Читать книгу Perry Rhodan Neo 220: Imperium am Abgrund - Oliver Plaschka - Страница 7
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Kondolenzbesuch
Perry Rhodan saß in seinem Büro im fünfzigsten Stock des Stardust Towers und blickte durch die bodentiefen Panoramafenster auf die Stadt an den Ufern des glitzernden Salzsees hinab. Es waren dieselben Räumlichkeiten, die vor sehr langer Zeit Homer G. Adams und danach Maui John Ngata gedient hatten. Einst war von diesem Ort aus das Schicksal Terranias und der ganzen Erde gelenkt worden, ehe die Regierungsbehörden Gebäude im neu errichteten Stadtviertel Government Garden bezogen hatten. Es war ein Raum, der Geschichte geatmet hatte. Mittlerweile war er fast ohne Bedeutung.
Rhodan wusste nicht, weshalb man ihm ausgerechnet dieses Büro zugewiesen hatte, aber es ließ sich nicht ausschließen, dass es mit Absicht geschehen war. Er stand auf dem Abstellgleis, sagte ihm dieser Raum. Er besaß keine Befehlsgewalt mehr, und wenn es schlecht für ihn lief, würde er noch viel mehr verlieren.
Doch Perry Rhodan gab nicht auf. Wenn schon nicht um seinetwillen, dann seiner Familie wegen. Deshalb verbrachte er seine Zeit, statt nach Hause zu gehen und in seinem leeren Haus auf die Vorladung durch den Rat der Terranischen Union zu warten, mit dem Studium der Berichte, die ihm sein Mitarbeiterstab und Reginald Bull zur Verfügung stellten: das juristische Nachspiel ihres Raumschiffdiebstahls Mitte August; der Absturz des Mehandorfrachters VETRONA auf Triton zwei Wochen später; der Notruf des Arkoniden Tamanur da Gonozal, der zum Einsatz Thoras und seiner Söhne geführt hatte; und schließlich die letzten Worte des Botschafters, als dieser vor Thoras Augen gestorben war: Die alten Herrscher greifen nach dem Imperium. Oder auch: Die ihren Gräbern entstiegenen Herrscher ...
Er konnte es Thora nicht verübeln, dass sie dem Hilfeersuchen der Imperatrice nach Arkon gefolgt war. Er wünschte nur, er wäre früher von seiner Reise zurückgekehrt. Wünschte, er hätte Thora vor ihrem Aufbruch noch sprechen können ... Sie hatten sich um zwei Monate verpasst.
Rhodan dachte an Theta. Die unberechenbare und faszinierende Arkonidin, deren Karriere als Kurtisane im Dienste der Rudergängerin Ihin da Achran begonnen hatte, bis Theta die Gelegenheit der Stunde ergriffen und als Imperatrice Emthon V. den Kristallthron bestiegen hatte. Ihre Wege hatten sich über die Jahrzehnte immer wieder gekreuzt, hatten sie zu Feinden, Verbündeten und mehr gemacht.
Theta hatte die Erde erst besetzen lassen, später dort Asyl gesucht. Sie und Rhodan waren beide Opfer der Allianz und eines geheimen Duplikationsprojekts auf Torran-Gar geworden. Nachdem Rhodan Theta hiervon berichtet hatte, hatte sie versucht, Torran-Gar mitsamt allen Duplikaten zu vernichten, und war gescheitert. Rhodan hatte mit einem geheimen Einsatz mehr Erfolg gehabt, aber nicht halb so viele Leben retten können wie erhofft. Danach hatte er Theta nur mitgeteilt, dass sie keine schlaflosen Nächte wegen dieser Welt mehr haben musste; sie hatte sich bedankt und nicht weiter gefragt.
Schon aufgrund dieser besonderen Verbindung mochte Thora die Imperatrice nicht sonderlich – aber Theta war trotz allem eine bessere Wahl für den Thron des arkonidischen Imperiums als der wahnsinnige Crest oder der abtrünnige Meister der Insel, Regnal-Orton, und die meisten ihrer Vorgänger es gewesen waren. Gemeinsam hatten die Menschen und Theta gegen Agaior Thoton und andere Verschwörer gekämpft. Dabei war es nie allein um Thetas Machterhalt gegangen – eine Gefahr für das Große Imperium war stets zugleich eine Gefahr für die ganze Galaxis.
So wie gegenwärtig. Wer auch immer diese alten Herrscher waren – aus der Vergangenheit des Imperiums konnte nichts Gutes für die Menschheit erwachsen.
Rhodan war deshalb bewusst, dass Thora die logische Wahl für einen Flug nach Arkon gewesen war. Dennoch machte er sich Sorgen um seine Frau – so wie sich Thora auch um ihn gesorgt hatte. Um sie zu schützen, hatte er zwar ihre Hilfe abgelehnt, als sie ihn auf die Mission der FANTASY begleiten wollte. Trotzdem brannte er nun umgekehrt darauf, ihr nachzufliegen. Er wollte helfen ...
Er stieß seinen Sessel zurück, stand auf und tigerte rastlos vor der Fensterfront auf und ab. Suchte er nur nach einer Ausrede, einer Ablenkung von den drohenden politischen Konsequenzen seines Handelns? Vielleicht. Aber er wünschte, der Rat würde ihn einfach absetzen, wenn es das war, was die Politik forderte. Zur Not würde er sich ein kleines privates Raumschiff besorgen – verdammt, es wäre nicht das erste Mal, dass er als Niemand unter falschem Namen, nur mit einem Beiboot ausgestattet, ins Imperium aufbrach ...
Ein tolles Beispiel gibst du ab!, mahnte er sich zur Ruhe. Willst du das wirklich? Zum gesuchten Gesetzesbrecher werden? Wie Atlan die nächsten hundert oder tausend Jahre durch die Galaxis ziehen, wenn dir überhaupt so lange bleibt ... ein Renegat ohne Heimat?
Wütend schlug er mit beiden Händen gegen die Scheibe, legte die Stirn ans Glas und starrte auf den Goshunsee hinaus. Wenn er nur wüsste, was der Rat im Schilde führte. Er fühlte sich wie lebendig begraben ...
Da klopfte es an der Tür.
Rhodan wandte verwundert den Kopf. Selbstverständlich gab es draußen einen Anmeldesummer, und ein simples »Herein« würde dem Besucher bei einer Sicherheitstür wie dieser ohnehin wenig nützen. Dennoch hatte der Unbekannte es vorgezogen, per Hand anzuklopfen.
Perry Rhodan ging zur Tür, gab den temporären Code ein, mit dem man für die Dauer seines Arrests seine Bewegungen überwachte, und öffnete den Zugang.
Vor ihm stand ein fremder Mann von ungewöhnlicher Erscheinung. Genau genommen war es seine Kleidung, die auffällig war – seine Statur und das glatte Gesicht mit den kleinen Bäckchen waren eher gewöhnlich, beinahe nichtssagend. Was dagegen sofort ins Auge sprang, war die schwarze Melone auf dem Kopf – praktisch niemand mehr trug einen solchen Hut. Dazu passend hatte der Besucher einen schwarzen Anzug an, streng wie Trauerkleidung, und hielt einen altmodischen Aktenkoffer in der Hand.
»Mister Rhodan«, grüßte er förmlich und hob das Kinn. »Darf ich eintreten?«
»Mister ... Goslin, nehme ich an«, sagte Rhodan und dachte an die Visitenkarte, die ihm Leibnitz ausgehändigt hatte.
»Jeremiah Goslin, ganz recht. Ihr persönlicher Rechtsberater.«
Rhodan wusste nicht, was er von diesem eigentümlichen Mann halten sollte, und er hatte nicht um einen Anwalt gebeten. Vielmehr hatte er beabsichtigt, sich selbst zu verteidigen. Andererseits hatte er im Moment ohnehin nichts Besseres zu tun. Er beschloss daher, Goslin auf die Probe zu stellen.
»Treten Sie ein. NATHAN schickt Sie?«
Wenn die direkte Frage den Anwalt überraschte, ließ er es sich nicht anmerken. Er ging zu Rhodans Schreibtisch und stellte seinen Aktenkoffer darauf ab. Den Kleiderhaken an der Wand ignorierte er; die Melone saß so unverrückbar auf seinem Kopf, als wäre sie festgewachsen, sogar als er sich weit vornüberbeugte, um den Koffer mit leisem Klicken zu öffnen. »Die Lunar Research Area ist ein sehr vielfältiges Einsatzgebiet«, gab er im Plauderton zum Besten. Seine Stimme war sanft, aber bestimmt, perfekt an die Größe des Zimmers angepasst. »Aber es braucht keine gesonderte Einladung, einen Fall wie Ihren zu übernehmen – sofern Sie unsere Einmischung entschuldigen.«
Da war es wieder, diese kleine »uns«, das auch Leibnitz gebraucht hatte, das einzige Eingeständnis, dass das Mondgehirn Interesse an der Sache zeigte. Vielleicht nicht ganz selbstlos – immerhin hatte NATHAN Rhodans Flucht aktiv unterstützt, indem er seine eigenen Datenspeicher manipuliert hatte. Eine Tatsache, die durchaus zu einer diplomatischen Krise in dem ohnehin sehr bizarren Verhältnis zwischen der Terranischen Union – der TU – und der zur Posbiwallfahrtsstätte avancierten Hyperinpotronik führen konnte.
»Es gibt nichts, was ich zu entschuldigen hätte, Mister Goslin. Ich frage mich allerdings, was Sie von mir wollen.«
Goslin, der seinem Koffer gerade eine schmale Minipositronik entnahm, wie man sie gelegentlich auf Raumschiffen, aber selten bis nie in Privatbesitz – geschweige denn in einem Aktenkoffer – sah, hielt erkennbar verdutzt inne. »Ihre Verteidigung vorbereiten, natürlich.« Er lächelte freundlich. »Was – wenn Sie mir die Frage gestatten – war denn bislang Ihr Plan?«
Rhodan zuckte ungeduldig die Achseln. »Offen gesagt: die Schuld auf mich nehmen und es hinter mich bringen.«
Goslin schüttelte tadelnd den Kopf, ohne dass das Lächeln von seinen Zügen wich. »Nein, das werden Sie nicht tun. Nicht solange Sie noch einen Lebensfunken in sich haben, und nicht, solange ich Ihr Anwalt bin.«
»Ich habe Sie noch nicht engagiert«, merkte Rhodan an.
»Sie haben mich eingelassen«, erinnerte ihn Goslin, als wäre er ein Vampir, der sich nicht mehr vertreiben lässt, nachdem er erst mal die Schwelle überschritten hat.
Rhodan grinste. Wenn dieser seltsame Kauz vor Stella Michelsen und ihren Koordinatoren ebenso selbstbewusst auftrat, konnte die Verhandlung recht unterhaltsam werden.
Und etwas an Goslins ruhiger Art gab Rhodan das Gefühl, er könne ihm vertrauen, ja alles erzählen. Es war ein Gefühl, wie er es selten bei einem Menschen erlebt hatte. War es eine Mutantengabe? Eins war klar: Vor diesem Mann hieß es, sich in Acht zu nehmen – und Rhodan hatte ihn lieber auf seiner Seite als gegen sich.
»In Ordnung, Mister Goslin. Was schlagen Sie vor?« Er streckte die Hand aus. »Setzen wir uns doch – nicht da, wenn ich bitten darf«, schickte er nach, als der Anwalt hinter dem Schreibtisch im ehemaligen Protektorensessel Platz nehmen wollte.
»Aber natürlich.« Goslin und er tauschten die Plätze. Sobald Rhodan wieder hinter seinem Tisch und sein Besucher auf dem Stuhl davor saßen, zwinkerte der Anwalt. »Sehen Sie? Sie haben schon den wichtigsten Punkt bei unserer Verteidigung gelernt.«
»Nämlich?«, fragte Perry Rhodan.
»Sie haben nie etwas falsch gemacht – der Protektor hat genau so gehandelt, wie er handeln sollte, und er ist noch längst nicht erledigt.« Jeremiah Goslin klopfte auf seine Stuhllehne. »Alles an seinem Platz.«