wenn man seine Spuren im Schnee sah, da war es einfach sonnenklar. Matoga hatte von ihm immer als »Zottelkopf« gesprochen, dann übernahm er aber automatisch meinen »Bigfoot«. Und das konnte nur heißen, dass ich gut gewählt hatte.

Leider konnte ich für mich selbst keinen vernünftigen Vornamen aussuchen. Was in den Papieren steht, halte ich für skandalös unpassend und kompromittierend – Janina. Ich glaube, dass ich in Wirklichkeit Emilia heiße oder Joanna. Manchmal glaube ich auch, irgendwie so ähnlich wie Irmtrud. Oder Bożygniewa. Oder Nawoja.

Matoga hingegen vermeidet es, wo er nur kann, mich beim Vornamen zu nennen. Das bedeutet sicher etwas. Irgendwie schafft er es immer, mich unmittelbar mit »du« anzureden.

»Wartest du mit mir, bis sie kommen?«, fragte er.

»Na klar.« Gerne war ich dazu bereit, und mir fiel auf, dass ich mich gescheut hätte, ihn noch extra mit seinem Namen »Matoga« anzusprechen. Wenn man so dicht beieinander wohnt, braucht man keine Namen zu nennen, um sich direkt aneinander zu wenden. Wenn ich bei ihm vorbeigehe und sehe, dass er Unkraut jätet, brauche ich seinen Namen nicht, um ihn anzusprechen. Es ist ein besonderer Grad der Vertrautheit.

Unsere Siedlung besteht aus wenigen Häusern, die auf einem Hochplateau stehen, weit ab vom Rest der Welt. Ein Hochplateau ist geologisch gesehen ein entfernter Verwandter des Tafelbergs, so etwas wie dessen Vorbote. Vor dem Krieg nannte sich unsere Kolonie »Luftzug«, heute, im Polnischen, ist – nicht ganz offiziell – »Lufcug« daraus geworden, und offiziell gibt es gar keinen Namen. Auf der Karte sieht man bloß den Weg und einige Häuser, keine Buchstaben. Hier weht immer Wind, enorme Luftmassen strömen durch die Berge von Westen nach Osten, von Tschechien zu uns. Im Winter pfeift der Wind gewaltig, er heult in den Kaminen. Und im Sommer streicht er raschelnd durch die Blätter. Still ist es hier nie. Viele Leute können es sich leisten, ein Haus in der Stadt zu haben, als offizielles, als Ganzjahreshaus, und ein zweites – ein irgendwie verspieltes, ein Kinderhaus – auf dem Land. So sehen die Häuser denn auch aus, kindlich. Klein, geduckt, mit steilen Dächern und winzigen Fenstern. Alle sind vor dem Krieg auf die gleiche Art gebaut worden: mit langen ost- und westseitigen Mauern, eine kurze Mauer Richtung Süden und eine zweite, kurze nordseitige Mauer, an der eine Scheune lehnt. Nur das Haus der Schriftstellerin, mit seinen überall angebauten Terrassen und Balkonen, ist etwas exzentrischer.

Man darf sich nicht über die Leute wundern, die im Winter das Hochplateau verlassen. Von Oktober bis April ist es hart, hier zu wohnen, davon kann ich ein Lied singen. Jedes Jahr fällt hier der große Schnee, und der Wind meißelt mit Akkuratesse seine Verwehungen und Dünen in den Schnee hinein. Die letzten klimatischen Veränderungen haben alles erwärmt, bis auf unser Hochplateau. Hier ist es gerade umgekehrt, im Februar schneit es noch einmal besonders stark, und der Schnee bleibt besonders lange liegen. Die Temperaturen sinken im Winter mehrere Male bis auf minus zwanzig Grad, und bis Ende April ist hier Winter. Der Weg ist schlecht, Frost und Schnee zerstören das, was die Gemeinde mit ihren kümmerlichen Mitteln immer wieder zu reparieren versucht. Bis zum Asphaltweg muss man vier Kilometer auf einem tief zerfurchten Feldweg fahren, und eigentlich gibt es nichts, wofür man sich das antun würde – der Autobus hinunter nach Kudowa fährt morgens ab und kehrt nachmittags zurück. Im Sommer, wenn die wenigen, bleichen Kinder hier Ferien haben, fährt gar kein Bus. Durch die Gegend führt eine Straße, die sich an einem Punkt wie eine Wünschelrute verzweigt und dann unbemerkt in den Vorort des Städtchens verwandelt. Sollte jemand Lust dazu bekommen, so kann er auf dieser Straße weiter nach Wrocław oder Tschechien fahren.

Aber es gibt auch Menschen, denen das gefällt. Man könnte viele Hypothesen darüber aufstellen, so man Spaß an hypothetischen Ansätzen hat. Psychologie und Soziologie könnten hier auf manche Spur lenken, aber mich lässt so was vollkommen kalt.

Matoga und ich zum Beispiel, wir bieten dem Winter tapfer die Stirn. Übrigens ist die Wendung »die Stirn bieten« ziemlich blödsinnig, denn wir schieben kämpferisch den Unterkiefer vor, wie die Männer auf der kleinen Brücke im Dorf. Wenn man die provoziert oder anpöbelt, dann sagen sie angriffslustig: »Na, und? Na, und?« In gewissem Sinne provozieren wir auch den Winter, aber der ignoriert uns ebenso wie den Rest der Welt. Die alten Exzentriker. Hippies von Gottes Gnaden.

Alles hier ist so schön in weiße Winterwatte gekuschelt. Der Winter kürzt die Tage maximal, sodass man, wenn man unbesonnen etwas zu lang in die Nacht hinein zusammensitzt, erst im Dämmer des nächsten Nachmittags erwacht. Was mir, zugegebenermaßen, seit letztem Jahr immer wieder passiert. Der Himmel hängt hier über uns, tief und dunkel, wie ein schmutziger Bildschirm, auf dem sich übermütige Wolken-Kissenschlachten abspielen. Dafür sind unsere Häuser da – um uns vor diesem Himmel zu schützen, der ohne die Häuser unsere Körper bis ins Innerste durchdringen würde, bis in unsere Seele, die einer kleinen Murmel gleicht. Wenn es so etwas wie die Seele überhaupt gibt.

Ich weiß nicht, was Matoga in diesen dunklen Monaten macht. Wir haben wenig Kontakt zueinander, auch wenn ich – zugegeben – gerne mehr hätte. Wir sehen uns alle paar Tage und wechseln ein paar Worte. Aber wir sind nicht deshalb hierhergezogen, um miteinander Tee zu trinken. Matoga hat sein Haus ein Jahr nach mir gekauft, und es sieht so aus, als hätte er beschlossen, ein neues Leben zu beginnen, wie jeder, dem die Ideen und die Mittel für das alte Leben ausgegangen sind. Angeblich hat er früher im Zirkus gearbeitet, aber ich weiß nicht, ob er dort Buchhalter oder Akrobat war. Lieber wäre mir Akrobat, denn wenn ich ihn humpeln sehe, dann stelle ich mir immer vor, dass vor langer Zeit, in den schönen siebziger Jahren, während einer ganz besonderen Nummer etwas geschehen sein könnte, was bewirkte, dass seine Hand das Trapezholz nicht erreichte, und er von weit oben in die mit Sägespänen bestreute Manege fiel. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr will mir scheinen, dass der Beruf des Buchhalters auch kein schlechter Beruf ist, und die den Buchhaltern eigene Ordnungsliebe weckt meine Bewunderung, Zustimmung und meinen ausnehmenden Respekt. Matogas Ordnungsliebe erkennt man auf seinem kleinen Anwesen auf einen Blick: Das Brennholz schichtet er in kunstvollen, spiralförmigen Klaftern übereinander. Daraus entsteht dann ein hübscher runder, ideal proportionierter Hügel. Matogas Holzklafter könnte man als ein lokales Kunstwerk auffassen. Dem Reiz dieser schönen, spiraligen Ordnung kann ich mich nicht entziehen. Immer wenn ich dort vorbeigehe, bleibe ich einen Moment stehen und bewundere diese beispielhafte Zusammenarbeit von Hand und Kopf, die mit etwas so Banalem wie Brennholz die vollkommenste Bewegung im Universum ausführt.

Der Pfad vor Matogas Haus ist so gleichmäßig mit Kies bestreut, dass man glauben könnte, es sei ein besonderer Kies, aus identischen Steinchen, von Hand ausgesucht, in unterirdischen Felsenhöhlen oder in von Kobolden geführten Kiesfabriken. Vor seinen Fenstern hängen saubere Gardinen, gleichmäßig gefältelt, sicher verwendet er für diesen Effekt eine spezielle Vorrichtung. Seine Blumen im Garten stehen fein säuberlich und ordentlich da, gerade aufgerichtet und schlank, als hätten sie ein Fitnesstraining absolviert.

Als Matoga in der Küche hantierte und uns Tee machte, fiel mir auf, wie akkurat die Tassen in seinem Geschirrschrank standen, was für ein makelloses Deckchen auf der Nähmaschine lag. Er hatte sogar eine Nähmaschine! Beschämt hielt ich meine Hände zwischen die Knie gepresst. Meinen Händen hatte ich lange Zeit kaum Aufmerksamkeit gewidmet. Also, es ließ sich nicht verbergen, dass meine Fingernägel ganz einfach schmutzig waren.

Als er die Teelöffelchen holte, sah ich kurz das Innere der Schublade, und ich konnte meinen Blick nicht davon abwenden. Sie war breit und flach wie ein Tablett. In den mittleren Fächern lagen sorgfältig nebeneinander das Besteck und daneben die anderen Küchenutensilien. Jeder der mir größtenteils unbekannten Gegenstände hatte seinen eigenen Platz. Matogas knochige Finger wählten bedächtig zwei Löffel aus und legten sie auf die zartgrünen Servietten neben unseren Teegläsern. Leider zu spät, denn ich hatte meinen Tee bereits ausgetrunken.

Es war nicht leicht, mit Matoga ein Gespräch in Gang zu halten. Er war sehr wortkarg. Wenn man nicht sprechen kann, muss man schweigen. Mit manchen Personen sind Gespräche fast unmöglich, besonders mit männlichen. Ich habe eine Theorie zu dem Thema. Viele Männer erkranken mit fortschreitendem Alter an Testosteron-Autismus, was mit einem langsamen Schwinden der sozialen Intelligenz und einem zunehmenden Unvermögen, was zwischenmenschliche Kommunikation betrifft, einhergeht und auch das Formulieren von Gedanken beeinträchtigt. Ein von diesem Leiden befallener Mensch wird schweigsam, er scheint immer in Gedanken versunken zu sein. Er ist mehr an Gegenständen und Mechanismen interessiert. Etwa am Zweiten Weltkrieg, den Biografien bekannter Persönlichkeiten, besonders von Politikern und Verbrechern. Er verlernt fast völlig, Romane zu lesen, denn der Testosteron-Autismus behindert das psychologische Verstehen der Figuren. Ich glaube, dass Matoga so ein Fall war.

Doch an diesem Morgen konnte man von niemandem besondere Redseligkeit verlangen. Wir waren einfach nur bedrückt.

Andererseits war ich erleichtert. Manchmal, wenn man sein Denken weiter fasst und die Gewohnheiten des Geistes ebenso mit einbezieht wie die Bilanz der Tätigkeiten, wird einem klar, dass das Leben des einen nicht in jedem Fall gut für die anderen ist. Ich glaube, jeder wird mir Recht geben.

Ich bat um ein weiteres Glas Tee, eigentlich nur, um ihn mit dem hübschen Löffel umzurühren.

»Einmal habe ich mich wegen Bigfoot bei der Polizei beschwert«, sagte ich.

Matoga hielt kurz beim Trockenreiben eines Kuchentellers inne.

»Wegen dem Hund?«, fragte er.

»Ja. Und wegen Wilderei. Ich habe eine Klage verfasst.«

»Und? Was dann?«

»Nichts.«

»Willst du sagen, es ist gut, dass er jetzt tot ist?«

Noch vor letzten Weihnachten war ich zur Gemeinde gegangen, um den Fall persönlich anzuzeigen. Bis dahin hatte ich Briefe geschrieben. Niemand hatte darauf geantwortet, obwohl es eine gesetzliche Verpflichtung dazu gibt. Die Polizeidienststelle war winzig und erinnerte mit ihren überhaupt nicht zusammenpassenden Materialien an ein tristes Einfamilienhaus aus kommunistischen Zeiten. Dementsprechend war auch die Stimmung. Die mit Ölfarbe gestrichenen Wände waren über und über mit Zetteln bedeckt, die allesamt mit »Bekanntmachung« überschrieben waren – übrigens ein fürchterliches Wort. Die Polizei verwendet ziemlich viele ausnehmend abstoßende Worte, etwa »Mordopfer« oder »Lebensgefährte«.

In dieser Stätte Plutos war es zuerst ein junger, hinter einer Holzschranke sitzender Mann, der versuchte, mich abzuwimmeln. Später übernahm sein älterer Vorgesetzter den Job. Ich wollte den Kommissar sprechen und ließ mich nicht abweisen. Ich vertraute darauf, dass letztlich beide die Geduld mit mir verlieren und mich ihm vorführen würden. Man ließ mich lange warten, und ich fürchtete schon, die Geschäfte könnten schließen, denn ich hatte noch Einkäufe zu erledigen. Es dämmerte bereits, also es war etwa sechzehn Uhr, ich hatte zwei Stunden gewartet.

Endlich, kurz vor Ende der Amtszeit, erschien im Flur eine junge Frau. »Bitte, Sie können hineingehen.«

Ich war in Grübeleien versunken, doch was ich jetzt brauchte, war Geistesgegenwart. Als ich der Frau zur Audienz in den ersten Stock folgte, wo der Chef der lokalen Polizei sein Arbeitszimmer hatte, sammelte ich meine Gedanken.

Es war ein beleibter Mann, etwa in meinem Alter, doch er sprach mich so an, als sei ich seine Mutter oder sogar Großmutter. Er warf mir einen flüchtigen Blick zu und sagte:

»Setzen, bitte.« Als er merkte, dass er mit diesem Infinitiv seine Unbildung verraten hatte, räusperte er sich und korrigierte sich.

»Bitte, nehmen Sie Platz.«

Ich konnte seine Gedanken beinahe hören, bestimmt nannte er mich erst »Frauenzimmer« und, als meine Klagerede nachdrücklicher wurde, »Weib«, und zum Schluss »Besessene« bzw. »Wahnsinnige«. Es war nicht zu übersehen, mit welcher Aversion er meine Bewegungen verfolgte und wie sehr er meinen Geschmack verurteilte. Weder meine Frisur gefiel ihm noch meine Kleidung noch meine mangelnde Unterwürfigkeit. Er musterte mein Gesicht mit wachsendem Widerwillen. Doch auch ich nahm eine Menge wahr – dass er Apoplektiker war, dass er zu viel trank und eine Schwäche für fettes Essen hatte. Während meines Monologs überzog eine leichte Röte seinen großen, kahlen Kopf bis zur Nasenspitze, auf seinen Wangen erschien deutlich ein Geflecht aus erweiterten Adern, wie eine phantastische Kriegstätowierung. Sicher war er es gewohnt, Befehle zu erteilen und von Anderen Gehorsam zu ernten, und sicher kam er leicht in Rage. Eine typische Jupiterpersönlichkeit.

Ich sah auch, dass er nicht alles verstand, was ich sagte, einerseits aus dem offensichtlichen Grund, dass ich mich einer ihm fremden Argumentation bediente, andererseits aber auch, weil sein Wortschatz nicht ausreichte. Er war einer von den Menschen, die all das verachten, was sie nicht verstehen.

»Er ist eine Bedrohung für viele Lebewesen, für Mensch und Nichtmensch.« Das war der Schluss meiner Anklage gegen Bigfoot, die meine Beobachtungen und meinen Verdacht enthielt.

Er wusste nicht, ob ich mich über ihn lustig machte oder ob er wirklich an eine Wahnsinnige geraten war. Andere Möglichkeiten gab es für ihn keine. Ich sah, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss, typisch für diese Art der Pykniker, die irgendwann einen Schlaganfall erleiden.

»Wir haben nicht gewusst, dass er wildert. Wir werden uns darum kümmern.« Er biss die Zähne zusammen. »Bitte gehen Sie jetzt nach Hause und denken Sie nicht mehr daran. Ich kenne ihn bereits.«

»Gut«, sagte ich versöhnlich.

Er stand auf, stützte sich auf die Hände, was ein sichtbares Zeichen dafür war, dass er die Audienz für beendet hielt.

Wenn man etwas in die Jahre gekommen ist, muss man damit rechnen, dass die Menschen ungeduldig mit einem umgehen. Ich wäre früher nicht auf die Idee gekommen, bestimmte Gesten so zu deuten. Ein etwas zu rasches Kopfnicken, dem Blick ausweichen, ständig wie ein Papagei »ja, ja« sagen, verstohlen nach der Uhr schielen, sich an der Nase reiben – heute verstehe ich gut, dass dieses ganze Getue nur eines heißen soll, nämlich »Lass mich doch endlich in Ruhe, du lästige Alte«. Manchmal frage ich mich, ob man einen smarten jungen Mann oder eine gut gebaute Brünette, die das gleiche Anliegen haben wie ich, genauso behandeln würde.

Der Kommissar erwartete offensichtlich, dass ich vom Sitz aufspränge und das Zimmer verlasse. Doch ich hatte ihm noch eine mindestens ebenso wichtige Sache zu kommunizieren.

»Dieser Mensch sperrt seine Hündin den ganzen Tag im Schuppen ein. Das Tier winselt und friert, denn der Schuppen ist nicht isoliert, und dort zieht es. Kann die Polizei da etwas tun, ihm das Aufsichtsrecht über den Hund entziehen, ihn exemplarisch irgendwie bestrafen?«

Er sah mich einen Moment schweigend an, und die Verachtung, die ich von Anfang an bei ihm gespürt hatte, stand ihm jetzt überdeutlich ins Gesicht geschrieben. Seine Mundwinkel waren herabgezogen und die Lippen leicht aufgeworfen. Er versuchte offensichtlich seinen Gesichtsausdruck zu beherrschen. Zu diesem Zweck hatte er ein starres Lächeln aufgesetzt, das seine großen, vom Rauchen gelben Zähne enthüllte. Er sagte: »Liebe Frau, das ist nicht die Sache der Polizei. Ein Hund ist ein Hund. Auf dem Land ist auf dem Land. Was haben Sie denn erwartet? Ein Hund gehört in die Hütte und an die Kette.«

»Wenn etwas Böses passiert, dann melde ich es eben der Polizei. Wohin soll ich mich denn wenden, wenn nicht an die Polizei?« Er lachte heiser. »Wenn es etwas Böses ist, das Sie bemerkt haben, dann wenden Sie sich bitte an den Pfarrer.« Er freute sich über seinen eigenen Humor, bemerkte aber offenbar doch, dass mich sein Scherz nicht sonderlich amüsierte, denn sein Gesicht wurde sofort wieder ernst. »Es gibt sicher irgendwelche Tierschutzvereine oder etwas in der Art. Das finden Sie im Telefonbuch. Die Liga zum Schutz der Tiere – dort können Sie hingehen. Wir sind die Polizei, und die ist zuständig für die Menschen. Bitte, rufen Sie in Wrocław an. Dort gibt es einen Bereitschaftsdienst.«

»In Wrocław!«, rief ich. »Das ist nicht Ihr Ernst. Das hier fällt doch in den Zuständigkeitsbereich der lokalen Polizei, ich kenne das Gesetz.«

»Oho.« Er lachte ironisch. »Dann können Sie mir vielleicht auch gleich verraten, was in meinen Zuständigkeitsbereich fällt und was nicht?«

In meiner Phantasie sah ich unsere Heere, die sich kampfbereit gegenüberstanden.

»Ja, sehr gerne.« Ich holte zu einem längeren Vortrag aus.

Er sah panisch auf seine Uhr, und ich bemerkte, wie er sich anstrengte, um seine Abneigung gegen mich im Zaum zu halten.

»Also gut, wir werden uns die Sache ansehen«, sagte er gleichgültig und begann die Papiere auf seinem Schreibtisch zusammenzupacken und in seine Aktentasche zu stecken. Er wich mir aus.

Ja, ich konnte ihn nicht ausstehen. Mehr noch: Ich spürte, wie mich eine heftige Welle der Abneigung gegen ihn überrollte, beißender als Meerrettich.

Er stand entschlossen hinter seinem Schreibtisch auf, und ich sah seinen mächtigen Bauch, den der Ledergürtel seiner Uniform gar nicht umfassen konnte. Aus Scham versteckte sich dieser Bauch irgendwo dort unten, in den unbequemen, vergessenen genitalen Regionen. Seine Schnürsenkel waren gelöst, sicher hatte er unter dem Tisch die Schuhe ausgezogen. Jetzt musste er sie so schnell wie möglich wieder anziehen.

»Würden Sie mir Ihr Geburtsdatum verraten?«, fragte ich ihn höflich, schon bei der Tür. Er blieb überrascht stehen.

»Wozu brauchen Sie das?«, fragt er argwöhnisch, während er mir die Tür zum Flur aufhielt.

»Um Ihr Horoskop zu berechnen«, antwortete ich. »Möchten Sie? Ich könnte Ihnen Ihr Horoskop erstellen.«

Ein amüsiertes Grinsen verzog sein Gesicht.

»Nein danke. Ich interessiere mich nicht für Astrologie.«

»Sie könnten erfahren, was im Leben noch auf Sie zukommt. Möchten Sie das nicht?«

Er warf dem Polizisten an der Rezeption einen vielsagenden Blick zu, feixte ironisch, als nähme er an einem lustigen Kinderspiel teil, und gab mir alle Daten. Ich notierte sie, dankte ihm, zog mir die Kapuze über den Kopf und wandte mich zum Ausgang. Beim Hinausgehen hörte ich noch, wie beide lachend losprusteten, und ich konnte die Worte verstehen: »Eine Wahnsinnige. Richtig besessen.«

Am selben Abend, als es schon dunkel war, begann die Hündin von Bigfoot wieder zu winseln. Die Luft war blau, scharf wie ein Rasiermesser, und die dumpfe, heisere Hundestimme hatte etwas Beunruhigendes. Der Tod steht vor der Tür, dachte ich. Doch der Tod steht immer vor unserer Tür, zu jeder Tages- und Nachtzeit, sagte ich mir darauf. Am besten ist es, mit sich selbst zu sprechen. Dann kommt es wenigstens nicht zu Missverständnissen. Ich legte mich auf das Küchensofa und war nicht imstande, etwas anderes zu tun, als diesem durchdringenden Gewinsel zuzuhören. Als ich einige Tage zuvor zu Bigfoot gegangen war, um zu intervenieren, hatte er mich nicht einmal in sein Haus gelassen. Er hatte gesagt, ich solle mich nicht in Dinge einmischen, die mich nichts angingen. Dieser Unmensch hatte seine Hündin nur für wenige Stunden nach draußen gelassen und sie dann später doch wieder in das Verließ gesperrt, wo sie die ganze Nacht durch heulte.

Ich lag also auf dem Küchensofa und versuchte vergeblich, an etwas anderes zu denken. Ich spürte, wie eine juckende, vibrierende Energie allmählich meine Muskeln durchdrang. Bald würde sie meine Beine zur Gänze ausfüllen.

Ich stand auf, zog Stiefel und Jacke an, nahm einen Hammer und eine Metallstange und alles Werkzeug, das mir unter die Finger kam. Kurz darauf stand ich atemlos vor dem Schuppen. Bigfoot war nicht zu Hause, es brannte kein Licht, der Kamin rauchte nicht. Er hatte den Hund eingesperrt und war für unbestimmte Zeit verschwunden. Doch auch wenn er zu Hause war, sperrte er den Hund ein. Nach einigen Minuten Arbeit, bei der ich ins Schwitzen kam, gelang es mir, die Holztür aufzubrechen. Die Bretter neben dem Schloss lockerten sich, und ich konnte den Riegel herausschieben. Drinnen war es dunkel und feucht, einige alte, verrostete Fahrräder, Plastikkanister und anderes Gerümpel lagen herum. Die Hündin stand auf einem Bretterstapel, sie trug einen Strick um den Hals, der an der Wand festgebunden war. Es stank nach dem Haufen mit Exkrementen hinter dem Stapel, sie hatte offenbar immer auf die gleiche Stelle gemacht. Unsicher wedelte sie mit dem Schwanz, doch dann blickte sie mir erfreut entgegen. Ich schnitt den Strick durch, packte das eine Ende und ging mit ihr zu mir nach Hause.

Mir war nicht ganz klar, was ich tun sollte. Manchmal, in Momenten des Zorns, scheint alles ganz simpel und selbstverständlich zu sein. Der Zorn bringt Ordnung mit sich, er zeigt die Welt in offensichtlicher Kurzfassung, der Zorn bewirkt auch die Gabe des Hellsehens, was in keinem anderen Gemütszustand möglich ist.

Die Hündin legte sich in meiner Küche auf den Boden, und ich wunderte mich einmal mehr darüber, wie winzig sie war. Ihr dumpfes Winseln klang so, als käme es von einem größeren Hund, wenigstens so groß wie ein Spaniel. Sie war einer dieser lokalen Hunde, die man »Sudetenmonstrum« nennt, weil an ihnen nichts Hübsches ist. Sie haben kurze, dürre, meistens krumme Beinchen, ihr Fell ist stumpf und schmutzigbraun, sie tendieren zum Dickwerden, und vor allem haben sie einen deutlichen Unterbiss. Nun gut, sie würde keinen Schönheitswettbewerb gewinnen, unsere Sängerin der Nacht.

Sie war nervös und zitterte am ganzen Leib. Nachdem sie einen halben Liter warmer Milch getrunken hatte, von der ihr Bauch rund wie ein Ball war, teilte ich auch ein Butterbrot mit ihr. Ich war nicht auf einen Gast vorbereitet, also verströmte mein Eisschrank von innen den Glanz der Leere. Ich sprach beruhigend auf die Hündin ein, erklärte ihr jede meiner Bewegungen, und sie sah mich fragend an, da sie sichtlich nicht verstand, was diese plötzliche Wende in ihren Lebensumständen bedeutete. Ich legte mich auf das Küchensofa und redete ihr zu, sie solle auch für sich ein Plätzchen zum Schlafen suchen. Schließlich kroch sie unter den Heizkörper und schlief ein. Da ich sie über Nacht nicht allein in der Küche lassen wollte, blieb ich einfach auf dem Sofa liegen.

Ich schlief unruhig, irgendwie wurde mein Körper ständig von den erlebten Aufregungen überrollt, die immer wieder die gleichen Träume nach sich zogen, von überheizten, berstenden Öfen, von riesigen, unendlichen Heizräumen mit rot glühenden Wänden. In Öfen eingesperrte Flammen verlangten tosend nach Befreiung, um dann schrecklich explodierend auf die Welt überzuspringen und alles einzuäschern. Diese Träume könnten aber auch die Folge eines nächtlichen Fiebers gewesen sein, das oft mit meinem Leiden einhergeht.

Ich erwachte früh morgens, als es noch dunkel war, mit steifem Hals von der unbequemen Schlafhaltung. Die Hündin stand an meinem Kopfende und sah mich durchdringend an, sie fiepte erbärmlich. Stöhnend stand ich auf, um sie hinauszulassen. Schließlich hatte sie am Vorabend eine große Menge Milch getrunken. Durch die offene Tür drang kalte, feuchte Luft ins Haus. Sie roch nach Erde und Fäulnis – wie ein Grab. Die Hündin sprang hinaus und pinkelte, indem sie ein Hinterbein in die Luft streckte. Das sah komisch aus, als könne sie sich nicht entscheiden, ob sie ein Männchen oder Weibchen sei. Dann sah sie mich traurig an, ich könnte fast sagen, sie blickte mir tief in die Augen – und rannte schnurstracks zum Haus von Bigfoot.

So kehrte sie in ihr Gefängnis zurück.

Sie war verschwunden. Ich rief nach ihr, ich ärgerte mich, dass ich mich so leicht hinters Licht hatte führen lassen, und ich war ratlos angesichts der Mechanismen der Gefangenschaft. Schon wollte ich mir die Schuhe anziehen, um hinauszugehen, doch der schreckliche, graue Morgen ängstigte mich. Manchmal scheint mir, als lebten wir in einer riesigen, geräumigen Gruft für viele Personen. Ich blickte auf die Welt, eingehüllt in den grauen, kühlen, unangenehmen Morgendämmer. Das Gefängnis ist nicht außen, es steckt in jedem von uns. Vielleicht können wir ohne es nicht leben.

Einige Tage später, noch bevor der große Schnee fiel, sah ich den großen Polonez der Polizei vor Bigfoots Haus. Ich muss zugeben, dass mich dieser Anblick freute. Ja, es erfüllte mich mit großer Zufriedenheit, dass die Polizei endlich zu ihm gekommen war. Ich legte mir zwei Patiencen, und sie gingen auf. Ich stellte mir vor, dass sie ihn festnahmen, ihn in Handschellen abführten, seine Drahtvorräte konfiszierten und ihm die Kettensäge abnahmen – für ein solches Utensil sollte man eine ähnliche Genehmigung verlangen wie für eine Waffe, denn sie richtet unter den Pflanzen große Verwüstungen an. Doch das Auto fuhr ohne Bigfoot wieder weg, und dann wurde es schnell dunkel und begann zu schneien. Die zurückgesperrte Hündin winselte den ganzen Abend. Das erste, was ich am darauffolgenden Morgen im makellosen Neuschnee sah, waren die verwackelten Spuren von Bigfoot und gelbe Urinspuren an meiner Silberfichte.

Das alles fiel mir ein, als ich mit Matoga am Tisch saß. Und meine Mädchen.

Matoga, der aufmerksam meinen Erzählungen zugehört hatte, kochte weiche Eier und servierte sie in Porzellanschälchen.

»Ich habe nicht so ein Vertrauen in die Obrigkeit wie du«, sagte er. »Man muss alles selber machen.«

Ich weiß nicht, was er damals meinte.

Gesang der Fledermäuse

Подняться наверх